Fielding, Joy – Katze, Die

Die alleinerziehende Mutter Charley ist Journalistin und mit ihrer humorvoll-frivolen Kolumne „Charlotte’s Web“ erfolgreich, auch wenn sie oft Kritik für die oberflächlichen Themen einstecken muss. Überraschend erhält sie einen Brief der verurteilten Mörderin Jill Rohmer, die drei Kinder brutal ermordet haben soll und in der Todeszelle sitzt. Jill entpuppt sich als Fan von Charley und bietet ihr exklusiv ihre Geschichte an, damit Charley ein Buch schreiben kann. Dabei will Jill, die im Prozess die Aussage verweigerte, angeblich eine ganz neue Sicht der Geschehnisse offenbaren.

Charley ist zunächst entsetzt und angewidert, lässt sich aber dennoch auf ein Treffen ein, begleitet von Jills Anwalt Alex Prescott. Wider Willen findet sie Jill sogar sympathisch und sehr viel harmloser als gedacht. Nach einigem Zögern erklärt sie sich schließlich bereit, das Buch zu schreiben. Jill will ihr in Briefen und persönlichen Interviews ihr Leben erzählen, und Charley ist trotz ihrer Vorbehalte gespannt auf die Enthüllungen.

Zur gleichen Zeit aber treffen wiederholte E-Mails bei ihr ein, die sie bedrohen. Der anonyme Schreiber beschimpft sie als Schundschreiberin und kündigt gar die Ermordung ihrer Kinder an. Charley informiert die Polizei und hofft, dass es sich nur um einen Wichtigmacher handelt. Während sie sich langsam auch auf privater Basis Alex Prescott annähert, enthüllt Jill, dass sie von ihrem Ex-Geliebten „Jack“ zur Beihilfe am Mord gezwungen worden sei. Nur aus Angst habe sie seine Identität bisher verschwiegen. Charley fürchtete zunehmend, dass „Jack“ wirklich existiert – und es vielleicht sogar auf sie und ihre Kinder abgesehen hat …

_Die Ausgangslage_ ist recht typisch für Joy Fieldings Werke: Eine Frau mit Kindern und familiären Problemen gelangt in eine bedrohliche Situation und muss schließlich um ihr Leben fürchten. Trotzdem handelt es sich hier um einen ihrer besseren Romane, der sich in einigen Punkten vom Einheitsbrei abhebt.

|Weitgehend spannend|

Im Gegensatz zu manch anderem Werk von Joy Fielding gibt es hier keine Ich-Erzählerin, und somit muss man zumindest theoretisch auch um das Leben der Protagonistin bangen. Bis dahin ist es aber ein langer Weg, denn zunächst liegt der Fokus auf Jill Rohmers Enthüllungen. Als scheinbar fröhliche und kinderliebe Babysitterin hatte sie bei den beiden Familien angeheuert und ihre Schützlinge kurz hintereinander entführt, brutal misshandelt und qualvoll getötet. Die Beweise sind erdrückend: DNA-Spuren an den Körpern, kein Alibi und Tonbänder, die nicht nur die Schreie der Kinder, sondern auch Jills Stimme enthalten.

Dennoch hat Charley nach kurzer Zeit schon Zweifel, ob Jill nicht vielleicht nicht die Haupttäterin war. Nicht nur, dass sie viel mädchenhafter und harmloser erscheint, als sie es sich vorgestellt hätte, sie findet sie beinah sympathisch, und es klingt immer glaubwürdiger, dass sie nur aus Angst vor ihrem psychopathischen Exgeliebten vor Gericht geschwiegen hat; auch ihr Anwalt ist von „Jacks“ Existenz überzeugt. Je tiefer Charley in Jills Leben eintaucht, desto stärker fühlt sie sich hin- und hergerissen. Einerseits traut sie Jill die schrecklichen Morde nicht zu, andererseits gibt es auch belastende Aussagen ihrer Familie und Exfreunde, und so ist es für den Leser spannend zu verfolgen, was man noch alles über Jill erfährt.

Im weiteren Verlauf sorgen die Drohmails für Brisanz. Es verdichtete sich der Verdacht, dass „Jack“ hinter ihnen steckt – aber handelt er gegen Jills Wissen und Willen oder stachelt sie ihn womöglich dazu an? Oder ist es womöglich doch nur ein wutentbrannter Leser, der sich, wie nicht wenige andere, an ihren intimen Themen und dem flapsigen Schreibstil stört? Die Polizei kommt mit ihren Ermittlungen auch nicht weiter, da die Mails natürlich von verschiedenen öffentlichen Computern kommen.

|Interessante Charaktere|

Charleys Privatleben wird ein sehr großer Raum in der Handlung gewidmet. Da ist zum einen das zerrüttete Familienverhältnis. Vor über 20 Jahren verließ ihre Mutter Elizabeth die Familie, weil sie ihre Liebe zu Frauen entdeckte und mit ihrer Freundin nach Australien zog. Jetzt ist sie zurück und hofft auf einen Neuanfang, doch außer Charley ist keine ihrer beiden Schwestern und auch weder ihr Bruder Bram noch ihr Vater zu einem Treffen bereit. Immer wieder versucht Charley zu vermitteln, auch wenn sie selbst ihrer Mutter noch nicht ganz verziehen hat, scheitert aber, zumal sie ebenfalls kein allzu gutes Verhältnis zum Rest der Familie besitzt.

Nächster Punkt sind ihre Schwierigkeiten mit Männern. Charley ist unverheiratet und bisher kein Typ für lange Beziehungen, auch wenn sie zu den Vätern ihrer beiden Kinder ein recht gutes Verhältnis hat. Im Verlauf der Handlung lässt sie sich mit Alex Prescott ein, was Jill mitbekommt und merkwürdig reagieren lässt, und auch ein weiterer Mann spielt eine zunehmend wichtige Rolle. Jills Schilderungen ihrer Kindheit werfen in Charley zudem die Frage auf, inwieweit Psychopathen von ihrer Umwelt geformt werden. Zwischenzeitlich ertappt sie sich dabei, die Geschichten von Inzest und Gewalt in der Familie beinah als Entschuldigung zu sehen, obwohl sie andererseits genau weiß, dass keine Erfahrung einen Menschen zwingend zu einem Mörder macht.

|Ein paar Schwächen|

Zum einen dürfte es vor allem eingefleischte Thrillerfans stören, dass Charleys Familienprobleme beinah einen größeren Raum einnehmen als die eigentliche Spannungshandlung. Es gibt viele Szenen, in denen gestritten wird, Charley sich an ihre Kindheit erinnert, vergeblich versucht, Treffen zu arrangieren, und man sich natürlich auch ausspricht und versöhnt, inklusive dem typisch amerikanischen „Ich liebe dich“, das sich Kinder und Mutter zuhauchen.

Da vergisst man zeitweise beinahe, dass es eigentlich um eine Mörderin geht und nicht um ein Familiendrama. Zum anderen kommt das Finale etwas überhastet; wie aus dem Nichts heraus schweben Charleys Kinder in Gefahr, und im Vergleich zur vorher ausufernden Handlung verläuft alles sehr schnell, beinah so, als hätte die Autorin eine gewisse Seitenzahl als Maximum vorgegeben gehabt. Die Identität des Täters ist nicht so überraschend, wie es sein sollte, weniger wegen geschickter Andeutungen – davon gibt es nämlich zu wenige -, sondern eher, weil es zum konventionellen Thriller-Schema passt. Vor allem wer schon mehrere Joy-Fielding-Romane gelesen hat, dürfte nicht wirklich überrascht werden. Letzter störender Punkt ist der Zufall, der es Charley ermöglicht, herauszufinden, wer hinter den E-Mails steckt und ihre Kinder bedroht. Ein Beweis fällt ihm im Wortsinn direkt in die Hände, was den hastigen Verlauf des Finales noch verstärkt – ein bisschen mehr Einfallsreichtum wäre schön gewesen.

_Als Fazit_ bleibt ein insgesamt solider Frauenthriller über eine Journalistin, die in Kontakt mit einer verurteilten Kindermörderin gerät. Die Handlung ist weitgehend spannend, die Charaktere sind nicht uninteressant, allerdings überwiegen zeitweise die privaten Probleme gegenüber dem Thrilleraspekt und das Ende kommt zu plötzlich und ist ein wenig konstruiert. Leicht zu lesen und unterhaltsam, aber kein Highlight.

_Die Autorin_ Joy Fielding, geboren 1945 in Toronto, Kanada, hatte bereits in ihrer Kindheit großes Interesse am Schreiben. Vor ihrer Karriere als Schriftstellerin studierte sie englische Literatur und arbeitete eine Weile als Schauspielerin. 1991 gelang ihr mit dem Roman „Lauf, Jane, lauf“ der internationale Durchbruch. Seitdem landen ihre Frauenthriller regelmäßig auf den Spitzenpositionen der Bestsellerlisten. Weitere Werke sind u. a. „Sag Mammi goodbye“, „Ein mörderischer Sommer“, „Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“ und „Tanz, Püppchen, tanz“.

|Originaltitel: Charley’s Web
Übersetzung: Kristian Lutze
477 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-442-31154-5|
http://www.joyfielding.com
http://www.goldmann-verlag.de

_Joy Fielding auf Buchwurm.info:_

[„Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“ 556
[„Träume süß, mein Mädchen“ 4396
[„Nur der Tod kann dich retten“ 4933

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