Heitz, Markus – Ritus

Geister, Dämonen, Vampire, Monster, Werwölfe – all diese „Schattenwesen“ kommen in jeder Mythologie der unterschiedlichsten Länder und Regionen vor. Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind gefesselt von den Erzählungen dieser stets von einer dunklen, gar bösartigen Aura umwaberten Fabelwesen.

Widmen wir uns den Werwölfen. Die Lykanthropie beschreibt die Verwandlung eines Menschen in Vollmondnächten in einen „menschenähnlichen“, auf zwei Beinen laufenden Wolf. Am Ende werde ich dazu auf die Legendenbildung und auf die Fakten der Forschung eingehen, die dem Roman „Ritus“ von Markus Heitz als Basis gedient haben.

_Die Geschichte_

Frankreich 1764 im Gévaudan. Jean Chastel und seine Söhne Antoine und Pierre sind erfahrene Wildhüter und in den Osten Frankreichs gereist, um einen Wolf zu töten, der seinerseits schon mehrfach Schafe, Kühe und zuletzt einen armen Hirten getötet hat. Bei dieser Suche finden sie die Leiche eines merkwürdigen wolfsähnlichen Lebewesens, das keiner dieser drei Männer auf seinen Reisen je gesehen hat. „Loup-Garou“, murmelt der ältere Sohn Antoine und erklärt damit, dass es sich der Legende nach um einen Werwolf handelt.

Die drei Jäger, erstaunt und vertieft in den Anblick des Werwolfes, ahnen nicht, dass sie beobachtet werden. Ein zweiter Werwolf greift an, und wider Erwarten zeigt dieser nicht die Spur von Angst oder Dummheit. Im Gegenteil: Grausam, bösartig und voller Intelligenz, verwickelt dieses Wandelwesen die drei Menschen in einem ungleichen Kampf. Doch die drei Jäger und auch der Werwolf überleben diese erste schicksalhafte Begegnung, die alles zu ändern vermag. Antoine und Pierre werden durch die Zähne und die Klauen des Werwolfes schwer verletzt, und der Vater Jean weiß, dass vielleicht der Fluch des Werwolfes an seine Söhne weitergegeben wurde.

Nach diesem Angriff geht das Morden im Gebiet Gévaudan brutal weiter. Die Bestie kennt keinen Unterschied zwischen Frau und Mann, Kind oder Erwachsenem. Unzählige Opfer lassen auch den König von Frankreich aufhorchen und reagieren. Ein Preis wird auf die Bestie vom Gévaudan ausgesetzt. Doch Jean Chastel geht es nicht um die Belohnung. Im Laufe der Zeit zeigt sich, dass seine Söhne sich verändern, ihr Verhalten, ihre Aggression ist die eines wilden Tieres und nicht mehr die eines Menschen. Jean Chastel, der erfahren hat, dass einzig und allein das Blut eines Werwolfes die Heilung des Fluches birgt, begibt sich auf seinen ganz persönlichen Rachefeldzug.

Gegenwart – 2004. Eric von Kastel wird Zeuge, wie sein Vater Johann von Kastel von Wandelwesen, nicht nur Werwölfen, sondern auch Werschakalen, getötet wird. Die Wut der Wandelwesen ist zerstörerisch und fordert neben dem Leben seines Vaters auch das herrschaftliche Anwesen als Opfer. Alles wird zerstört. Unsagbar wichtige Informationen, die über Generationen der Familie von Kastel (Chastel) auf der Jagd nach den verfluchten Wesen geholfen haben, sind auf immer verloren.

Eric von Kastel, ausgebildet als Werwolfjäger, hat selbst ein dunkles Geheimnis, und genau wie sein Vorfahre hat er persönliches Interesse daran, die Wandelwesen zu jagen und zu vernichten …

Doch gibt es auch andere Gruppen, die sich für diese Wesen interessieren, und selbst der Vatikan mit seinen vielen Geheimnissen spielt eine ungewisse Rolle. Im Laufe der Jagd wird klar, dass es eine Vereinigung, einen Kult von Lykanthropenfreunden gibt, die darauf aus sind, freiwillig das Opfer eines Werwolfes zu werden, um damit fast unsterblich und gottgleich zu sein.

_Kritik_

Markus Heitz hat es geschafft, einen historisch authentischen, phantastischen und wirklich spannenden Roman zu schreiben. Ab und an hat der Roman logische Schwachpunkte (z. B. fragte ich mich, wie ein Wandelwesen in Berührung mit Silber kommen kann, ohne Verletzungen davonzutragen), trotzdem gehört dieser Roman zu den spannendsten, die ich in der letzten Zeit gelesen habe.

Der eine oder andere Leser des Romans „Ritus“ wird, was die beiden Handlungsstränge angeht, verwirrt sein. Diese wechselnde Erzählart ist oftmals zwar eine Nervenprobe, bindet den interessierten Leser aber immer mehr an das Buch. Persönlich fand ich die Erzählung in der Vergangenheit weitaus interessanter und stärker interpretiert als die in der Gegenwart, was wohl an der Charakterisierung der Personen liegt. Jean Chastel, der ungläubig der Kirche gegenübersteht und sein ganz eigenes Interesse hat, entwickelt mit seinen beiden sehr unterschiedlichen Söhnen eine Eigendynamik, die der Erzählung wunderbar dient.

In der Gegenwart hingegen ist die Person von Eric arg überzeichnet und fast schon klischeehaft. Oftmals kam es mir so vor, als hätte Markus Heitz unter Zeitdruck gestanden. Wer die Filme um die Comicfigur „Blade“ kennt, wird sich unweigerlich genau an diesen Typ von Mensch und Jäger erinnern können. Auch in den oftmals schwachen Dialogen hat mich das immer wieder gestört, wenn auch der Handlungsstrang hier nicht weniger spannend ist. Stilistisch gesehen, wäre es vielleicht besser gewesen, aus diesem Roman selbst wieder einen Zweiteiler zu machen – einen Band, der den Ursprung dieser Geschichte trägt und im Frankreich des 17. Jahrhunderts spielt, und der zweite logisch gesehen in der Gegenwart, aber besser ausgearbeitet.

Die Werwölfe dagegen werden hier wirklich als böse dargestellt und legendentreu mit Silberwaffen gejagt. Ihre Beschreibung ist gelungen, denn der Autor zeichnet diese Wesen nicht als Tiere ohne Intelligenz. Im Gegenteil, die Charakterisierung und die Ziele dieser Wandelwesen werden spannend und interessant erzählt.

_Fazit und Historie_

Markus Heitz hat sehr gut recherchiert und erzählt in der Vergangenheitsebene die Geschichte der „Bestie vom Gévaudan“ ganz neu. Ich kann diesen Roman durchaus empfehlen, allerdings nur, was den Spannungsaufbau angeht, nicht aber die Charaktere. Auch historisch gesehen, hat mich der Autor nicht enttäuscht, ja sogar meine Erwartungen übertroffen, aber letztlich erzählt der Roman über die Legende eines Werwolfes herzlich wenig Neues. Trotzdem gibt es von mir das Prädikat „gut“ und damit eine Empfehlung.

Wer den Film „Pakt der Wölfe“ von Christophe Gans kennt, wird die Parallelen zweifellos bemerken. Auch dieser Film basiert wie der Roman „Ritus“ auf den historischen Überlieferungen. Die Familie von Chastel wie auch die Bestie vom Gévaudan gab es wirklich. Es begann als ein bloßes Gerücht: Ein eigenartiges Wesen durchstreift das ländliche Gévaudan und tötet in rascher Folge meist Kinder und Frauen. Die Leichen sind verstümmelt, oftmals sind die Köpfe abgetrennt, die Eingeweide herausgerissen.

Das Grauen bekommt mit dem Namen „Loup-Garou“ einen schrecklichen Ruf – der Wolfsmensch. Die Menschen rufen nach Hilfe und finden auch Gehör. Ein Preis wird vom französischen König Ludwig XV. für die Tötung der Bestie ausgesetzt. Es beginnt eine regelrechte Hetzjagd auf die Wölfe in der Region, gemäß der Logik: Je mehr Wölfe man tötet, desto mehr Chancen hat man, dass die Bestie unter ihnen ist. Doch ohne Erfolg – das Morden geht weiter.

Ludwig XV. wird unter Druck gesetzt, denn die Bestie wird inzwischen durch die Söldner, die sich an der Jagd beteiligen, international bekannt, und zwingt seine Jäger zum Erfolg. Letztlich wird wohl ein „Wolf“ von Jean Chastel getötet, da aber der Körper zu groß ist, wird nur eine Pfote der Bestie als Beweis dienen können. Zweifelhaft, sehr zweifelhaft.

Es gibt verschiedene Theorien rund um diese „Bestie vom Gévaudan“. Auch Jean Chastel wird beschuldigt, irgendetwas mit den Morden zu tun zu haben, denn immer, wenn die Leichen der Opfer gefunden werden, sind er und seine Söhne unmittelbar im selben Gebiet. Letztlich ist dies nie geklärt worden, und wie es bei Legenden so ist, bleibt immer ein Körnchen Wahrheit verborgen.

Am Schluss sei erwähnt, dass der zweite und abschließende Roman [„Sanctum“ 2875 ebenfalls erschienen ist. Und dieser liest sich durchaus noch besser als „Ritus“.

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