Koch, Boris / Aster, Christian von / Hoffmann, Markolf – StirnhirnhinterZimmer

_Inhalt:_

Wenn das StirnhirnhinterZimmer seine Pforten öffnet …

… übernehmen Pinguine über Nacht die Weltherrschaft,
tanzen untote Schlagerstars in den Straßen von Berlin,
verdoppeln sich Reliquien auf wundersame Weise,
schrumpfen Nashörner auf Westentaschengröße,
wird ein Pfefferkuchenmann zum Giftmörder,
geht ein Troll auf Frühstückssuche.

Das StirnhirnhinterZimmer – eine Lesereihe von Markolf Hoffmann, Christian von Aster und Boris Koch.

Drei Stirnhirnforscher erkunden die Räume der Phantastik, und Günni wirft hinter ihnen die Tür zu.

_Meine Meinung:_

Einmal die Woche treffen sich drei wortgewaltige Akteure in Berlin zu einer Lesung im „StirnhirnhinterZimmer“. Die Rede ist von den Multitalenten Boris Koch und Christian von Aster nebst ihrem Mitstreiter und Erfolgsautor Markolf Hoffmann, die eigens für diese monatlichen Leseevents Kurzgeschichten verfassen. Eine erste Auswahl findet sich in dem vorliegenden Band – und ich schicke vorweg: „StirnhirnhinterZimmer“ weiß von der ersten bis zur letzten Seite zu überzeugen!

Die Eröffnung bestreitet Christian von Aster mit „Das SirnhirnhinterZimmer“, worin er mit dem ihm eigenen satirischen Humor den Begriff StirnhirnhinterZimmer anhand der Geschichte dreier Männer erläutert. Besonders amüsant ist dabei der Teil über einen toten chinesischen Dichter, der nasal pro Tag mindestens ein bedeutendes Gedicht produziert, sozusagen posthume Poesie in seinem „StirnhirnhinterZimmer“ erzeugt. Hung Do, der „Dichter, der sich nicht darum schert, dass er eigentlich tot ist“ – das ist sprachlich von Aster in Höchstform, und auch seine geniale Ideenschmiede scheint wieder einmal Funken zu sprühen, so dass man schon nach den ersten Seiten an der Nadel dieses Buches hängt, dessen Texte Suchtcharakter erzeugen.

Denn eines sei vorweg verraten: Es bleibt für den Leser zu hoffen, dass er sich mindestens einmal im Jahr an einem solchen Titel erfreuen kann, denn dies sind Texte, die leben, sie sind spritzig, witzig, frech und abgedreht, und das auf einem gleich bleibend hohen Level. Somit heben sich die Texte so wohltuend vom Gros der Einheitsliteratur ab, dass man jedem der Autoren kräftig die Hand schütteln und ihnen entgegenschmettern möchte: Weiter so!

In „Berlin in Angst und Schrecken“ von Markolf Hoffmann geht es aberwitzig und abgedreht zu. Kommissar Broiler hat es mit einem absonderlichen Fall zu tun. Erst werden die Gräber Prominenter geschändet, dann verschwinden sogar ihre Leichen: Harald Juhnke, Heinrich Zille, die Gebrüder Grimm, Marlene Dietrich – um nur einige zu nennen. Und diese proben den Aufstand und wollen sich Berlin untertan machen. Dabei gehen sie nicht gerade zimperlich mit den „Lebenden“ um; so „verschnabulieren“ sie z. B. in den UFA-Studios die gesamte Darstellerriege der Serie „GZSZ“ – köstlich!

Boris Koch, der dritte im Bunde, schafft mit „Das Märchen vom ersten Spielplatz“ eine düster-phantastische Atmosphäre. Sarah wächst in einer Welt auf, die durch ihren schreienden, von Existenzängsten geplagten Vater und ihre immer häufiger weinende Mutter bestimmt ist. So zieht sich das Mädchen zum Spielen in den Wald zurück – und erkrankt an Einhornherpes … Die melancholischste Story dieses Kurzgeschichtenbandes, die darüber hinaus nachdenklich stimmt!

Wundervoll satirisch kommt die nächste Story von Christian von Aster daher. „Vier Füße für ein Halleluja“ spielt 1786 im Bistum zu Trier und zeigt auf schwarzhumorige Weise, wie trügerisch „bedeutsame Reliquien“ sein können.

Weiter geht es mit einer spritzigen, abgehobenen Geschichte aus Markolf Hoffmanns Feder. „Lucy“ spielt am 19. August 1966 und ist eine Geschichte rund um die |Beatles| und darüber, wie es zu ihrem Song „Lucy in the Sky with Diamonds“ kam. Man sieht sie während des Lesens förmlich vor sich, die sich mehr und mehr gegenseitig nervenden Pilzköpfe, die von der „moralischen Instanz“ entführt werden. Als es böse um sie und ihr Leben aussieht, hat John Lennon einen genialen „Songflash“.

In „Die Herrschaft der Pinguine“ fabuliert Boris Koch ebenso skuril-phantastisch weiter. Hüten Sie sich also, wenn eines Tages ein Pinguin mit rotem Cape auf ihrem Schreibtisch landet und die Weltherrschaft beansprucht.

Plottechnisch wieder mal ein phantastisches Sahnestückchen serviert das nächste Textgefüge von Christian von Aster: „Die Geschichte aus Rhododendron“, die wie ein Märchen anmutet, denn gar Wundersames kann passieren, wenn Sie einem Schneck in einen Rhododendron folgen.

Im „Trollfrühstück“ von Boris Koch holt im Dorf Wolkenfall angeblich ein Troll in mancher Sommernacht ungezogene Kinder, um sie zum Frühstück zu verspeisen. Doch wie immer ist alles ganz anders.

Die für mich beste Geschichte – wenn man überhaupt davon sprechen kann – ist „Bittermandel …“ von Markolf Hoffmann, in der es um einen verliebten Pfefferkuchenmann geht, der sich nicht in sein Schicksal fügen will, verspeist zu werden, und von der Liebe zu einer Magd getäuscht wird. Eine stilistisch wunderschön geschriebene Kurzgeschichte. Man spürt förmlich, „wie dem Pfefferkuchenmann das Dattelherz zerreißt“, sieht, wie er seine „Rosinenaugen rollt“.

In Christian von Asters „Knecht Ruprecht packt aus“ geht es um den Weihnachtsmann, dem das Trollvolk ein gehöriger Dorn im Auge ist – und der Leser kann es verstehen.

„Invasion“ von Markof Hoffmann ist wieder eine der obskureren Storys, in der es um einen besonderen Zirkus und Nashörner aus Liliput geht. Schräg!

In Boris Kochs „Der Keller“ fragt sich ein Zehnjähriger, ob sich dort tatsächlich die Tür in das Totenreich befindet.

Christian von Aster erzählt in seiner makaberen „Plumpaquatsch“-Story von einem abgehalfterten Clown, der die Erfahrung macht, dass es manchmal doch gesünder ist, der billige Abklatsch eines Anderen zu sein.

Eindrucksvoll ist es auch, wie sich in „Advent“ (Markolf Hoffmann) ein kleiner Junge an seinem Vater rächt.

Mein zweiter Favorit in diesem Sammelband ist „Über den Rauswurf aus Eden“ von Boris Koch. Gott erzählt einem Wirt, warum er Adam und Eva wirklich aus dem Paradies geworfen hat. Köstlich! Beispielsweise, wie Gott die „Zigarette danach“ erschaffen hat. Das muss man gelesen haben!

Aber auch die letzten beiden Geschichten überzeugen: „Der große Usambara-Schwindel“ von Christian von Aster, in der es um eine gutmütige Großmutter und ihren Enkel geht, und „Ideensuche“ von Boris Koch über einen ideenlosen Schreiberling und seine Muse.

Und schon ist man am Ende des lebendigen Kurzgeschichtenbandes angelangt und verlässt das „StirnhirnhinterZimmer“ mit großem Bedauern und der Hoffnung, dass es bald mehr von diesem lebendigen Trio zu lesen gibt. Denn die drei wissen zu schreiben – dies sind keine blutleeren seelenlosen Texte, sondern das Material swingt, es groovt und der eher seitenarme Band bietet mehr Inhalt als so mancher Tausendseitenschinken. Jeder, der Kreativität, die einem förmlich aus den Seiten entgegenspringt, erleben will, sollte bei diesem Band unbedingt zugreifen!

Fazit: Frische, freche, humorig lebendige Texte von drei Wortkünstlern, die Spaß am Schreiben haben und ihre Leser daran teilhaben lassen. Mehr davon!

http://www.medusenblut.de
http://www.stirnhirnhinterzimmer.de

|Ergänzend dazu:|

[Lesungsbericht: StirnhirnhinterZimmer oder: Ein ganz besonderer Abend in Berlin]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=57

[Interview mit Chr. von Aster, B. Koch, M. Hoffman: Das StirnhirnhinterZimmer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=73

[Interview mit Markolf Hoffmann: Zeitalter der Wandlung]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=34

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