Link, Kelly – Elbenhandtasche, Die

Die Lobeshymnen im Klappentext zu Kelly Links Debüt „Die Elbenhandtasche“ sind geradezu überschwänglich. Jonathan Lethem erklärt die Autorin kurzerhand zur |“besten Kurzgeschichten-Autorin der Welt“| und auch Neil Gaiman lässt sich von der Euphorie um Kelly Links Fantasy-Kurzgeschichten anstecken: |“Kelly Link setzt ein Wort hinter das andere und erschafft damit wahre Magie – witzig, bewegend, zärtlich, unerschrocken, gefährlich.“| Grund genug, mal einen genaueren Blick in „Die Elbenhandtasche“ (schon der Titel klingt so schön herrlich skurril) zu werfen.

Das Buch enthält neun Kurzgeschichten, die sich allesamt der Urban Fantasy zuordnen lassen. Was auf den ersten Blick nach ganz normalen Protagonisten und einem ganz alltäglichen Handlungsablauf aussieht, entwickelt stets ganz ungeahnte fantastische Züge. So erzählt in der ersten Geschichte die junge Genevieve die Geschichte ihrer Großmutter, die eine eigenartige Handtasche besessen hat, die nun verschwunden ist. In dieser Handtasche ist schon so mancher Mensch verschwunden, um Jahrzehnte später keinen Tag älter wieder daraus aufzutauchen.

Nicht minder fantastisch ist „Hortlak“, die Geschichte eines 24-Stunden-Supermarktes am Rande einer Schlucht, in dem jede Nacht Zombies ein- und ausgehen. Faszinierend ist auch „Steintiere“, die Geschichte einer ganz normalen Familie, die in ein verwunschenes Haus einzieht und deren Alltag sich dadurch unmerklich und unheimlich zu verändern beginnt. Sehr schön liest sich auch „Die große Scheidung“, eine Geschichte, in der es vollkommen normal ist, dass Menschen Tote heiraten, was natürlich selten zu einer leichten Ehe führt.

Kelly Link beweist mit ihren Kurzgeschichten einen enormen Erfindungsreichtum. Sie versteht sich darauf, ihre Geschichten bis in den letzten Winkel lebensnah erscheinen zu lassen, mag der Plot sich auch noch so abstrus entwickeln. Mit einer bewundernswerten Leichtigkeit erzählt sie von den sonderbarsten Verwicklungen, und wenn man die merkwürdigen Handlungsverläufe mit eigenen Worten wiedergeben wollte, so könnte das nur reichlich unmöglich und verschroben klingen. Link schafft es aber, ihre Geschichten so selbstverständlich und normal erscheinen zu lassen, dass man staunt, wie verrückt sie dabei eigentlich sind.

Nicht selten kranken Kurzgeschichten daran, dass sie nicht ausreichend Tiefe entwickeln, den Leser nicht weit genug in ihren Bann ziehen können und dieser nach Ende der Geschichte seltsam unberührt zurückbleibt. Kelly Link hat damit in den meisten Fällen wenig Probleme. Sie scheint den Leser einzulullen, zieht ihn tief in ihre Geschichten hinein und spinnt ihn ein, in einen Kokon irrsinniger und fantastischer Ideen.

Die Art und Weise, wie sie beispielsweise in der Geschichte „Eingelullt“ die Erzählebenen ineinander verschachtelt, ist schon sehr raffiniert eingefädelt. Sie schafft es, sich auch dabei nicht zu verzetteln und den Leser auf halber Strecke zu verlieren. Man kann ihr auch auf den fantastischsten Pfaden meist noch sehr gut folgen, denn allen Geschichten liegt neben einem Hang zum Absurden und Fantastischen auch einer zum ganz Normalen und Alltäglichen zugrunde.

Dabei bewegt Kelly Link sich stets souverän durch die unterschiedlichen literarischen Gattungen. Mal geht es in Richtung Märchen oder Fabel, mal in Richtung Krimi, mal garniert sie ihre Geschichten mit einer Prise Horror, mal mit einem wunderbar ironischen Unterton. Kelly Link schafft einen gelungenen Genremix und präsentiert eine unterhaltsame Vielfalt an Kurzgeschichten, die allesamt vor allem eines gemeinsam haben: Sie sind viel zu schnell zu Ende. Man möchte ihre Protagonisten am liebsten noch länger begleiten, sehen, was aus ihnen wird und wie sie sich weiterentwickeln.

Lediglich die nur zehnseitige Geschichte „Die Kanone“ kann nicht so ganz überzeugen. Im Stil eines Interviews gehalten, hat sie zwar auch einen gelungenen Moment, wenn quasi eine Geschichte innerhalb der Geschichte erzählt wird, ansonsten bleibt sie hinter den übrigen Erzählungen aber um einiges zurück.

Unterm Strich bleibt aber ein durchaus positiver Eindruck zurück. Ich tue mich sonst oft etwas schwer mit Kurzgeschichten, aber Kelly Link hat es geschafft, das Eis meiner sonstigen Kurzgeschichtenzurückhaltung zu brechen. Sie beweist einen enormen Erfindungsreichtum, fährt herrlich absurde und fantastische Ideen auf und verbindet das Ganze zu einer Vielfalt an unterhaltsamen und farbenprächtigen Kurzgeschichten. Man taucht jedes Mal tief in die Geschichte ein und würde die meisten Protagonisten am Ende gerne noch weiter begleiten. Man darf nach diesem Debüt auf jeden Fall gespannt darauf sein, was Kelly Link in Zukunft noch abliefert. Wenn sie sich ihren Erfindungsreichtum bewahrt, dann steht uns gewiss noch so manche großartige Geschichte ins Haus.

http://www.heyne.de

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