Mo Hayder – Ritualmord [Jack Caffery 3]

In der englischen Hafenstadt Bristol werden Leichenteile gefunden, die aus einem organisierten Handel mit Zauber-Fetischen stammen. Zwei Polizisten müssen mit Hochdruck ermitteln, bevor ein neues Opfer ‚verarbeitet‘ wird … – Der dritte Band um den psychisch labilen Polizisten Jack Caffery beeindruckt erneut durch blutige, groteske und die Grenze zum Horror nicht nur streifende Szenen, lässt aber die Intensität der ersten beiden Romane vermissen: solides Krimi-Handwerk mit einer wirren und durch unnötige Abschweifungen beeinträchtigten Handlung.

Das geschieht:

Vor zwei Monaten hat sich Detective Inspector Jack Caffery aus London zur Major Crime Investigation Unit der südwestenglischen Stadt Bristol versetzen lassen, wo er es sowohl beruflich als auch privat ruhiger angehen lassen möchte. Aktuell bearbeitet er einen mysteriösen Fall: Im Hafenbecken schwamm eine Männerhand; die intensive Nachsuche fördert ihr Gegenstück unter der Türschwelle eines afrikanischen Restaurants zutage. Die Untersuchung nimmt Fahrt auf, als der Gerichtsmediziner feststellt, dass beide Hände ihrem Besitzer lebendigen Leibes abgesägt wurden.

Die Polizeitaucherin Phoebe „Flea“ Marley beschäftigt der Fund sehr. Sie kann sich einen Strafmord im Drogenmilieu nicht vorstellen. Unter den Büchern ihres verstorbenen Vaters, eines bekannten Anthropologen, findet sie ein Werk, das über Magie in Afrika Auskunft gibt. Marley liest, dass dort noch immer menschlichen Körperteilen große Zauberkraft zugesprochen wird. Caffery, der darüber von Marley informiert wird, erfährt über eine ehemalige Kollegin, dass sogar ein schwunghafter Schwarzhandel mit Knochen, Häuten oder eben Händen existiert.

Schrecklicherweise gilt vor allem ein Körperteil als besonders mächtiger Fetisch, das vom noch lebenden Opfer stammt. In den letzten Jahren stieg die Zahl entsprechender Taten. Das Wissen darum wird als politisch brisant unterdrückt: Kein Politiker mag in den Ruch rassistischer Vorurteile kommen. Caffery und Marley müssen unauffällig ermitteln. Eile ist geboten, denn mindestens ein weiterer Pechvogel wurde gekidnappt und soll bald ausgeschlachtet werden …

Rückkehr in einen sicheren Hafen

Lange mussten Krimifreunde auf einen neuen Fall des ebenso charismatischen wie seelisch angeknacksten Ermittlers Jack Caffery warten. Mit einem doppelten Donnerschlag hatte er die Szene betreten. „Birdman“ (1999, dt. „Der Vogelmann“) und „The Treatment“ (2001, dt. „Die Behandlung“) fesselten und verstörten durch ihre perfekte Mischung aus Spannung und explizit geschilderter Grausamkeit. Mo Hayder wurde zum neuen Star am Krimi-Himmel – und geriet unter Erfolgsdruck: Wie stark konnte sie noch an der Schock-Schraube drehen?

Caffery ließ sie erst einmal ruhen und lotete mit „Tokyo“ (dt. „Tokio“) und „Pig Island“ (dt. „Die Sekte“) neue Untiefen der menschlichen Seele aus. Doch der Erfolg der Caffery-Romane blieb aus, denn die raffinierte Verknüpfung von Faszination und Grauen gelang Hayder nicht mehr. Der Schauder wurde allzu plakativ, und damit verlor er seinen eigentlichen Schrecken.

Ihre Erfolgsfigur blieb Hayder als Reserve. Bis sie mit diesem Pfund wucherte, Caffery zurückbrachte und dabei das Risiko einging, die hoch gelegte Latte erst recht zu verfehlen, vergingen sieben Jahre. Um den Relaunch möglichst ballastfrei zu gestalten, setzte Hayder einen glatten Schnitt. Caffery verlässt nicht nur London, sondern auch die Menschen, mit denen er dort im Guten wie im Bösen umging. Wieso Hayder ihn nach Bristol schickte, ist freilich nicht wirklich verständlich, denn auch dort gerät Caffery umgehend in dasselbe Horror-Milieu, dem er eigentlich entfliehen wollte.

Von Magie und faulem Zauber

Womöglich ist dies das grundsätzliche Problem: Einerseits versucht Hayder neue Wege, andererseits biegt sie zaghaft zurück auf die Schiene des Spektakulären. Die Rechnung geht nicht auf, denn es fehlt jene Intensität, die das Verbrechen in den beiden ersten Bänden auf eine beinahe mythische Ebene hob.

Dabei bemüht Hayder sich in „Ritualmord“ redlich um eine ähnlich makabre Atmosphäre. Die Welt der archaischen und modernen Magie liefert dafür allerdings nicht die nötige Substanz, obwohl die Autorin mit einschlägigen Gruseleffekten nie geizt. Also konstruiert sie zwei Subplots: Phoebe Marleys Eltern versanken beim Extremtauchen in einem bodenlosen südafrikanischen Tümpel – Hayder arbeitet den realen Unterwassertod einer Freundin auf – und spuken seitdem als Geister durch das Hirn ihrer Tochter, die dem durch die Einnahme obskurer Drogen Vorschub leistet. Jack Caffery befindet sich auf einem Todes-Trip und sucht psychologische Hilfe ausgerechnet bei einem begnadigten Foltermörder, der als „Wandering Man“ – auch er entsprang einem realen Vorbild – pausenlos durch die Weiten der Grafschaften Gloucestershire und Somerset tippelt.

Vor allem zwischen dem Marley-Strang und dem eigentlichen Geschehen existieren kaum Verbindungen. Hayder drischt Grusel-Stroh, um das erwartete Quantum Reality Horror in ihre Geschichte zu p(f)us(c)hen. Notdürftig bastelt sie eine Brücke in Gestalt des undurchsichtigen Kaiser Nduka, der ebenfalls in dieser Handlung nicht wirklich etwas zu suchen hat.

Quo vadis, Jack Caffery?

Wie der alte ist auch der neue Caffery ein gehetzter Mann. Der erwähnte Schnitt trennt ihn nicht von dem alten Trauma, seinen Bruder Ewan einst im Stich gelassen zu haben. Das sah am Ende von „Die Behandlung“ anders aus; dort hatte Hayder den Ewan-Plot zu einem logischen Ende und auch Caffery an einen Punkt geführt, der ihn als Figur zur Ruhe kommen ließ.  Nun öffnet sie die Mottenkiste und verpasst Caffery eine Schub quasi nachträglicher Komplexe (Schuldgefühle, Todestrieb, Gewaltausbrüche, und regelmäßig geht es auf den Straßenstrich von Bristol), die allesamt ziemlich aufgesetzt wirken.

Fatal ist Hayders Entscheidung, ihren männlichen Helden an der Seite eines ähnlich verwirrten weiblichen Gegenstücks ermitteln zu lassen. Traumatische Seelenpein zum Quadrat hat eine konterkarierende Wirkung. Was beeindrucken und erschrecken soll, ermüdet stattdessen, zumal Flea Marley zur eigentlichen Fahndung kaum beiträgt. Sie taucht ein wenig zu zufällig stets dort auf, wohin sich Cafferys Nachforschungen gerade bewegen. Ihre verkorksten Familienverhältnisse interessieren wenig. Stirnrunzeln erzeugen Fleas körperliche Veränderungen: Sie entwickelt also Schwimmflossen zwischen ihren Zehen. Was ist die Ursache? Hayder schweigt sich aus. An anderer Stelle müht sie sich, (vergleichsweise lächerlich) das spukhafte Erscheinen eines afrikanischen Wasser- und Rachegeistes rational aufzuklären.

Müssen wir die Wiederkehr von Flea Flossenfuß fürchten? Oh ja: In „Skin“, dem bereits erschienenen vierten Caffery-Band, ist sie wieder an seiner Seite. Die Vorfreude hält sich in Grenzen. Vielleicht ist das ohnehin die richtige Einstellung: Der Erwartungsdruck ist verflogen, jetzt geht Mo Hayder mit Caffery ernsthaft in Serie. Ein Ausnahme-Ermittler verwandelt sich in eine fortsetzungstaugliche Figur. Wir sollten sie vom Caffery der ersten beiden Bände trennen und abwarten, wie sie sich entwickelt – und mit Flea Marley finden wir uns erst einmal ab …

Autorin

Mo Hayder (geb. 1962) hat als Schriftstellerin den besten Leumund zu bieten: einen kunterbunten Lebenslauf. Demnach hat sie die Schule mit 15 Jahren verlassen und sich u. a. als Barmädchen, Wachschutzfrau, Filmemacherin, Hostess und Englischlehrerin durchgeschlagen, wobei sie einige Jahre im asiatischen Ausland verbrachte. Zwischendurch hat sie an der American University in Washington DC Film und Kreatives Schreiben an der englischen Bath Spa University studiert.

Sie hat offensichtlich gut aufgepasst, denn schon mit ihrem Romandebüt („Birdman“, dt. „Der Vogelmann“) schaffte sie den Durchbruch. Diverse Buchpreise folgten, der Ekelfaktor stieg und erreichte 2004 in „Tokio“ seinen Höhepunkt. 2006 folgte mit „Pig Island“ (dt. „Die Sekte“) ein von der Kritik und den Lesern nicht mehr so enthusiastisch begrüßtes aber ungeachtet seiner Qualitäten von der Werbung gepushtes Werk.

Privat lebt Mo Hayder mit ihrem Lebensgefährten und einer gemeinsamen Tochter im englischen Bath. Über ihr Werk informiert diese Website.

Taschenbuch: 411 Seiten
Originaltitel: Ritual (London : Bantam Books 2008)
Übersetzung: Rainer Schmidt
http://www.randomhouse.de/goldmann

E-Book: 913 KB
ISBN-13: 978-3-641-02894-7
http://www.randomhouse.de/goldmann

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