Edmund Crispin – Schwanengesang

Im Opernhaus von Oxford wird während der Proben der Tenor in seiner Garderobe hängend aufgefunden. Die Polizei und der bekannte Amateurdetektiv Gervase Fen nehmen sich des Falles an. Lange stehen sie vor einem Rätsel, während weitere Mordanschläge die Dringlichkeit einer Aufklärung unterstreichen … – Rätselkrimi aus der Spätphase dieses Genres: spannend, vor trockenem Witz sprühend, zahllose Insidergags Krimi-Freunde präsentierend und vor allem der Herausforderung „Mord im geschlossenen Raum“ eine gewagte aber schlüssige Variante abgewinnend.

Das geschieht:

Oxford kurz nach dem II. Weltkrieg. Zum ersten Mal sollen im örtlichen Opernhaus Wagners „Meistersinger“ zum Besten gegeben werden. Für George Peacock, den jungen Dirigenten, wird der Premierenabend über die weitere Karriere entscheiden. Die Sänger und Schauspieler stellen sich voll in den Dienst der Sache. Nur einer schießt quer: Edwin Shorthouse ist ein begnadeter Sänger aber privat ein Trunkenbold und Schürzenjäger, den alle im Opernhaus hassen. Adam Langley, der Tenor, ist misstrauisch, seit er weiß, dass Shorthouse ihm seine Braut, die Schriftstellerin Elizabeth Harding, abspenstig machen wollte. Die junge Judith Haynes wollte Shorthouse sogar vergewaltigen, was nur die energische Joan Davis im letzten Moment verhindern konnte. Judiths Verehrer Boris Stapleton soll von diesem Zwischenfall nichts wissen.

Dann wird Shorthouse erhängt in seiner fensterlosen, von innen fest verschlossenen Garderobe gefunden. Zuvor hat man ihm ein starkes Beruhigungsmittel in seinen Gin gegeben. Der überforderte Inspektor Mudge beschließt die Verdachtsmomente zu übersehen. Tenor Langley wendet sich an einem Bekannten, den Literaturprofessor und Amateurdetektiv Gervase Fen. Dieser informiert seinen Freund Sir Richard Freeman, den Polizeichef von Oxford – und beteiligt sich an der Ermittlung.

Diese gestaltet sich schwierig angesichts der zahlreichen, meist alibilosen Verdächtigen, zu denen sich auch noch Charles Shorthouse gesellt, Edwins exzentrischer Bruder, der nach dessen Vermögen giert. Derweil werden gleich zwei Mordanschläge in Folge auf Elizabeth Harding verübt. Aber erst ein zweiter Mord lässt in Fens Kopf die Mosaiksteinchen an die richtigen Stellen fallen. In einer für ihn typischen Szene versammelt er alle Verdächtigen in Shorthouses Garderobe und rekonstruiert in einer atemberaubenden Vorstellung einen wahrhaft meisterlichen Mord, den eine Kette grotesker Zufälle in ein tragikomisches Mysterium verwandelte …

Unmöglicher Mord wird ‚logisch‘ aufgelöst

Der eigentlich unmögliche, weil im Inneren eines fest verschlossenen, für den Täter faktisch nicht zu betretenden Raumes vollzogene Mord ist seit jeher eine Herausforderung für den Verfasser von Rätselkrimis. Gemeinsam mit dem lange ratlosen Ermittler soll der Leser die akkurat vorgestellten Indizien und Spuren sichten und möglichst selbst des Rätsels Lösung finden. Wirklich zufrieden ist der Autor dann, wenn ihm solches gelingt und er trotzdem durch einen logisch aus der Handlung erwachsenden, aber unerwarteten Kniff besagten Leser verblüffen kann.

„Schwanengesang“ ist in der Spätphase der sogenannten „Goldenen Ära“ des angelsächsischen Kriminalromans entstanden. Crispin hält sich an das Fair-Play-Gebot, aber er macht es seinem Publikum schwer bis unmöglich, den Anschluss an die ebenso wendungs- wie temporeiche Handlung zu behalten. Wir nehmen ihm das nicht übel, denn sein Spiel mit den Regeln ist geistreich und witzig. Es ist schließlich unsere eigene Schuld, dass wir uns durch seine Finten und Aperçus ständig ablenken lassen.

Mit der finalen Auflösung setzt Crispin dem schwarzhumorigen Spiel die Krone auf. John Dickson Carr, der König des „locked room mystery“, dürfte gelb vor Neid geworden sein. Mit immenser Raffinesse entwirft Crispin eine absurd vertrackte Todesfalle, die nichtsdestotrotz völlig funktionstüchtig erscheint. Dann sattelt er noch auf und enthüllt uns einen Tathergang, der in seinem Irrwitz ebenfalls absolut überzeugt.

Spiel mit ansonsten strikt eingehaltenen Regeln

Im Universum des Gervase Fen ist alles möglich. Wir nehmen es deshalb klaglos hin, dass unserem Detektivprofessor genau dann, als er ein potenzielles Mordopfer aus einem fest verschlossenen Haus retten muss, ein gemütlicher Meistereinbrecher über den Weg läuft, der nach getaner Arbeit wieder im logischen Nichts verschwindet, aus dem er gekommen ist: Crispin ließ in einfach vom Himmel fallen, weil es diesen Handlungsstrang weiter bringt.

Aber aus der Tatsache, dass Gervase Fen eine literarische Figur in einer fiktiven Welt ist, hat der Verfasser nie einen Hehl gemacht. Hier soll er als berühmter Detektiv interviewt werden; andere Kollegen, die befragt werden, sind Sir Henry Merrivale (kreiert von J. D. Carr), Albert Campion (Margery Allingham) und Beatrice Bradley (Gladys Mitchell), drei klassische Gestalten des Kriminalromans, die der neidische Fen nicht zu kennen vorgibt.

Der mit Wortwitz und sogar Slapstick durchsetzten Handlung steht ein entsprechend exzentrisches Figurenensemble gegenüber. Da ist natürlich vor allem Gervase Fen selbst, das unkonventionelle Genie aus dem Bilderbuch. Fröhlich und unbekümmert setzt er sich scheinbar über alle Regeln hinweg. Bei genauem Hinsehen erkennen wir freilich, dass Fen tatsächlich ein Pfeiler des Establishments ist. Er ist ein berühmter Gelehrter und ein bekannter Detektiv, der gesellschaftlich anerkannt ist, den man um Rat fragt und der sich seine Extravaganzen folglich leisten kann. Von der harten Arbeit, sich diesen Status zu erarbeiten, erfahren wir in Crispins Romanen selbstverständlich nichts; es interessiert uns auch gar nicht.

Anwandlungen von Realität

Künstler sind von Natur aus ein bisschen verrückt. Daher ist der Schauplatz Opernhaus ideal für Crispin. Als bekannter Komponist kannte er sich in diesem Gewerbe sehr gut aus. Die zahllosen Seitenhiebe gegen eingebildete Darsteller, überforderte Spielleiter, geizige Produzenten und andere Primadonnen kommen sichtlich von Herzen.

Inspektor Mudge ist genretypisch genauso tumb wie sein Name vermuten lässt. Pförtner, Dienstmädchen und andere Angehörige „niederer Stände“ sind prinzipiell beschränkt oder bauernschlau und immer für einen deftigen Witz gut. Es bleibt sogar die Zeit für einen Kurzauftritt des trügerisch senilen, äußerst lebenslustigen Alt-Professors Wilkes, der Fen in „Der wandernde Spielzeugladen“ detektivisch zur Hand ging, vor allem aber seine Spirituosen-Vorräte dezimierte.

Hin und wieder wird Crispin ernst. „Schwanengesang“ spielt im England der unmittelbaren Nachkriegsjahre. Die Schrecken des Nazi-Terrors sind noch sehr präsent und werden auch hier nicht verschwiegen. Ein exildeutsches Mitglied des Ensembles sieht sich englischen Ressentiments ausgesetzt, die Musik des Hitler-Idols Richard Wagner war bis vor kurzem verboten, die Nahrungsmittel sind immer noch knapp und teuer; die Sänger träumen von einer Tournee durch die unzerstörten und reichen Vereinigten Staaten. Doch schon bald kehrt Crispin zurück in das selbst geschaffene, ebenso irrwitzige wie in sich ruhende Oxford-Universum des von Gervase Fen – ein Trip, auf dem wir ihm wie immer gern folgen.

Autor

Edmond Crispin (1921-1978), der eigentlich Robert Bruce Montgomery hieß, gehört trotz seines schmalen Werkes zu den großen Autoren des klassischen englischen Kriminalromans. Eigentlich war er Musiker; zunächst Organist und Chorleiter am St. Johns College in Oxford, wo er auch moderne Sprachen studiert hatte, später Komponist, der neben Oratorien, Orchesterstücken und einer Kinderoper 38 Filmmusiken schuf.

Zwischen 1944 und 1951 verfasste Montgomery/Crispin in rascher Folge acht Romane um den detektivisch begabten Professor Gervase Fen. Nach 1951 widmete sich Montgomery zunächst seiner musikalischen Laufbahn und später zunehmend dem Alkohol, bevor er nach 26 Jahren Fen noch einmal zurückkehren ließ, womit er ihm und den Lesern nach Ansicht der Literaturkritik keinen Dienst erwies. Zu diesem Zeitpunkt war Montgomery längst ein ausgebrannter, von Krankheit gezeichneter Mann. Er starb 1978.

Über Leben und Werk informiert u. a. diese Website.

Taschenbuch: 232 Seiten
Originaltitel: Swan Song (London : Victor Gollancz 1947)
Übersetzung: Eva Sobottka
http://www.dumont-buchverlag.de

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