Deaver, Jeffery – Tod eines Pornostars

Am Time Square in New York detoniert in einem heruntergekommenen Pornokino eine Bombe. Das „Schwert Jesu“, eine Gruppe religiöser Fanatiker, bekennt sich zu dem Anschlag. Zufällig am Ort des Geschehens ist die junge Nancy Drew, genannt Rune. Als schlecht bezahlte und nicht ernst genommene Produktionsassistentin und Mädchen für alles verfolgt sie mühsam ihren Traum von einer eigenen Karriere als Regisseurin von Dokumentarfilmen. Das Attentat gibt ihr eine Idee ein: Rune will einen Blick auf die moderne Sexindustrie werfen.

Die Pornoqueen Shelly Lowe ist durchaus angetan von diesem Projekt. Seit jeher sieht sie sich als ernsthafte Schauspielerin, die sogar Theaterstücke schreibt. Da Shelly in der Tat einen Kopf auf den Schultern trägt, weiß sie viel zu erzählen über die düsteren Abgründe einer Menschen verachtenden Szene – zu viel offensichtlich, denn eine zweite Bombe bringt sie kurz darauf zum Schweigen.

Rune hätte es beinahe ebenfalls erwischt. Sie macht die Bekanntschaft des Bombenexperten Alex Healey, der schnell auch privat Gefallen an ihr findet. Allerdings wird die aufblühende Beziehung auf harte Belastungsproben gestellt. Rune betätigt sich für ihren Film als Privatermittlerin, benimmt sich dabei wie eine Elefantin im Porzellanladen und bringt sich überdies in Lebensgefahr: Hinter den Anschlägen stecken keine wirrköpfigen Tugendbolde, sondern kühl kalkulierende, verbrecherische Geschäftsleute, denen es ausschließlich um Geld geht. Eine neugierige Schnüfflerin schätzen sie überhaupt nicht. Während weitere Bomben explodieren, setzt sich ein Killer auf Runes Spur. Sie kann ihm entwischen, aber ihre Glückssträhne wird nicht ewig halten …

Ein früher, in Deutschland bisher nicht veröffentlichter Thriller von Jeffery Deaver: Das weckt Erwartungen, ist doch dieser Schriftsteller hierzulande mit seinen Romanen um den querschnittsgelähmten Meisterdetektiv Lincoln Rhyme und seine Assistentin Amanda Sachs ein großer Wurf gelungen. Auch „Tod eines Pornostars“ gehört zu einer Serie, besser gesagt zu einer Trilogie um die junge Punkfrau Rune. Besonders erfolgreich scheint sie nicht gewesen zu sein, sonst hätte sie Autor Deaver nicht abgebrochen. Erst sein derzeitiger Ruhm lässt auch Rune wieder auftauchen.

Was wir hier lesen, würde ohne das Gütesiegel „Deaver“ in der Tat nur mäßiges Aufsehen erregen. Das liegt zum einen daran, dass „Tod eines Pornostars“ in einer versunkenen Epoche spielt. Erstaunlich, in welche geistige Entfernung 1990 bereits gerutscht ist. Rune zieht mit einer bleischweren Videokamera durch die Straßen, vor allem ist das Handy als Massenartikel noch unbekannt. Dies bedingt einige auf Telefonmangel basierende Spannungsszenen, die so heute einfach nicht mehr funktionieren.

Zum „period piece“ – zum „historischen“ Kriminalroman – reicht es freilich nicht. Philip Marlowe ohne Handy und Notebook – das irritiert uns kaum. Doch Runes New York ist noch nicht „exotisch“ genug gealtert. Dazu kommt der mäßig spannende Plot. Ein Bombenleger sät Angst und Schrecken, während ihm ein wortkarger Polizist und eine flippige Amateurdetektivin auf die Spur kommen. Die Konstellation ist bekannt, viel weiß Deaver nicht daraus zu machen. Schlimmer noch: Wiederum bekommt er seinen Hang zu Doppel- und Dreifach-Final-Überraschungen nicht in den Griff. Der übliche irre Bomber wird gefasst, aber er ist gar nicht der einzige Schuldige. Aus Hut Nr. 2 springen nun tatsächlich die ad acta gelegten irren Fundamentalisten. Und als das abgehakt ist, taucht aus der Versenkung noch eine ganz besondere Bekannte auf. Nein, in dieser Häufung wirkt das einfach nur aufdringlich.

Dann ist da der Hintergrund des cineastischen Rotlicht-Milieus. Deaver versucht den Spagat zwischen politisch korrekter moralischer Entrüstung und vorsichtiger Toleranz: Porno verdammt er nicht grundsätzlich, aber trotzdem gibt es nur Täter oder Opfer. Die Materie ist zweifellos komplex und objektiv schwierig zu thematisieren, doch Deaver verharrt etwas zu deutlich auf der Ebene des ebenso faszinierten wie angewiderten Beobachters.

Für einen männlichen Schriftsteller bedeutet es zweifellos eine Herausforderung, eine weibliche Hauptfigur zu schaffen. Andererseits geht er damit ein Risiko ein, zumal ein guter Teil der Schaffenskraft in den Versuch fließt, eine möglichst überzeugende Heldin zu kreieren. Deaver hat sich Mühe gegeben, doch Rune will trotzdem nur bedingt Gestalt annehmen. Sie wurde außerdem von der Zeit überrollt und noch nicht wieder freigegeben: Ein „Punk“ von 1990 wirkt anderthalb Jahrzehnte später lächerlich. Weitere zehn Jahre später mag sich das im Zuge eines Revivals ändern.

Sprengstoffexperte Healey wirkt wie Lincoln Rhyme, als der noch laufen konnte. Als Cowboy in der Wildnis von New York stilisiert ihn Deaver – auch so ein Klischee, das nicht mehr richtig funktioniert. Wesentlich mehr Glück hat der Verfasser mit den Nebenfiguren. Sobald die Handlung im maroden Studio von Runes chaotischen Chefs spielt, kommt sogar echter Humor auf. Der ist auch bitter nötig, denn im bösen Sexfilm-Studio finden wir nur rücksichtslose Ausbeuter hinter und Koks schniefende, vom Schicksal gebeutelte Sklaven vor der Kamera.

Ganz und gar nicht gelungen sind fatalerweise die zahlreichen Schurken dieses Krimispiels. Deaver setzt sie aus dem Baukasten für verrückte Serienmörder und religiöse Spinner zusammen. Immerhin wirken sie weder genial noch charismatisch, was mit der Realität übereinstimmt, was der Verfasser in diesem Fall sehr wahrscheinlich unfreiwillig geschafft hat.

Fazit: Eine mäßig spannende Ausgrabung, die sogar für den Deaver-Fan höchstens ein Kann aber ganz sicher kein Muss darstellt.

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