Alan Garner – Der Mond von Gomrath (Zauberstein 02)


Mystisch & actionreich: Der Kampf um Susans Seele

Ein Feuer, auf dem Hügel entzündet, weckt, anstatt Wärme zu verbreiten, die Wilde Jagd. Susan wird auf einem kohlrabenschwarzen Pony davongetragen und versinkt in einen Zustand unerklärlicher Leblosigkeit. Die Morrigan sendet ihre Plagegeister aus. In Der Mond von Gomrath machen Susan und Colin Bekanntschaft mit der Alten Magie in ihrer ganzen schrecklichen und wunderbaren Macht. Und Susan fällt dabei eine besondere Aufgabe zu.-

Ruhige Zeiten scheinen eingekehrt zu sein in Alderley Edge. Doch dann bewahrheitet sich das, was der Zauberer Cadellin Susan und ihrem Bruder Colin vorhergesagt und wovor er sie hatte schützen wollen: Einmal in den Kampf zwischen guten und bösen Mächten verwickelt, können sie nicht mehr abseits stehen. Ihre Anteilnahme und ihr Mut entfesseln nun auch die lange gebundenen Kräfte der Alten Magie wie die Wilde Jagd und den gestaltlosen, in fremde Gestalten schlüpfenden Brollachan.

Nicht zufällig steht Susan im Mittelpunkt des Geschehens, und die Morrigan bietet all ihre Hexenkünste und ihr ganzes grausiges Gefolge gegen sie auf. Aber Susan, von Feenhand mit einem Amulett versehen, lässt keinen Augenblick den Mut sinken, und die Zwerge und Elfen stehen ihr zur Seite. (Verlagsinfo)

Vom Verlag empfohlenes Alter: ab 12 Jahren. Diese Besprechung beruht auf der englischen Originalausgabe.

Der Autor

Alan Garner (* 1934 in Congleton, Cheshire) ist ein britischer Fantasyautor. Er wuchs in Alderley (wo auch sein erster Roman „Weirdstone“ spielt) bei Manchester auf und besuchte dort die Manchester Grammar School, in der eine Bibliothek nach ihm benannt wurde. Anschließend studierte er am Magdalen College der Universität Oxford. Dort lernte J R R Tolkien und C S Lewis kennen, las aber nicht deren Fantasyromane. Er weigert sich, Dichtung zu lesen und besteht darauf, den eigenen Cheshire-Dialekt zu sprechen: „Sir Gawain and the Green Knight“ (eine der wichtigsten Artus-Legenden) wurde im Cheshire-Dialekt geschrieben.“

Er ist Träger der Carnegie Medal, Gewinner des Guardian Award (beide für „The Owl Service“), des Phoenix Award (für „The Stone Book Quartet“) und wurde 2001 zum Officer of the British Empire (OBE) ernannt: Sir Alan. Er hat fünf Kinder aus zwei Ehen sowie mindestens drei Ehrendoktorhüte.

Nach Brisingamen war im Internet zeitweilig eine Marke von Schmuckstücken benannt. Das kann nur erfolgen, wenn der Namen allgemein bekannt ist. Das Buch “ The Weirdstone of Brisingamen“ gehört mittlerweile zum britischen Grundstock der Fantasy-Literatur, ist hierzulande aber kaum bekannt.

Seine Werke in zahlreiche Sprachen übersetzt worden (Auszug):

1) The Weirdstone of Brisingamen. 1960, überarbeitet 1963..
Deutsch: feuerfrost und kadellin. Übersetzung: Alfred Kuoni. Benziger Verlag, Einsiedeln 1963.
Deutsch: Feuerfrost. Übersetzung: Werner Schmitz. Diederichs Verlag, Köln 1984. ISBN 3-424-00779-X; Neuausgaben: Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1986. ISBN 3-499-15808-6; Piper Verlag, München–Zürich 1999. ISBN 3-492-22843-7;

Der Zauberstein von Brisingamen (Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2003. ISBN 3-7725-2241-6)

2) The Moon of Gomrath (1963, Brisingamen #2), die in dem bronzezeitlichen Bergwerk von Alderley Edge in England spielen und Motive aus der Artus-Legende verwenden.
Deutsch: Der Mond von Gomrath. Übersetzung: Werner Schmitz. Diederichs Verlag, Köln 1985. ISBN 3-424-00834-6; Neuausgaben: Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1988. ISBN 3-499-15929-5; Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2003. ISBN 3-7725-2242-4.

3) Elidor (1965), mit Motiven aus dem Lebor Gabala, dem Buch der Eroberungen, das über die Besiedlung von Irland berichtet.

4) Holly from the Bongs: A Nativity Play (1966)
5) The Old Man of Mow (1967)
6) Owl Service (1967), basiert auf dem walisischen Epos Mabinogion; verfilmt 1970
7) Red shift (1973, geänderte US-Ausgabe, Korrekturen 1975)
8) Holly from the Bongs: A Nativity Opera (1974)
9) The Breadhorse (1975)
10) The Guizer (1976)
11) The Stone Book Quartet (1976-1978)
12) The Lad of the Gad (1980)
13) Potter Thompson (1985)
14) A Bag of Moonshine (1986)
15) Once Upon a Time (1993)
16) Jack and the Beanstalk (1993)
17) Strandloper (1996)
18) The Voice That Thunders (London, 1997), gesammelte Essays
19) Grey Wolf, Prince Jack and the Firebird (1998)
20) The Well of the Wind (1998)
21) Thursbitch (2003)
22) Freedom (2009)
23) Collected Folk Tales (2011)
24) Boneland (2012, Brisingamen #3))
25) Treacle Walker, der Wanderheiler (2023)

Handlung

Nach ihren aufregenden Erlebnissen mit Zwergen, Elfen, Trollen und Hexe(r)n in der Gegend von Alderley, Cheshire, möchten die beiden Geschwister Colin und Susan keineswegs Ruhe und Erholung. Vielmehr fühlen sie sich vom Zauberer Cadellin Silberbraue geschnitten, denn er meldet sich nicht bei ihnen. Da sie das ärgert, wagen sie sich erneut in die Schluchten und Höhlen des Edge, wo Fundindelve, die Höhle des Zauberers, liegt, verborgen durch seine Magie.

Elfen

Sie haben fragwürdiges Glück: Der Pfeil des Elfenanführers Atlendor zischt haarscharf an Colins Wange vorbei. Es sollte nur eine Art Warnschuss sein, meint Atlendor, denn mittlerweile seien alle Elfen von Prydain (= Britannien) nicht mehr gut auf Menschen zu sprechen. Das Kleine Volk stirbt an der verpesteten Luft aus den Fabriken und Zügen und zieht sich in die Berge und Hügelländer zurück, wo es kaum was zu essen gibt.

Das Armband

Albanac, ein menschlicher Krieger und Elfenfreund, und ein Zwerg mit dem seltsamen Namen Uthecar Hornskin eskortieren die Geschwister zu Cadellins Höhle. Dort gelingt es nur Susan, die das Armband der Dame vom See trägt, mit einem Zauberwort, den Fels zu spalten und die eisernen Tore zu passieren. Als Albanac das Armband für die Hilfe der Elfen erbittet, überlässt sie es ihm. Dann endlich stehen sie Cadellin Aug in Aug gegenüber und können ihn fragen, was eigentlich los ist.

Der dunkle Geist

Der Brollachan ist los, das ist das Problem. Dieser Geist war einst ein Widersacher der verborgenen Völker, entkam, wurde wieder eingesperrt. Doch kürzlich ist er erneut ausgebrochen und schweift nun als dunkler Geist umher, stets auf der Suche nach einem Wirtskörper. Gut möglich, dass die Hexenkönigin Morrigan etwas damit zu tun hat. Cadellin will die verborgenen Völker alarmieren, und die Geschwister sollen auf der Hut sein.

Pookah

Nach zwei Tagen misstrauischen und besorgten Verhörs durch ihre Gastgeber, die wackeren Mossocks, hat Susan die Nase gestrichen voll. Um ihren Kopf freizubekommen, wandert sie allein und ungeschützt – sie hat ja ihr Armband verliehen – zum alten Steinbruch. Der Teich darin strahlt Ruhe aus und lädt ihren Geist ein zu wandern. Die Wasseroberfläche wird von einem rostigen, quietschenden Windrad überragt, dessen Rhythmus sie einlullt…

Ein Pony stupst sie von hinten an, und freundlich krault sie es an der Mähne. Auf seine Zeichen hin steigt sie auf, um zu reiten. Doch aus dem erhofften Spazierritt wird unversehens ein wilder Galopp, und dieser führt sie geradewegs über die Abbruchkante des Steinbruchs!

Mondnacht

Als Susan später zum Haus der Mossocks zurückkehrt, ist sie klatschnass und von oben bis unten mit Sand bedeckt. Beth Mossock ist sofort aus dem Häuschen und steckt sie alsbald ins warme Bett. Colin jedoch fällt auf, wie still Susan ist: Sie sagt kein Wort und ihr Blick schweift ins Leere. Was ist mit ihr passiert?

Noch in der gleichen Nacht folgt er ihr schlafwandelnden Gestalt über die Wiesen und Felder der Mondnacht. Susan ist unglaublich schnell, und Colin muss sich anstrengen. Als er endlich den alten Steinbruch erreicht, ist keine Spur von ihr zu entdecken. Dann entdeckt er ihre Hand an der Bruchkante und packt sie. Zu seiner Bestürzung versucht sie, ihn in die Tiefe zu zerren!

Alte Magie

Colin erwacht vor der Tür der Mossocks, und Susan liegt wieder in ihrem Bett. Was geht hier nur vor? Eines wird ihm nun klar: Er braucht dringend Cadellins Hilfe. Doch zunächst stößt er auf den Krieger Albanac. Dieser will Susan besuchen, um ihr das ausgeborgte Armband zurückzugeben. Es konnte nicht eingesetzt werden, denn es ist an Susan gebunden.

Auf Colins Geschichte hin verhält sich der Krieger seltsam heimlichtuerisch. Sie sollten sich dort verbergen, wo Susan sie nicht von ihrem Schlafzimmerfenster sehen könne. Und sie sollten so leise in ins Haus eindringen, dass Susan sie nicht hören könne. Zu Colins Beunruhigung zückt der Mann sein scharfes, langes Schwert. Will er Susan etwa im Bett erschlagen?

Kaum hat Albanac das Fenster geöffnet und Susan das Armband wieder angelegt, beginnt das Mädchen sich wie unter Qualen zu bewegen. Die beiden Männer verlassen das Zimmer und versperren die Tür. Unter der Tür beginnt zu Colins Entsetzen schwarzer Rauch aufzusteigen, der sich vor seinen Augen zu einer Pyramide formt. Deutlich kann er darin zwei glühendrote Punkte erkennen, die ihn hasserfüllt anzustarren scheinen…

Mein Eindruck

Diese Fortsetzung zu „Der Zauberstein von Brisingamen“ / „Feuerfrost“ ist viel besser geschrieben und weitaus spannender. Keine Spur mehr von unterirdischen Orks oder der mühseligen Durchquerung von Minen nach Maulwurfsart. Dafür findet jetzt alle Action an der Oberfläche statt. Der Übergang vom banalen Diesseits zum mystischen Jenseits ist fließend und kann praktisch jederzeit erfolgen.

Bestimmungen

Die zwei Geschwister haben nun zwei völlig unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen und unterscheiden sich darin deutlich. Susans Schicksal ist mit dem Angharad Goldenhands, der Herrin vom See, durch das Armband verknüpft, das die Lady ihr einst gab. Das Böse in Gestalt des Brollachan bemächtigt sich Susans Körper, Geist und Seele. Ein Exorzismus ist vonnöten, und um den muss sich Colin kümmern. Eine magische Pflanze, die wie Tolkiens „Königskraut“ wirkt, ist in der Lage, das Böse zu vertreiben. Doch für wie lange?

Opposition

Der Brollachan ist ein Abgesandter der Hexenkönigin Morrigan, die wir schon in „Brisingamen“ kennenlernen mussten. Nun stellt sich die Morrigan als direkte Gegenspielerin der Herrin vom See heraus: Sie sind wie zwei Seiten einer Medaille, denn die Morrigan hat ebenfalls ein Armband. Doch dieses hat sein Design genau andersherum wie dasjenige, das Susan trägt. Susan ist die Agentin der guten Herrin Angharad und somit das geeignetste Ziel für den Angriff des Brollachan.

Die Wilde Jagd

Klar, dass diese grundlegende Opposition mit ihrem Interessenkonflikt zu einer finalen Auseinandersetzung führen muss. An dieser Stelle kommen Colin und die Krieger der Wilden Jagd ins Spiel. Diese „Einheriar of Herlathing“ stammen direkt aus den nordischen Erzählungen der isländischen Edda: Die Einheriar begleiten dort die Götter in die Schlacht. Hier werden sie grüppchenweise aus den Hügeln von Cheshire geweckt und gesammelt – ein aufregendes Heeresaufgebot. Meist hat die Wilde Jagd nur negative Attribute, besonders für Sterbliche, doch hier sind die Einheriar ein Glücksfall für Colin: Sie sollen Susan retten.

Auf einem Hügel vor dem von Illusionen umgebenen Schloss der Hexenkönigin kommt es zur endgültigen Schlacht. Und deren Ausgang entscheidet auch über das Leben Susans…

Der Mond von Gomrath

Interessant ist die hier zu findende Verlagerung der Wahrnehmung der Welt, die die Kinder erleben. Das war in „Brisingamen“ noch nicht so deutlich, sondern dort sind Diesseits und Anderwelt noch ziemlich deutlich geschieden. Am titelgebenden Vollmond jedoch erblickt Colin das Netz aus Kraftlinien, das an Lawheads Ley-Lines in seinem Zyklus „Die schimmernden Reiche“ erinnert. Dieses Netzwerk durchzieht ganz Prydein und die umliegenden Inseln, nutzbar für den Eingeweihten.

Am Hofe der Elfen

Ein weiteres Beispiel für die Verschiebung der Wahrnehmung der Anderwelt um sie herum ist Susans völlig subjektive Erfahrung am Hofe von Prinzessin Celemon. Sie erlebt diese höfischen Szenen nur in ihren Fieberträumen, während sie vom Brollachan besessen ist. Dies, das macht Albanac dem besorgten Colin klar, ist eine höchst unnatürliche und sehr gefährliche Verhaltensweise: Was, wenn Susans Geist gar nicht mehr in ihren Körper zurückfindet und für immer am Hof der Elfenprinzessin weilt? Was wird dann aus ihrem Körper?

Da am Schluss diese Frage offenbleibt, muss noch ein weiterer Band folgen. Dieser ist 2012, nach knapp 50 Jahren (!) endlich unter dem Titel „Boneland“ erschienen. Eine Übersetzung konnte ich noch nicht entdecken.

Unterm Strich

Es war eine wahre Freude, diesen zweiten Band der „Brisingamen“-Trilogie zu lesen. Die Geschichte ist klar strukturiert, die Beziehung zwischen den Figuren sind deutlich herausgearbeitet und schrittweise bis zur finalen Auseinandersetzung ausgegestaltet. Endlich ist das Schicksal Susans und Colins deutlich: Susan ist quasi der Schützling der Herrin vom See, die wir im ersten Band als Angharad Goldenhand kennenlernen durften.

Anhand des Armbands der Herrin, die eine kleine Version Galadriels darstellt, ist Susan in der Lage selbst Magie zu wirken. Das macht sie zum wichtigsten Ziel für Angharads Gegenspielerin Morrigan. Diese Hexenkönigin ist eine Version von Königin Mab bzw. Maeve, der „Herrin von Luft und Dunkelheit“ aus den keltischen Merlin-Sagen. (Großartig ist Mab verkörpert in der TV-Verfilmung mit Sam Neill als Merlin.) Die Morrigan ist ein zusätzlicher Zauber- und Kriegsaspekt von Mab. (Weitere Aspekte sind Badb und Macha.)

Susan schwebt also unvermittelt in großer Gefahr. Das Böse bemächtigt sich ihrer und die Frage stellt sich Colin und seinen Freundin, wie Susan erlöst werden kann. Der ganze Rest der Handlung dreht sich um die Lösung dieses zentralen Problems. Das sorgt für eine große Einheitlichkeit des Themas und erlaubt dem Autor, einen teils actionreichen, teils mystischen Höhepunkt herbeizuführen.

Allerdings opfert der Autor dafür fast alles, was mit seiner geliebten Heimat, der Grafschaft Cheshire, zu tun hat. Sicher, die Landschaft der südlichen Pennines – skizziert auf einer kleinen Landkarte – ist wichtig und magisch überhöht, aber die Menschen sind beinahe entbehrlich. Das war in „Brisingamen“ noch ganz anders – und eindeutig unbefriedigender. Der Vorteil: Hier wird kaum noch unverständlicher Dialekt geredet. Man könnte geradezu von Allgemeinverständlichkeit sprechen.

Auf jeden Fall ist „Gomrath“ eine schöne, wenn auch stellenweise recht unheimliche (siehe oben) Jugenderzählung, die einige wertvolle Lehren vermittelt: Geschwister stehen einander bei; sie finden Freunde an den unwahrscheinlichsten Orten; das Böse ist immer und überall; und das Böse lässt sich mit den geeigneten Mitteln besiegen und vertreiben. Leider ist dabei stets auch ein Preis zu entrichten. Aber die Lösung für dieses Problem hat sich der Autor für Band 3 aufgehoben, der den Titel „Boneland“ trägt. Und mehr darf nicht verraten werden.

Info: The Moon of Gomrath, 1963;
Collins Children’s Books; Auflage: New Ed (2. September 2002),
224 Seiten; ISBN-10: 0007127871,
ISBN-13: 978-0007127870

Gebunden : 219 Seiten
ISBN 978-3-7725-2242-0
https://www.geistesleben.de/startseite/

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