Edmund Crispin – Heiliger Bimbam

In einem englischen Küstenstädtchen stirbt während des II. Weltkriegs ein harmloser Organist den Gifttod. Professor und Amateur-Detektiv Gervase Fen will den Fall lösen und sticht dabei in ein Wespennest unfrommer Kirchenleute, Hexen und Nazis … –  Zweiter Roman der Fen-Serie: ein Spionagethriller mit witzigen Anklängen an den britischen Schauerroman; die Synthese gelingt auf höchst unterhaltsame Weise.

Das geschieht:

Geoffrey Vintner, Komponist und Musiker, soll im Städtchen Tolnbridge in der Grafschaft Devon unweit des Ärmelkanals den Organisten Brooks vertreten, der dort das Opfer eines Giftanschlages wurde. Seither liegt er im Delirium und faselt von „hängenden Männern“ und Grabplatten, die sich bewegen.

Im Schatten der Kathedrale hat auch in den Jahren des Zweiten Weltkriegs – diese Geschichte spielt nicht lange nach dem britischen Rückzug aus Dünkirchen – das Domkapitel das Sagen. Kantor Dr. Butler, ein strenger Mann, hat Professor Fen, einen Gelehrten-Kollegen und Privat-Ermittler, gebeten, den Fall Brooks zu lösen, und Inspektor Garrett von der örtlichen Polizei ist durchaus damit einverstanden. Fen schließt aus den wenigen Fakten, dass Brooks in der Kathedrale zufällig Zeuge kriminellen Tuns wurde und daher ausgeschaltet wurde.

Der alte Organist wird durch eine neuerliche Giftdosis endgültig zum Schweigen gebracht. Ins Jenseits folgt ihm bald Dr. Butler, der in der Kathedrale von einer durch Meuchlerhand aus ihrer Verankerung gelösten Grabplatte erschlagen wird. Nun lässt sich Scotland Yard zu Fens Missfallen nicht mehr aus dem Fall heraushalten, zumal der englische Geheimdienst CID nächtliche Funksignale aus der Kirche geortet hat: Offenbar treiben Spione in deutschen Diensten ihr Unwesen in Tolnbridge!

Zu ihnen gesellen sich Teufelsanbeter und Hexen, denen einst der böse Bischof Thurston übel mitgespielt hat. Rächen sich die Nachfahren der Betrogenen und auf dem Scheiterhaufen Verbrannten, indem sie über seinen Gebeinen finstere Riten zelebrieren, und haben Brooks und Butler sie dabei überrascht? Josephine, die jüngere Tochter des Kantors, entpuppt sich als aktive Hexe, die ihren Meister nicht preisgeben mag. Die eigentliche Gefahr geht von Gervase Fen aus, den die Furcht, das kriminalistische Rennen gegen Scotland Yard zu verlieren, schweigen lässt, als er die Täter längst kennt, was diesen Zeit genug lässt, Gegenmaßnahmen zu planen …

Geisterspuk und Nazi-Spione

Zwischen 1944 und 1951 verfasste Edmond Crispin in rascher Folge acht Romane um den detektivisch begabten Professor Gervase Fen. „Heiliger Bimbam“ ist der Zweite. Im Vergleich zum noch etwas bemühten Vorgänger „The Case of the Gilded Fly“ (1944; dt. „Mord vor der Premiere“) ist Crispin deutlich souveräner geworden. Ihn kümmert nicht, dass seine Geschichte eher noch tiefer in zu diesem Zeitpunkt untergegangenen „Goldenen Zeitalter“ des englischen Kriminalromans (das mit dem Zweiten Weltkrieg auszuklingen begann) wurzelt.

Die Charaktere sind endgültig überzeichnet und skurril, und sie bewegen sich in einer angemessen jenseits von Zeit und Raum stehenden Kulisse. Zwar wird hier und da über den Kriegsalltag gestöhnt, und der Plot dreht sich um finstere Nazi-Spione, aber beides spielt eine deutlich untergeordnete Rolle und wird erst wichtig im großen Finale, das für einen Genre-Krimi im Allgemeinen und für Edmund Crispin im Besonderen erstaunlich action-lastig ausfällt; diese letzten Seiten wollen sich daher zum bisherigen Geschehen nicht recht fügen.

Denn ansonsten geht es recht gemächlich und in jeder Beziehung altmodisch zu in diesem Krimi; dem verschlafenen Schauplatz Tolnbridge angemessen, möchte man meinen. Sogar ein Hauch von Spuk liegt in der Luft. Volker Neuhaus weist in seinem wie üblich fachkundigen Nachwort auf die deutlichen Anleihen bei einem anderen Großmeister des klassischen Krimis hin. John Dickson Carr (1906-1971) hat stets mit Begeisterung böse Taten an unheimlicher Stätte begehen lassen.

Gehört nicht zum Plot, ist aber witzig

Die Hexenverfolgungen von Tolnbridge haben mit der „Bimbam“-Geschichte nichts zu tun. Trotzdem widmet ihr Crispin breiten Raum und zitiert sogar ausführlich aus den (fiktiven) Aufzeichnungen des abscheulichen Bischofs Thurston vom Anfang des 18. Jahrhunderts; Crispin erweist damit gleichzeitig dem König der englischen Gespenstergeschichte, Montague Rhodes James (1862-1936) – wie Fen & Crispin ein Oxford-Gelehrter -, seine Referenz.

Crispins Spieltrieb lässt ihn immer wieder unbekümmert mit seinem Stoff umgehen. Da sind nicht nur die vielen geistreichen Aperçus („Mein lieber Freund, die Kirche versteht es meisterhaft, ein Auge zuzudrücken. Bei den Jesuiten nennt man das Kasuistik.“ – S. 111), die erfreulicherweise die auch sonst ausgezeichnete Übersetzung überlebt haben, sondern auch witzige Anspielungen auf Kollegen und Freunde – der von Fen auf S. 89 mit Missfallen angekündigte „Appleby von Scotland Yard“ ist die Hauptfigur einer grandiosen, äußerst langlebigen Krimiserie von Michael Innes (1906-1994, natürlich ebenfalls ein Oxford-Don) – und direkte Attacken auf die Fiktion, denn Fen und seine Gefährten wissen ganz genau, dass sie nur Figuren in einer Geschichte sind: „‚Aha‘, sagte der Inspektor misstrauisch, ‚und was soll das für ein Knoten sein, wenn ich fragen darf?‘ ‚Er heißt „Köderhakenknoten“‚. ‚Warum heißt der so?‘ ‚Weil‘, sagte Fen seelenruhig, ‚der Leser ihn schlucken soll.'“ (S. 98; dazu folgt gleich eine empörte Fußnote des Verfassers, für die Fen sich auf S. 282 revanchiert, indem er Crispin als seinen Biografen à la Dr. Watson bezeichnet.)

Nicht gerade dem Realismus verpflichtet ist auch Fens Einfall, einen Angreifer auszuschalten, indem er einen Schwarm Wespen auf ihn hetzt, den er ausgerechnet in seinem Kleiderschrank beherbergt. Wir nehmen es Crispin ganz sicher nicht übel, denn ungeachtet seiner Scherze hat er seine Geschichte als Krimi und uns als lesendes Publikum jederzeit fest im Griff!

Autor

Edmond Crispin (1921-1978), der eigentlich Robert Bruce Montgomery hieß, gehört trotz seines schmalen Werkes zu den großen Autoren des klassischen englischen Kriminalromans. Eigentlich war er Musiker; zunächst Organist und Chorleiter am St. Johns College in Oxford, wo er auch moderne Sprachen studiert hatte, später Komponist, der neben Oratorien, Orchesterstücken und einer Kinderoper 38 Filmmusiken schuf.

Zwischen 1944 und 1951 verfasste Montgomery/Crispin in rascher Folge acht Romane um den detektivisch begabten Professor Gervase Fen. Nach 1951 widmete sich Montgomery zunächst seiner musikalischen Laufbahn und später zunehmend dem Alkohol, bevor er nach 26 Jahren Fen noch einmal zurückkehren ließ, womit er ihm und den Lesern nach Ansicht der Literaturkritik keinen Dienst erwies. Zu diesem Zeitpunkt war Montgomery längst ein ausgebrannter, von Krankheit gezeichneter Mann. Er starb 1978.

Taschenbuch: 293 Seiten
Originaltitel: Holy Disorders (London : Victor Gollancz 1945/Philadelphia : J. B. Lippincott Co. 1946)
Übersetzung: Ulrike Wasel u. Klaus Timmermann
http://www.dumont-buchverlag.de

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