Kettlitz, Hardy / Geus, Klaus / Ritter, Hermann – vergessenen Science-Fiction-Klassiker, Die (SF Personality Sammelband 1)

„Es gibt allgemein sehr wenig Sekundärliteratur über Science Fiction in Deutschland“ – mit diesen leider zutreffenden Worten leitet Herausgeber Hardy Kettlitz den ersten „SF Personality Sammelband“ ein. Wer sich nicht vor vielen Jahren zur Blütezeit der Science-Fiction erschienene Bücher wie „Reclams Science Fiction Führer“ oder Brian W. Aldiss’ „Der Milliarden Jahre Traum“ sicherte, kann noch nicht einmal auf diese längst überholten Werke zurückgreifen.

Umso erfreulicher ist das – von Hardy Kettlitz mehrmals als „fannisch“ benannte – Projekt des |Shayol|-Verlages zu bewerten, sich aus der immensen Liste an SF-Autoren (und SF-Autorinnen!) zumindest ein paar herauszupicken und ihr Gesamtwerk einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Dass dabei nicht die mutmaßlich besten Schriftsteller (wobei sich über „beste“ natürlich trefflich streiten ließe) erfasst werden, sondern solche, die Hardy Kettlitz und den Mitarbeitern besonders am Herzen liegen, sollte mehr als entschuldbar sein. Fanarbeit lebt vom Spaß an der Sache, und sobald etwas mit Unlust verbunden nur mehr „erledigt“ wird, merkt man dies dem „Produkt“ an.

„Die vergessenen Science-Fiction-Klassiker“ haben offensichtlich den notwendigen Spaß gebracht, denn mit sehr viel Akribie und außerordentlichem Aufwand wurden die in der Regel auf Deutsch verfügbaren Romane und Kurzgeschichten besprochen. Nicht alle Elaborate der behandelten Autoren, aber auf jeden Fall die, welche wichtig sind. Und ein gutes Maß an Schriftgut, nach dem sich heute kein Lektor die Finger lecken würde. Aber damals war alles anders.

Der Terminus „damals“ trifft es sehr gut, denn die sechs Autoren haben noch das „Golden Age“ der Science-Fiction erlebt, das von 1938 bis 1950 währte und maßgeblich von John W. Campbell geprägt wurde, dem Herausgeber des amerikanischen SF-Magazins |“Astounding“|.

Wer jedoch heute nach Veröffentlichungen der besprochenen Autoren Murray Leinster, C. L. Moore, Henry Kuttner (Ehemann von C. L. Moore), H. Beam Piper, Leigh Brackett oder Gustav Meyrink (der ein wenig aus der amerikanischen Riege heraussticht) sucht, wird es schwer haben. Die einschlägigen SF-Antiquariate oder der gescholtene, aber von vielen heimgesuchte Internetauktionator müssen aufgesucht werden, um noch eines der längst vergriffenen „Terra“ oder „Terra Fantasy“-Taschenbücher oder – ach, selig, wer diese sein Eigen nennen darf – die „Utopia“-Romanhefte zu entdecken, die das bevorzugte Publikationsmedium vergangener Tage darstellten.

Mit ein wenig Wehmut habe ich deswegen auch die zahlreichen Abbildungen nicht nur deutscher Coverabbildungen, sondern auch die der amerikanischen Originale betrachtet, die sich im Innenteil des Bandes wiederfinden. Die Abbildungen sind zwar „nur“ schwarz-weiß, aber in Anbetracht des mehr als gerechtfertigten Preises ist dieser Umstand zu verschmerzen.

Hardy Kettlitz, Klaus Geus und Hermann Ritter nehmen sich mit sehr viel Sachverstand der genannten Schriftsteller an. Sie greifen dabei auf einen großen Fundus an Veröffentlichungen zurück, und bei ihren teilweise sehr ausführlichen Besprechungen nehmen sie gottlob keine Rücksicht auf Namen, so dass Anmerkungen wie: „Diese Story war, wie der Großteil des Leinsterschen Schaffens, eine geballte Ladung routiniert erzählten Unsinns“, (Seite 48) nicht ungewöhnlich, sondern amüsant (und zutreffend) sind. Aber es handelt sich halt um „Unsinn“, den man sich als SF-Fan ins Gedächtnis rufen muss, denn er gehört zur Geschichte des Genres.

Wer bisher dachte, alles über Brackett oder Kuttner zu wissen, wird enttäuscht. Klar, Brackett schrieb nicht nur am Drehbuch zu „The Big Sleep“ mit, sondern verfasste auch das zu „Rio Bravo“. Dies weiß man als Western-Fan – aber dass der Roman dazu bei |Heyne| erschien, genau das habe ich trotzdem verpasst. Doch Hardy Kettlitz klärt mich auf. Auf diese Weise wird jeder noch ein Detail aus seinem und ihrem Schaffen erfahren, das ihm bis dato unbekannt geblieben ist.

Erleichtert wird die eigene Suche nach den „vergessenen“ Autoren durch Bibliographien und einen Titelindex. Der Sammelband ist im Übrigen ordentlich verarbeitet und sauber gedruckt. Und den Kauf ohne Wenn und Aber wert! Wer über die heute modernen Autoren hinaus ein Interesse an Science-Fiction hegt, sollte auch einmal zurückschauen. Ein solcher Band bietet dazu den idealen Einstieg, um sich entweder zu erinnern oder erstmals Erfahrung zu machen mit denen, die den Boden bereitet haben für Schriftsteller wie – ach, ihr wisst ja selbst, wer momentan „angesagt“ ist.

Ich habe erst durch einen Freund von der mittlerweile auf 12 Einzelbände angewachsenen Reihe erfahren, die in kleiner Auflage erschien und deshalb teilweise längst vergriffen ist. Die Nachfrage mündete zum Glück im vorliegenden Sammelband, in dem die ersten Bände nicht einfach nachgedruckt, sondern korrigiert und ergänzt wurden. Aber, lieber Hardy Kettlitz, wann erscheint Sammelband 2?, denn die Betrachtungen zu Marion Zimmer Bradley oder Jack Vance sind nicht mehr lieferbar. Und wer folgt Michael Moorcock, der im jüngsten Band gewürdigt wurde?

Zumindest kann ich mit einer Antwort auf die Frage dienen, ob Sekundärliteratur langweilig sein muss: Nein, wie eindrucksvoll bewiesen wird. Und deshalb bleibt für den SF-Fan nur eins: das Buch bestellen. Und die Folgebände.

_Karl-Georg Müller_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|