Frauke Buchholz – Blutrodeo. Calgary-Krimi (Ted Garner 02)

Ermittlungen in der Hölle der Ölfelder

In der kanadischen Provinz Alberta hat der Ölsandabbau giftige Spuren hinterlassen. Ein brutales Verbrechen führt den Profiler Ted Garner in die völlig zerstörte Landschaft bei Fort McMurray. Dort gehen die mächtigen Ölkonzerne rücksichtslos ihren lukrativen Geschäften nach und verwandeln die kanadische Wildnis und das Land der indigenen Bevölkerung in riesige Kraterlandschaften und verseuchte Klärteiche, ohne sich um die Gesundheit der Menschen zu scheren. Doch Garner muss sich nicht nur mit der hemmungslosen Gier nach Öl und Geld auseinandersetzen, sondern auch mit den eigenen seelischen Abgründen, die ihn fast an seine Grenzen bringen. (Verlagsinfo)

Die Autorin

Frauke Buchholz wurde 1960 in der Nähe von Düsseldorf geboren. Sie studierte Anglistik und Romanistik und promovierte über ­zeitgenössische indigene Literatur. Sie liebt das Reisen und fremde Kulturen und hat einige Zeit in einem Cree-Reservat in Kanada verbracht. Heute lebt sie in Aachen und schreibt Romane und Kurzgeschichten, die in zahlreichen Anthologien erschienen sind. Ihre Geschichte »Barfly« wurde 2020 mit dem 1. Preis der Gruppe 48 ausgezeichnet. Mehr Info: www.frauke-buchholz.com.

Handlung

Am 8. Juli 2022 wird dem 78-jährigen Rentner Gerald „Gerry“ Steiner die Kehle durchgeschnitten. Er lang im Krankenhaus und wurde von Schwester Ruby betreut, die untröstlich über den Mord ist. Ted Garner, der Profiler, aus der Provinz Saskatchewan, wird von der Calgary Police gebeten, sich den Fall anzuschauen. E ist nur eine Autofahrt von ein paar hundert Meilen nach Südwesten, und sein BMW legt die Strecke spielend zurück.

Am 12. Juli muss er in Calgary mit der ehrgeizigen Polizeibeamtin Samantha Stern zusammenarbeiten, die ihn schon bald für ein arrogantes Arschloch hält, dies aber niemals sagen würde. Sie informiert ihn darüber, dass es am 8. Mai schon einmal so einen Fall gegeben habe: ein Pflegepatient wurde mit durchgeschnittener Kehle gefunden. Sein Name war Josh Armstrong, nur ein Jahr älter als Steiner.

Geht hier ein Serienmörder um, fragt sich Garner insgeheim. Solche Theorien behält er für sich. Statt dessen besucht er seinen Vater, der auch schon auf die achtzig zugeht, aber im Bow Valley nahe Calgary in einer gut ausgebauten Hütte zusammen mit seinem Schäferhund Ricky lebt. Garner Senior ist wie eh und je wortkarg, taut aber ein wenig auf, als er seinem Sohn erzählt, dass er wieder ins Krankenhaus zu einer Operation muss. Sie soll am 8. August stattfinden.

Steiner war wie Armstrong bei „Northern Energy“, einem der großen Ölkonzerne angestellt, die in der Provinz Alberta Ölsande abbauen, und hatte einen entsprechenden Mitarbeiterausweis. Aber warum verklagte er seinen ehemaligen Arbeitgeber auf Schadenersatz und Schmerzensgeld, fragen sich Garner und Stern, als sie den Personalmanager des Konzerns aufsuchen. Hawkins kann hingegen verstehen, dass die Arbeit auf den Ölfeldern die Gesundheit beeinträchtigen könnte. Aber das würde sein Unternehmen niemals zugeben: Ein einziger gewonnener Schadensersatzprozess würde eine Lawine auslösen.

Warum die Arbeit krank Steiner und Armstrong krank machen konnte, erkennen die beiden Ermittler, als sie eines der von giftigen Dämpfen überlagerten Ölfelder selbst in Augenschein nehmen. Die Firmen in Fort McMurray bezahlen zwar höchste Löhne, doch der Ort wirkt wie eine Szenerie der Apokalypse: umgeben von schwarzen Abraumhalden und noch schwärzeren, giftigen Abwasserteichen.

An den Teichen stehen extra aufgestellte Vogelscheuchen aus Metall, die Vögel davon abhalten sollen, auf dem trügerischen Wasser zu landen. Sie würden binnen Minuten sterben, sagt ihr Guide. Reanna Moose ist eine indigene Chippewa. Ihr Tochter Namida ist blind geboren worden. Viele der Indigenen sind ebenfalls krank, können aber auf keinerlei Entschädigung hoffen.

Ein Foto, das die Ermittler bei Steiner finden, zeigt ihn mit Armstrong und einem dritten Mann. Garner steckt das Foto heimlich ein. Dann findet Stern in einer der Schubladen mit Wäsche eine Beretta 93R. So eine hat Hawkins, der Personalmanager von Northern Energy, auch. Zusammen fahren sie zu Armstrongs Sohn Josh. Stern hatte ihn schon vernommen, doch als der Mann das 30 alte Foto von seinem Vater sieht, rückt er mit der Leidensgeschichte heraus. Aber sein Vater versorgte noch jemanden mit Geld, eine Frau mit Namen Fiona Kelly, offenbar eine Bardame – oder mehr. Josh hat deren Liebesbriefe gefunden und entdeckt, dass sein Vater sie jahrelang finanziell unterstützt hatte. Wo sie lebe, wisse er nicht.

Bevor Stern und Garner erneut nach Fort McMurray fahren, um Armstrongs geliebte, vermutlich eine Prostituierte, zu suchen, erhält Garner einen Anruf von seinem Vater: „Ricky ist verschwunden.“ Wenig später erfährt er vom Police Department Edmonton, dass ein gewisser Wolf Hansen mit durchschnittener Kehle gefunden wurde. Er könnte am 8. Juni gestorben sein. Damit ist die Zeitreihe lückenlos – aber noch nicht beendet: Am 8. August könnte sein Vater an der Reihe sein, befürchtet Garner. Rickys Verschwinden ist eine Warnung, so wie die toten Katze bei Hawkins. Aber was könnte eine ferne Geliebte mit alldem zu tun haben?

Mein Eindruck

Der Leser mag sich an diesem Punkt fragen, was die Mordserie mit dem titelgebenden Rodeo zu tun hat. Dieses Rodeo findet alljährlich im Juli in Calgary statt und ist das größte der Welt. Die Autorin beschreibt es in zahlreichen Details, führt die beiden Hauptfiguren Garner und Stern dorthin.

Zugleich bildet das Rodeo aber auch in der Vorgeschichte den Schauplatz und die Gelegenheit, dass ein bestürzendes Verbrechen stattfindet. Die Täter sind Vietnam-Soldaten, die ihre Rückkehr aus der Dschungelhölle feiern. Schon im März 1962, also vor der Ausweitung nach Kambodscha und Laos, kämpfen sie an der Seite der Amerikaner und der südvietnamesischen Armee gegen den Vietcong: Wolf Hansen, Armstrong, Gerry Steiner – und Robert Garner. Alle sind Kanadier.

In Calgary feierten sie ihre Entlassung etwas zu heftig und begingen ein Verbrechen. Die Frage, die Ted Garner beantworten muss, lautet, inwieweit auch sein Vater in dieses Verbrechen verwickelt war. Falls die Mordserie ein Rachefeldzug als späte Vergeltung betrachtet werden kann, ist es von entscheidender Bedeutung, ob Garners Vater ebenso schuldig wie seine getöteten Kameraden ist.

Samantha Stern befindet sich wie Garner an einer Wegkreuzung ihres Lebens. Sie hat entdeckt, dass sie von einem Verehrer schwanger ist. Sie ist entschlossen, den Fötus abzutreiben. Doch je weiter sie dem Zentrum des Bösen kommt, desto geringer werden ihre Lebenschancen – und die des Babys. Schließlich findet sie sich an ein Bett gefesselt in einem alten, verfallenden Waisenhaus. Neben ihr liegt gefesselt Robert Garner. Doch wo ist Ted Garner, wenn man ihn mal braucht?

Die Übersetzung

S, 36: „Ho-Chi-Mingh-Stadt” statt “Ho-Chi-Minh-Stadt” (= Saigon).

S. 68: “Ohne Dwight [er]schien das Leben im Waisenhaus… so schal…“: Es muss „Erschien“ statt „schien“ heißen, denn „schien“ zieht den erweiterten Infinitiv „zu“ nach sich, der hier allerdings fehlt.

S. 79: „…erkämpfte sich einen Stehplatz in einer der vorderen Ränge.“ Weil „Rang“ männlich ist, muss es „in einem der … Ränge“ heißen.

Unterm Strich

Der neue Krimi mit Profiler Ted Garner strebt geradlinig seiner dramatischen Auflösung zu, doch die Erzählung ist auch diesmal – nach „Frostmond“ – vielstimmig und vielsträngig, so dass die Geschichte zahlreiche unerwartete Wendungen nimmt und die Klärung des Rätsels keineswegs abzusehen ist. So fesselt die Handlung den Leser bis zum Schluss.

Zwei Schauplätze sind die beiden Brennpunkte der Handlung. Der eine ist das titelgebende Rodeo von Calgary, allerdings auf zwei Zeitebenen: eine in der Gegenwart, die andere in der Vorgeschichte, also in den sechziger Jahren, als das Urverbrechen gemeinschaftlich begangen wurde. Der andere Fokus ist die Albtraumlandschaft rund um Fort McMurray.

Hier wird ein weiteres, weitaus größeres Verbrechen begangen. Die Täter sind die Ölkonzerne und ihre Angestellten, die Opfer sind die Mitarbeiter und die Indigenen, die alle mit ihrer Gesundheit und Zukunft bezahlen. Es ist wohl kein Zufall, dass die Autorin jenes Urverbrechen mit dem andauernden Verbrechen an der Bevölkerung und der Umwelt gleichsetzt. Beide Verbrechen bestehen in der Zerstörung (aber nicht Vernichtung) von Existenzen. Beide bereiten die Hölle auf Erden.

In der Vorgeschichte führt ein direkter Weg von Vietnam über Calgary nach Fort McMurray. Die Aufgabe des Lesers besteht darin, diesem Ariadne-Faden durchs Labyrinth zu finden und ihm zu folgen. Erst im Rückblick und mit viel Abstand kann sich der Leser darüber klar werden, ob die vier Vietnamveteranen auch vom Leser moralisch zu verurteilen sind – oder ob es entlastende Momente zu ihren Gunsten gibt. Letzten Endes läuft es darauf hinaus, ob Robert Garner der Rettung wert ist oder ob sein Sohn Ted ihn doch lieber aufgeben sollte. Das hängt davon ab, was uns die Autorin an belastenden Beweisen vorlegt – oder ob der Serienmörder in seiner Lynchjustiz gerechtfertigt ist. In einem furiosen Finale werden alle Fragen beantwortet.

Schwächen

Das einzige Detail, das in diesem solide konstruierten und aufgelösten Thriller etwas aufgesetzt wirkt, sind die Schopenhauer-Zitate. Garner, der Fan des Philosophen, gibt sie vor Samantha Stern zum Besten, doch die Polizistin hält dieses Geschwafel für einen weiteren Beleg dafür, was für ein Riesenarschloch doch dieser aufgeblasene Typ aus Saskatchewan ist. Ob sie damit recht hat, muss jeder Leser selbst entscheiden.

Auch die Indigenen tauchen diesmal nicht als Akteure auf, sondern als Opfer. Ihr Auftritt ist illustrativ und belegt eine weitere Todsünde, die die Ölkonzerne und ihre Komplizen begehen. Dass die Prostitution an diesem Ort blüht und das Faustrecht gilt, ist nur ein Nebenschauplatz. Hier landen Garner und Stern als 19. verdächtigem Kontaktort von Armstrong und Steiner. Die Ironie dabei: Sie erkennen die Verdächtigen nicht, weil sie bereits sternhagelvoll sind.

Aber auch Fiona Kelly gehört zu diesem Nebenschauplatz und erobert ganz allmählich den Rang einer Hauptfigur. Jeder dieser Nebenfiguren hat ihre eigene Vorgeschichte zu erzählen, die sie charakterisiert, von 1955 bis in die jüngste Gegenwart. Das verleiht der Geschichte einen soliden Hintergrund, ohne den sie nicht funktionieren würde. Dies belegt, dass sich die Autorin große Mühe gegeben hat, einer Story, die sich so täuschend leicht liest, eine Tiefe und Würde zu verleihen, die am Ende überzeugt.

Taschenbuch: 264 Seiten
ISBN-13: 9783865328106

www.pendragon.de

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