Der Lake Hollywood ist das Trinkwasserreservoir für die Großstadt Los Angeles. Die Hügel der Umgebung sind durchzogen von Zu- und Ableitungsrohren, die den Obdachlosen und Fixern der Umgebung einen willkommenen Unterschlupf bieten. Dass von diesen Untermietern immer wieder einer tot gefunden wird, ist ein Ärgernis, an das die Polizei gewöhnt ist. Als an diesem Sonntag anonym eine Leiche am Damm gemeldet wird, hat Hieronymus „Harry“ Bosch Bereitschaftsdienst. Er ist ein Vollblut-Kriminalist und auch nach vielen Polizeijahren nicht in Routine erstarrt. Bosch erkennt den Toten: William Meadows war vor zwanzig Jahren mit ihm Soldat in Vietnam, wo sie Seite an Seite den Vietcong im Gewirr jener Gänge bekämpften, die dieser tief unter der Erdoberfläche anlegte. Der mörderische Kampf in der Finsternis ließ eine verschworene Gemeinschaft entstehen ließ: die „Tunnelratten“.
Meadows gehörte zu den Veteranen, deren Psyche in Vietnam einen Knacks erhielt. Lange Jahre war er rauschgiftsüchtig, doch die Indizien, die auf eine Überdosis hindeuten, wurden manipuliert. Die Ermittlungen ergeben weiter, dass Meadows in einen spektakulären Bankeinbruch verwickelt war, der Los Angeles im Vorjahr in Atem hielt und bei dem die Täter mit einer Riesenbeute unerkannt entkommen waren.
Diesen Fall will Harry Bosch übernehmen. Auch für ihn ist der Vietnamkrieg irgendwie nie zu Ende gegangen, was sich in seinem unkonventionellen Dienstverhalten widerspiegelt. Sein kriminalistisches Talent geht mit einem praxisorientierten Ignorieren der Vorschriften einher, das Vorgesetzte gar nicht gern sehen. Mit Druck wird eine ehemalige „Tunnelratte“ allerdings spielend fertig. Harry Bosch bohrt weiter und tiefer. Der Tod von William Meadows erweist sich als Spitze eines Eisberges, dessen Basis ein groß angelegtes Komplott aus Erpressung und Korruption bildet. Prominente Politiker, einflussreiche Geschäftsleute und Polizisten sind gleichermaßen darin verwickelt. Als Bosch ihnen auf die Spur kommt, setzen seine Gegner alles daran, den lästigen Spielverderber aus dem Weg zu räumen …
Adrenalin-Junkie als Ordnungshüter
Ein Romandebüt ist immer eine spannende Sache. Wie gut gelingt es dem frisch gebackenen Schriftsteller, Unerfahrenheit durch Intensität wettzumachen? Ein Erstling ist meist das Ergebnis ausgiebigen Recherchierens und langwierigen Schreibens, und manchmal merkt man dem Ergebnis das auch an.
„Schwarzes Echo“ gehört erfreulicherweise nicht in diese Debütkategorie. Zum guten Teil mag dies damit zusammenhängen, dass hier zwar jemand seinen ersten Roman schrieb, andererseits jedoch mit der Feder längst umzugehen wusste. Wenn man der Fama Glauben schenken möchte, wollte Michael Connelly schon in jungen Jahren Schriftsteller werden. Er studierte Journalismus, belegte Kurse in „Kreativem Schreiben“ und arbeitete schließlich als Kriminalreporter in Los Angeles. Auf diese Weise lernte Connelly nicht nur das Schriftstellerhandwerk, sondern auch das Polizeimilieu und Verbrecherszene seiner neuen Heimatstadt kennen. Ein halbes Jahrzehnt später war es soweit: Hieronymus „Harry“ Bosch betrat die literarische Szene, und er tat es mit einem Paukenschlag!
Der traumatisierte, halbwegs geläuterte, halbwegs gemeingefährliche Vietnam-Veteranen, der (zu) viel für sein Land – gemeint ist stets die USA – durchgemacht hat, wurde durch schlechte Romane und miserable Filme zum ziemlich lächerlichen Klischee. Zwar müht sich Connelly redlich und durchaus mit Erfolg, der Figur neues Leben einzuhauchen, aber es kommt nicht von ungefähr, dass Bosch‘ Vietnam-Abenteuer in den weiteren Bänden der Serie unauffällig in den Hintergrund rücken. Erst 2009 kehrte er in „Nine Dragons“ (dt. „Neun Drachen“) nach Asien zurück, wo er sich u. a. seiner Vergangenheit stellen musste. (Der Titel „Schwarzes Echo“ soll übrigens dem Militär-Slang der „Tunnelratten“ entnommen sein und spielt auf die echten oder eingebildeten Sinneseindrücke der Tunnelkämpfer in der Dunkelheit an.)
Kampflustig in einer Welt ohne Ideale
Der drohenden Falle weiß Connelly immerhin auszuweichen: Harry Bosch ist nicht das Produkt von Vietnam; die Jahre dort reihen sich nahtlos in eine traurige Außenseiter-‚Karriere‘ ein, die eine höchst komplexe Persönlichkeit entstehen ließen. Sie unterscheidet sich angenehm von den üblichen „Guter-Cop-sieht-rot“-Knallchargen, die viel zu oft das Genre bevölkern.
Wenn Harry Bosch wieder einmal bei Polizei, Politik oder Presse aneckt, dann wirkt er auch deshalb so überzeugend, weil Michael Connelly seine langjährige journalistische Erfahrung einfließen lassen kann. Das Ambiente ‚stimmt‘ einfach, wenn der Verfasser das komplizierte Gefüge unterschiedlicher Polizei- und Justizbehörden beschreibt, die eigentlich an einem Strang ziehen sollen aber nicht können, weil praktisch jeder sein eigenes Süppchen kocht.
Meisterhaft stellt Connelly dabei besonders die schleichenden Übergänge zwischen Ehrgeiz, allmählichem Werteverfall und offener Korruption dar. Ein ehrlicher Cop nur mit rauer Schale wäre rettungslos verloren in dieser Schlangengrube, doch ihn gibt es ohnehin nicht (mehr) in Connellys Welt. Harry Bosch selbst ist keine Ausnahme. Er muss zwar viel einstecken, weiß sich aber stets zu revanchieren. Dabei jongliert Connelly geschickt mit der Ambivalenz seiner Figur. Hat Bosch gewusst, dass der verdächtige Frauenmörder unbewaffnet war, als er ihn allein aufsuchte, um ihn auszuschalten, ohne auf Verstärkung zu warten? Die Frage bleibt unbeantwortet, aber die Antwort könnte durchaus „Ja!“ lauten.
Solche blinden Flecken werden noch oft in der Bosch-Vita auftauchen, bis Harry schließlich in „A Darkness More Than Light“ (2001; dt. „Dunkler als die Nacht“) erstmals das Gesetz offen bricht, um gleich drei juristisch scheinbar unantastbaren Verbrechern der Gerechtigkeit, wie er sie sieht, auszuliefern.
Das Bosch-Universum
Nicht nur die Chronologie der Bosch-Romane ist wesentlich dichter als in anderen Thriller-Serien mit wiederkehrenden Helden. So werden wir von den meisten Figuren, die wir in „Schwarzes Echo“ kennenlernen, später wieder lesen. Auch Nebenstränge der Handlung greift Connelly gern erneut auf; der gar nicht tote „Dollmaker“ wird Bosch beispielsweise in „The Concrete Blond“ (1994; dt. „Die Frau im Beton“ noch sehr zu schaffen machen.
Darüber hinaus hat Connelly im Laufe der Jahre ein eigenes Universum geschaffen, in dem seine unterschiedlichen Figuren orts- und zeitgleich ‚leben‘ und sich über den Weg laufen können. In „The Narrows“ (2004 dt. „Die Rückkehr des Poeten“) untersucht Harry Bosch beispielsweise den Tod des FBI-Profilers Terry McCaleb, der 1998 in „Blood Work“ (dt. „Das zweite Herz“) einen eigenen Fall geklärt hatte. Der „Poet“ genannte Serienkiller hatte seinen ersten Auftritt wiederum im Roman „The Poet“ (1996; dt. „Der Poet“), der gleichzeitig den ersten Auftritt des Journalisten Jack McEvoy markierte. Mickey Haller, ein ebenso wendiger wie windiger Anwalt, den Connelly seit 2005 als Serienfigur einsetzt, muss gar entdecken, dass Harry Bosch sein Halbbruder ist.
Solche „Crossovers“ sind bei den Fans beliebt und sorgen dafür, dass sie sich für Connellys Gesamtwerk interessieren. Notwendig sind solche Verbindungen aber nicht. Vor allem Harry Bosch wirkt besonders überzeugend, wenn er wieder einmal allein auf weiter Flur steht: Statt Trübsal zu blasen oder gar dem Druck nachzugeben, bläst er zur trickreichen Gegenattacke. Diese Widerstandswille sowie die authentisch wiedergegebenen „Police Procedurals“ haben Harry Bosch die Jahre gut und unterhaltsam überstehen lassen, auch wenn die Wucht der Persönlichkeit, die Connelly uns 1992 vorstellte, nur noch eine ferne Erinnerung ist.
Autor
Michael Connelly wurde 1956 in Philadelphia geboren. Den Büchern von Raymond Chandler verdankte der Journalismus-Student der University of Florida den Entschluss, sich selbst als Schriftsteller zu versuchen. Zunächst arbeitete Connelly nach seinem Abschluss 1980 für diverse Zeitungen in Florida. Er profilierte sich als Polizeireporter. Seine Arbeit gefiel und fiel auf. Nach einigen Jahren heuerte die „Los Angeles Times“, eine der größten Blätter des Landes, Connelly an.
Nach drei Jahren in Los Angeles verfasste Connelly „The Black Echo“ (dt. „Schwarzes Echo“), den ersten Harry-Bosch-Roman, der teilweise auf Fakten beruht. Der Neuling gewann den „Edgar Award“ der „Mystery Writers of America“ und hatte es geschafft.
Michael Connelly arbeitet auch für das Fernsehen, hier u. a. als Mitschöpfer, Drehbuchautor und Berater der kurzlebigen Cybercrime-Serie „Level 9“ (2000). Mit seiner Familie lebt der Schriftsteller in Florida. Über das Connellyversum informiert stets aktuell diese Website.
Taschenbuch: 511 Seiten
Originaltitel: The Black Echo (Boston : Little, Brown and Company 1992)
Übersetzt von Jörn Ingwersen
http://www.heyne-verlag.de
eBook: 617 KB
ISBN-13: 978-3-426-43230-3
http://www.droemer-knaur.de
Der Autor vergibt: