Lukianenko, Sergej – Schlangenschwert, Das

Tikkirej lebt unter einer Kuppel auf einem radioaktiv strahlenden Wüstenplaneten. Die Welt Karijer ist arm, in fast jeder Hinsicht. Und als seine Eltern ihre Arbeit verlieren und deshalb befürchten müssen, aus der Kuppel vertrieben zu werden, nehmen sie ihr gesetzliches Recht in Anspruch, sterben zu dürfen, und überschreiben ihre verbliebenen Nutzungsansprüche an den Lebenserhaltungssystemen ihrem Sohn.

Aber nachdem seine Eltern fort sind, hält Tikkirej nichts mehr auf diesem Planeten. Entgegen aller guten Ratschläge verdingt er sich als lebendes Modul für den Navigationsrechner auf einem Frachtraumschiff. Schließlich landet er auf Neu-Kuweit, einem erdähnlichen und deshalb ziemlich teuren Planeten. Dort trifft er auf Stasj, einen Raumschiffkapitän, der ihm anbietet, ihn ein wenig zu unterstützen, denn Tikkirej steht finanziell auf äußerst schwachen Beinen. Der Junge ahnt allerdings nicht, dass er damit Hals über Kopf in das Tauziehen zwischen Imperialer Regierung und Putschisten hineinschlittert …

Wer jetzt aus dem letzten Satz geschlossen haben sollte, dass es hier heiß zur Sache geht, der liegt ein Stück daneben. Dieses Buch ist nicht |Star Wars|. Hier gibt’s weder Raumschlachten noch -scharmützel, und auch sonst wird recht wenig geballert. Dafür dürfte sich die Mehrzahl der Leser durch die |Phagen|, einen besonderen Ritterorden, an die Jedi-Ritter erinnert fühlen – zumal die Phagen von ihren Gegnern abwertend |Dshedai| genannt werden, was man wohl als Anspielung verstehen darf. Im Gegensatz zu den Jedi besitzen die Phagen jedoch keine magischen Kräfte und erlangen ihre Fähigkeiten nicht allein durch die Ausbildung, sondern unter anderem auch durch spezielle Genetik. Phagen werden nicht einfach geboren, sie werden geschaffen. Der entscheidende Punkt dabei ist allerdings weniger die Tatsache an sich – auf Tikkirejs Planet war es offenbar üblich, Kinder sozusagen aus dem Katalog zu bestellen -, sondern die Auswahl der Eigenschaften: Einem Phagen ist es genetisch unmöglich, die legitime Regierung des Imperiums zu verraten oder nach größerer Macht für sich selbst zu streben. Keine Chance für Darth Vader …

Trotzdem ist das mit der Genetik – wie mit vielen anderen Errungenschaften auch – eine zweischneidige Angelegenheit. Der Gedanke, eine Person unsterblich zu erhalten, indem man sie über Generationen hinweg immer wieder neu klont, ist an sich schon erschreckend genug. Richtig unerträglich wird die Vorstellung in Lukianenkos Variante, wo der Klon auch noch das Bewusstsein seiner Matrize übernimmt. Man stelle sich vor, ein und derselbe Präsident für alle Ewigkeit … Horror pur! Aber noch steigerungsfähig: Ein derart Unsterblicher nimmt sich vor, eine bessere und sauberere Menschheit zu erschaffen …

Nein, Lukianenkos „Schlangenschwert“ ist kein Horrorroman. Aber Genmanipulation ist heute schon so weit fortgeschritten, dass es schlicht unwahrscheinlich ist, dass sie in der Zukunft keine große Rolle spielen sollte. Und es ist nahezu unvermeidlich, dass bei der Erwähnung dieses Themas in der Science-Fiction auch die Konsequenzen daraus auftauchen, mit all ihren erschreckenden Möglichkeiten. Das lässt sich genauso von der Gehirnwäsche sagen. Die hier verwendete Methode liegt hoffentlich noch in weiter Ferne. Ich zumindest legte keinen Wert darauf, einen Chip hinterm Ohr zu haben, der an mein Gehirn angeschlossen ist! Bei Lukianenko ist das nicht nur Standard, sondern regelrecht lebensnotwendig, zumindest, wenn man einen Beruf ausüben möchte.

Natürlich stellt sich gerade bei SF immer gern die Frage: Wäre das denn technisch überhaupt machbar? Für mein Teil muss ich sagen, dass ich Zeittunnel und Flüge mit Überlichtgeschwindigkeit für nicht machbar und den Transport lebender Menschen in tiefgefrorenem Zustand für höchst unwahrscheinlich halte. Auch dürfte eine Kapsel ohne Steuerung und Antrieb, die aufgrund ihres Anflugwinkels von einer planetaren Atmosphäre abprallt, meines Erachtens nicht einfach hochhüpfen und dann wieder runterfallen, sondern sie müsste ins All davontreiben. Andererseits gestehe ich, dass mir das bei einer solchen Geschichte ziemlich schnuppe ist. Ich bin nicht gerade versiert in diesem Genre und verstehe nicht genug von Technik, um die Möglichkeiten einer Landung in einer Kugel aus hyperstabilem Eis zu beurteilen, aber die Idee als solche fand ich interessant, ebenso wie den Entwurf der Plasmapeitschen, der Lieblingswaffen der Phagen.

Dafür sind mir andere Kleinigkeiten aufgefallen. So zum Beispiel das Argument, mit dem Elli Tikkirej zu dem Attentat auf den Werftbesitzer Bermann regelrecht erpresst. Ich empfand es als völlig unglaubwürdig, dass die Phagen Stasj bestrafen sollten, wenn Tikkirej diesen Auftrag verweigerte. Und eigentlich hätte ich erwartet, dass Tikkirej das ebenfalls auffällt. Aber gut, ein unsicherer Dreizehnjähriger will in einer solchen Situation wohl keinen Irrtum riskieren, vor allem, wenn es um einen Freund geht. Oder die Tatsache, dass die landende Eiskugel nicht ortbar war. Vielleicht wäre sie vor dem geröteten Himmel des Sonnenaufgangs nicht aufgefallen. Aber auf dem Planeten waren ja auch Aufklärungssonden unterwegs. Unwahrscheinlich, dass nicht einmal eine davon zwischen dem Sonnenaufgang und der Eiskugel unterwegs war und den Eindringling vor dem dunklen Nachthimmel bemerkte.

Am störendsten empfand ich aber einige massive sprachliche Schnitzer. Vor allem Zeitfehler sind mir begegnet, die ihre Ursache vielleicht in der Übersetzung aus dem Russischen haben könnten, die man aber durchaus hätte bereinigen können. Und auch Sätze wie „Der Klassenraum war für zwanzig Schüler groß“ sollten keinesfalls so stehen gelassen werden.

Alles in allem hat Lukianenko mit „Das Schlangenschwert“ einen interessanten und intelligenten Roman abgeliefert. Zwar entwickelt sich der Plot eher gemächlich, letztlich kam es der eigentlichen Thematik aber zugute, dass der Autor seine Geschichte nicht in Action ertränkt hat. Er lässt seinem Protagonisten viel Zeit zum Nachdenken und auch zu Gesprächen mit seinem Freund Lion. Und da Tikkirej aufgrund seiner Herkunft ein eher frühreifer und ernsthafter Junge ist, beschäftigen ihn auch seriöse Themen. Das rückt vor allem ethische Fragen in den Vordergrund, die auch in unserer Gesellschaft heiß diskutiert werden: Ist es erlaubt, in das Persönlichkeitsrecht von Menschen derart einzugreifen, dass man ihre eigenen Gedanken und Überzeugungen einfach überschreibt oder verändert, und sei es auch nur, um Gewalttaten oder andere Verbrechen zu verhindern? Ist es erlaubt, die Angehörigen einer Gruppe genetisch so zu verändern, dass ihr freier Wille zumindest teilweise eingeschränkt wird, und sei es auch nur, um das Überlaufen eines Anakin Skywalker zu verhindern? Zumindest auf eine dieser Fragen gibt Lukianenko eine eindeutige Antwort.

_Sergej Lukianenko_ studierte Medizin und arbeitete zunächst als Psychiater, schreibt aber bereits seit Anfang der Achtziger. Zunächst veröffentlichte er vor allem Kurzgeschichten. Der internationale Durchbruch gelang ihm mit „Wächter der Nacht“; seither hat er eine ganze Liste von Zyklen und Romanen geschrieben und mehrere Preise erhalten. Derzeit ist sein neuester Roman „Spektrum“ bei |Heyne| erhältlich.

http://www.schlangenschwert.de/
http://lukianenko.ru/eng/
http://www.rusf.ru/lukian/english/index.htm

_Sergej Lukianenko bei |Buchwurm.info|:_

[„Wächter der Nacht“ 1766 (Rezension von Dr. Maike Keuntje)
[„Wächter der Nacht“ 1828 (Rezension von Dr. Michael Drewniok)
[„Wächter der Nacht“ 3028 (Hörbuchfassung, Rezension von Meike Schulte-Meyer)
[„Wächter des Tages“ 2390 (Rezension von Dr. Maike Keuntje)
[„Wächter des Zwielichts“ 2910 (Rezension von Dr. Maike Keuntje)

Schreibe einen Kommentar