Michael Crichton – Dragon Teeth

Zwischen Jurassic Park und Wildwest

Im Jahre 1876 begeben sich die zwei verfeindeten Paläontologen Marsh und Cope auf Expeditionen in den Westen, um die Fossilien von Dinosauriern zu suchen. Zwischen Indianern und Gesetzlosen versuchen sie Knochen zu finden, auszugraben und in den Osten abzutransportieren.

Um eine Wette zu gewinnen, nimmt der 18-jährige Student William Johnson erst an Marshs Expedition teil, dann an der von Cope, so dass er viele Vergleiche anstellen kann. Er soll als Fotograf dienen – und muss dafür erst einmal einen Schnellkurs belegen. Doch seine Kunst erweist sich als willkommen, als man tatsächlich auf Saurierzähne stößt. Doch sie sind derart groß, dass sie von einem Wesen stammen müssen, das man sich kaum vorstellen kann. Cope nennt es „Brontosaurus“.

Um diese „Drachenzähne“ für die Nachwelt zu sichern, begibt sich William mitten ins Territorium der kriegerischen Sioux, die gerade General Custer besiegt haben, und an einen Ort mit dem unheilvollen Namen Deadwood Gulch…

Der Autor

Michael Crichton wurde 1942 in Chicago geboren und studierte in Harvard Medizin. Crichton, der seit Mitte der Sechzigerjahre Romane schrieb, griff immer wieder neueste naturwissenschaftliche und technische Forschungen auf. Für die international erfolgreiche TV-Serie „Emergency Room“ schrieb er das Drehbuch. Seine Thriller – darunter „Dino Park“, „The Lost World“, „Enthüllung“, „Der 13. Krieger“ und „Next“ – wurden auch als Filme Erfolge. 27 Romane und mehr als 100 Mio. verkaufte Bücher stehen für sein Werk. Er starb im November 2008 im Alter von 66 Jahren. (abgewandelte Verlagsinfo)

Handlung

Im Frühjahr 1876 schließt der 18-jährige Millionärssohn William Johnson eine folgenreiche Wette gegen seinen Herausforderer ab. Dieser Harold Hannibal Marlin studiert ebenso wie William an der Yale Universität, um ein wenig Uni-Luft zu schnuppern und ansonsten das Geld seines Alten zu verpulvern.

Die Wette

Die Wette, er würde es nie im Leben wagen, in den wilden Westen zu reisen statt nach Europa, muss er allerdings annehmen, sonst wäre er bei allen unten durch. Professor Marsh sucht gerade Teilnehmer für eine Expedition – und ist alles andere als begeistert von der Aussicht, einen ahnungslosen jungen Schnösel mitzunehmen, der nicht mal weiß, wo bei einer Pistole vorne ist. Doch Johnson ist ein REICHER junger Schnösel und behauptet auf Anfrage, fotografieren zu können. Er darf mit. Um nach alten Knochen zu buddeln.

Fotografie

Nach einem Schnellkurs in der hypermodernen Kunst der Fotografie mit beschichteten Platten besorgt William das nötige Ausrüstungsmaterial, also ein Zelt, entsprechende Kleidung und so weiter. Allerdings bekommt er schon bald einen Vorgeschmack auf Professor Marshs Misstrauen. Marsh hat beste Kontakte zu Regierung und Army, verfügt über Agenten und Helfershelfer. Er wartet nur darauf, dass einer der Studenten den Namen seines Erzfeindes ausspricht: Edward Drinker Cope. Dabei waren Marsh und Cope einst beste Freunde gewesen, als sie in Berlin zusammen Paläontologie studierten und alles miteinander teilten – Zimmer, Bücher, Papiere, verrückte (und verbotene) Ideen.

Darwins Vermächtnis

Charles Darwins Evolutionstheorie ist seit 1859 veröffentlicht, doch sie führt quasi zu einer Art Religionskrieg in der Wissenschaft der Biologie: Wenn man religiös ist und an die Bibel sowie Kirchengelehrte glaubt, dann wurde die Welt von nicht mehr als 6600 Jahren erschaffen – in sechs Tagen, dann legte Gott die Füße hoch. Doch seit Anfang des 19. Jahrhunderts werden immer mehr mysteriöse Fossilien gefunden, die auf ein wesentlich höheres Alter der Erde schließen lassen – mindestens hunderttausend Jahre. Diese Vermutung auch nur auszusprechen, kann einen Mann in den entsprechenden Kreisen in erhebliche Schwierigkeiten bringen, ihn beispielsweise seine Laufbahn kosten. Professor Cope hat mit 36 Jahren bereits rund tausend Papiere veröffentlicht, zweifellos ein kluger Kopf. Doch das hilft ihm nichts, weil Professor Marsh die besseren Finanziers (Carnegie, Vanderbilt und Konsorten) und Armeekontakte (General Sheridan) hat.

Überläufer

William Johnson ahnt die wahre Tiefe dieser Feindschaft, als er in dem verrufenen Kaff Cheyenne, irgendwo westlich von Omaha, aus seinem Hotelzimmer tritt und den Speisesaal leer vorfindet: Marsh und die andere Studenten sind bereits ohne ihn abgereist. Ein Mann, der sich Cope nennt, stellt sich vor und lädt ihn ein mitzukommen. Will er nicht seine Wette verlieren und mit hängendem Kopf nach Hause zurückkehren, muss sich William Professor Marshs Erzfeind anschließen. Als Fotograf ist er doppelt willkommen.

Kriegsgebiet

Die Eisenbahn endet kurz hinter Salt Lake City, dann muss die Gruppe auf die Postkutsche umsteigen, die sie über Helena (Montana) nach Fort Benton. In Helena muss sich Cope des Zugriffs des lokalen Sheriffs erwehren, den Marsh auf ihn gehetzt hat. In Fort Benton warnt ihn die Kommandantur eindringlich vor einer Reise ins Indianergebiet. Die Sioux seien auf dem Kriegspfad, doch die Generäle Custer, Crook und Terry seien ihnen auf den Fersen. Für Custer geht die Sache Mitte Juli schlecht aus, und die „Schlacht“ stachelt die Soldaten, denen sie auf der öden Prärie begegnen, gegen Indianer und verdächtige „Waffenschmuggler“ auf.

Knochenparadies

Nachdem sie einer Büffel-Stampede entgangen sind, die Marshs Leute ausgelöst hatten, und einer friedlichen Begegnung mit den Crow-Indianer gelangen sie endlich in das Judith-Becken, einer Präriesenke mit alkalischer Erde, die an die wasserlösen, öden Badlands grenzt, wohin sich kein vernünftiger Mensch wagt. Professor Cope gerät schier in Verzückung, versucht seinen Fund aber kontrolliert zu erklären: Hier steht das Sedimentgestein 300 Meter hoch zutage wie eine steile Klippe – und mitten darin: tausende von Knochen!

Fund und Falle

Es mag für einen Paläontologen das Paradies sein, doch für einen Neuling im Westen ist es die Hölle. Der alkalische, juckende, reizende Staub dringt in alle Poren, ins Essen, ins Wasser, überallhin. Die Gruppe muss, begleitet von dem indianischen Scout Little Wind, einem Shoshonen, das Wasser von einer entlegenen Quelle holen. Eines Tages ist diese vergiftet: zweifellos ebenfalls das Werk von Marshs Leuten. Little Wind reinigt die Quelle und führt William anhand der Fährte zum Lager Marshs. Die Nachricht versetzt Cope in freudige Erwartung. Er bereit für seinen Erzfeind eine Überraschung vor, die es in sich hat: einen falsch präparierten Saurierschädel. Marsh wird Augen machen…

Mein Eindruck

Den Wettstreit zwischen Cope und Marsh gab es tatsächlich, wie uns das Nachwort belehrt. Der Roman führt den jungen „Helden“ mitten hinein in die paläontologische Debatte seiner Zeit, die zugleich auch ein Religionskrieg zwischen Darwin-Anhängern und Kreationisten war. Bemerkenswerterweise besteht dieser Konflikt in den USA bis zum heutigen Tage. Es gibt sogar einen Freizeitpark der Kreationisten, der zeigen soll, dass die Bibel recht hatte.

Und natürlich gehört „Dragon Teeth“ in den Dunstkreis von Dino Park“ und dessen verfilmten Fortsetzungen. Das Manuskript taucht erstmals als Verweis in einem Brief von 1974 auf, den der relativ junge Autor – er war erst zarte 32 Lenze alt – an einen Kurator des American Museum of Natural History schrieb. Schon damals war Crichton offenkundig mit den Dino-Knochen befasst, die in „Dragon Teeth“ eine so zentrale Rolle spielen.

Wyatt Earp

Kaum einer außer den Paläontologen selbst begreift oder anerkennt, dass diese Riesenzähne überhaupt einen Wert haben. Doch, einen gibt es: Wyatt Earp, der Revolverheld und Gelegenheitsmarshal selbst. Er taucht in Deadwood auf und hilft unserem helden, es lebend zu verlassen und die nächste Ortschaft gegen alle Widrigkeiten zu erreichen.

Aber Wyatt ist ein geschäftstüchtiges Schlitzohr, erkennt Johnson zu spät: Marsh hat eine Belohnung für die Saurierknochen ausgesetzt, von der Johnson noch nichts gehört hat. Er tritt Wyatt seinen Anteil also viel zu günstig ab – ein waschechter Yankee-Deal. Natürlich behält Johnson die Zähne des Brontosaurus für sich selbst – und für Cope, sollte er ihn je wiedersehen. Die Zähne stehen für das Licht der Wissenschaft; dieses Wissen verteidigt Johnson mit seinem Leben.

Alte Sagen

Der Titel verweist auf die antike Sage vom Helden Theseus, der vor der Stadt Theben aus Drachenzähnen Krieger entstehen ließ. Die Drachenzähne sind ein mächtiges altes Symbol: Um Krieg und Kampf geht es im ganzen Buch. Ein Großteil der Handlung spielt im alten Westen zur Zeit der letzten Indianerkriege anno 1876. Dass nicht alle Indianer einen Weißen gleich umbringen wollten, belegt der Shoshoni-Führer. Dass aber gewisse Weiße genauso schlecht für die Gesundheit waren, belegen besoffene Soldaten, schießwütige Revolverhelden und verzweifelte Goldschürfer. Dem ahnungslosen Johnson läuft aber auch eine verführerische Dame über den Weg – gar nicht so zufällig, wie er zu spät herausfindet. Sie wickelt ihn um den kleinen Finger, denn Johnson hat etwas Verbotenes getan.

Blow up

Ja, auch als simpler Fotograf kann man im alten Westen dem Tod in die Quere kommen. So etwas dann, wenn man ein harmlos aussehendes Hotel knipst, in dem just in diesem Augenblick ein Mord begangen wird. In einer BLOW-UP-Szene à la Antonioni, die einer ähnlichen Szene in dem MILLENNIUM-Thriller „Verblendung“ von Stieg Larsson würdig (und viel älter) ist, entlarvt Johnson den Mörder. Nun ist er seines Lebens nicht mehr sicher. Wie er sowohl seine wertvollen Fotoplatten als auch die alten Knochen in Sicherheit bringt, ist ein weiteres Abenteuer.

Coming of age

Zu guter Letzt ist „Dragon Teeth“ neben all seinen unterhaltenden Elementen und spektakulären Szenen eine Geschichte des Erwachsenwerdens. Johnson reift vom verschwenderischen Schnösel, der keinerlei Verantwortung kennt, durch mehrere Stationen der „Heldenreise“ (vgl. Joseph Campbell) zu einem verantwortungsbewussten und kämpferischen Mann heran. Alle anderen Figuren sind im Vergleich recht flach ausgefallen, mit Ausnahme der beiden Professoren Marsh und Cope. Besonderen Spaß hat mir die Mehrdimensionalität Emilys gefallen: Sie ist sowohl Engelchen wie Teufelchen.

Schon der Prolog stellt die Frage, die der Unterschied zwischen zwei Porträt-Fotos von Johnson aufwirft, ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht – und nur ein Jahr liegt dazwischen. Was mag passiert sein, fragt sich der Leser, neugierig geworden, und legt mit dem Lesen los. Das Postskriptum erzählt, was aus den echten Professoren wurde. Ironischerweise waren nicht sie es, die den Ruhm ernteten. Wyatt Earp starb erst 1929 und prägte mit seinem Buch das Bild, das Hollywood vom Wilden Westen schuf. Es war aber der immer wieder erwähnte Charles Sternberg, der die Paläontologie durch seine Funde und seine Bücher voranbrachte und bekannt machte.

Johnsons Geschichte ist auch die einer Wette, die er erfüllt oder nicht (er reiste ja nicht mit Marsh, sondern mit Cope). Am Schluss muss er sich seinen Wettpartner vorknöpfen. Als dieser zu kneifen versucht, zeigt ihm Johnson, was er im Westen gelernt hat.

Unterm Strich

Ich habe den einfach erzählten und von Szenen, Dialogen und Spektakeln strotzenden Roman in nur wenigen Tagen gelesen. Dies ist echter Crichton und gehört in die gleiche Reihe wie „Dino Park“. Der Ton ist leicht und nicht so befrachtet mit Wissenschaft bzw. den wissenschaftlichen Spekulationen, die man von Crichton erwartet. Die Seiten blättern sich quasi von alleine um, und wenn die Damen auftauchen, weht ein erotisches Flair durch das Buch.

Viele Eigenzeugnisse wie etwa Tagebuchnotizen widersprechen dem möglicherweise aufkommenden Eindruck, dass der Erzähler alles allein erfunden hat. Nein, der Autor zitiert mehrfach auch die beiden Professoren und den erwähnten Sternberg – und den Feldzug gegen die Evolutionstheorie gab es wirklich. Mithilfe dieses erzählerischen Kniffs entsteht der Eindruck, es mit echten Geschehnissen im alten Westen zu tun zu haben.

Natürlich ist die Figur des William Johnson frei erfunden. Aber sie erfüllt viele Zwecke. Zum einen entführt er auch junge Leser in eine Welt, die uns heute von Mythen und Legenden überfrachtet nahegebracht wird. Dabei war sie in Wirklichkeit ganz anders. Zudem ist er ein Candide, der ganz schnell lernen muss, was zum Überleben nötig ist, wenn er hier lebendig rauskommen will. Die Kunst der Wendungen hat Crichton noch nicht so perfektioniert wie später, aber auch so weiß er mit einer Vielzahl von Überraschungen aufzuwarten.

Mir hat die Lektüre Spaß gemacht, und dabei habe ich auch noch etwas über den alten Westen und die Anfänge der Paläontologie in den USA gelernt. Was kann man für ein paar Dollar mehr verlangen?

Taschenbuch: 328 Seiten
Originaltitel: Dragon Teeth
Sprache: Englisch
ISBN-13: 9780008240455

www.harpercollins.de

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