Miller, Frank / Varley, Lynn – 300

|Dreihundert Männer folgen König Leonidas in die Schlacht. Ihr Zuhause werden sie nie wiedersehen. Im dreckigen Staub der Thermopylen werden sie ihr Leben lassen. Frank Millers »300« zeigt die schrecklichen Mechanismen, die hinter Heldentod und Kriegsenthusiasmus stecken. Leider sind viele Leser zu sehr an einfache Unterhaltung à la Superman gewöhnt.|

Spartas König Leonidas ist bei seinem Volk schon zu Lebzeiten eine Legende. Besonders bei seinen Soldaten genießt er hohes Ansehen. Immer wieder erzählen sie von früher, als der junge König, bloß mit einem spitzen Stock bewaffnet, einen Wolf zur Strecke brachte. Eines Tages kommt ein persischer Bote nach Sparta. Er wurde von dem Gottkönig Xerxes entsandt, der sich mit seiner gewaltigen Armee Griechenland nähert. Im Namen seines Herrn fordert der Bote Leonidas auf, sich zu unterwerfen. Der König weigert sich, stößt den Boten in ein tiefes Loch und rüstet sich für den Krieg. Da ihm aber die Priester verbieten, in den Krieg zu ziehen, bricht Leonidas nur mit seiner kleinen Truppe von 300 Leibwächtern auf. Sein Ziel sind die Thermopylen, eine Landenge im Norden des Landes. Leonidas hofft, dort den Persern trotz ihrer Übermacht große Verluste beibringen zu können. An einen Sieg glaubt er jedoch nicht. Er plant, mit seinen Männern als Märtyrer in die Geschichte Griechenlands einzugehen, als Verteidiger der richtigen Lebensweise, als Opfer für Vernunft und Freiheit.

Die Geschichte von der Schlacht bei den Thermopylen findet sich zum ersten Mal im siebten Buch der »Historien« von Herodot. Ob sie wahr ist, weiß niemand. Möglich, dass Herodot sie nur erfunden hat. Inzwischen ist die Schlacht bei den Thermopylen eingegangen in den abendländischen Kulturkreis. Ihr Wahrheitsgehalt interessiert höchstens noch Althistoriker, vielen anderen geht es um den Symbolwert der Geschichte. Barbarei und Zivilisation treffen dort hart aufeinander, und – wie könnte es anders sein? – die Zivilisation triumphiert. Denn trotz der Niederlage Spartas siegen letzten Endes Freiheit und Gerechtigkeit. Unter der Knechtschaft Persiens erheben sich die griechischen Völker, eingedenk jener heroischen Schlacht vergangener Zeiten. Der Mut und die Entschlossenheit der toten Spartaner werden beschworen. Ihr Märtyrertod soll nicht umsonst gewesen sein.

Auch die amerikanische Comic-Legende Frank Miller hat sich der Schlacht bei den Thermopylen angenommen. Seine fünfteilige Serie »300« erschien 1998-1999 bei |Dark Horse|. Auf Deutsch wurde sie erstmals von |Schreiber & Leser| veröffentlicht. Längst ist der Band vergriffen. Zum Glück erschien bei |Cross Cult| im Juni 2006 eine Neuauflage. Die Geschichte präsentiert sich in einem großformatigen Hardcover (22,5 × 28,5 cm), wie es für die zahlreichen Splash Pages (Bilddoppelseiten) angemessen ist. So entfaltet »300« eine beeindruckende optische Wirkung und liest sich wie ein Comic im Breitwandformat.

Nicht nur durch die üppige Verwendung von Splash Pages sticht »300« im Gesamtwerk von Frank Miller hervor. Offensichtlich scheint ihn die Schlacht bei den Thermopylen schon länger beschäftigt zu haben. So findet sich in »Sin City 3: The Big Fat Kill« (1994-1996) bereits ein Verweis auf dieses Motiv (Kapitel 5). Wahrscheinlich ließ Miller die Geschichte von Leonidas und seinen Soldaten einfach nicht mehr los. Aber wer will so eine Geschichte lesen? Da gibt es keine Superhelden wie Batman, Daredevil oder Wolverine, die ihre treue Fangemeinde im Schlepptau haben. Da sind keine Zaubersprüche, keine Raumschiffe, keine Verfolgungsjagden. Da ist nur die Schlacht zweier antiker Heere. Dass |Dark Horse| schließlich ein solch ungewöhnliches Thema akzeptierte, hängt wahrscheinlich mit der Reputation von Frank Miller zusammen. Wenn schon nicht das Thema, so sollte doch wenigstens sein Name für eine gewisse Abnahmezahl sorgen.

Es ist anzunehmen, dass Miller von der Schlacht bei den Thermopylen fasziniert war. Sie ist offensichtlich eine Metapher, die ihn reizt und herausfordert. Dass er bereit war, bei den Verlegern für sein ungewöhnliches Thema Überzeugungsarbeit zu leisten, lässt vermuten, dass er mit »300« etwas Wichtiges mitteilen wollte. Dieses Detail wird leider von vielen Lesern übersehen, die ihre Meinung über »300« im Internet kundtun. Als würde es sich nur um harmlose Unterhaltungsliteratur handeln. Viele interessante Fragen, die man an »300« richten könnte, bleiben auf der Strecke (wenn sie überhaupt gestellt werden). Was man da liest, ist oft keine Rezension, sondern kaum mehr als eine Kaufempfehlung. Das klingt dann etwa so: „480 v. Chr. fand die Schlacht bei den Thermopylen statt. König Leonidas verteidigt Griechenland gegen die übermächtigen Perser. Bildgewaltig und ziemlich brutal. Geile Heldenstory. Ist ein teurer Comic, macht sich aber extrem gut im Regal.“ Da wird über historical correctness geredet, über den Keim zum Sieg des Ganzen, über eine Ode an die Hoffnungslosigkeit, über Kanonenfutter und den Galgenhumor der Spartaner.

Zunächst einmal mag folgende Erkenntnis manchen überraschen: Frank Miller ist kein Historiker, sondern Comic-Zeichner. Unwahrscheinlich also, dass er mit »300« eine Lehrstunde in Geschichte erteilen wollte. Warum auch? Was interessieren ihn ein paar antike Gestalten, die sich vor über zweitausend Jahren in einer griechischen Landenge geprügelt haben? Höchstens interessiert ihn das Symbol. Miller ist schließlich ein Künstler und kein Wissenschaftler. Sicherlich kennt er einige Fakten der Schlacht bei den Thermopylen. Er wird Herodot gelesen und die Hintergründe recherchiert haben. Was aber letztendlich seiner Arbeit entspringt, ist eine kreative Darstellung der Ereignisse. Sein Werk ist ein Kunstwerk – und kein Sachtext. Was für eine Kurzsichtigkeit offenbart sich, wenn einer nach der Lektüre immer wieder mit der historischen Überlieferung wedelt. Man fühlt sich, als würden da Birnen mit Äpfeln verglichen.

Hinzukommt, dass es kaum einem Rezensenten gelingt, König Leonidas kritisch zu reflektieren. Es erfordert nicht viel Gehirnschmalz, um auf seiner Schulter Platz zu nehmen und es sich bequem zu machen. Kurzerhand erklärt man ihn zum charismatischen Helden, der bloß das Gute im Sinn hat. Dabei schlüpfen einem wichtige Nuancen durch die Finger, die Millers »300« in ein ganz anderes Licht rücken, fort von den Superhelden. Leonidas ist nicht Superman. Trotz des Unterhaltungswerts von »300« handelt es sich um einen hochgradig politischen Comic. Miller erzählt keine Geschichte über Helden, sondern eine über Krieg. Leonidas und Xerxes führen Krieg und dienen als Symbole für zwei unterschiedliche Ideen, die miteinander konkurrieren. Das erkennt man am besten daran, dass die beiden Anführer dem Leser nie als lebendige, vertraute, persönliche Charaktere entgegentreten. Es sind Kopfgeburten, Figuren, die auf das Wesentliche reduziert sind. Beide sind Kriegstreiber und stehen für unterschiedliche totalitäre Systeme. Das Ziel ist die Unterwerfung bzw. die Vernichtung des anderen.

Trotz der Ähnlichkeit der Kontrahenten ist es wichtig, dass Leonidas auf eine gewisse Art und Weise moderner ist als Xerxes. Nicht ohne Grund ist er der Erfolgreichere. Hier schlummert der Kern der Geschichte: Er verwendet statt einer Peitsche eine Ideologie. Leonidas braucht keine Gewalt, um seine Soldaten in die Schlacht zu treiben. Stattdessen verführt er seine Männern mit der Vorstellung, sie seien frei und aufgrund ihrer Wertevorstellungen überlegen. So schöpft er ihre maximale Kampfkraft aus. Gewissermaßen wirtschaftet Leonidas effektiver mit seinen Soldaten als Xerxes. Sie sind entschlossener, todesmutiger. Dabei bleibt zu beachten, dass er sie, ohne mit der Wimper zu zucken, in den Tod führt. Millers Leonidas ist kein charismatischer Held, sondern ein gnadenloser, zu allem entschlossener Feldherr. Folgendes Gespräch zwischen dem jungen Soldaten Stelios und dem König macht seinen Standpunkt deutlich: „Wir begleiten euch, Herr, bis in den Tod.“ – „Das war keine Bitte. Die Demokratie überlassen wir den Athenern.“ Eine dritte Partei, die den Krieg ablehnt, taucht nicht auf. Die Option, sich den Persern zu ergeben, wird nicht diskutiert.

Die hier beschriebenen Techniken der Reduktion und der Gegenüberstellung von Figuren sind bei Frank Miller nicht selten. Er verwendet sie gerne. Schon in »The Dark Knight Returns« treten Batman und Superman als die Streiter zweier unterschiedlicher Systeme auf. Ebenso wären Hartigan und der junge Roark (»Sin City 4: That Yellow Bastard«) oder Miho und Vito (»Sin City 5: Family Values«) zu nennen, obwohl es dort nicht um Politisches geht.

»300« ist ein gutes Beispiel für einen Comic, der intelligenter ist als viele seiner Leser. Das Thema Krieg ist hier zentral. Insbesondere beschäftigt Frank Miller die Frage, mit welchen Mechanismen man freie Männer dazu bewegt, ihr Leben auf dem Schlachtfeld zu lassen. In seiner Aktualität ist »300« beinahe unheimlich. Denn ob Krieg nun mit Speeren oder mit Panzern ausgetragen wird – es bleibt Krieg. Wer von diesem Comic als Millers Heldenepos schwärmt, hat den Autor und Zeichner nur äußerlich begriffen. Die recht einfache Auflösung in Gut und Böse funktioniert hier nicht. Man muss vorsichtig sein und aufpassen, um die brilliante Nüchternheit und Kritik wahrzunehmen, die unter der Oberfläche von »300« schlummert. Dann erst entfaltet sich die ganze Kraft dieses beeindruckenden Bildwerkes.

Am 5. April 2007 kommt die [Verfilmung]http://www.powermetal.de/video/review-1048.html von »300« in die deutschen Kinos. Es bleibt abzuwarten, wie Regisseur Zack Snyder (Remake »Dawn of the Dead«) mit der tiefgründigen Vorlage zu Werke geht. Erste Eindrücke gibt’s schon unter http://300themovie.warnerbros.com zu sehen.

http://www.crosscult.de/

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