Oliver, Lauren – Delirium (Amor 1)

_|Amor|-Trilogie:_

01 _“Delirium“_
02 „Pandemonium“ (noch ohne dt. Titel)
03 „Requiem“ (Februar 2013, noch ohne dt. Titel)

Die Liebe ist eine Krankheit, so hat es die Menschheit in einer schier unvorstellbaren Welt herausgefunden. Doch es gibt ein Heilmittel – einen Eingriff kurz nach dem 18. Geburtstag, der einen von der sog. Amor Deliria Nervosa befreit. Ein Eingriff, der einem jeglichen Liebeskummer erspart, der Menschen aber auch ihrer Gefühle beraubt.

Lena ist 17 und zählt die Tage bis zu ihrem lang ersehnten Eingriff. Sie ist ein durchschnittliches Mädchen, nicht besonders hübsch, aber mit der sehr attraktiven Hana eng befreundet. Beide gehen zusammen zur Schule und drehen regelmäßig zusammen ihre Laufrunden. Lena hat bis heute nicht verstanden, was Hana an ihr findet. Nicht nur ihr 18. Geburtstag und damit der Eingriff gegen die gefürchtete Krankheit Amor Deliria Nervosa rückt näher, sondern auch die Evaluierung in den Regierungslabors. Diese Prüfung vor einem Gutachtergremium ist ein entscheidender Wendepunkt im Leben jedes Jugendlichen. Dort werden sie auf Herz und Nieren geprüft und mit einer Note versehen – diese beeinflusst alles andere. Basierend auf den Ergebnissen bekommt jeder Jugendliche vier potenzielle Partner zugeteilt, für einen davon muss man sich entscheiden, denn diesen heiratet man nach dem Studium, setzt Kinder in die Welt (die Zahl legt selbstverständlich die Regierung fest, denn nach dem Eingriff ist der Wunsch nach eigenen Kindern meist gering) und lebt sein Leben, ohne die Gefahr einer Liebeskrankheit.

Doch Lena ist vorbelastet: Bei ihrer Mutter ist der Eingriff zweimal gescheitert. Als der Dritte bevorsteht, nimmt sie sich das Leben. Das ist ein Grund, warum Lena den Eingriff umso mehr herbeisehnt, denn sie fürchtet, dass sie ähnlich enden könne wie ihre Mutter. Aufgewachsen ist sie stattdessen bei ihrer Tante, die stets ein wachsames Auge auf Lena hat und sie für die Prüfung drillen möchte. Genau an diesem Tag geschieht etwas Merkwürdiges: Fremde Menschen dringen in das Regierungslabor ein und machen die Prüfungen von diesem Tag ungültig. Lena ist sehr froh darüber, hatte sie dem Gremium doch gerade verkündet, grau sei ihre Lieblingsfarbe, obwohl doch blau die richtige Antwort gewesen wäre. Ein unbekannter Junge steht plötzlich vor ihr – Alex, wie sie später herausfinden wird. Vom ersten Augenblick an fühlt sich Lena magisch von Alex angezogen, weil er so fremdartig und anders wirkt.

Bald findet Lena heraus, was anders ist: Obwohl Alex die charakteristische Narbe über dem Ohr trägt, die auf seinen Eingriff hindeutet, zählt er noch nicht zu den Geheilten. Er täuscht den Eingriff nur vor! Fast zur gleichen Zeit erfährt Lena, dass ihre Freundin Hana auf illegale Partys geht – nach der allabendlichen Ausgangssperre für die Ungeheilten. Beides rüttelt an Lenas Grundfesten und irritiert sie zutiefst. Um aber nicht als Feigling dazustehen, schleicht sie sich auf eine illegale Party und trifft Alex wieder – der Beginn einer zarten und sich allmählich anbahnenden Liebesgeschichte. Aber die Zeit rennt den beiden davon, denn Lenas Eingriff rückt näher und näher, als dann auch noch ihr späterer Ehemann ausgewählt ist, wird Lena und Alex klar, dass ihre gemeinsame Zeit bald zu Ende geht. Unvorstellbar, doch wie können sie in dieser Welt zusammen glücklich werden?

_Liebeskrank_

Die Geschichte in „Delirium“ erzählt von einer Welt, in der die Liebe als Krankheit gilt, so zeigt es auch schon das Cover, das übersät ist mit dem Schriftzug „Liebe“, der sich kreuz und quer über das gesamte Cover rankt (der aufmerksame Leser wird im Laufe des Buches verstehen, woran sich die sehr gelungene Covergestaltung orientiert). Die 17-jährige Lena ist die Ich-Erzählerin, die uns von ihrer Welt, ihrem Leben und ihren (noch) Gefühlen erzählt. Natürlich ist auch diese glücklicherweise fiktive Welt nicht frei von Liebe(skrankheit), denn der Eingriff ist noch nicht ausgefeilt, sodass er erst ausgeführt werden kann, wenn das Gehirn vermeintlich ausgewachsen ist, also nach dem 18. Geburtstag. Zeigt ein jüngerer Jugendlicher Anzeichen der Krankheit, wird er auch früher „geheilt“, doch dann ist der Eingriff mit hohem Risiko verbunden und geht oft schief. Die Regierung wacht strikt über die Einhaltung zahlreicher Regeln. Für Ungeheilte gilt abends eine Ausgangssperre, zudem dürfen sie keinen Kontakt zum anderen Geschlecht haben. Mädchen und Jungen gehen auf getrennte Schulen und haben auch sonst nichts miteinander zu tun, damit bloß keine überflüssigen Krankheitsfälle auftreten.

Und so lebt Lena ihr Leben, immer ihrem Eingriff entgegen fiebernd, denn sie weiß von ihrer Mutter, wie es enden kann, wenn man nicht rechtzeitig geheilt wird bzw. wenn der Eingriff misslingt. Lenas Mutter hat sich das Leben genommen, aus Liebe. Davor hat Lena Angst und daher glaubt sie den Grundsätzen der Regierung, sie glaubt an den Eingriff und sie glaubt daran, dass es nicht rechtens ist, sich gegen die Regeln aufzulehnen, wie ihre beste Freundin Hana es tut.

Als sie Alex begegnet, beginnt der Zweifel in ihr zu keimen. Alex ist nicht geheilt und wirkt doch alles andere als krank auf Lena. Er lebt sein Leben in Freiheit, denn niemand ahnt, dass er den Eingriff nicht hat vornehmen lassen. Als Leser beginnt man allerdings sich zu fragen, wieso der Regierung nicht aufgefallen ist, dass er keine Partnerin zugeteilt bekommen hat, denn davon ist im ganzen Buch keine Rede. Hätte die Regierung ihm nicht auch seine spätere Ehefrau zuweisen müssen?

Wie dem auch sei: Langsam aber unweigerlich entwickelt sich zwischen Lena und Alex eine Liebesbeziehung. Sie kommen sich näher und näher und küssen sich schließlich. Lena merkt, dass Liebe gar keine Krankheit ist, sondern etwas sehr Schönes, das sich zu bewahren lohnt. Sie will für ihre Liebe kämpfen und steht doch auf verlorenem Posten dar. Der Brief mit den Ergebnissen ihrer Evaluation trifft ein, sie hat sehr gut abgeschnitten und kann sich doch nicht darüber freuen. Denn auch vier Namen stehen in dem Brief, die ihr im Grunde nichts sagen. Kurzerhand wählt sie einen davon aus – den Namen ihres zukünftigen Ehemannes. Wohl wissend dass sie diesen Jungen nie heiraten und stattdessen mit Alex in Freiheit leben möchte. Doch im Gegensatz zu ihm gäbe es für Lena keine Freiheit, sie müsste ständig auf der Flucht leben und sich von ihrer Familie trennen und ihrer Freundin Hana Lebewohl sagen. Schafft sie das? Für Alex?

_Gesunde Gedanken_

Lauren Oliver zeichnet eine Welt, in der Liebe auszumerzen ist – eine Krankheit, die letztendlich unweigerlich zum Tod führt. So steht es im Buch „Psst“ geschrieben, das die Regierung herausgibt. Es ist eine Welt, die gezeichnet ist von einer allumfassenden Gehirnwäsche. Jeder Mensch soll daran glauben, dass Liebe eine gefährliche Krankheit ist. Jeder Mensch MUSS daran glauben, denn sonst bräche das komplizierte Konstrukt in sich zusammen. Und doch sieht man an der strengen Kontrolle durch die Regierung, wie wackelig dieses Konstrukt ist. Es gibt Wilde, die außerhalb aller Regeln leben und sich nicht heilen lassen. Sie werden gejagt. Alle Ungeheilten werden abends bei ihren Familien eingesperrt, rigide Kontrollen sorgen für Ordnung und überwachen die Ausgangssperre. Aber auch tagsüber muss jeder sich jederzeit ausweisen können. Jungen und Mädchen gehen strikt getrennt voneinander zur Schule und haben tunlichst jeden Kontakt zu vermeiden. Es sind strenge Regeln, die es nicht ohne Grund gibt, denn würden zu viele Jugendliche merken, wie schön sich Liebe anfühlt, wie glücklich sie einen machen kann, wäre die ganze Ordnung bedroht. Zu viele Menschen würden für ihre Liebe, ihr Glück kämpfen. Und das muss natürlich verhindert werden.

Eine Geschichte wie diese habe ich noch nicht gelesen, die Liebe als Krankheit anzusehen, war mir völlig neu, und so fand ich die erzählte Geschichte mit all ihren Konsequenzen sehr spannend. Die Konstruktion der fiktiven Welt ist ausgesprochen gelungen und überzeugt auf ganzer Linie. Lauren Oliver hat an alles gedacht, ihre Charaktere und ihre Grundidee sind vollkommen glaubwürdig und passen wunderbar zusammen. Allen voran ist natürlich Lena zu nennen, aus deren Sicht die Geschichte erzählt ist und die sich ganz allmählich entwickelt: Am Anfang treffen wir ein sehr unsicheres Mädchen, das richtig Angst vor der ominösen Amor Deliria Nervosa hat, weil ihre Mutter daran zugrunde gegangen ist. Lena glaubt alles, was die Regierung ihr glauben machen will, doch ganz allmählich wachsen die Zweifel, sie wird stärker, handelt auf eigene Faust, bekommt mehr Profil und entwickelt sich zu einer starken und selbstbewussteren Persönlichkeit. Seinen Anteil daran hat natürlich Alex, der Lena erstmals das Gefühl vermittelt, etwas Besonderes zu sein und nicht nur ein durchschnittlich hübsches Mädchen, das sich nicht aus der Masse abhebt.

Zu bemängeln habe ich eigentlich nur eins, und zwar die Vorhersehbarkeit der gesamten Geschichte. Nun gut, „Delirium“ richtet sich eher an jugendliches Publikum (laut Verlag ist das Buch für Jugendliche ab 14 Jahren gedacht), da mag man das verzeihen. Als erwachsener Leser jedoch kann man praktisch von Seite 1 an die Geschichte vorausahnen. Natürlich ist klar, dass Lena, nachdem sie Alex kennen gelernt hat, eine Beziehung mit ihm eingeht und merkt, dass die Regierung doch nicht immer Recht hat mit ihren Ansichten und Regeln. Und klar kommen dadurch Konflikte zustande, die Geschichte nimmt an Tempo auf und sorgt für Spannung. Ich denke, jugendliche Leser dürften das Buch noch viel spannender finden und auch trefflich darüber diskutieren.

_Im Delirium_

„Delirium“ ist der erste Teil der „Amor“-Trilogie und erzählt die Geschichte der 17-jährigen Lena, die von der Krankheit der Liebe geheilt werden soll. Lauren Oliver zeichnet in dem Auftakt zu ihrer Trilogie eine schreckliche Welt, in der alle Menschen nach strengen Regeln zu leben haben – ohne Aussicht auf Liebesglück. Mit all seinen Konsequenzen konstruiert die Autorin diese Welt und passt ihre Charaktere daran an. Es sind faszinierende Gedanken, die im eigenen Kopf dabei entstehen, auch wenn das Buch sich eher an jugendliche Leser richtet und der erwachsene Leser sehr schnell erahnen kann, in welche Richtung sich die Geschichte entwickelt und wie sie wohl ausgehen wird. Dennoch darf man sehr gespannt sein, wie Lauren Oliver ihre Geschichte fortsetzt!

|Hardcover: 416 Seiten
Originaltitel: Delirium
ISBN-13: 978-3551582324|
http://www.carlsen.de

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