Tony Parsons zählt neben Nick Hornby zu den wichtigsten Vertretern populärer Gegenwartsliteratur. Seine Karriere startete er als Musikkritiker. In „Erzähl mir nichts von Wundern“ zeigt er jedoch, dass er weitaus mehr kann als über Musik zu schreiben. Hier zeigt er eine so weibliche und gefühlvolle Seite, dass man fast meinen könnte, dass sich eine Frau hinter diesem Namen verbergen müsste. „Erzähl mir nichts von Wundern“ stieg auf Anhieb in die englischen Bestsellerlisten ein und eroberte dort Platz 1 – und das sicher nicht unverdient.
Cat, Jessica und das Nesthäkchen Megan sind noch Kinder, als ihre Mutter Olivia Jewell die Familie verlässt, um Karriere zu machen. Von einem Tag auf den anderen ist die Mutter aus dem Leben der drei Mädchen verschwunden und die drei werden fortan mehr oder minder gut von ihrem Vater und wechselnden Au-pair-Mädchen versorgt. Doch insgeheim ist es die älteste Tochter Cat, die nicht nur eine stetig wachsende Wut ihrer Mutter gegenüber hegt, sondern die auch stets für ihre Schwestern da ist und sich sogar selbst das Kochen beibringt, damit es nicht immer nur Fertiggerichte und Tiefkühlkost gibt.
Auch wenn man es kaum für möglich halten möchte, so meistern die drei Mädchen ihre Kindheit und Jugend doch beachtlich und wachsen zu selbstbewussten und hübschen Frauen heran. Cat allerdings hat die Nase gestrichen voll vom Familienleben, sie lebt ihr eigenes Leben, arbeitet in einem angesagten Restaurant und ist froh über ihren Freund, der seine Sterilisation bereits hinter sich hat. Jessica ist das genaue Gegenteil: Nachdem sie mit 16 ein Kind abtreiben musste, versucht sie nun verzweifelt, schwanger zu werden, bevor ihre biologische Uhr allzu laut zu ticken beginnt. Ihr liebender Ehemann Paulo unterstützt sie in diesem Vorhaben, auch wenn es bedeutet, dass er mit seiner Frau nur noch Sex nach der „Eieruhr“ hat und nach Hause zu eilen hat, wenn der Eisprung erfolgt ist. Der große Kinderwunsch Jessicas belastet die Ehe, doch Paulo liebt seine Frau über alles und will kein noch so großes Problem zwischen sie treten lassen.
Megan ist derweil im letzten Jahr Ärztin im Praktikum und steht ihrer Approbation näher denn je, als sie feststellen muss, dass sie schwanger ist. Nachdem sie ihren Langzeitfreund Will mit der Hand auf dem Po einer anderen Frau erwischt hat und dieser seine Schuld sogar eingesteht und seine Untreue darauf schiebt, dass er als Mann seinen Samen nun einmal weit streuen müsse, hat Megan einen One-Night-Stand mit dem australischen Tauchlehrer Kirk, von dem sie auch gleich schwanger wird.
„Erzähl mir nichts von Wundern“ erzählt die Geschichte von drei erwachsenen Frauen, die versuchen, ihre Kindheitstraumata abzulegen und eine eigene Familie zu gründen und vor allem, ihr Glück im Leben zu finden. Doch auf dem Weg dahin sind noch einige Hürden zu nehmen, außerdem hat Tony Parsons genug Irrwege eingebaut, die die drei Frauen zu meistern haben, am Ende aber ist es wohl der Leser, der am traurigsten ist, weil er nämlich Abschied nehmen muss von drei beachtlichen Frauen, mit denen man im Laufe der Erzählung Freundschaft geschlossen hat.
Tony Parsons erzählt uns hier von Wundern, auch wenn er im Buchtitel zum Gegenteil auffordert. In dieser Geschichte lernen wir die drei Schwestern Cat, Jessica und Megan Jewell kennen, die nach dem Auszug ihrer Mutter schon früh auf sich alleine angewiesen sind und dadurch zu einem eingeschworenen Team werden. Auch im Erwachsenenalter stehen die drei jungen Frauen sich nahe wie wohl wenige Geschwister, sie treffen sich regelmäßig und teilen all ihre Sorgen.
In seiner Charakterzeichnung beweist Tony Parsons ein beachtliches Fingerspitzengefühl; hier überzeugt er auf ganzer Linie und kreiert drei Charaktere, in die man sich beim Lesen stets einfühlen kann:
Cat ist die älteste der drei Geschwister, die bereits im zarten Alter von nur elf Jahren das Leben der drei Mädchen in die Hand nimmt, als Jessica noch sieben ist und Megan ein Kleinkind von nur drei Jahren. Cat wird schneller reif und erwachsen, als ihr lieb ist, allerdings entwickelt sie auch einen tiefen Hass auf ihre egoistische Mutter, die alleine ihr eigenes Wohl im Sinn hatte, als sie ihren Mann und die drei gemeinsamen Kinder sitzen gelassen hat. Im Erwachsenenalter ist Cat zwar eine glückliche und erfolgreiche Frau, der allein ihre Freiheit wichtig ist, doch tief in sich bemerkt Cat mit der Zeit, dass sie doch noch nicht alles hat zum Glück. Sie ist überzeugt davon, den richtigen Mann fürs Leben gefunden zu haben und sieht es als Bonus, dass dieser bereits seine Familienplanung abgeschlossen hat. Doch es braucht lange, bis Cat sich eingesteht, dass Freiheit ihr nicht das Wichtigste ist.
Jessica ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von Cat, sie wirkt deutlich sensibler und unselbständiger als ihre große Schwester. Nachdem Cat in der gemeinsamen Kindheit immer für Jessica gesorgt hat, steht ihr nun ihr Mann Paulo zur Seite, der sie abgöttisch liebt und alles für seine Frau tun würde. Das erste richtige Unglück, das über Jessica einbricht, ist die ungewollte Kinderlosigkeit. Sie kennt ihren Zyklus in- und auswendig, sie misst ihre Temperatur und bestimmt gewissenhaft ihren Eisprung, um dann sogleich ihren Mann zu sich zu bestellen, um mit ihm Sex zu haben und um im Anschluss daran still liegen zu bleiben. Am Ende versuchen sie es mit künstlicher Befruchtung, bis Jessica plötzlich merkt, dass sie für diese Prozedur keine Kraft mehr hat. Sie gibt ihren großen Kinderwunsch auf, obwohl sie weiß, dass auch Paulo sich so sehr ein Baby wünscht.
Megan ist der Überflieger der drei Mädchen; sie geht ihren Weg und ist bislang problemlos durch ihr Studium und auch die weitere Zeit ihrer Arztausbildung gegangen. Megan möchte die Welt verändern und verbessern, sie möchte sich Zeit nehmen für ihre Patienten, auch wenn ihnen eigentlich nur fünf Minuten zugestanden werden sollten, doch dann macht Megan ihren ersten Fehler: Sie wird schwanger und das zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Als Megan beschließt, das Kind abzutreiben, sind es Jessica und Cat, die sie in die Klinik begleiten und ihr beistehen. Noch wissen die drei jungen Frauen allerdings nicht, wie sehr dieses Erlebnis ihr Leben verändern wird.
Tony Parsons zeichnet drei völlig unterschiedliche Charaktere, doch im Grunde genommen haben alle drei Frauen den gleichen Wunsch, sie haben in ihrer Kindheit Ähnliches durchgemacht und sind nun auf der Suche nach ihrer eigenen Familie. Diese drei authentischen Charaktere sind es, die den Reiz des Buches ausmachen. Cat, Jessica und Megan werden bei der Lektüre zu guten Freundinnen, wir stehen ihnen in allen Lebenslagen bei, wir kennen ihre Gefühle in- und auswendig und wir trauern bei allen Rückschlägen mit ihnen mit. Tony Parsons schafft es, drei Frauenfiguren zu erschaffen, die jede für sich zu überzeugen weiß und die jede für sich für einen anderen Typ Frau steht, sodass die meisten Leserinnen hier Anknüpfungspunkte finden werden. In allen Situationen bleiben die Frauen glaubwürdig, auch wenn Parsons sich zugegebenermaßen an manchen Stellen doch einiger Klischees bedient. Auch ist das Buch sicherlich nicht frei von Kitsch – insbesondere wenn man an das Buchende denkt -, doch sieht man Parsons dies alles nach, weil er uns einen so gefühlvollen Einblick in das Leben der drei Jewel-Frauen ermöglicht und uns dabei selbst zum Nachdenken animiert, dass man über derlei Nebensächlichkeiten gerne hinwegsieht.
Tony Parsons schreibt über Frauen, über unerfüllte Kinderwünsche, über Abtreibung, künstliche Befruchtung, Beziehungsprobleme und den Wunsch nach einem kleinen bisschen Glück, und jedes Thema schildert er eindrucksvoll und einfühlsam. Es ist erstaunlich, wie glaubwürdig er die Probleme, Wünsche und Gedanken seiner drei weiblichen Protagonistinnen schildern kann, da könnten sich durchaus einige Autorinnen eine Scheibe abschneiden.
„Erzähl mir nichts von Wundern“ ist ein wundervoller Roman über das Leben, über die Liebe, über die Familie und über geheime Sehnsüchte, es ist ein Buch, das zum Träumen einlädt, zum Nachdenken anregt und für wohlige Stimmung beim Lesen sorgt. Als ich das Buch am Ende zuklappte, hatte ich einen Kloß im Hals und feuchte Augen, weil „Erzähl mir nichts von Wundern“ mich so gefangen genommen hat, dieses Buch hat mich in eine andere Welt entführt und mir ganz erstaunliche Frauen vorgestellt, die versuchen, ihren Weg zu gehen. Leider dürfen wir als Leser nur einen Teil des Weges mit ihnen gehen, aber auch dies ist ein wirklicher Gewinn!
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