Redick, Robert – Windkämpfer (Die Reise der Chatrand 1)

_Pazel Pathkendle ist ein Teerjunge_, einer jener flinken, schmutzigen Burschen, die auf den Segelschiffen von Alifros sämtliche Hilfsarbeiten verrichten, vom Ställe ausmisten und Latrinen putzen bis zum Taue und Segel flicken. Dabei ist er eigentlich ein intelligenter Bursche, der außer seiner Muttersprache noch vier andere spricht und aus guter Familie stammt. Doch seit der Eroberung seiner Heimatstadt Ormael durch die Flotte des Kaiserreiches von Arqual ist er auf sich allein gestellt. Zumindest fast, denn ein ehemaliger Freund der Familie, der Arzt Ignus Chadfallow, mischt sich immer wieder in Pazels Leben ein. So auch jetzt, doch diesmal hat das sehr weitreichende Folgen, und nicht nur für Pazel …

Tascha Isiq ist die Tochter eines Kriegshelden, jenes Admirals, der einst Ormael für Arqual eroberte. Und sie ist kurz davor, das Lorg zu verlassen, jenes Mädchenpensionat, auf das sie zu schicken ihr Vater vor zwei Jahren bestanden hat. Tascha ist unendlich erleichtert, diesem Ort zu entkommen, doch als sie zu Hause ankommt, teilt ihr Vater ihr mit, dass sie heiraten wird. Und zwar nicht irgendjemanden, sondern einen Prinzen des Mzithrin, des Erzfeindes von Arqual. Keine Frage, dass Tascha das unter keinen Umständen will. Dennoch bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter nach Simja einzuschiffen, wo die Hochzeit stattfinden soll. Es ist dasselbe Schiff, auf dem nach Einmischung von Ignus Chadfallow auch Pazel gelandet ist …

_Robert Redick hat seine Geschichte_ mit einer ganzen Menge Charaktere bevölkert. Die wichtigsten sind natürlich Pazel und Tascha:

Pazel hat so ziemlich alles vorzuweisen, was ein ordentlicher Held braucht: Er ist mitfühlend, ehrlich, mutig und nicht auf den Kopf gefallen. Allerdings hat er gelegentlich auch ein etwas vorlautes Mundwerk, das er bei weitem nicht so gut im Zaum halten kann wie seine Fäuste, obwohl er genau weiß, dass es ihn in mindestens ebenso große Schwierigkeiten bringen kann wie eine Prügelei. Außerdem besitzt er eine Gabe, die seine Mutter, eine Zauberin, ihm sozusagen angehext hat: Er braucht eine fremde Sprache nur irgendwo zu hören oder zu lesen, und schon beherrscht er sie. Dummerweise geht diese Fähigkeit mit einer unangenehmen Nebenwirkung einher: Danach hat Pazel eine Zeit lang massive Verständigungsschwierigkeiten, er kann weder verständlich sprechen noch andere verstehen. Seine Umgebung hat dafür eher wenig Verständnis, weshalb Pazel alles tut, um diese Gabe zu unterdrücken, mit eher mäßigem Erfolg.

Auch Tascha besitzt eine für eine vornehme Admiralstochter ungewöhnliche Fähigkeit: Sie kann kämpfen, sowohl mit als auch ohne Waffe. Gelernt hat sie das heimlich von ihrem Tanzlehrer und Freund Hercól, die strategische Denkweise hat sie von ihrem Vater geerbt. Nimmt man noch ihren Dickschädel dazu, dann kommt eine recht anstrengende, aber auch nicht zu unterschätzende Persönlichkeit dabei heraus.

Dann wäre da noch Sandor Ott, der Meisterspion des Kaisers und Chef des Geheimdienstes. Ein gefährlicher Mann, glatt wie ein Aal, zielstrebig und absolut gnadenlos. Einst hat er den Eid geschworen, sein Leben dem Wohl des Kaiserreiches Arqual zu widmen, bis über den Tod hinaus. Diesen Eid nimmt Ott sehr ernst. Ein wenig zu ernst, wenn man es recht betrachtet. Das Einzige, das ihm womöglich genauso wichtig sein könnte, wäre vielleicht seine Geliebte. Aber sicher bin ich mir da nicht.

Kapitän Rose dagegen ist ein äußerst merkwürdiger Kerl. Er ist der Kapitän der |Chatrand|, des letzten riesigen Schiffes aus der alten Zeit, das noch in der Lage ist, die Herrschersee zu befahren. Das Schiff ist der Stolz der Nation und seiner Reederin, und es ist eine Ehre, sein Kapitän sein zu dürfen. Nilus Rotheby Rose dagegen scheint darüber nicht wirklich erfreut. Er wirkt unruhig, ja gehetzt. Und er gibt einen sehr seltsamen Kurs vor …

Zu guter Letzt muss ich noch Diadrelu erwähnen. Diadrelu ist eine Ixchel, und was immer die Ixchel genau sein mögen, sie sind jedenfalls sehr klein, aber auch sehr findig und sehr kriegerisch. Die meisten von ihnen hassen die Menschen – nicht ohne Grund – und misstrauen ihnen zutiefst, vor allem ihr hitzköpfiger Neffe Taliktrum. Diadrelu dagegen betrachtet die Riesen, wie die Ixchel die Menschen nennen, etwas differenzierter, was ihre Autorität über den Clan ziemlich beansprucht.

Mir hat die Charakterzeichnung wirklich gut gefallen. Alle Figuren sind lebendig und glaubwürdig geraten, auch die weniger wichtigen Randfiguren wie Keth oder Jervik. Selbst die kleine Romanze, die sich zwischen Tascha und Pazel anbahnt, wirkt nicht platt oder gekünstelt. Allein der Bösewicht der Geschichte, der allerdings erst sehr spät auftaucht, droht ein wenig ins Klischee abzurutschen, aber das kann sich ja noch fangen.

_Die Handlung_ wirkt zunächst wie die Androhung eines komplizierten Knäuels, doch das legt sich, denn alle Handlungsfäden führen ziemlich rasch zu ein und demselben Punkt, nämlich der |Chatrand|, wo nahezu sämtliche Personen, die eingeführt wurden, früher oder später eintreffen. Und während die |Chatrand| durch die Wellen pflügt, treffen die einzelnen Personen in den unterschiedlichsten Konstellationen aufeinander, jedes Mal fließen ein paar kleine Informationen, und allmählich entsteht das Bild eines Komplotts, in dessen Zentrum Tascha steht. Keine Frage, dass Pazel versuchen muss, den Beteiligten einen Strich durch die Rechnung zu machen. Nur ist das leichter gesagt als getan …

Das klingt jetzt fast ein wenig fade, zumal das Komplott selbst fast ein wenig absurd erscheint, vor allem durch seine extrem lange Planungszeit. Kaum zu glauben, dass über diesen langen Zeitraum hinweg nichts dazwischen gekommen sein soll, das die Ausführung verhinderte. Andererseits ist der Aufbau dieser Fall wiederum so hinterhältig und klingt dermaßen nach bereits real praktizierter Politik, dass er fast schon wieder genial genannt werden könnte. Zudem würzt der Autor das Ganze mit der späten Erkenntnis, dass an dieser Sache mehr als nur eine Gruppe von Verschwörern herumgebastelt hat!

_Robert Redick hat seine Geschichte_ in einer Welt angesiedelt, die schon einiges an Vergangenheit hinter sich hat: große technische Errungenschaften, die bereits teilweise wieder verloren gegangen sind, Kenntnisse über ferne Kontinente, die längst wieder in Vergessenheit geraten sind, Legenden von magischen Artefakten aus ferner Vorzeit und natürlich diverse Kriege und Eroberungen. Hier zeigt sich schon, dass Alifros seine Glanzzeit bereits hinter sich hat.

Magie spielt bisher eine eher dezente Rolle; außer Pazels magischer Gabe des Sprachen Erlernens taucht lediglich ein Zauberer aus einer anderen Welt auf, der mit Tascha befreundet ist, zunächst aber nicht allzu aktiv ist. Erst gegen Ende der Geschichte rückt der Aspekt der Magie mehr in den Vordergrund. Seinen Charme erhält dieser fast schlichte Weltentwurf vor allem durch seine besonderen Geschöpfe wie die Ixchel, die Murten im Meer, die Flikker und die erwachten Tiere, allen voran die sprechende Ratte Feltrup.

All das erzählt der Autor ausgesprochen abwechslungsreich. Die gelegentlich eingestreuten Rückblenden lockern den Aufbau der Geschichte ebenso auf wie die Einträge aus dem persönlichen Tagebuch des Quartiermeisters und die Briefe von Kapitän Rose an seinen Vater. Die einzelnen Handlungsstränge werden gekonnt ineinander geführt, sodass die Handlung sich glatt und ohne Hänger entwickeln kann. Nur an einem Punkt bin ich ein wenig hängengeblieben: Warum in aller Welt wollte Doktor Chadfallow unbedingt, dass Pazel die Eniel verlässt? Hätte er ihn dort gelassen, wäre Pazel wahrscheinlich nicht auf der |Chatrand| gelandet, wo der Doktor ihn noch viel weniger haben wollte. Vielleicht liefert der nächst Band dafür ja noch eine logische Erklärung.

_Insgesamt_ fand ich das Buch sehr gelungen. Übergroße Spannung kann man ihm nicht gerade bescheinigen; lediglich gegen Ende, als der Leser endlich weiß, mit wem er es zu tun hat, zieht der Spannungsbogen an. Dafür bietet es sympathische, lebendige und nachvollziehbare Helden ohne übertrieben mächtige Fähigkeiten oder andere Klischees, einen etwas aufwändigen, aber tückischen Plott, viele fantasievolle Geschöpfe und noch eine Menge ungelöster Rätsel, zum Beispiel die Frage, welche Rolle die Herzogin Oggosk und ihre ungewöhnliche Katze in der ganzen Sache spielen, oder wieso einer der hervorragenden tholjassanischen Kämpfer ausgerechnet als Tanzlehrer arbeitet. Auf die Antworten bin ich jetzt schon gespannt.

_Robert Redick_ lebt in Massachusetts und gehört zu den Autoren, die schon als Kinder Geschichten schrieben. Nach diversen Studiengängen, darunter Literatur und Russisch, war er viel auf Reisen. Inzwischen arbeitet er als Dozent an der Clark University und als Redakteur für |Oxfam|. „Windkämpfer“ ist der erste Band seines Zyklus |Die Reise der Chatrand|, dessen zweiter Band diesen Monat auf Englisch erschien.

|Originaltitel: The Red Wolf Conspiracy 1
Aus dem Amerikanischen von Irene Holicki
Paperback, Broschur, 736 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-52466-8|
http://www.redwolfconspiracy.com
http://www.heyne.de

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