Robinson, Peter – unschuldige Engel, Der

_Ein Mord_ erschüttert die Kleinstadt Eastvale. An einem nebligen Novemberabend wird die Leiche der sechzehnjährigen Deborah auf dem Friedhof erwürgt aufgefunden. Das Motiv gibt Inspector Banks Rätsel auf, denn die hübsche, kluge Deborah aus gutem Haus schien weder Feinde zu haben, noch wurde sie sexuell missbraucht.

Dennoch gibt es einige Merkwürdigkeiten: Verdächtigt wird vor allem der ehemalige kroatische Küster, der die Mädchens der Internatsschule belästigt haben soll; der Pfarrer ist in einen Skandal verwickelt, seine Frau spricht von Besuchen bei einem Engel und Deborahs Exfreund John ist in einige kriminelle Machenschaften involviert. Trotzdem gestalten sich die Ermittlungen schwierig, denn die Bewohner des Städtchens arbeiten nur widerwillig mit der Polizei zusammen.

Schließlich wird ein Verdächtiger verhaftet und angeklagt, die Beweislage aber ist zweifelhaft, ebenso wie das Motiv. Banks ist von seiner Schuld nicht überzeugt. Und tatsächlich muss der Fall bald wieder aufgerollt werden – und dann geschieht ein zweiter Mord …

_Der achte Fall_ von Inspector Banks führt ihn wieder einmal in eine beschauliche englische Kleinstadt, hinter deren sauberer Fassade dunkle Geheimnisse lauern.

|Fokus auf Sozialkritik|

Trotz mehrerer Verdächtiger ahnt man früh: Die Suche nach dem Mörder wird nicht leicht. Am liebsten wäre der Polizei und den Einwohnern von Eastvale wohl, wenn der kroatische Sonderling Jelacic als Täter dingfest gemacht werden könnte. Er spricht nur gebrochen Englisch, musste mehrere Beschwerden von Schülerinnen entgegennehmen und sein Alibi, das er von befreundeten Landsmännern erhält, klingt nicht unbedingt wasserdicht.

Banks lässt auch das engste Umfeld der Ermordeten nicht aus dem Blickfeld, sogar ihre Eltern werden als potenzielle Täter betrachtet. Am deutlichsten aber weisen die Indizien auf Owen Pierce hin, einen Berufsschullehrer, der kein Alibi besitzt und Haare sowie einen Blutstropfen von Deborah auf seiner Kleidung trägt. Was nach der Verhaftung folgt, ist ein ausgedehnter Prozess mit Expertenmeinungen, chemischen Analysen und einer Vorverurteilung durch Medien und Volk, auch wenn Owen Pierce zunächst freigesprochen wird.

Weite Teile der Handlung widmen sich nun seinem Leben nach dem Prozess. Er verliert seinen Job und die restlichen Freunde, wird gemieden bis angefeindet und ist beim zweiten Mord, der erhebliche Parallelen aufweist, erneut der Hauptverdächtige. An ihm wird deutlich, wie sehr ein Leben durch solche Verdachtsmomente zerstört werden kann, was beinahe noch mehr bewegt als die Morde an den zwei jungen Mädchen.

|Gelungene Charaktere|

Interessant ist neben Owen Pierce vor allem das Ehepaar Charter. Die schöne rothaarige Rebecca Charter besitzt offensichtlich ein Alkoholproblem und sucht regelmäßig Trost bei der steinernen Engelfigur auf dem Friedhof. Einerseits liebt sie ihren Mann Daniel noch immer, andererseits führt sie seit geraumer Zeit eine Affäre, die im Zuge der Ermittlungen ans Licht kommt. Daniel Charter hingegen steht in der öffentlichen Kritik, seit der ehemalige Küster Jelacic ihn der sexuellen Belästigung beschuldigte. Mag diese Bezichtigung auch lächerlich wirken, sie verfehlt ihre Wirkung nicht und Daniel steht in der Gemeinde unter großem Druck.

Ein besonderes Spannungsverhältnis besteht auch zwischen Banks und Polizeichef Riddle, der keine Gelegenheit auslässt, um den verhassten Banks in schlechtem Licht darzustellen. Als guter Freund der Eltern der ermordeten Deborah legt er Wert darauf, dass die Familie so wenig wie möglich durch die Polizei belästigt wird – erst recht, da es sich bei Sir Harrison um einen einflussreichen Großindustriellen handelt, sodass jeder Schritt und jede Befragung von Banks kritisch betrachtet wird. Schwierigkeiten gibt es zudem mit Banks‘ Kollegen Barry Stott, einem jungen, ehrgeizigen Beamten, der unbedingt eine schnelle Verhaftung erzwingen will und sich auf Pierce als Täter versteift hat.

|Einige Schwächen|

Durch die Fokussierung auf die Verhandlung und das Leben des vermeintlichen Täters Owen Pierce gerät die Spannung ein wenig ins Hintertreffen. Die Suche nach dem Mörder wird zwischendurch eingestellt und statt eines Krimis liest man derweil eher ein Sozialdrama – zwar kein schlechtes, doch trifft man damit vermutlich nicht die Erwartungen der Leser, außerdem ist der Prozess unnötig ausführlich und lenkt vom eigentlichen Thema ab.

Ein weiteres Manko ist das etwas konstruierte Ende. Der Täter passt zwar ins Geschehen und sein Motiv ist durchaus schlüssig, aber die Beweise beruhen auf mehreren glücklichen Zufällen, so etwa der Fund eines Tagebuchs mit detaillierten Eintragungen. Da diese Zufallsfunde auch noch recht gedrängt gegen Ende gemacht werden, wirken sie einfach zu konstruiert. Zwei Tippfehler, die mir aufgefallen sind, stören nicht weiter, unschön ist allerdings die fälschliche Schreibung des berüchtigten Mörders Dennis Nilsen, der hier „Nilson“ geschrieben wird.

_Als Fazit_ bleibt ein lesenswerter, aber dennoch eher durchschnittlicher Inspector-Banks-Krimi über einen Mädchenmord. Die Charaktere sind zwar recht interessant, ebenso wie die sozialkritische Handlung, doch die Spannung wird deutlich davon überlagert und am Ende etwas zu sehr der Zufall bemüht.

_Der Autor_ Peter Robinson wurde 1950 in Yorkshire geboren. Er studierte englische Literatur und lebt seither in Toronto. Bekannt wurde er hauptsächlich mit seiner Kriminalreihe um Inspector Alan Banks, die mittlerweile mehr als fünfzehn Bände umfasst und für die er bereits mehrere Preise erhielt, z. B. den „Arthur Ellis Award“ und den „Schwedischen Krimipreis International“. Zu seinen Werken gehören u. a. „Ein unvermeidlicher Mord“, „In blindem Zorn“, „In einem heißen Sommer“ und „Wenn die Dunkelheit fällt“.

http://www.inspectorbanks.com/

_Mehr von Peter Robinson auf |Buchwurm.info|:_

[„Wenn die Dunkelheit fällt“ 185
[„Das verschwundene Lächeln“ 1170
[„Ein seltener Fall“ 5169

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