Scholder, Christoph – Oktoberfest

_Der internationale Terrorismus_ ist seit dem 11. September 2001 allgegenwärtig. Schon viele Nationen und Großstädte sind Opfer von ideologisch verblendeten Terroristen geworden, und zumeist waren es zivile Ziele wie in New York, Madrid und Tokio. Auch in Russland, so erinnern wir uns gut, kam es zu Anschlägen in der Schule in Beslan, als tschetschenische Terroristen etwa 1100 Menschen, hauptsächlich Kinder, in ihrer Gewalt hatten. Die Situation eskalierte und offiziellen Meldungen zufolge gab es bei dieser Geiselnahme über 300 Todesopfer zu beklagen.

Hier in Deutschland ist die Bedrohung durch Terrorismus zurzeit recht groß. Die Geheimdienste vermuten reelle Pläne für Attentate auf zivile oder gar politische Ziele. In jedem Fall kann man davon ausgehen, dass es wohl Ziele sind, die eine größtmögliche Opferzahl und damit auch die wahrscheinlich größte Aufmerksamkeit garantieren.

Jetzt zur Weihnachtszeit wäre eine gut platzierte Bombe auf dem Nürnberger Christkindlmarkt der Alptraum unseres Staates und seiner Behörden! Doch welche Präventionsmaßnahmen schützen uns, und wenn, können sie uns wirklich vor den Plänen radikaler Terroristen schützen? Ein klares „Nein“ ist hier leider die einzig logische Antwort. Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz, höchstens eine zeitliche Verschiebung, aber gegen Menschen, denen ihr eigenes Wohl und das ihrer Mitmenschen leidlich egal ist, kann man sich nicht schützen.

Vor zwei Monaten, und damit pünktlich zum alljährlichen Oktoberfest in München, auch im Volksmund als „die Wiesn“ tituliert, erschien der Thriller „Oktoberfest“ von Christolph Scholder. Dessen literarische Sprengkraft versprach den einen oder anderen nervösen Spaziergang durch die Reihen und Bänke innerhalb der Festzelte. Nicht wenige Münchner Tageszeitungen und deren Berichte hinterließen ein Schaudern und ein beklemmendes Gefühl, besonders bei den Lesern, die wenige Tage zuvor das Buch in ihren Händen hielten und sich in ihrer Fantasie die Schreckensvisionen des Autors als reelle Gefahr vorstellten. Eine bessere PR-Arbeit gab es nicht für den ebenfalls in München ansässigen Verlag |Droemer Knaur|.

Ein Terrorakt auf deutschem Boden, und als Schauplatz das traditionelle Münchner Oktoberfest gewählt – für die Münchner und deren Stadtobere ist das alles andere als alltäglich. Ebenso könnte man hier den Kölnern den Spaß am Karnevalsumzug nehmen, das wäre für die Jecken ebenso eine indiskutable Bühne. Christoph Scholder ist aber ein Schelm, ein talentierter obendrein, der es versteht, mit Spannung ein wenig Schrecken zu verbreiten, aber ohne prophetische Talente zu offenbaren.

_Inhalt_

Wie jedes Jahr laufen schon im späten Frühling die Vorbereitungen für das Oktoberfest auf der Theresienwiese in München auf Hochtouren. Der personelle und logistische Aufwand bedeutet viel Stress, aber auch die Möglichkeit, sich zu profilieren und natürlich auch zu profitieren. Es gibt unzählige Aufträge, die jedes Jahr für die Lieferanten, Speditionen und Großhändler ausgeschrieben werden, ein Millionengeschäft für die Glücklichen, die diese Chance wahrnehmen können.

Doch was niemand weiß, unter den Männern, die hier munter die Bierzelte hochziehen, Leitungen verlegen und die Wasserversorgung aufbauen: Es befinden sich 90 Elite-Soldaten vor Ort, aktive Speznas-Soldaten der russischen Armee unter der Führung des charismatischen Oleg Blochin. Doch ab diesem Augenblick sind sie keine Soldaten mehr, sie sind zu Söldnern geworden, die nur wenig später die deutsche Bundesregierung erpressen werden.

Oleg Blochin, der von seinen Männern verehrt und respektiert wird, gilt als äußerst brutal und verfolgt sein Ziel mit allen Mitteln. Er stellt der deutschen Regierung ein Ultimatum: Entweder beschafft der Staat Rohdiamanten im Wert von zwei Milliarden Euro oder es wird ein Kampfgas freigesetzt und tausende von Menschen sterben auf äußerst spektakuläre und qualvolle Weise. Für die Bundesregierung, die seit Jahrzehnten keinerlei Bedrohung durch Terroristen zu fürchten hatte, ist es ein Alptraum. Wie soll sich der Bundeskanzler verhalten? Ein Staat darf keine Schwäche zeigen, darf sich nicht beugen unter dem idealistischen Joch krimineller Massenmörder, die durch Terror Angst und Schrecken verbreiten!

Schnell wird innerhalb der Regierung reagiert, in München werden die ersten Krisenstäbe einberufen und man ahnt bereits, dass man neben den Spezialkräften von der GSG9 eventuell auch die Bundeswehr aktivieren sollte.

Als eine Einheit der Polizei vorschnell ein Zelt stürmen will, um die Terroristen unschädlich zu machen und die dort gefangen gehaltenen Menschen zu retten, zeigt es sich, wie überaus penibel und vorausschauend die Geiselnehmer sich vor Angriffen von außerhalb geschützt haben. Mit brutaler und eiskalter Taktik töten die ehemaligen Soldaten durch den Gaseinsatz die Besucher eines Zeltes und die Polizisten gehören gleich mit zu den ersten Opfern.

Als Ass im Ärmel der Regierung wird nun Wolfgang Härter in die Krisensituation berufen. Härter ist Kapitän zur See und Chef der wohl geheimsten Abwehrtruppe des deutschen Geheimdienstes – „Alpha & Omega“. Deren Existenz ist nur dem Verteidigungsminister geläufig, die letzten Einsätze sind nicht bekannt, doch es scheint, als wäre Härter die einzige Lösung, um eine Katastrophe auf der Wiesn gar nicht erst stattfinden zu lassen …

_Kritik_

„Oktoberfest“ von Christoph Scholder ist sein Debüt im Thriller-Genre. Der Autor scheint ein Perfektionist zu sein, das beweist alleine schon der Aufbau der Handlung. Mit einem präzisen Sinn auch für das kleinste Detail beschreibt der Autor, wie die Befehlsketten des Krisenstabes aufgestellt sind oder auf welchem Stand die Waffen- und Fernmeldetechnik ist. Hier weiß der Leser, dass der Autor ganze Arbeit geleistet hat mit seinen Recherchen.

Auch wenn „Oktoberfest“ ein fiktiver Thriller ist, so wirkt dieser sehr schnell authentisch, nicht zuletzt aufgrund der mikrofeinen Einzelheiten. Wann aus der Spannung eines Romans für Menschen brutaler Ernst werden kann, ist nicht vorhersehbar, aber gar unmöglich ist die Idee eines Christoph Scholders auch wieder nicht.

Eine solche Geiselnahme kommt einem Selbstmordkommando recht nahe. Doch auch hier ist die minutiöse Vorbereitung prophylaktisch zu sehen, denn sonst, das wissen auch die Geiselnehmer, wäre diese riskante Operation von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Welchen Background die Geiselnehmer haben, zeigt sich in einigen Zeitsprüngen in die Vergangenheit. Sehr ausführlich wird hier erzählt, wie brutal das Vorgehen der Soldaten in Afghanistan ist und wie die Einheit Jahre später im Tschetschenienkrieg in der hart umkämpften Stadt Grosny agiert.

Christoph Scholder nimmt in „Oktoberfest“ langsam an Fahrt auf. Es dauert ein wenig, bis man auf der Wiesn ankommt und Zeuge der Geiselnahme wird. Man könnte fast schon sagen, dass der Vorgeschichte zu viel Platz eingeräumt wurde.

Der Plot um eine Geiselnahme ist auch in der Spannungsliteratur nichts Neues oder Überraschendes. Christoph Scholder schreibt zwar spannend und fesselnd, aber hin und wieder gilt es die eine oder andere Klippe weitläufig zu umschiffen, an der sich die Spannungsmomente brechen. Es gibt wenige Momente, die dem Leser den Atem beim Lesen nehmen, da es immer ein wenig an Zeit benötigt, bevor wirklich Spannung aufkommt. Es gibt einige heikle Situationen auch für Wolfgang Härter, der bei einem Befreiungsversuch als Einziger überlebt. Das ist eine der spannendsten Passagen in diesem Buch. Vielleicht sind auch der Klappentext und das auffällige Cover daran schuld, dass der Leser eine zu hohe Erwartungshaltung an den Titel hat, doch mehr als ein solider, zeitweise spannender Thriller ist „Oktoberfest“ nicht.

Ein deutliches und allzu offensichtliches Manko ist, dass der Autor sich gerne und recht oft an einigen Filmen und Büchern orientiert. Dem einen oder anderen werden schnell und in aller Deutlichkeit einige Szenen bekannt vorkommen. Auch die Ähnlichkeit der charakterlichen Konzeption eines Kapitäns zur See wirft unweigerlich eine Verwandtschaft zu James Bond auf. Sein britischer Kollege diente hier wohl als Vorbild; keine Seltenheit möchte man annehmen, aber muss es denn so offensichtlich sein?

Die Bösewichte wirken leider auch stereotypisch und überzeugen auch nicht durch viel Originalität, einzig und allein die Ausflüge in die Vergangenheit werfen hier Spannung ab. Zum Ende der Handlung hin und zur finalen Konfrontation erwartet den Leser auch nichts Überraschendes. Eher zügig ist dann auch Schluss, und das, was bleibt, kann in Enttäuschung münden.

_Fazit_

„Oktoberfest“ von Christoph Scholder ist ein solider und zeitweise spannender Thriller, der für ein Debüt gut, aber deutlich ausbaufähig ist.

Die Spannung verliert aufgrund der Detailverliebtheit des Autors viel an Möglichkeiten. Allerdings muss auch lobend erwähnt werden, dass der Autor offensichtlich weiß, worüber er schreibt. Deutlich überzogen dagegen wirkt der Charakter unseres Helden, der zwar nicht die Lizenz zum Töten benötigt, aber doch wie der kleine Bruder von James Bond wirkt.

Mit wenigen Ecken und Kanten ausstaffiert, suggeriert der Autor seinem Helden die relative Unsterblichkeit und Überheblichkeit. Eine feinere Charakterzeichnung bei allen Protagonisten wäre hier dienlicher gewesen.

„Oktoberfest“ ist auch im Dezember zu empfehlen. Trotz leichter Debüt-Fehler würde ich mich trotzdem freuen, bald ein neues Buch des Autors in den Händen zu halten. Aller Anfang ist bekanntlich schwer, und auch wenn hier der Weg das Ziel sein mag, so ist erkennbar, dass sich der Autor auf einem sicheren Pfad bewegt.

|Hardcover: 640 Seiten
ISBN-13: 978-3426198889|
[www.droemer-knaur.de]http://www.droemer-knaur.de

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