Singapur: Fernab der Heimat kreuzen sich hier die Wege zweier Italiener, die sich zu Hause wohl gegenseitig nie wahrgenommen hätten. Der eine ist der unkonventionelle Weltenbummler Rodolfo, der sich seinen Lebensunterhalt als selbstständiger Übersetzer verdient, der andere ist Marco, der Boss eines großen internationalen Bauunternehmens. Auf den ersten Blick haben beide gar nichts gemeinsam. Allein in der Fremde entdecken sie allerdings ein paar Gemeinsamkeiten. Rodolfo hat stets unabhängig gelebt, Marco hat sich durch seine frühe Heirat schon sehr bald unter die Fittiche seiner Frau begeben, träumt aber heimlich immer noch von der Freiheit und Unabhängigkeit, die Rodolfo auslebt.
Die beiden ziehen regelmäßig zusammen durch die Kneipen Singapurs, doch ihre Freundschaft ist nur von kurzer Dauer. Marco steht eines Tages verzweifelt vor Rodolfos Tür und vertraut ihm einen Schließfachschlüssel und eine große Summe Bargeld an – für den Fall, dass ihm etwas zustoßen sollte. Außerdem trägt er Rodolfo auf, sich im Fall der Fälle darum zu kümmern, dass seine Geliebte Diana das Land verlassen kann. Rodolfo willigt ein und schon kurze Zeit später liegt es an ihm, zu seinem Versprechen zu stehen, denn Marcos verbrannte Leiche wird gefunden.
Rodolfo nimmt Diana zunächst einmal bei sich auf, bis er die nötigen Papiere besorgt hat und sie das Land verlassen kann. Doch so einfach kommt er aus der ganzen Geschichte nicht wieder heraus. Rodolfo steckt schon sehr bald in ernsthaften Schwierigkeiten und wird zu einer Figur in einem Spiel, dessen Regeln er nicht zu durchschauen vermag.
Reichlich Vorschusslorbeeren kann Giancarlo Narciso bei der deutschen Erstveröffentlichung seines zweiten Romans vorweisen. Lobeshymnen in der italienischen Presse und dann noch die Auszeichnung mit dem renommierten Preis „Premio Tedeschi“. Zusammen mit dem überaus poetisch anmutenden deutschen Titel „Die schöne Hand des Todes“ erscheint das sehr viel versprechend, wobei aber zumindest Letzterer völlig falsche Erwartungen weckt.
Wer vom Titel auf den Inhalt schließt, der könnte enttäuscht werden. Was der Titel an sprachlicher Finesse und Poesie verspricht, das sucht man im Roman leider vergeblich, so dass auf jeden Fall die Frage berechtigt ist, warum der Verlag zu dieser Irreführung greift. In meinen Augen könnte man als Leser eine wesentlich realistischere Erwartungshaltung entwickeln, wenn man auch für die deutsche Ausgabe beim Originaltitel „Singapore Sling“ (Marcos Lieblingscocktail) geblieben wäre. Dementsprechend brauchte ich zu Beginn des Romans überraschend lange, um damit warm zu werden. Es gilt eben erst einmal, die eigene Erwartungshaltung komplett umzustülpen und sich während des Lesens umzuorientieren.
Hatte ich mir aufgrund von Klappentext, Titel und Titelbild eine exotische, atmosphärisch dichte, spannende Geschichte mit ausgefeilter, poetischer Sprache erhofft, so entpuppte sich der Roman als wesentlich nüchterner, gradliniger und weniger exotisch – wenngleich dennoch sehr spannend. Narcisos Thriller ist mit gerade einmal 283 Seiten recht kompakt geraten. Man wird unvermittelt in die Geschichte hineingestoßen, Figuren und Atmosphäre werden nicht gerade ausschweifend skizziert, aber etwa ab der Mitte wird die Geschichte dann so spannend, dass man möglichst schnell erfahren will, wie sie endet.
Der Plot, den Narciso inszeniert, hat es wirklich in sich. Rodolfo wird in eine verzwickte Geschichte hineingezogen, in der es viele unterschiedliche Interessen gibt. Jeder verfolgt seine eigenen Ziele und wer auf welcher Seite steht, wer vertrauenswürdig ist und wer falsch spielt, ist schwer zu entschlüsseln. In dieser Hinsicht ist Narcisos Roman wirklich sehr gut gelungen. Auch sein Spannungsaufbau weiß zu überzeugen. Die Geschichte entwickelt sich mit steigender Seitenzahl zunehmend rasanter und undurchsichtiger, so dass man schon wirklich konzentriert folgen muss, um nicht den Faden zu verlieren. Im Angesicht der Achterbahnfahrt, auf die Narciso Leser und Figuren zum Ende hin schickt, kann einem schon mal schwindelig werden.
Raffiniert knüpft Narciso Verbindungen zwischen unterschiedlichen Figuren und inszeniert einen frühen Showdown, der noch längst nicht das Ende markiert. Nach dem Showdown folgt eine kleine Verschnaufpause, die Leser und Figuren kurz wieder Atem schöpfen lässt, um sie dann mit einem letzten Knall zum Ende der Geschichte zu schicken. Danach bleibt der Eindruck eines „runden“ Romans. Die Geschichte wirkt in sich stimmig, der Plot gut konstruiert, wenngleich der eine oder andere kleinere Schwachpunkt im Gedächtnis bleibt. Die Motive des Täters lassen sich zwar begründen, bleiben aber in meinen Augen auch etwas blass und können somit nicht die letzten Zweifel ausräumen.
Ähnlich blass bleiben teilweise die Figuren. Insbesondere Rodolfo lässt einige Fragen aufkommen. Seine Person wirkt sehr verschlossen und kalt. Obwohl er Frau und Kind hat, sitzt er einsam am anderen Ende der Welt und schafft es höchstens einmal im Jahr, sich bei seiner Familie zu melden. Er wirkt irgendwie leblos und innerlich leer. Diesen Eindruck kann Narciso zwar zum Ende des Romans etwas relativieren, dennoch bleibt Rodolfo uns etwas schwer begreiflich. Ähnlich sieht es mit seinem Verhalten aus. Für meinen Geschmack bewegt er sich fast schon zu souverän durch dieses verzwickte, undurchsichtige Spiel, um bis in den letzten Winkel glaubwürdig zu sein. Einerseits bringt er bestimmten Figuren (obwohl er keinen Grund dazu hätte) überraschend viel Vertrauen entgegen, andererseits kann man ihm kaum Leichtgläubigkeit vorwerfen, so souverän, wie er oftmals die Lage meistert. Das ist ein etwas sonderbarer Widerspruch.
Auch die übrigen Figuren strahlen eine gewisse Kühle aus, die in einem etwas merkwürdigen Kontrast zur schwülen Hitze Singapurs steht. Sonderlich nah geht uns keine der Figuren, was sicherlich auch in der Kompaktheit der Handlung begründet liegt. Narciso konzentriert sich eindeutig auf seinen ausgeklügelten, rasanten Plot, der wirklich überzeugend und durchgängig spannend ist. Figuren und Atmosphäre treten dabei etwas in den Hintergrund.
Ein weiterer Reiz des Romans ist der Handlungsort. Singapur als Ort einer Thrillerhandlung bekommt man nicht sehr oft serviert, so dass die Atmosphäre und das ganze Drumherum des Romans zwangsläufig etwas aus dem Rahmen gewohnter Klischees fallen müssen. Das tun sie letztendlich auch. Narciso hat selbst jahrelang in Singapur gelebt und pendelt heute zwischen Mailand und Indonesien. Er kennt das Land also aus eigenen Erfahrungen und hegt eine besondere Beziehung zu Südostasien allgemein.
Dass das Bild, das Narciso von Singapur zeichnet, also absolut realistisch ist, daran kann kein Zweifel bestehen. Trotzdem dauert es sehr lange, bis er diesen Vorteil voll ausspielt. In dem Handlungsort steckt mit Blick auf die Atmosphäre des Romans ein großes Potenzial, das Narciso leider nicht hundertprozentig ausschöpft. Ein Punkt, in dem die Kompaktheit des Romans etwas bedauerlich ist. Es entsteht zwar ein interessantes Bild von Singapur, zumal der durchschnittliche Mitteleuropäer darüber sicherlich nicht viel weiß, aber man hätte daraus sicherlich auch noch eine etwas dichtere Atmosphäre zaubern können. Singapur als Schmelztiegel unterschiedlicher asiatischer Kulturen, als Land ohne wirkliche Wurzeln und als Ansammlung moderner Bauwerke, ohne tief greifende Geschichte wird sehr deutlich ausgeformt, könnte aber hier und da auch tiefer greifend sein.
Was Narcisos sprachlichen Stil angeht, so ist der, wie angesprochen, längst nicht so feinfühlig und poetisch wie der Titel des Romans vermuten lässt. Er formuliert schlicht und etwas schnörkellos, sehr klar und direkt. Er scheint ein Faible für Marken zu haben, das an manchen Stellen etwas sonderbar anmutet, denn ich für meinen Teil finde es nicht unbedingt erwähnenswert, wenn jemand ein Poloshirt mit einem eingestickten Krokodil auf der Brust trägt.
Narciso konzentriert sich sehr auf die Interaktion der Figuren, schildert seine Handlung häufig in Dialogen und lässt auch trotz der gewählten Form des Ich-Erzählers nicht tiefer in seinen Protagonisten Rodolfo blicken. Sprachlich und inhaltlich fügt sich der Roman dennoch sehr gut zusammen. Letztendlich passt Narcisos Art zu Formulieren ganz gut zur Kompaktheit der Erzählung und zu seiner Konzentration auf den Plot.
Insgesamt betrachtet, ist Giancarlo Narciso mit „Die schöne Hand des Todes“ ein solider Thriller geglückt. Die Geschichte wird durchgängig spannend erzählt, der Plot ist ziemlich pfiffig inszeniert und entwickelt sich mit der Zeit so rasant, dass dem Leser fast schwindelig wird. Dass vor diesem Hintergrund die Figuren nicht so tief gezeichnet werden und sich auch die Atmosphäre Singapurs nicht bis in den letzten Winkel entfaltet, ist zwar eine etwas bedauerliche Begleiterscheinung – besonders wenn man im Hinterkopf behält, dass man aufgrund des deutschen Titels vielleicht mit einer etwas falschen Erwartungshaltung an das Buch herangeht -, aber letztendlich in gewissem Maß verzeihlich.