Interview mit Matt Basanisi und Gerd Schneider über ihren aktuellen Thriller „Skorpion“

Interview mit Matt Basanisi und Gerd Schneider über ihren aktuellen Thriller „Skorpion“

Frage: Um es in wenigen Sätzen zu umreißen – worum geht es in SKORPION?

Gerd Schneider (GS): Es beginnt mit dem Mord an einem Priester und führt über den Fund von mehreren Tonnen Kokain in Antwerpen zum Selbstmord eines Privatpiloten in Zürich – all das hängt zusammen mit den Machenschaften eines Schweizer Geldwäschers, einem entscheidenden Rad in einem hochkriminellen Netzwerk, dem unser Protagonist David Keller hinterherjagt und in dem mehr als ein internationaler Dienst seine Finger im Spiel hat.

Matt Basanisi (MB): Die Kerngeschichte spielt Mitte der Zweitausender-Jahre vor dem realen Hintergrund der fragwürdigen Rollen der Finanzplätze Schweiz und Liechtenstein bei der Wäsche von Geldern italienischer Mafia-Organisationen und südamerikanischer Drogenkartelle. Die verantwortungslose, in Teilen auch verbrecherische Liaison der USA mit mexikanischen Narcos-Kartellen ist aber auch die Leinwand, über welche wir eine komplexe Liebesgeschichte erzählen, deren Schicksal eng verknüpft ist mit der Frage, wie weit Grenzüberschreitungen staatlicher Institutionen gehen dürfen, vielleicht auch müssen, um jene oft bemühten, aber selten greifbaren übergeordneten Interessen zu schützen. Und wie hoch der Preis ist für all jene, die ihn letztlich begleichen müssen.

Frage: Die organisierte Kriminalität in vielen Facetten ist Dreh- und Angelpunkt in Ihrem Thriller. Wie nah an der Realität bewegt sich das alles?

GS: SKORPION ist ein klassischer Thriller, der aber von realen Ereignissen inspiriert und dessen Handlung auch mit realen Figuren verknüpft ist, von denen jeder schon mal gehört hat. Das macht unsere Geschichte so besonders – Realität trifft Fiktion, und das mit Hochspannung!

MB: Einige der im Buch beschriebenen Figuren werden den Leser*innen bekannt erscheinen: Der frühere italienische Premier Silvio Berlusconi, oder der Anfang 2023 gefasste Boss der sizilianischen Cosa Nostra, Matteo Messina Denaro. Und wohl auch Joaquín „El Chapo“ Guzmán Loera, der in den USA zu lebenslanger Haft verurteilte Anführer des mexikanischen Sinaloa-Kartells. Die geschilderten historischen Kontexte sind real: Es gibt kaum ein Schweizer oder Liechtensteiner Geldhaus, das sich nicht wegen Geldwäsche für Verbrecherorganisationen aus Italien und Südamerika vor Gericht hat verantworten müssen.

Und dann ist da noch Silvio Berlusconis Laufbahn vom Sänger zum milliardenschweren Impresario und Politiker trotz, oder gerade wegen seiner engen Verbindungen zu Exponenten der Mafia; die Spionageaffäre Rubikon mit dem Schweizer Verschlüsselungsgerätehersteller Crypto AG im Zentrum, orchestriert durch Geheimdienste der USA, Deutschlands und der Schweiz. Und, last but not least, die bereits angesprochenen Klungeleien US-amerikanischer Dienste mit Mexikos Drogenkartellen, deren Existenz durch die Behörden, wenn überhaupt, bestenfalls hinter vorgehaltener Hand bestätigt wird.

Frage: Ihr Protagonist David Keller kommt in seinen Ermittlungen immer wieder an einen Punkt, an dem er sich ohnmächtig fühlt, an der Gerechtigkeit zweifelt und trotzdem nicht aufgibt. Welche Sicht auf den Zustand unserer Welt wollen Sie hier den Leser*innen mitgeben?

GS: Ein Ermittler weiß im Grunde ja, dass es kein einfaches Schwarz und Weiß in der Welt des Verbrechens gibt – schon allein, weil das normale Leben aus sehr, sehr vielen Grautönen besteht. Letztendlich sind alle Behörden und Institutionen, die für unsere Sicherheit arbeiten, von Menschen organisiert und betrieben – und die sind eben genauso anfällig für Beeinflussung und Störungen wie jeder von uns. Wir brauchen Leute wie David Keller, Pius Moser, Andrea Monti, die ihrem Beruf ernsthaft und mit großer Leidenschaft nachgehen, damit unsere Gesellschaft und mithin unsere Demokratie funktionieren.

Frage: Wie ist die Rolle von Staaten wie den USA, aber auch der Schweiz einzuordnen, was die Bekämpfung der organisierten Kriminalität angeht?

MB: Die USA, die Schweiz, Italien, Liechtenstein oder auch Mexiko sind wie viele andere westliche Länder Demokratien. Die USA gar die älteste, dicht gefolgt von der Schweiz. Was die USA unterscheidet, ist ihre Position als wirtschaftliche und militärische Weltmacht – nach eigenem Selbstverständnis auch moralische und kulturelle. In den vergangenen fünfzig Jahren fehlte den USA nur leider viel zu oft jegliches Augenmaß bei der Wahl ihrer Mittel, wenn es um die – zumindest postulierte – Verteidigung von Demokratie und Freiheit ging. Und dabei verkannten sie, dass sie ebendiese Werte zur Schlachtbank führten, die sie zu bewahren vorgaben. Dies geschah mit absurden, oft katastrophalen Folgen, wie das Beispiel des gescheiterten War on Drugs in Mittel- und Südamerika zeigt, ebenso die Opium- und Cannabisproduktion in Afghanistan, unter US-geführter Besatzung notabene zur weltgrößten aufgestiegen. Erfolgsgeschichten lesen sich anders.

Wenn staatliche Institutionen zulassen, dass demokratische Normen, gesellschaftliche wie rechtliche, erodieren, betrifft es natürlich auch den Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Diese immens wichtige Aufgabe droht, zur zynischen Scharade ohne Glaubwürdigkeit zu verkommen. Oder wie es die US-amerikanische Ermittlerfigur der Julie Banks an einer Stelle im Buch formuliert: Wir verteidigen die Demokratie. Aber wir praktizieren sie nicht.

Frage: Matt Basanisi, bevor Sie Thriller-Autor wurden, waren Sie lange Jahre Ihres Lebens im Polizeidienst, aber auch als Soldat und UNO-Ermittler tätig. In welchen Bereichen haben Sie gearbeitet und wo fanden Ihre Einsätze statt?

MB: Meine Grundausbildung und die ersten Jahre als Polizist hatte ich bei der Kantonspolizei Thurgau durchlaufen. Die Spezialisierung als Kriminalermittler folgte in Etappen, einschließlich des Dienstes bei der Schweizer Armee in einer Einheit mit kriminalpolizeilichen Aufgaben, und damit verbunden dem Einsatz zur Jahrtausendwende bei einer Sondereinheit der internationalen Kosovo-Schutztruppe der NATO mit dem primären Auftrag, Schwerstkriminalität im Umfeld der UÇK, der albanischen paramilitärischen Organisation zur Befreiung des Kosovo, aufzuklären. Im Anschluss daran dann der Eintritt in die Abteilung Organisierte Kriminalität der neu gegründeten Schweizer Bundeskriminalpolizei.

Hinzu kamen die Jahre im internen Ermittlungsdienst der Vereinten Nationen, mit Missionen im Kongo-Kinshasa und Nepal. Die Arbeit im Kongo, in Nepal und auch in Kosovo bedeutete, wahnsinnig spannende Erfahrungen zu machen, auch wenn diese Jahre nicht unbedingt zu den beschaulichsten meines Lebens zählen.

Erster Anstoß zum Schreiben gab der sogenannte „Whitewash“-Skandal bei der UNO-Mission im Kongo, in dessen Nachklang ich auch immer wieder zu hören bekam, die Geschichte sei eigentlich zu gut, um nicht erzählt zu werden. Als dann der passende Zeitpunkt gekommen war, habe ich mich an die Entwicklung einer fiktionalisierten Version von „Whitewash“ in Form eines Drehbuchs gesetzt. Daraus entstand The Nations, ein Serien-Projekt über die Vereinten Nationen, ebenso im Thriller- Format und ebenfalls entwickelt von Gerd und mir, was uns dann auch erste Türen in Hollywood öffnete.

Frage: Wie viel von Matt Basanisi steckt in Ihrem Protagonisten David Keller?

MB: Auch wenn die Figur des David Keller bis zu einem gewissen Punkt ein Alter Ego meiner selbst ist und sich die Erzählung auf wahre Begebenheiten bezieht, so wurde SKORPION in seiner literarischen Umsetzung vorwiegend aus dramaturgischen Gründen fiktionalisiert. Dass sich mit meinem Hintergrund eines früheren OK- und UNO-Ermittlers das Genre des politisch gefärbten Thrillers aufdrängte, war naheliegend. Der Sache nicht undienlich gewesen ist dabei sicher auch die Einsatzerfahrung im Kosovo.

Frage: Gerd Schneider, wurde Ihnen das Schreiben in die Wiege gelegt?

GS: Na ja, an mir ist eigentlich ein katholischer Priester verloren gegangen – doch nach dem Abschluss des Theologiestudiums habe ich mich für ein Regiestudium entschieden. Nach zahlreichen Werbeproduktionen und einem Dokumentarfilm entstand 2014 mit Verfehlung mein Kinodebüt, das die Geschichte der Freundschaft dreier Priester, die durch den Missbrauchsskandal der katholischen Kirche auseinanderbricht, erzählt. Der Film basiert auf meinem eigenen Drehbuch, hier begann das also mehr oder weniger ernsthaft mit dem Schreiben.

Mein Faible für dramatische Geschichten, Verbrechen und Thriller spiegeln sich auf jeden Fall in Filmprojekten wie dem Stuttgart-Tatort Der Welten Lohn wider. Mein Vater war übrigens selbst Polizist, meine Mutter Küsterin – das erklärt vielleicht meinen etwas bunten Werdegang. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Aufregung und Hochspannung, wenn wir alle zusammen die großartige Serie Allein gegen die Mafia geschaut haben; dafür haben wir tatsächlich mal einen Restaurantbesuch dramatisch abgekürzt, um rechtzeitig zu Hause zu sein. Dieses gemeinschaftliche „Geschichtenerlebnis“ hat mich sehr geprägt.

Frage: Lief bei dieser beruflich bedingten Affinität zu bewegten Bildern beim Schreiben von SKORPION manchmal schon ein innerer Film mit?

GS: Natürlich springen mir beim Schreiben sofort Bilder auf die innere Leinwand, das ist bei Matt auch nicht anders. Aber in der Tat läuft bei mir ein regelrechter Film ab, inklusive Schnitt und Sounddesign – das macht nicht nur großen Spaß, sondern ist eine auch eine große Hilfe beim Schreiben, weil ich die Atmosphäre gewissermaßen von dieser Leinwand ablesen kann.

Eigentlich schreibe ich meine Drehbücher auch eher literarisch, die Filmdramaturgie nimmt jetzt eben Einfluss auf die schriftstellerische Arbeit. Ich bin sicher, dass auch bei den Leser*innen der innere Projektor anspringt und unsere Geschichte zum Leben erweckt. Die Sequenz am Flughafen Bern Belp zum Beispiel besteht aus wahnsinnig spannenden Szenen, die einem förmlich die Actionbilder aufdrängen – da muss man sich schon richtiggehend entscheiden, welche man davon mit ins Buch nimmt.

Oder die Safehouse-Sequenz in Beirut: Die habe ich richtig mitverfolgt, als würde ich eine spannende Serie sehen. Aber es gibt auch einen eindringlichen Unterschied zum Film, zum Beispiel eben bei den Safehouse-Szenen: Ich hatte dabei regelrecht den Geschmack der Nacht im Mund, die warme Luft mit dem Geruch nach Jasmin und dem bitteren Staub von Steinen. Das sind alles Sinneseindrücke, die man beim Film nicht mitbekommt, die man beim Schreiben und Lesen aber umso lebendiger spürt.

Frage: Haben Sie in eine Lieblingsfigur in ihrem Thriller SKORPION?

GS: Ich liebe alle Figuren, von Walter Baumann bis hin zum Kaakverkäufer in Beirut. Aber am ehesten wäre das bei mir vielleicht Pius Moser: Eine kantige, erfahrene, kauzige und sehr liebenswerte Mentoren-Figur, die unseren Helden David Keller strahlen lässt.

MB: Es gibt für mich keine Figur, die mir mehr als andere am Herzen liegt. Ob gut, böse, moralisch erhaben oder verkommen – um deine Protagonist*innen richtig zeichnen zu können, musst du dich mit ihnen anfreunden, und mit jeder Figur auf ihre ganz eigene Art.

Frage: Wie schreibt man ein Buch gemeinsam? Gibt es eine klare Rollenverteilung?

MB: Bedeutet das eigentliche Schreiben Arbeiten auf Distanz, so ist die kreative Grundlagenarbeit wie Stoffentwicklung und dramaturgische Inszenierung immer ein Gemeinschaftswerk in Anwesenheit beider. Zwischen SKORPION und dem Folgeband hat sich die Rollenverteilung, soweit sie denn besteht, allerdings auch weiterentwickelt. War SKORPION in einer frühen Teilfassung durch mich entwickelt worden, wurde es in der Folge zu einem gemeinsamen Projekt. Gerd als etablierter Filmemacher verfügt über eine sehr breite Erfahrung in Dramaturgie und Figurenentwicklung. Wir haben die Regel, dass ich beim Schreiben vorlege. Das gemeinsame elektronische Manuskript wird dann Bühne für ein digitales „Ping-Pong“, ergänzt durch gemeinsame Kreativurlaube. Ganz abgesehen davon besprechen wir unsere schöpferischen Erfolge, Sorgen und Nöte in einem, wenn auch nicht täglichen, regelmäßigen Telefonat.

GS: Was ich an unserer Zusammenarbeit so schätze ist, dass wir für alle manchmal unüberwindlich scheinenden Probleme immer eine Lösung finden. So schwer es bisweilen ist, den sehr komplexen Plot voranzutreiben, so befriedigend und belohnend ist es vor allem, wenn sich in unserem Ping-Pong die richtige Idee materialisiert – das ist jedes Mal ein magischer Moment, weil er sich so richtig anfühlt und fast aus sich heraus zu entstehen scheint, eigentlich wie eine dritte Person im Raum. Dann wird aus einer Fiktion plötzlich literarische Realität. Durch diese Momente können wir auch sehr leidenschaftlich aber gleichzeitig uneitel die Geschichte ausarbeiten, weil sie quasi aus sich heraus eine stimmige Form annimmt. Wir ergänzen uns da sehr gut, besser kann ich es mir nicht vorstellen.

Die Autoren

Matt Basanisi, geboren 1966, wuchs als Kind einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters am Bodensee in der Schweiz auf. Basanisi ist ausgebildeter Polizist und Kriminologe. Im Anschluss an einen Militäreinsatz für die Schweizer Armee im Kosovokrieg zur Jahrtausendwende trat Basanisi der Abteilung Organisierte Kriminalität der Schweizer Bundeskriminalpolizei bei, 2005 dann dem internen Ermittlungsdienst der Vereinten Nationen. Matt Basanisi ist heute als Berater für Sendeunternehmen im Bereich der digitalen Piraterie tätig und zudem Absolvent der Masterclass Autor / Schriftsteller der Buch Akademie Berlin.

Gerd Schneider kam 1974 als jüngstes Kind eines Polizisten und einer Küsterin zur Welt. Er studierte Katholische Theologie in Bonn und Wien und bereitete sich auf das Priesteramt vor. Nach dem Diplom begann er ein Regiestudium an der Filmakademie Baden-Württemberg. Sein Spielfilmdebüt »Verfehlung« über den Umgang der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch feierte 2015 seine Kinopremiere und gewann zahlreiche nationale und internationale Preise. Gerd Schneider dreht TV-Filme wie den Tatort oder die Tragikomödie »Now or Never« und arbeitet derzeit an mehreren neuen Filmprojekten.

Matt Basanisi & Gerd Schneider: „Ein Ex-Mafiaermittler und ein Filmemacher treffen sich in einer schmucken Osteria an Roms Tiberufer und entdecken ihre gemeinsame Liebe nicht nur für gutes Essen und guten Wein, sondern ebenso für packende wie wahre Geschichten. Und selbstredend die Liebe zur Literatur. Aus dieser zufälligen Begegnung wird eine Freundschaft, und irgendwann gemeinsames Schreiben. Heute, sieben Jahre später, können wir Ihnen unseren ersten Roman vorstellen.“ (Verlagsinfo)

Das Interview führte eine Mitarbeiterin der Presseabteilung des Penguin Randomhouse-Verlags. Das Posting erfolgt mit ihrer freundlichen Genehmigung.

Der Roman ist im August im Blanvalet-Verlag erschienen. Eine Besprechung folgt in Kürze.
SKORPION erhält 2024 eine Fortsetzung.