Schüller, Martin – TATORT: Das Phantom

Die dienstälteste Krimiserie des Deutschen Fernsehens hat nach inzwischen 40 Jahren einen weiteren Ableger bekommen. Seit Ende 2009 erscheinen – nicht nur für die, denen die beinahe täglich auf irgendeinem öffentlich-rechtlichen Sender stattfindenden TV-Wiederholungen nicht ausreichen – ausgewählte Episoden als Taschenbuch-Ausgabe im |Emons|-Verlag. Dabei basieren die Romane, der bislang stets bereits im Fernsehen zu sehen gewesenen Fälle, auf dem jeweiligen Originaldrehbuch. Für das langjährige Kölner Ermittlerteam Ballauf/Schenk übernimmt Martin Schüller die Adaptionen (übrigens ebenso für die Münsteraner Thiel/Boerne). Die Geschichte zu „Das Phantom“ stammt von Drehbuchautor Norbert Ehry. Die entsprechende WDR-Produktion wurde im Juni 2003 erstmals in der ARD ausgestrahlt.

_Zur Story_

Der brutale Raubüberfall auf eine Tankstelle wird für Hauptkommissar Freddy Schenk zu einer unangenehmen Begegnung mit der Vergangenheit. Die Überwachungskamera zeigt den Täter eindeutig aber den hat Schenk vor 6 Jahren – wegen Überfällen nach exakt diesem Strickmuster – vermeintlich eingebuchtet. Ronald Lochte hat seine Unschuld stets beteuert, wurde aber auch nicht zuletzt durch die Zeugenaussage seiner damaligen Ehefrau, schwer belastet und letztendlich zu 9 Jahren verknackt. Nun sieht es so aus, als habe er tatsächlich einen kriminellen Doppelgänger. Den können Ballauf und Schenk auch dingfest machen, doch es ist bereits zu spät: noch bevor sie den tragischen Justizirrtum endgültig aufklären können, ist Lochte – offenbar in einer Kurzschlussreaktion aufgrund eines geplatzten Straferlasses – bereits aus der JVA ausgebrochen, verletzte einen Wachmann dabei (versehentlich) tödlich und befindet sich seither auf der Flucht. Er wird bei seiner Suche nach Freiheit, Gerechtigkeit und einem Stückchen Vergeltung immer mehr in eine Gewaltspirale gezogen, die weitere Opfer fordert.

_Eindrücke_

„Das Phantom“ ist nach „Die Blume des Bösen“ der zweite (chronologisch jedoch ältere) Köln-Fall, den Martin Schüller für die Taschenbuchreihe novellisierte. Max Ballauf, Freddy Schenk sowie ihre unterstützenden Figuren Franziska Lütgenjohann und Dr. Roth sind inzwischen recht gut in der Welt der Buchstaben angelangt. Natürlich hat man als Kenner der TV-Serie bei der Lektüre stets die Darsteller-Gesichter von Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Tessa Mittelstaedt und Joe Bausch vor Augen, das erleichtert, zumindest was die Hauptfiguren angeht, diesem Personenkreis das Kopfkino erheblich. Bei den Nebenrollen muss man zumeist dann schon passen, sofern man die entsprechende Folge nicht grade noch frisch im Kopf hat – oder sie sogar besonders prominent mit einem Gaststar besetzt war. Auf ausführliche Personenbeschreibungen wird in aller Regel nämlich verzichtet. Da ist „Das Phantom“ nicht anders. Die Charaktere bleiben von den Äußerlichkeiten her recht vage, was als Erbe des Drehbuchs gelten mag, das auf solcherlei Sachen keinerlei Rücksicht zu nehmen braucht.

Im Roman gelten jedoch naturgegeben ganz andere Regeln und Erzählstrukturen, will man das Publikum bei der Stange halten. Hier gibt es keine Schauspieler und andere audio-visuelle Tricks, mit denen man arbeiten kann. Genau das ist dann auch speziell bei dieser Geschichte ein wenig die Crux. Zum Beispiel Freddy Schenks Fake-Hinrichtung wirkte auf dem Bildschirm um Längen besser. Aber nicht nur das. Bleibt bei der TV-Version noch ein wenig länger im Dunklen, wie der flüchtige Ronald Lochte denn nun wirklich innerlich tickt, leistet Martin Schüller in der Buchfassung rasch einen charakterlichen Offenbarungseid, indem er uns Lesern einen recht genauen Einblick in die Psyche Lochtes gewährt. Das ist etwas, was sein Verhalten fast schon immer gleich entschuldigend erklärt. Natürlich ist er an der Eskalation, die schlussendlich drei Menschen das Leben kostet selbst schuld. Gerade aus solch unbeabsichtigten Situationen können bekanntlich ganz üble Selbstläufer entstehen. Quod erat demonstrandum: Darüber geben beide Fassungen (TV und Roman) beredt Auskunft. Jede auf ihre eigene Art und nach ihren eigenen Gesetzen der Erzählkunst.

_Fazit_

„Das Phantom“ ist ein ziemlich düsterer und irgendwie auch deprimierender Fall über eine eigentlich vollkommen unnötige Flucht sowie deren schwere Folgen. Martin Schüller müht sich redlich das Bestmögliche aus dem Drehbuch herauszuholen, dennoch bleiben die Charaktere gegenüber der Fernsehfassung durch die Bank blass und vage. Dem Roman fehlt die schauspielerische Darbietung, sprich das Visuelle, von dem die TV-Folge stark lebt. Stattdessen muss im Buch fast schon zwangsläufig mehr mit Worten erklärt werden, als dem (nachweislich möglichen) Spannungsbogen zuträglich ist. Zumindest im direkten Vergleich. Unter dem Strich steht ein schnell konsumierter Kriminalroman für TATORT-affine Leser, die von ihren Lieblingsfiguren nicht genug bekommen können, der allerdings weder Tiefe noch Raffinesse der filmischen Vorlage erreicht.

|Taschenbuch, 154 Seiten
Martin Schüller nach einem Drehbuch von Norbert Ehry
Erstveröffentlichung: Oktober 2010
ISBN 978-3-89705-747-0|
[Emons Verlag]http://www.emons-verlag.de

_Der TATORT bei |Buchwurm:|_
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