Pascal Mercier – Das Gewicht der Worte

Simon Leyland ist seit seiner Kindheit von Sprachen fasziniert und arbeitet daher konsequenterweise als Übersetzer. Er hat sich in den Kopf gesetzt, alle Sprachen zu lernen, die rund um das Mittelmeer gesprochen werden, und so passt es, als er eine Frau kennenlernt, die in Triest einen Verlag besitzt. So zieht der Brite Leyland mit seiner großen Liebe Livia nach Triest. Als Livia stirbt, übernimmt Leyland den Verlag – bis er erfährt, dass er aufgrund eines Hirntumors nicht mehr lange zu leben hat.

Kurzerhand verkauft er den Verlag und zieht zurück nach London in das Haus, das er von seinem Onkel geerbt hat. Dort beginnt er, über sein Leben nachzudenken und über die kurze Lebensspanne, die noch vor ihm zu liegen scheint. Doch nach wenigen Wochen kommt die erlösende Nachricht: Im Krankenhaus wurden die Röntgenbilder verwechselt: Leyland leidet nicht etwa an einem Hirntumor, sondern einfach an Migräne. Mit viel Geld ausgestattet, aber ohne Arbeit beginnt er nun, sein Leben neu zu ordnen und zu hinterfragen.

Das schwere Gewicht vieler Worte

Vor etlichen Jahren habe ich Pascal Merciers Bestseller „Nachtzug nach Lissabon“ gelesen, oder vielmehr verschlungen. Jahrelang habe ich nichts mehr von ihm gelesen, bis mich sein neuestes Buch reizte. Die Erwartungen waren – in Erinnerung an die frühere Begeisterung für seinen Bestseller – zugegebenermaßen hoch, doch spätestens nach hundert Seiten war klar, dass Merciers neuestes Werk mich definitiv nicht zu Begeisterungsstürmen würde verleiten können.

Simon Leyland lernen wir kennen, als ihm nach einer ärztlichen Fehldiagnose ein neues Leben geschenkt wird, er aber bereits die Weichen gestellt hatte für sein vorzeitiges Ableben. Wie es zu der Fehldiagnose kommen konnte, erfahren wir erst nach gut 200 Seiten, die sich schier endlos ziehen wie Kaugummi. Simon Leyland philosophiert in endlosen Gedankengängen über sein bisheriges Leben, lässt das Leben mit seiner Frau und deren Tod Revue passieren und fasst diese Gedanken dann nochmals in epischen Briefen an seine verstorbene Frau zusammen.

Auf der Handlungsebene passiert leider sehr wenig. Leyland trifft verschiedene Protagonisten, die vom Schicksal schwer gezeichnet sind und ebenfalls etwas an ihrem Leben verändern möchten. Da wäre beispielsweise sein Cello spielender Nachbar, der ehemals als Apotheker illegalerweise arme Menschen mit dringend benötigten Medikamenten versorgt hat. Oder der ehemalige russische Häftling, der sich mit der Übersetzung eines Romans mental am Leben erhalten hat. Auch Leylands Tochter möchte nach der Fehldiagnose nicht mehr als Ärztin arbeiten.

Fast 600 Seiten dauert es, bis Simon Leyland seine eigentliche Berufung findet und uns Pascal Mercier erlöst. Ich muss gestehen, dass ich 150 Seiten vor dem Ende „aufgegeben“ habe. Die Erzählung ist so ausufernd und fesselt dabei so wenig, dass ich über mehr als 400 Seiten hinweg keinen wirklichen Einstieg in das Buch gefunden habe.

Ohne Worte

Weniger ist meiner Ansicht nach manchmal durchaus mehr. Fast 600 eng bedruckte Seiten muten schon sehr viel an für das, was uns Pascal Mercier eigentlich erzählen möchte. Wilhelm Genazino hätte dafür vielleicht 200 Seiten benötigt und dabei wunderbar verdrehte Formulierungen gefunden und seine Charaktere so verschroben und interessant gezeichnet, dass man sich auch ohne viel Handlung gut unterhalten gefühlt hätte.

Ein Buch muss nicht zwangsläufig viel spannende Handlung enthalten. Ein Buch kann auch durchaus fesseln durch spannende Charaktere mit Ecken und Kanten oder durch kreative und sprachgewandte Formulierungen. Leider vermisse ich hier beides.

Gebundene Ausgabe: 576 Seiten
ISBN-13: 978-3442771042
btb Verlag

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