Angela Carter – Helden und Schurken

Die Räuberbraut der Endzeit
Dies ist die Legende vom Ende der kranken Zivilisation und dem Übergang zur erstarkenden Barbarei. Im Mittelpunkt steht eine junge Frau, die zu den Barbaren überläuft. Es ist das Beispiel für die Entscheidung einer Frau, aus der alten Schablone der männlich dominierten Ordnung auszubrechen und selbst aktiv formend zu wirken.

Die Autorin

Angela Carter (* 7. Mai 1940 in Eastbourne in England; † 16. Februar 1992 in London; gebürtig Angela Olive Stalker) war eine britische Schriftstellerin. Nach dem Studium begann sie als Polizeireporterin, reiste dann um die Welt, war zwei Jahre in Japan, lehrte an verschiedenen Unis und schrieb zahlreiche Erzählungen und eine Reihe von Romanen sowie Essays. Einen Namen machte sich als großartige Fabuliererin, wobei sie bekannte Märchenmotive mit feministischem Bewusstsein neu fasste und häufig erotisch auflud.

Die 1992 verstorbene englische Schriftstellerin Angela Carter (sie starb im Alter von 51 Jahren an Krebs) behandelte mythische und märchenhafte Stoffe gerne aus weiblicher bzw. feministischer Perspektive. Dies sah sie als Uminterpretation und Inbesitznahme männlich geprägter Mythen und Interpretationen an und war für das weibliche Selbstverständnis in der Literatur sehr wichtig. Aber sie erfand auch zahlreiche eigene Stoffe von magischem Realismus.

Werke (Auswahl)

1967: The Magic Toyshop. Das Haus des Puppenmachers. Roman. Klett-Cotta, Stuttgart 1988, ISBN 3-608-95531-3.
1969: Heroes and Villains. Helden und Schurken. Roman. Klett-Cotta, Stuttgart 1989, ISBN 360895628X.
1971: Love. Das tätowierte Herz. Roman. Klett-Cotta, Stuttgart 1993, ISBN 3-608-93192-9.
1972: The Infernal Desire Machines of Doctor Hoffman. Die infernalischen Traummaschinen des Dr. Hoffman. Roman. Klett-Cotta, Stuttgart 1984, ISBN 3-608-95282-9.
1977: The Passion of New Eve. In der Hitze der Stadt. Roman. Heyne, München 1987, ISBN 3-453-00295-4; Das Buch Eva. Elster Verlag, Zürich 1996, ISBN 3-89151-245-7.
1978: The Sadeian Woman: An Exercise in Cultural History. Sexualität ist Macht. Die Frau bei de Sade. Essays. Rowohlt, Reinbek 1981, ISBN 3-498-00853-6.
1979: The Bloody Chamber. Blaubarts Zimmer. Märchen aus der Zwischenwelt. Rowohlt, Reinbek 1982, ISBN 3-498-00858-7.
1982: Nothing Sacred: Selected Writings. Nichts heilig. Feministische Ansichten. dtv, München 1990, ISBN 3-423-11165-8.
1984: Nights at the Circus. Nächte im Zirkus. Roman. Klett-Cotta, Stuttgart 1986, ISBN 3-608-95359-0.
1985: Black Venus. Schwarze Venus. Erzählungen. dtv, München 1990, ISBN 3-423-11227-1.
1990: The Old Wives‘ Fairy Tale Book. Füchsin, Dummerchen und Zauberin. Märchen aus aller Welt. rororo, Reinbek 1991, ISBN 3-499-12889-6.
1991: Wise Children. Wie’s uns gefällt. Roman. Klett-Cotta, Stuttgart 1992, ISBN 3-608-95845-2.
(Quelle: Wikipedia.de)

Handlung

Nach der großen Katastrophe des Atomkriegs ist die Welt verteilt. Zivilisation und Vernunft werden von den sogenannten ‚Professoren‘ verteidigt, die in scharf bewachten Betonsiedlungen wohnen. Hier lebt auch die Hauptfigur Marianne und blickt hinaus aus ihrem Turm, mit Sorge und Faszination.

Denn jenseits dieser Wehrdörfer durchstreifen plündernde Barbaren den Urwald, der die Felder der Professoren bedrängt. Draußen herrscht das Chaos, heißt es. Und innen wird um die Ordnung gerungen: Mariannes Kindermädchen hat sechs Finger, sie ist eine Mutantin.

Bei einem Überfall wird Marianne von dem Barbaren Jewel entführt, vergewaltigt und schließlich als Räuberbraut in den Clan der Barbaren aufgenommen. Dieser lebt in einer alten, geradezu gotischen Ruine, die vom Urwald durchdrungen wird. Doch das harte Leben hier ist von Krankheit und Not bedroht.

Wie sich herausstellt, hat Jewel einen geistigen Lehrer, einen exilierten Professor, den auch Marianne von früher kennt. Nicht unwillig fügt sich die Heldin in die Heirat mit dem Barbaren. Die Hochzeit folgt einem ausgetüftelten und ein wenig bizarren Ritual.

Marianne hat endgültig die Seiten gewechselt, um das kränkliche alte System abzustreifen und nun die Kräfte des Wachstums in sich aufzunehmen und etwas Neues aufzubauen, eine – wenn auch barbarische – Zukunft. Vielleicht kann sie ja ihren Kindern ein wenig Zivilisation beibringen. Erotik und Sexualität spielen in ihrer Entwicklung eine entscheidende Rolle.

Mein Eindruck

Angela Carter erzählt mit „Helden und Schurken“ einen vor Ideen und Figuren übersprüdelnden Abenteuerroman voller Exotik und Erotik; und sie entwirft das Szenario für die neue Frau, die am Ende sogar die Barbaren das Fürchten lehrt: die Räuberbraut, frei nach dem Märchen der Brüder Grimm.

Dies ist eine Geschichte, in der Liebe und Hass einander gegenüber stehen, Zivilisation und Barbarei, Ordnung und Chaos, Helden und Schurken, jedoch nur in dem Sinne, wie diese Dinge von einer jungen Frau wahrgenommen werden, die ihre Initiation erfährt. Diese Wahrnehmung ist geprägt von ungewöhnlich deutlich gezeichneten Bildern und Szenen. Sie machen die Lektüre dieses Buches zu einem sinnlichen Erlebnis.

Dem Roman vorangestellt ist ein Zitat aus Jean-Luc Godards Film „Alphaville“: „Es gibt Zeiten, da wird die Wirklichkeit für eine sprachliche Mitteilung zu kompliziert. Doch die Legende gibt ihr eine Form, in welcher sie die ganze Welt durchdringt.“ Für die Legende kennzeichnend ist beispielsweise die Reduktion von Tätern auf Helden und Schurken.

Das Thema des Endes der alten Ordnung und der Anbruch einer neuen findet sich auch in Doris Lessings Roman „Die Memoiren einer Überlebenden“. Britische Science Fiction_Romane der sechziger Jahre sind voll von Katastrophenszenarien, am literarischsten bei J.G. Ballard und Brian W. Aldiss.

Hardcover: 229 Seiten
Originaltitel: Heroes and villains, 1969
Aus dem Englischen von Joachim Kalka
ISBN-13: 978-3608956283

www.klett-cotta.de

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