Lloyd Biggle jr. – Spiralen aus dem Dunkel

Biggle Spiralen Cover 1983 kleinSeltsame Flugkörper landen in der US-Provinz; sie streuen zerstörerische Kraftfelder von spiralförmiger Gestalt aus, scheinen aber nicht direkt feindlich zu sein. Kommen die Fremden aus dem All – oder sind es Sendboten aus einer möglichen Zukunft der Erdmenschen? … Herrlich altmodischer, d. h. langsam oder besser gesagt: sorgfältig komponierter, spannender und überraschend witziger Science Fiction-Roman um eine Invasion der besonders merkwürdigen Art.

Das geschieht:

Er war ein Astronaut der NASA und sicherer Kandidat für eine der nächsten Mondfahrten, als ihm ein Autounfall ein Bein und damit die Karriere raubte. Seither fristet Major a. D. Bowden Karvel ein von Langeweile und Alkohol bestimmtes, unglückliches Lotterleben. Er haust in einem Wohnwagen unweit seines ehemaligen Stützpunktes irgendwo in der US-amerikanischen Provinz, denn so ganz mag er seine alte Heimat, das Militär, auch als invalider Frührentner nicht missen.

Das tägliche Einerlei wird eines Tages nachdrücklich unterbrochen, als Karvel Zeuge eines mysteriösen Phänomens wird: Ein alles unter sich zerstörendes Kraftfeld breitet sich plötzlich spiralförmig über die Landschaft aus. Karvel gerät in die Randzone und wird schwer verletzt. Trotzdem kann er das Zentrum der Todesspirale orten: Es ist eine unscheinbare Metallkugel.

Das herbeigeeilte Militär findet im Inneren die Überreste eines fremden Wesens, das der Pilot oder Passagier gewesen sein mag. Ansonsten gibt das Objekt nur Rätsel auf, die sich nicht lösen lassen. Karvel wird zurück in den Dienst gerufen, aber er erlebt ein neues Desaster: Während einer Untersuchung löst sich die Kugel mitsamt seines gerade an Bord befindlichen Assistenten in einem grellen Blitz auf.

Von nun an ist Karvel geradezu besessen davon, das Rätsel der Kugel zu lösen und ihr verhängnisvolles Wiederauftauchen zu verhindern. Eine Kette verwickelter Ereignisse führt dazu, dass Karvel tatsächlich der erste Passagier der Kugel wird, der ihre Reise überlebt. Er landet in einer weit entfernten Zukunft, womit er schon gerechnet hatte. Viele aufregende Abenteuer später muss er allerdings feststellen, dass er genau in die falsche Richtung gereist ist …

Zeitreise mit überraschenden Hindernissen

Ein UFO landet auf der Erde und sorgt dort für die üblichen Verwirrungen. Seine Spur wird in eine phantastische Zukunft verfolgt. Als sie dort als Sackgasse endet, geht es zurück in die Urzeit, wo neben weiteren Aliens allerlei hungrige Dinosaurier warten. An sich eine ganz einfache Science Fiction-Geschichte in drei großen Kapiteln also, die nichts als ein lesenswertes Abenteuer sein will. Dieses lobenswerte Ziel wird konsequent verfolgt; Literaturkritikerlob heischende Ambitionen lassen sich nicht feststellen.

Die Handlung setzt in der Gegenwart, d. h. in diesem Fall irgendwann in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre ein. Das macht sich durchaus bemerkbar. Obwohl „Spiralen aus dem Dunkel“ sehr traditionell als Invasionsgeschichte startet und dem Treiben des Militärs breiter Raum gewidmet wird, fällt doch auf, dass Biggle die Autoritäten seines Landes nicht gar zu bierernst nimmt. Von echter Kritik am Establishment kann keine Rede sein, aber da fehlt trotzdem die „Vorsichtshalber-Feuer-frei“-Mentalität früherer SF-Spektakel.

Stattdessen schildert Biggle die Reaktion der Machthaber dieser Welt auf die seltsamen Spiralen mit lakonischem Witz. Niemand weiß wirklich, was zu tun ist, aber alle machen sich vorsichtshalber möglichst wichtig. Ein wenig überzieht der Autor, wenn er über die Franzosen herzieht, aber diese Episode dient immerhin dazu, den einbeinigen Ex-Raumfahrer Karvel endgültig als Anti-Helden zu entlarven.

Die Zeitreise in die Zukunft weist deutliche Anzeichen von Satire auf. Der Glaube an eine bessere künftige Welt hatte sich 1966 für Biggle offenbar endgültig in Nichts aufgelöst; der Mann registrierte aufmerksam, was in der Welt vorging und zog seine eigenen Schlüsse daraus. Von einer – je nach Einstellung – liebenswerten oder weltfremd-schwachsinnigen Utopie à la „Star Trek“ gibt es keine Spur. Stattdessen bleiben die Menschen wie sie auch heute sind: entweder Schafe oder Wölfe, auf jeden Fall primär auf den eigenen Vorteil bedacht.

Auch die Zeitbereisten lernen dazu

Wie H. G. Wells’ Zeitreisender kommt Karvel über diese Zukunft, deren Bewohner sich freilich zu wehren wissen. Die daraus entstehenden Missverständnisse und Verwicklungen schildert Biggle ebenso scharfsinnig wie witzig. Techno-Babbel und pseudo-extrapolierendes SF-Gefasel erspart er uns. Mit wenigen Strichen skizziert er die fremde Welt genau so, wie er sie für seine Geschichte braucht – eine Zurückhaltung, die dieser sehr zugute kommt.

Wieder einen Schwenk nimmt die Story, als sich Karvel in die Vergangenheit aufmacht. Dort findet er endlich die Aliens, von denen die Zeitkugel geschickt wurde. Sie entpuppen sich als recht hilflose Gesellen, die der wackere Gast aus der Zukunft mit US-typischer Entschlusskraft in Schwung zu bringen gedenkt. Damit bringt er in guter Absicht, aber ohne Verständnis der tatsächlichen Situation Tod und Verderben. Ob Biggle damit eine Art Kommentar zum Vietnamkrieg geben wollte?

Das Ende ist nur bedingt happy, sondern eher fatalistisch. Die Rettung der Aliens gelingt, aber Karvel bleibt unter Sauriern freiwillig zurück. Der Weg war und ist sein Ziel. Eine echte Heimat gibt es für ihn nicht mehr, wie er nun endlich offen sich selbst zugibt. Ein offenes Ende also, aber ein passendes.

Held wirklich wider Willen

Bowden Karvel ist für einen Mann seiner Ära, vor allem aber seiner Herkunft ein ungewöhnlicher Zeitgenosse. Wir begegnen ihm als All-American-Boy der Güteklasse A: ein Elitesoldat und Raumfahrer, den seine ehemaligen Kameraden selbst als Invaliden und Zivilisten hoch achten und stets als „Major“ ansprechen.

Karvel hat stets seine vaterländischen Pflichten erfüllt, aber nach und nach erfahren wir, dass dieser Mann schon vor seinem Unfall zerrissen und mit sich selbst nicht im Reinen war. Seine Karriere sah er nur als Mittel zum Zweck: als Weg zum Mond, dem der Erde und seinem alten Leben am weitesten entrückten Ort überhaupt. Mit dem Verlust seines Beines war ihm dieser Fluchtweg verschlossen. Karvel resignierte und begab sich in die innere Emigration. Die Zeitkugel weckt ihn aus der Lethargie. Er gibt vor, die Gegenwart vor ihrer Bedrohung zu retten. Tatsächlich hat er einen neuen Fluchtweg aus dem Alltag entdeckt. Als eine Art früher „Easy Rider“ begibt er sich nun auf seine weite Reise durch ein hoffentlich unbekanntes Land.

Da Biggle seine Geschichte im Jahre 1966 schrieb, wundert es kaum, dass dies nicht funktioniert: Weder die Zukunft noch die Vergangenheit bringen Karvel den Frieden, den er sich wünscht, weil er seine eigentlichen Probleme in alle Zeiten mitnimmt. So spürt er schließlich kein Verlangen, in seine Gegenwart zurückzukehren. Er wird zum freiwilligen Robinson Crusoe und ist sich dessen bewusst, dass es vermutlich ein schlimmes Ende mit ihm nehmen wird: Für einen ‚simplen‘ Science Fiction-Roman ist dieser Karvel ein überraschend vielschichtiger Charakter.

Die Welt hat nicht auf ihn gewartet

In Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit trifft Karvel auf eine lange Reihe seltsamer, skurriler, aber immer interessanter Wesen. Die außerirdischen Hras sind Biggle dabei am besten gelungen. Sie wirken gleichzeitig vertraut und unendlich fremd. Aber ebenso überzeugend wirken die Menschen der Zukunft. Ihr Gesellschaftssystem, ihr Alltagsleben, sogar ihre Moden fließen unaufdringlich in die Handlung ein und formen glaubwürdige Figuren mit individuellen Zügen.

„Spiralen aus dem Dunkel“ ist wie schon gesagt keine ‚große‘ (SF-) Literatur, aber nichtsdestotrotz ein kleiner Klassiker, der es verdient hätte, der Vergessenheit entrissen zu werden. In den USA ist das erfreulicherweise kein Problem, denn dort sind Lloyd Biggles Romane stets nachgedruckt worden. In Deutschland ist dieser Autor dagegen schon lange vom Markt verschwunden. So wie es z. Zt. mit der Science Fiction in diesem unseren Lande aussieht, wird sich daran in absehbarer Zeit nichts – falls überhaupt – ändern.

Verfasser

Lloyd Biggle, jr., wurde am 17. April 1923 in Waterloo, US-Staat Iowa, geboren. Während des II. Weltkriegs diente er als Verbindungsoffizier bei der Infanterie. Er war u. a. in Deutschland stationiert und wurde dort zweimal im Gefecht schwer verwundet. Nach dem Krieg studierte er Musikwissenschaften an der Universität von Michigan in Detroit. Dort lehrte Dr. Biggle in den 1950er Jahren dieses Fach selbst.

Parallel dazu begann er 1955 seine Karriere als professioneller Schriftsteller. Er war erfolgreich, und nach der Veröffentlichung des Romans „All the Colors of Darkness“ (1963, dt. „Für Menschen verboten“) schrieb er hauptberuflich. Dabei fand er rasch seinen eigenen Stil, der „harte“ SF-Technik mit der Extrapolation zeitgenössischer Kunst, klugen Gedanken über mögliche gesellschaftliche Entwicklungen und vielschichtigen Figuren verband. Besonders die Musik der Zukunft hatte es Biggle angetan, wie schon der Titel eines seiner Hauptwerke („The Still, Small Voice of Trumpets“, 1968, dt. „Fanfaren der Freiheit“) deutlich macht. Komponisten wie Jimmy Webb und berühmte Schriftsteller-Kollegen wie Orson Scott Card machen ausdrücklich Biggles Einfluss auf ihr Werk geltend.

Weniger bekannt als der SF-Autor Biggle ist der Verfasser spannender, oft im viktorianischen England spielender Kriminalgeschichten. Mit „Großvater Rastin“ oder „Lady Sara Varnley“ schuf er eine eigene, recht populäre Protagonisten in diesem Genre. Biggle schrieb auch neue Geschichten um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes.

In den 1970er Jahren gründete Biggle die „Science Fiction Oral History Association“, die Reden und Diskussionen kompetenter Autorinnen und Autoren der SF aufzeichnet und sammelt, die sonst unwiederbringlich verloren wären. Lange Jahre war er außerdem Schatzmeister der „Science Fiction Writers of America“ – ein ungemein rühriger, hochaktiver Mann ungeachtet dessen, dass er seit den frühen 1980er Jahren gegen die Leukämie- und Krebserkrankung kämpfte, der er am 12. September 2002 schließlich zum Opfer fiel.

Taschenbuch: 224 Seiten
Originaltitel: The Fury Out of Time (Garden City, New York : Doubleday 1965)
Übersetzung: Tony Westermayr
http://www.randomhouse.de/goldmann

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