Clark Ashton Smith – Die Bestie von Averoigne (Gesammelte Erzählungen – Band 4)

Der vierte Band der geplanten Gesamtausgabe sammelt weitere 22 Erzählungen von Clark Ashton Smith (1893-1961). Neben klassischen Grusel- und SF-Storys stechen jene elf Erzählungen heraus, die der Verfasser in der pseudo-mittelalterlichen französischen Provinz Averoigne spielen lässt: Unter den ohnehin großartigen Sammelbänden ist dieser sicherlich einer der besten.

Inhalt:

Ein Mord in der vierten Dimension (A Murder in the Fourth Dimension, 1930), S. 7-18: Die Rache am Nebenbuhler ist zwar garantiert nicht aufzuklären, doch der Plan weist zum Schrecken des Täters eine entscheidende Schwachstelle auf.

Lebendig begraben (The Second Interment, 1933), S. 19-34: Schon zum zweiten Mal muss der kranke Edelmann den Horror erleben, lebendig begraben zu werden.

Im Banne des Bösen (The Devotee of Evil, 1930/41), S. 35-52: Der Forscher sucht nach dem Ursprung des Bösen und findet es – oder findet es ihn?

Die Jäger aus der Tiefe (The Hunters from Beyond, 1932), S. 53-76: Der Kontakt mit den Schrecken der Unterwelt bleibt nicht so einseitig, wie es der neugierige Künstler geplant hat.

Eine Nacht in Malnéant (A Night in Malnéant, 1929/39), S. 77-85: Ein tragischer Todesfall lässt einen Mikrokosmos entstehen, in dem sich die Trauer als Schleife endlos wiederholt.

Der Planet der Toten (The Planet of the Dead, 1932), S. 86-103: Ein Liebespaar erlebt schöne letzte Tage, bevor die Sonne ihres fernen Planeten erlischt.

Die Wurzel der Ampoi (The Root of Ampoi, 1930/49), S. 104-123: Der Versuch, eine Amazonenkönigin zu betrügen, geht für einen Entdeckungsreisenden in mehrfacher Hinsicht unglücklich aus.

Der Gott des Asteroiden (The God of the Asteroid/Master of the Asteroid, 1932), S. 124-145: Ein zwischen den Planeten abgestürzter Raumfahrer wird zum Objekt eines bizarren Kultes.

Die plutonische Droge (The Plutonian Drug, 1934), S. 146-159: Wieso dem Zeitreisenden der Blick in die Zukunft verwehrt blieb, erkennt er einen Moment zu spät.

Der Radschah und der Tiger (The Raja and the Tiger, 1912), S. 160-168: Ein Engländer gerät in Indien in eine doppelte Todesfalle.

Der große Gott Awto (The Great God Awto, 1940), S. 169-176: Viele Jahrtausende in der Zukunft erfährt die automobile Vergangenheit eine bizarre Missinterpretation.

[- Will Murray: Die Chroniken von Averoigne (The Averoigne Chronicles, 2015), S. 177-187: Der Autor informiert über Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte der Averoigne-Storys.]

Wie die Geschichte endet (The End of the Story, 1930), S. 188-213: Der allzu neugierige Reisende gerät in den Bann einer uralten Kreatur mit tödlichen Absichten.

Der Satyr (The Satyr, 1931), S. 214-221: Der gehörnte Ehemann rächt seine Gattenehre unter den Augen des hämischen Gottes Pan.

Ein Rendezvous in Averoigne (A Rendezvous in Averoigne, 1931), S. 222-242: Ein junger Troubadour und seine Geliebte gehen einem verschlagenen Vampir-Pärchen in die Falle.

Die Heiligkeit des Azédarac (The Holiness of Azédarac, 1933), S. 243-271: Mönch Ambrosius will einen schwarzmagischen Bischof entlarven, wird von diesem aber entdeckt und auf eine (Zeit-) Reise ohne Rückfahrkarte geschickt.

Der Steinmetz und die Wasserspeier (The Maker of Gargoyles, 1932), S. 272-292: Die Bosheit des Meisters manifestiert sich in seinen Werken, die daraufhin eine Stadt in Angst und Schrecken versetzen.

Die Bestie von Averoigne (The Beast of Averoigne, 1933), S. 293-314: Ein roter Komet kündigt das Erscheinen einer Kreatur an, die des Nachts für Entsetzen und Tod sorgt.

Der Koloss von Ylourgne (The Colossus of Ylourgne, 1934), S. 315-368: Als ein Magier vor der Inquisition die Flucht ergreifen muss, lässt er die Toten wiederauferstehen – doch dies gilt nur der Vorbereitung seiner eigentlichen Rache.

Die Alraunen (The Mandrakes, 1933), S. 369-378: Der Zauberer hätte seine gemordete Gattin nicht unbedingt dort begraben sollen, wo wundertätige Wurzeln wachsen.

Die Venus von Périgon (The Disinterment of Venus, 1934), S. 379-392: Eine auf Klostergrund gefundene Statue entwickelt ein Eigenleben, das den braven Mönchen unter ihren Kutten unfromm einheizt.

Mutter der Kröten (Mother of Toads, 1938), S. 393-404: Eine beleidigte Hexe rächt sich lurchig an ihrem unfreiwilligen Liebhaber.

Die Zauberin von Sylaire (The Enchantress of Lylaire, 1941), S. 405-426: Die Liebe zu einer uralten Wesenheit nimmt trotz ihrer Entlarvung eine gänzlich unerwartete Wendung.

[- Scott Connors und Ron Hilgers: Anmerkungen zu den Erzählungen, S. 427-462]

Die Welt steckt voller (schrecklicher) Geheimnisse

Teil 1 dieses vierten Bandes mit Storys des Phantastik-Meisters Clark Ashton Smith (1893-1961) sammelt Texte, die für zeitgenössische „Pulp“-Magazine geschrieben wurden. Smith zügelte sein Talent und seinen Wortwitz, um zielgerichtet Horror- und SF-Garne zu produzieren, die ihm zur Zeit der Weltwirtschaftskrise ein paar Dollar in die Kasse spülten. Dafür griff er sogar Anregungen der Herausgeber auf, die nicht nur für ihre Honorarknauserigkeit, sondern auch für ihren Drang berüchtigt waren, möglichst nur Stoffe zu veröffentlichen, die keinerlei Kritik herausforderten. Nichtsdestotrotz wurden „Lebendig begraben“ oder „Ein Mord in der vierten Dimension“ typische Smith-Texte: Dem Autor gelang es – aus heutiger Sicht glücklicherweise – nicht, seine ganz eigene Fantasie zu unterdrücken.

Nur selten kapitulierte Smith und lieferte die übliche „Pulp“-Kost, die heute zu Recht vergessen ist. „Die Wurzel der Ampoi“ ist ein schlaffes, umständlich auf den vom Leser lange vorab geahnten Schlussgag gezirkeltes Histörchen, für das der Autor in zeitgenössischen Chauvinismen schwelgte, die er sich sonst verkniff. „Im Banne des Bösen“, „Der Planet der Toten“ und „Die Jäger aus der Tiefe“ sind Variationen bereits zuvor (und später) bemühter Plots, die Smith nichtsdestotrotz mit Visionen auflud, die er für die Veröffentlichung buchstäblich simplifizieren oder zusammenstreichen musste.

Hin und wieder gelang es Smith – oft nach zahlreichen Ablehnungen und Änderungen -, eindrucksvolle Kabinettstücke in die „Pulps“ zu mogeln. „Eine Nacht in Malnéant“ zeugt von der Kunst, Stimmung über Handlung oder gar ‚Action‘ zu stellen. Grandios gelingt es Smith in „Die plutonische Droge“, den Zeitreise-Effekt ebenso originell wie einleuchtend in Worte zu fassen. „Der große Gott Awto“ zeigt Smith als Meister eines hintergründigen, trockenen Humors. Ein ‚Ausreißer‘ stellt das bereits 1912 veröffentlichte Frühwerk „Der Radschah und der Tiger“ dar, das indes den späteren Wortkünstler bereits ankündigt.

Vergangenes Fantasy-Frankreich

Der zweite Teil dieses Bandes sammelt erstmals jene elf Storys, für die Smith in den 1930er Jahren die fiktive südfranzösische Provinz Averoigne schuf. Sie ist als Schauplatz bizarrer Ereignisse weniger prominent als Hyperborea – ein vorzeitlicher, versunkener Kontinent -, Zothique – die alte, sterbende Erde – oder Xiccarph – ein fiktiver, ferner Planet -, womit diesen Erzählungen allerdings Unrecht geschieht: Nicht grundlos kehrte Smith mehrfach nach Averoigne zurück. Er mochte diese Provinz, die er mit dem ihm eigenen Geschick in einen ebenso vertrauten wie faszinierend fremden Ort verwandelte.

Der Averoigne-Zyklus ist eine außerordentlich reizvolle Mischung aus Phantastik und ‚realer‘ Historie, wobei Smith den Effekt der wissenschaftlichen Präzision vorzog, wie er H. P. Lovecraft erläuterte, der ihn wegen diverser Irrtümer gerügt hatte. Der Autor fügte Averoigne unbekümmert in die französische Landkarte ein und gestaltete die Kunst-Provinz, die angeblich von einem (ebenfalls erfundenen) Keltenstamm gegründet wurde, als exotische Nische. Hier haben zum einen die Wesen einer mythischen, ‚heidnischen‘ Vorzeit überlebt, während zum anderen klassische Gruselgestalten wie Vampire, Werwölfe oder Gespenster ihr Unwesen treiben.

Dies ist der ebenso simple wie geniale Trick: Smith erinnert an eine Zeit, als der Aberglaube gleichberechtigt neben dem Realwissen stand. Was spätestens im 19. Jahrhundert wissenschaftlich erklärt werden konnte, galt vor allem im Mittelalter als Ausfluss unbekannter, fast grundsätzlich für ‚böse‘ befundener Mächte, die von einer noch entscheidungsmächtigen Kirche als „teuflisch“ gebrandmarkt und verfolgt wurden. Smith setzt nunmehr voraus, dass in der Tat übernatürliche Kräfte in der Menschenwelt präsent waren, und lässt diese einfallsreich von der Kette.

Eine Welt ohne Grenzen

Darüber hinaus verfügt Smith über das Talent, eine nur scheinbar reale Vergangenheit überaus überzeugend aufleben zu lassen. Die Averoigne-Storys greifen nicht nur inhaltlich, sondern auch formal auf alte Annalen und vor allem Legenden zurück. Der Historiker erkennt diese Anleihen, aber sie teilen sich über ihre unterhaltungsstarke Wirkung auch dem ‚normalen‘ Leser mit, zumal ein überaus engagierter Übersetzer die Wortgewalt der Vorlagen ins Deutsche retten konnte. Es ist ein Genuss, sich im nur scheinbar altmodischen Text zu verlieren, der tatsächlich mit anachronistischer Ironie gespickt ist. Smith hat die zeitgenössischen Überlieferungen gleichermaßen kopiert wie parodiert.

Vor allem der Kirche bzw. der von ihr verordneten Lustfeindlichkeit gilt sein Spott. Alte Texte erzählen immer wieder von glaubensstarken Kirchenmännern, die dem Erzbösen begegneten und ihm Paroli boten. Bei Smith geht dies in der Regel anders aus: Mönche erliegen straflos der Liebeslust, ausgerechnet ein sittenstrenger Abt verwandelt sich in ein Monster, ein als Bischof getarnter Schwarzmagier wird gar nach seinem Tod heiliggesprochen. Vorgeblich gibt Smith die Schrecklichkeit solcher Geschehnisse vor, die er nicht nur konterkariert, sondern durch knochentrockenen Humor auf die Spitze treibt.

Er tat dies vor allem zum eigenen Vergnügen. Wieder sind diesem Sammelband Anmerkungen beigefügt, die über die Entstehung der einzelnen Storys informieren. Sie verraten, mit welchen Schwierigkeiten ein zunehmend frustrierter Smith kämpfen musste: Er schrieb für die zeitgenössischen „Pulp“-Magazine, deren Leser von den Herausgebern für pubertäre Idioten gehalten wurden. Banale Abenteuergarne kauften sie gern an, während Hintersinn unter besonderer Verdammung selbst nur angedeuteter Sexualität ausgeklammert wurde. Immer wieder musste Smith Texte umschreiben bzw. ‚entschärfen‘ – für den lebenslustigen Mann eine Zumutung und aus heutiger Sicht schlicht albern.

Dickes Lob für dickes Buch

Wieder darf sich der Leser nicht nur über charmant-krude, unterhaltsame, in Deutschland zum Teil nie erschienene bzw. neu (und gut: s. o.) übersetzte Storys freuen. Auch handwerklich reiht sich „Die Bestie von Averoigne“ in das sich allmählich der Vollständigkeit nähernde Sammelwerk der Smith-Erzählungen ein. Für die Averoigne-Storys verfasste Will Murray, der nicht nur ein vielpublizierter (Comic-Book-) Autor, sondern auch ein Spezialist für ‚historische‘ Phantastik ist, sogar exklusiv einen Text, der über den Zyklus, seine Entstehung und seine Veröffentlichungsgeschichte informiert.

Jede der in diesem Band gesammelten Erzählungen wird wiederum (von Scott Connors und Ron Hilgers) kommentiert, wobei interessante Hintergrundinfos geliefert werden; Smith äußerte sich vor allem als Brieffreund von H. P. Lovecraft ausführlich über seine Storys und erläuterte deren Genese – und die Schwierigkeiten, Geld damit zu verdienen.

So beunruhigend es ist, dass sich der Vorrat der kuriosen, ungewöhnlichen, wunderbaren Smith-Storys dem Ende zuneigt, muss abermals der lange Atem des Festa-Verlags gewürdigt werden. Das Publikum für diese auch heute keineswegs stromlinienförmigen (oder anspruchslosen) sowie alten Geschichten dürfte überschaubar sein. Dennoch schreitet das Sammelwerk zur Freude jener fort, denen die Zeitlosigkeit der Smith-Garne auf- und gefällt.

Autor

Clark Ashton Smith, geboren 1893 in Long Valley, Kalifornien war ein kluger Kopf aber ein Exzentriker. Das zeigte sich schon in jungen Jahren, als er beschloss, dass ihm die High School – die Aufnahmeprüfungen hatte er bereits bestanden – nicht bieten könne, was er an Bildung forderte. So blieb Smith Autodidakt. Dies verdarb ihn für die ‚normale‘ Welt der Erwerbstätigen, ließ aber einen unkonventionellen Geist und Künstler entstehen.

Dem Autor Smith gelang es nie wirklich, von seiner Feder zu leben. Er begann als Dichter und kehrte auch später oft zur Lyrik zurück. Ab 1910 schrieb er recht simple Abenteuergeschichten, die im Orient spielten. 1922 lernte Smith H. P. Lovecraft (1890-1937) kennen; brieflich zumindest, denn getroffen haben sie sich nie, obwohl sie gute Freunde wurden. Lovecraft, der ein kundiger und strenger Kenner der phantastischen Literatur war, schätzte Smith und ließ ihn sogar eine seiner Geschichten illustrierten: Der Allround-Künstler Smith war auch ein begabter Zeichner, Maler und später Bildhauer.

Ab 1929 wurde Smith verstärkt schriftstellerisch tätig, da er nunmehr seine Eltern unterstützen musste. Anders als Lovecraft war ein ‚schneller‘ Autor, der bis 1935 110 Storys schrieb, die in Magazinen wie „Weird Tales“, „Amazing Stories“ oder „Strange Tales“ erschienen. Persönliche Probleme und eine Verlagerung seiner Interessen auf die darstellende Kunst führten dazu, dass sich Smith Mitte der 1930er Jahre auf die Bildhauerei konzentrierte. Er schrieb bis zu seinem Tod im Jahre 1961 nur noch wenig.

Leben und Werk von Clark Ashton Smith werden auf diversen Websites geradezu zelebriert, denn der Mann gilt in manchen Kreisen als eine Art unkonventioneller Prä-Hippie. Zu empfehlen ist diese: The Sanctum of Clark Ashton Smith.

Gebunden: 462 Seiten
Übersetzung: Malte S. Sembten, Michael Siefener, Martin Eisele
www.festa-verlag.de

eBook
ISBN-13: 978-3-86552-283-2
www.festa-verlag.de

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