Clark Ashton Smith – Die Stadt der Singenden Flamme (Die gesammelten Erzählungen – Band 1)

Mit Ironie und Eleganz in das Grauen der Welt

Dies ist der erste Band einer geplanten Gesamtausgabe der Erzählungen von Clark Ashton Smith (1893-1961), einem „vergessenen literarischen Gefährten von H.P. Lovecraft. Seine Dark Fantasy ist von halluzinatorischer Intensität. Viele Fans halten Smiths Werk sogar für bedeutsamer als das von Lovecraft.“ (Verlagsinfo)

Dieser Band sammelt dessen spannend-schwarzhumorige Geschichten über die vorzeitliche Insel Hyperborea; hinzu kommen Grusel- und SF-Storys, die Smith für zeitgenössische Magazine wie etwa „Weird Tales Magazine“ schrieb. Es gilt, einen Großmeister der Phantastik wiederzuentdecken.

Der Autor

Der US-amerikanische Schriftsteller, Dichter und Bildhauer Clark Ashton Smith lebte von 1893 bis 1961 und gehörte zum engsten Kreis der Brieffreunde von Howard Phillip Lovecraft (HPL), zu denen auch CONAN-Schöpfer Robert E. Howard zählte. Smith schuf am Cthulhu-Mythos mit und erfand u.a. den vorzeitlichen Inselkontinent Hyperborea, wo ein Teil von Conans Abenteuern spielt.

Die Festa-Edition:

1) Die Stadt der Singenden Flamme (2011)
2) Die Grabgewölbe von Yoh-Vombis (2012)
3) Das Labyrinth des Maal Dweb (11/2013)
4) Die Bestie von Averoigne (12/2014)

VORWORT

…von Stephen Jones: „Die vergessenen Welten des Klarkash-Ton“ (The Lost Worlds of Klarkash-Ton, 2002), S. 7-43

Stephen Jones zeichnet das wenig ereignisreiche Leben Smiths nach und erklärt, warum dieser einfallsreiche Autor über lange Zeit hinweg sehr wenig schrieb: Er musste Geld als Tagelöhner verdienen. Im abschließenden Teil dieses Vorworts dürften Sammler – denn dies ist ja eine Sammleredition – aufhorchen: Jones listet penibel sämtliche Ausgaben der Werke Smiths auf, die im Laufe der Jahre verfügbar wurden. Das ist zwar öde für Nicht-Fans, aber umso hilfreicher für Sammler.

Die Erzählungen

1) Über Fantasy [Briefauszug], S. 45-47

Hier formuliert Smith eine Art eigenes Literaturprogramm für seine Spielart der Fantasy.

2) Die Stadt der Singenden Flamme (The City of the Singing Flame, 1931), S. 49-72:

Philip Hastane ist der Nachlassverwalter für zwei verschwundene Schriftstellerkollegen, Giles Angarth und Felix Ebbonly. Von diesen hat lediglich Angarth Tagebuch geführt. Alles begann 1938 auf einem kahlen Hügel, als Angarth zwischen zwei merkwürdig geformte Steine trat und auf einem anderen Planeten wieder herauskam.

Auf einer Ebene erheben sich die gigantischen Mauern einer verlassenen Stadt. Er tritt am zweiten Tag durch ein titanisches Tor und folgt den fremdartigen Wesen, die einem unbekannten Ziel zustreben: Tigerartige, Elefantenartige und manche, die aussehen wie riesige Schmetterlinge. Über der Stadt erklingt eine betörende Melodie, die alle Wesen anzuziehen scheint.

Erst nachdem er sich am 2. Tag die Ohren verstopft hat, wagt er sich auch ins Innerste der Stadt. Nach einer Tunnelpassage gelangt er in eine große Tempelhalle, wo er der Singenden Flamme ansichtig wird. Von ihr geht die verlockende Musik aus. Bevor er dazu verlockt wird, sich wie andere Wesen hineinzustürzen, um in einem Augenblick seligen Vergehens zu enden, flieht er aus der Stadt.

Er hätte es besser wissen sollen, als den armen, schöngeistigen Felix Ebbonly einzuladen, die Singende Flamme erneut zu besuchen. Denn Ebbonly hat dem Lockruf der Musik rein gar nichts entgegenzusetzen …

Mein Eindruck

Die Weltwirtschaftskrise von 1929 hat zwei Jahre zuvor zahllose Menschen rund um den Globus ins wirtschaftliche Nichts gestürzt, und viele davon nahmen sich selbst das Leben. Was könnte die verderbliche Verlockung besser symbolisieren, als die ersehnte Schönheit einer Flamme, die betörende Weisen von Seligkeit und Wonne vorgaukelt?

Tiefenpsychologisch gesehen geht es um bindungs- und haltlose Männer, die sich mit der Verlockung des Aufgehens in einer nahezu übernatürlichen Gewalt auseinandersetzen müssen. Mensch und Masse, Individuum und Faschismus – dieser Konflikt fand nicht nur politisch und philosophisch statt, sondern auch in zahllosen Menschen, die sich fragten, ob es ein Morgen geben könne – oder ob die Transzendenz, die die Flamme verspricht, dem Jammertal nicht vorzuziehen sei: nämlich die Reiche der Phantasie.

3) Jenseits der Singenden Flamme (Beyond the Singing Flame, 1931), S. 73-102:

Philip Hastane hat ein Jahr vergeblich auf die Rückkehr seiner Freunde Angarth und Ebbonly gewartet. Nun, 1939, begibt er sich durch das Dimensionstor ebenfalls auf den fremden Planeten und in die Stadt der Singenden Flamme. Er hat sein Gehör selbst durch ein Narkosemittel betäubt, um dem Lockruf der Flamme zu entgehen.

Doch wie bei seinen Gefährten reicht es nicht, taub zu sein: Man kann den Vibrationen, die die Flamme aussendet, nicht entkommen. Diesmal mischt sich ein Misston in diese Harmonie: Eine riesige Stadt, getaucht in Rot und Schwarz, nähert sich mit donnerndem Beben der heiligen Stadt. Offenbar handelt es sich um einen Angriff.

Zwei Flugwesen tragen Hastane über das geschlossene Tor und die gigantischen Mauern bis zum Tempel der Flamme – und in die Flamme selbst hinein. Nach einem Übergang begegnet er seinen Freunden wieder: Dies sei die Innere Dimension, erklären sie ihm, und hier vereinigen sich die Geister in Freundschaft. Doch auch dieses Reich wird vom Angriff der Feinde nicht verschont…

Mein Eindruck

Die Transzendenz, die der Flug der Phantasie, symbolisiert in der Singenden Flamme, gewährt, führt den Adepten in die Innere Dimension. Dies ist eine Art Noosphäre, ein Reich des Geistes, wie es die Freunde HPLs miteinander teilten und zu schätzen und zu bereichern wussten. Doch 1936 starb Howard und 1937 folgte ihm HPL selbst – vorbei war’s mit der Herrlichkeit.

Dieser „traumseligen Müßiggänger“ sind es, die die feindliche Stadt aufs Korn nimmt, als sie Ydom, die Stadt der Singenden Flamme, verwüstet. Es ist nicht schwer, sich die krassen Materialisten auszumalen, die in dieser Stadt hausen und über „Phantasten“ herfallen. Ich bin sogar selbst kürzlich abschätzig als „Künstler“ tituliert worden, so als sei dies etwas besonders Verwerfliches.

4) Das neunte Skelett (The Ninth Skeleton, 1928), S. 103-108:

Auf dem Hügelkamm des Boulder Ridge in Kalifornien will Herbert seine Verlobte Guenevere treffen. Doch wie kommt es nur, dass er, der diesen Ort wie seine Westentasche kennt, durch eine Abkürzung auf einen Flecken gerät, der von Grab- oder Gedenksteinen umgeben ist? Um jeden Grabstein führen schmale Fußabdrücke wie von … Da tritt auch schon das erste Skelett auf diesen Friedhof: ein weibliches Gerippe, das auf den Armen das Skelett eines Säuglings hält. Es verschwindet hinter einem Grabstein, wie Herbert, vor Grauen wie erstarrt, beobachtet.

Weitere sieben folgen in gleicher Aufmachung, doch der Arm des neunten Skeletts ist leer – ebenso wie das Grab, vor dem es steht. Ist es das Zupfen seines fleischlosen Fingers an Herberts hemd, das ihn vor dem leeren Grab in Ohnmacht fallen lässt?

Mein Eindruck

Der Tatort liegt unweit von Smiths Geburtsort Auburn in Ost-Kalifornien. Es ist sicher kein Zufall, dass neun weibliche Skelette mit toten Säuglingen auftauchen, während die Hauptfigur auf eine Frau wartet. Das altbekannte Motiv des Memento mori wird jedoch durch die exakte, detailreiche Ortsbeschreibung und die bedrückende Atmosphäre aufgewertet.

5) Der malaiische Kris (The Malay Creese, 1910), S. 109-111:

Ein indischer Antiquitätenhändler in Delhi erinnert den Interessenten eines malaiischen Kris-Dolches, wie diese Waffe in seinen Besitz gelangte. Er gehörte einst Sujah Ali, der als zweiter, rechtloser Sohn eines Sultans in die Piraterie ging und nach ein paar Jahren der Schrecken des Chinesischen Meeres und der Sunda-See wurde.

Doch dann kamen die Engländer, um ihre Bastion Singapur (die Stadt des Löwen) an der Straße von Malakka zu gründen. Als Sujah Ali ihre Handelsschiffe versenkte, kehrten sie mit Kriegsschiffen zurück. In einer fürchterlichen Schlacht verlor Sujah Ali seine besten Schiffe und Kapitäne. Er floh ins Landesinnere von Malaya, wo er sich in einem uneinnehmbaren Sumpfdorf versteckte. Doch die Eifersucht einer Frau wurde ihm zum Verhängnis…

Mein Eindruck

Im Gegensatz zu den meisten Erzählungen erscheint diese schon 1910 geschriebene kleine Geschichte wie eine Anekdote aus der historischen Realität. Sie illustriert im Stil der Anekdoten des späten Realismus die alte Wahrheit, „hell hath no fury like a woman scorn’d“ (Shakespeare): Es gibt nichts Schlimmeres für einen Mann als eine verschmähte, eifersüchtige Frau.

6) Die Abscheulichkeiten von Yondo (The Abominations of Yondo, 1926): S. 112-121:

Der von den Inquisitoren des Löwengottes Ong in die Wüste von Yondo verbannte Ketzer denkt, er habe tatsächlich eine Chance. Falscher Irrtum! Grässliche Wesen, die in Höhlen hausen, ein tückischer Salzsee mit ätzendem Wasser, eine schreiende, im Boden steckende Frauenstatue sind nur der Vorgeschmack auf die Begegnung mit einem Ritter ohne Gesicht und eine königliche Mumie, die nach dem Blut des Ketzers giert…

Mein Eindruck

An den regenlosen Osthängen der Sierra nevada von kalifornien, in der C.A. Smith aufwuchs, liegen Salzseen wie der berühmte Mono Lake, dessen bizarre Salzskulpturen den einsamen Pilger narren können. So ergeht es auch dem dürstenden Wanderer, der sich in der Höllenwüste von Yondo zahlreichen gottlosen Hirngespinsten ausgesetzt sieht.

Seine Wanderung hat zwar keine Handlung, dafür aber illustriert sie die Heimatlosigkeit der Seele, die ihren heimatlichen Glauben verloren hat. Der angebliche Ketzer stammt gar nicht aus Ongs Reich, sondern aus den fremden Landen dahinter. Er ist eigentlich unschuldig, doch irgendwie ist es ihm gelungen, Ong beziehungsweise dessen Priester zu beleidigen. Das ist die zugrunde liegende Ironie an der Geschichte: Auch ein Unschuldiger kann in der Hölle landen.

7) Die Auferweckung der Klapperschlange (The Resurrection of the Rattlesnake, 1931), S. 122-129:

Der Horrorschriftsteller Avilton ist so von der Nichtexistenz des Übernatürlichen überzeugt, dass seine Freunde Schuler und Godfrey beschließen, ihm einen Streich zu spielen, der ihn eines Besseren belehren soll. Da er angibt, vor der Party am Samstag noch eine klitzekleine Horrorstory über „Die Auferweckung der Klapperschlange“ zu verfassen, soll ihr Streich auf diesem Element beruhen.

Die Party ist ein Bombenerfolg und Godfrey und Schuler sind danach rechtschaffen müde. Da sie wissen, dass Avilton einen tiefen Schlaf hat, nehmen sie die mitgebrachte, völlig harmlose Bullennatter mit in sein Schreibzimmer. Dort wollen sie die ausgestopfte Klapperschlange, die ihn inspiriert hat, aus dem Bücherregal nehmen und durch die echte Schlange ersetzen. Möge ihm sodann der Schrecken in die Glieder fahren.

Doch sie kommen gar nicht soweit: Die besagte Klapperschlange befindet sich nicht tot im Regal, sondern zischt sie höchst lebendig vom Schreibtisch aus an!

Mein Eindruck

Kann Glaube Berge versetzen? Gibt es das Übernatürliche vielleicht doch? Smiths kurze, aber höchst wirkungsvolle Erzählung stellt hinterlistige Fragen. Doch Horrorleser werden sie begeistert mit „Ja!“ beantworten. Der besondere Reiz an der Geschichte ergibt sich aus dem exakt gezeichneten Lokalkolorit der Schriftstellerszene von San Francisco und oakland. In dieser Szene verkehrte Smith selbst eine Zeitlang, zumindest in seiner fruchtbarsten Zeit zwischen 1928 und 1937.

8) Die Schrecken der Venus (The Immeasureable Horror, 1931), S. 130-149:

Anno ’77 (keine Angabe über das Jahrhundert) unternimmt ein amerikanisches Raumschiff die zweite Expedition zum Nachbarplaneten Venus. Wie jeder weiß, ist es dort heiß. So heiß nämlich, dass die Hitze über den Dschungeln des Amazonas ein laues Lüftchen dagegen ist. Zwei Gleiter sollen den Planeten erkunden, und der Ich-Erzähler steuert den Meridianspäher, also jenen Gleiter, der über die beiden Pole fliegt. So vermeidet er die Nachtzone, die ihre eigenen Schrecken bereithält.

Aber auch die Tagzone hat es in sich. Nachdem sich der erste Spähtrupp vor riesigen Anacondas auf Beinen hat zurückziehen müssen, fliegt der Gleiter über eine Bresche, die sich durch den üppigen Urwald zieht. Welches Wesen kann denn eine solche Autobahn ziehen, fragen sich die Venuserkunder. Als ie der Bresche folgen, stoßen sie auf ein wurmrosa gefärbtes Gallertwesen von derart gigantischen Ausmaßen, dass es seine eigene Schwerkraft ausübt – und zwei Urvögel in seinen Schlund zieht. Soll der Gleiter das gleiche Schicksal erleiden? Nimmer! Die Kanonen sprechen.

Doch als der Gleiter umdreht, folgt ihm auch der Riesenwurm, und zwar in einem enormen Tempo. Kann es ein Entkommen geben? Doch dann taucht ein zweiter Wurm auf …

Mein Eindruck

Dies ist wunderbarste Dreißiger-Jahre-Pulp Fiction! Damals stellten sich die Astronomen die Venus noch als von Sümpfen und Dschungel bedeckten Planeten vor, der sich unter Wolken verbarg. Diese Vorstellung übernahmen selbst noch Autoren wie Robert Heinlein, die es eigentlich besser hätten wissen sollen. Wie auch immer, die Venus öffnete der Phantasie Tür und Tor für feuchte Träume.

Die deutsche Übersetzung unterscheidet sich deutlich von den anderen hier vertretenen. Sie ist im Ton der damaligen zeit gehalten. Da tauchen Vokabeln wie „sichtraubend“, „Glast“, „Gewürm“ und dergleichen auf. Mitarbeiter sind stets „Kameraden“, und die Expedition ist stets heldenhaft. Das klingt nach dem militärisch angehauchten Sprachgebrauch der deutschen fünfziger Jahre.

Doch außer dem Navigator und seinen engsten Freunden kehrt keiner von dem Höllenplaneten zurück … Es ist eine seltene Warngeschichte, die den Propaganda-Offizieren des US-amerikanischen Raumfahrtprogramms gar nicht geschmeckt hätte. Doch die NASA gab es damals noch gar nicht. Sie wurde erst 1958 von Präsident Eisenhower gegründet.

9) Aus den Grüften der Erinnerung (From the Crypts of Memory), S. 150-152:

Diese sprachlich sehr abgehobenen Eindrücke aus der Endphase eines sterbenden Volkes spielen immer wieder auf die Zustände in der Unterwelt an: Frauen wandeln wie Schattenlilien an den Ufern des Styx, und der Acheron fließt still und tödlich. Es ist die Beschreibung des Endes einer hochstehenden Zivilisation, die nicht in der Lage ist, ihre zum Untergang verurteilte Welt zu verlassen.

Nur Autoren wie John W. Campbell, dem späteren einflussreichsten Herausgeber der SF, gelang es, ein ähnlich düsteres Bild des Untergangs zu malen wie C.A. Smith. Doch beide kamen aus völlig verschiedenen Ecken der Literatur.

((2. Teil )) „Hyperborea“

10) EINLEITUNG von Will Murray: Das Hyperborea von Clark Ashton Smith (Introduction [aus: The Book of Hyperborea], 1996), S. 155-168

Diese bio-bibliographischen Anmerkungen liefern einen Eindruck davon, wie es zur Entstehung von Smiths fiktivem Kontinent Hyperborea kam und wie sich dieses Nordland von jenem geographischen Bereich unterscheidet, den die Griechen „Hyperboräa“ nannten, also das „Land jenseits des Nordwinds [Boreas]“. Schon Ender 1920er Jahre begann CAS daran zu schreiben, war etwa vier Jahre lang – unter widrigsten Bedingungen – sehr produktiv und schrieb die letzte Hyperborea-Erzählung 28 Jahre später. Einige Entwürfe wurden aufgrund der ständigen Ablehnungen nie realisiert – oder in einem ganz anderen Zusammenhang.

11) Die Geschichte des Satampra Zeiros (The Tale of Satampra Zeiros, 1931), S. 169-185:

Aufgrund einer unheilvollen Prophezeiung der Seherin von Polarion verlassen die Bewohner der stolzen Königsstadt Commoriom die Tempel, Paläste und Kaufmannshäuser und gründen als neue Hauptstadt Uzuldarum. Eben dort treibt der Meisterdieb Satampra Zeiros sein Unwesen. Doch zusammen mit seinem Kumpan Tirouv Ompallios muss er eines Tages feststelln, dass sie Schutzmaßnahmen gegen Seinesgleichen so zugenommen haben, dass nun katastrophale Ebbe in seine Börse herrscht. Indem sie ihre letzten drei Kreuzer versaufen, verfallen die beiden Langfinger auf die verwegene Idee, das verlassene, dem Verfall preisgegebene Commoroiom auf Juwelen und andere Schätze zu durchsuchen.

Doch sind die Gerüchte über einen unbekannten Schrecken, der in der vom Dschungel zurückeroberten Stadt umgehe, keineswegs unbegründet. In einem Tempel abseits der Hauptstraße stoßen die beiden zwar nicht auf die erhofften Schätze, aber den befürchteten Schrecken. In einem Bronzebecken von gewaltigen Ausmaßen beginnt sich aus der schwarzen Flüssigkeit eine Gestalt zu erheben, die entfernte Ähnlichkeit mit jenem Standbild eines Krötengottes aufweist, den eine Inschrift als „Tsathoggua“ bezeichnet.

Ihre rasche Flucht ist zwecklos: Sie führt zurück zu ihrem Ausgangspunkt. Hier entscheidet sich ihr Schicksal. Denn der Chronist muss erklären, wie es kam, dass er nur noch mit der linken Hand schreiben kann …

Mein Eindruck

Obwohl der Plot sehr leichtgewichtig ist, besticht die Erzählung durch ihre farbigen Beschreibungen und die listige Ironie, mit der die verbrechen der beiden Diebe erwähnt werden.

12) Die Muse von Hyperborea (The Muse of Hyperborea, 1965), S. 186:

Die kühle Schönheit dieser Muse ist für den romantisch veranlagten Schreiber zweifellos verlockend, aber die Muse ist bekanntlich launisch und unnahbar. Dermaleinst will sich der Schreiber, den sie inspiriert hat, an seinem Lebensende auf den Weg zu den Gletschern machen und sich in ihre eisigen Hände legen, um zu vergehen.

Mein Eindruck

Diese Skizze ist nur eine Seite lang, aber dennoch von höchst poetischem Reiz. Wie ein Gedicht in Prosa. Ein feines Beispiel, womit CAS einst als Jüngling anfing und Erfolg hatte.

13) Das Tor zum Saturn (The Door to Saturn, 1930), S. 187-213:

In Hyperborea geht’s rund: Morghi, der Priester der Göttin Yhoundeh, darf als Inquisitor gegen den Hexenmeister und Konkurrenten Eibon vorgehen. Doch als er mit seinen Schergen in dessen Wohnturm eindringt, ist keine Spur des vermeintlichen Ketzers zu finden. Eine detailgenaue Inspektion des Inventars und der Inneneinrichtung fördert jedoch eine ovale Klappe in einer Wand zutage, und sie führt in eine unbekannte Dimension.

Morghi fackelt nicht lange, sondern befiehlt seinen Mannen, auf ihn zu warten – und stürzt sich durch das Dimensionstor, das ja der einzige Fluchtweg des Ketzers gewesen sein muss. Er landet auf einer anderen Welt: auf dem Saturn, der hierzulande Cykranosh genannt wird. Es dauert nicht allzu lange, bis er sich auf der gleichen Landstraße wie Eibon wiederfindet. Beide zockeln hinter einem riesigen Tier her. Eibon erzählt, er habe die Botschaft eines Gottes zu überbringe – eben jenes Gottes, dem er seine Kräfte verdankt.

Schließlich landen sie nach überbrachter Botschaft – eine Belanglosigkeit – bei einem primitiven Stamm, der gar Absonderliches für das seltsame Duo parat hat: Sie wurden für würdig befunden, die riesenhaft gemästete Stammesmutter zu „ehelichen“, um so die nächste Generation zu zeugen. Sollten sie Erfolg haben, hätten sie die seltene Ehre, von ihr verspeist zu werden.

Nur Eibons kühlem Kopf verdankt es Morgui, dass sie dieser Prüfung entgehen und ihr Glück beim nächsten Stamm versuchen konnen. Doch der Weg dorthin ist eine beschwerliche Prüfung …

Mein Eindruck

Was zunächst wie ein Abklatsch von “ Die Abscheulichkeiten von Yondo“ beginnt, wandelt sich zu einer ironisch unterlegten Kooperation zwischen Inquisitor und Ketzer, frei nach dem Motto: „In der Not werden selbst aus erbitterten Feinden Freunde.“ Ansonsten ist das Garn eine Art Road Movie, das von Alienvolk zu Alienvolk führt.

14) Das Manuskript des Athammaus (The Testament of Athammaus, 1932), S. 214-239:

Warum das glorreiche Commoriom, Haupstadt von Hyberborea, in Wahrheit verlassen wurde, erzählt die Geschichte seines Scharfrichters. Nicht eine Prophezeiung einer Seherin war schuld, sondern die entsetzlichen Vorgänge, die auf die Hinrichtung des Mordbrenners Knygathin Zhaum folgten. Sie führten schließlich zur Massenpanik unter der Bevölkerung. Ein schrecklicher neuer Herrscher hatte sich Commoriom erhoben …

Knygathin Zhaum stammt aus dem schlecht angesehen Volksstamm der Voormi (ausgesprochen: Wurmi…), die den Kannibalismus ausüben. Gerüchte gehen um, dass Knygathin Zhaum keineswegs menschlicher Natur sei, sondern von einem Alten Gott aus einer außerirdischen Dimension gezeugt worden sei. In letzter Zeit begnügt er sich nicht nur mit Überfällen auf Dörfer, sondern wagt sich in die Vororte Commorioms. Dies ruft die Stadtwache auf den Plan.

Seltsamerweise lässt sich der Bösewicht ohne Widerstand und Worte fassen, einsperren, verurteilen und vom ruhmreichen Scharfrichter Athammaus köpfen. Der Henker hat zwar kein gutes Gefühl angesichts des völlig haarlosen und mit schwarzen und gelben Flecken bedeckten Körpers, doch selbst wenn er dabei an ein Reptil denkt, so tut er doch kunstgerecht seine Pflicht.

Am nächsten Morgen ist die Stelle, wo der Leichnam auf der Müllkippe verbuddelt wurde, leer. Vielmehr tut sich Knygathin Zhaum gerade an einem Bohnenverkäufer gütlich, den er auf dem Hauptplatz vor den Augen entsetzter Bürger bis auf die Knochen abnagt. Wieder wird er gefasst, abgeurteilt und auf den Richtblock geschleppt. Athammaus bemerkt einige Veränderungen am Körper des Delinquenten: Sie lassen ihn noch schlangengleicher aussehen.

Doch auch die zweite Beerdigung in einem Metallsarg kann Knygathin Zhaum nicht in der Erde halten. Er kehrt wieder, schrecklicher und unmenschlicher als je zuvor …

Mein Eindruck

Das Grauen, das eines Lovecraft würde wäre, rührt nicht etwa von der Ironie der gescheiterten Hinrichtungen und Begräbnisse, sondern von der Verwandlung des Verbrechers. Knygathin Zhaum ist zu Anfang noch von Menschengestalt, wenn er auch keine Wirbelsäule aufweist, und auch sein Blut alles andere als rot ist. Er wird zwei weitere Male hingerichtet.

Immer ähnlicher wird seine Gestalt der einer riesigen Schlange. Doch diese breitet Saugarme aus und hascht nach den Bürgern, die entsetzt zurückweichen. Dieses Ungeheuer stammt definitiv nicht aus Hyperborea, stellt Athammaus fest, sondern kommt von außerhalb der irdischen Sphären. Das Schlimmste ist indes nicht diese grausige Gestalt, sondern das unheimliche ZISCHEN, das alle, die es hören, in die Flucht schlägt…

Bis zu diesem Punkt des Buches ist dies die gelungenste Erzählung, die ausgewählt wurde. Man kann sie gut im Zusammenhang mit der Diebesgeschichte um Satampra Zeiros lesen.

15) Das wunderliche Schicksal des Avoosl Wuthoqquan (The Weird of Avoosl Wuthoqquan, 1932), S. 240-251:

Avoosl Wuthoqquan ist der gierigste Wucherer von ganz Commoriom, und das will etwas heißen. Eines Tages erblickt er einen elenden Bettler, der anbietet, ihm für geringes Entgelt die Zukunft vorherzusagen. Avoosl Wuthoqquan lehnt hartherzig ab. Darauf prophezeit der Bettler ihm eine derart absonderliche und verklausulierte Zukunft, dass der Wucherer kein Wort versteht und den Bettler von hinnen wünscht. Er solle dereinst auf der Suche nach den Objekten seiner Gier umkommen? Was für ein Blödsinn!

Ein paar Monate späte bietet ihm ein Fremder zwei große ungeschliffene Smaragde zum Beleihen an. Wahrscheinlich sind sie gestohlenes Diebesgut, sagt Avoosl Wuthoqquan und gibt dem Fremden eine Summe, die weit unter dem wahren Wert der grün lodernden Steine liegt. Kaum hat sich Dieb vom Acker gemacht, als Avoosl Wuthoqquan seine Schätze vor sich ausbreitet, um ihnen die Neuerwerbung einzuverleiben. Doch er staunt nicht schlecht, als die zwei Edelsteine es dem Dieb nachtun und vom Tisch auf den Boden und vom Boden auf den Hof und vom Hof auf die Straße springen!

Was er einmal erworben hat, will er auch behalten. Entschlossen hebt Avoosl Wuthoqquan seinen fülligen Leib und eilt den Steinchen hinterher. Sein Weg führt ihn durch die ganze Stadt bis ihn üble Vororte und sogar darüber hinaus, mitten in den Urwald. Immer vermeint er, den entschlüpften Schätzen näherzukommen. Im Wald stößt er auf eine Höhle, die er betritt. Doch sie ist angefüllt mit dem größten Schatz, den er je gesehen hat: Edelsteine über Edelstein!

In seiner Begeisterung bemerkt er nicht, wie er in der Flut der Juwelen zu versinken beginnt. Als ihm der Pegel bis zur Brust reicht, verhallen seine Hilferufe jedoch nicht mehr ungehört. Der wahre, nichtmenschliche Besitzer der Smaragde und aller übrigen Juwelen meldet sich zu Wort, und er ist nicht gut auf Wucherer zu sprechen …

Mein Eindruck

Wieder besticht diese hübsche Verbrecher- und Sündergeschichte durch ihren maliziösen Humor. Wir ahnen schon, dass, wenn sich Avoosl Wuthoqquan an seinen Schätzen weidet, er die gerechte Strafe für seine Gier und Menschenverachtung bereits zugedacht bekommen hat. Sie harrt lediglich ihrer Erfüllung, und die folgt auf dem Fuße. Neugierig macht uns allerdings die Frage, wer Richter und Henker in einem sein könnte, um Avoosl Wuthoqquan sein Ende bereiten zu können. Das soll hier nicht verraten werden.

16) Ubbo-Sathla (Ubbo-Sathla, 1933), S. 252-261:

Vor den Großen Alten wie Yogsothoth, Cthulhu und Tsathoggua war Ubbo-Sathla im Uranfang. Und im „Buch des Eibon“ steht, dass alle Dinge, die aus dem Uranfang kommen, dereinst auch wieder dorthin zurückkehren werden …

Paul Tregardis ist ein junger Londoner Student der Anthropologie, der sich in letzter zeit ganz aus das Okkulte konzentriert hat. Er ist bereits im Besitz eines altfranzösischen Exemplars des „Buches des Eibon“ und hat das verfluchte „Necronomicon“ gelesen. Im „Eibon“ hat er einen milchigen Kristall erwähnt gefunden, der in derVorzeit des nordischen Hyperborea verloren gegangen sein soll. Der hyperboreische Magier Zon Mezzamelech habe ihn besessen, sei aber damit verschwunden.

Umso größer ist daher Pauls Neugier, als er einen solchen milchigen Kristall im Laden eines Kuriositäten- und Antiquitätenhändlers erblickt. Die Auskunft, er sei in Grönland gefunden worden und stamme wohl aus dem Miozän vor Zehntausenden von Jahren, passt zu dem alten Eibon-Text. Zu einem moderaten Preis erstanden, steht der Kristall alsbald vor Pauls Nase auf seinem Schreibtisch. Das Besondere, das ihm sogleich auffiel, ist das rhythmische Aufleuchten, das aus dem Kristall dringt. Als er eine Weile hineinblickt, fühlt er seinen eigenen Geist schwinden und von einem anderen ersetzt werden: Es ist das Bewusstsein des Magiers Zon Mezzamelech.

Dessen Bemühen war es stets, jene Tafeln aus Sternenmetall zu finden, auf den die Alten Götter ihre Weisheiten niedergeschrieben hatten. Doch seine Suche führt Mezzamelech stets damals wie heute zurück in die Vergangenheit, nach Hyperborea. Dreimal schreckt er an einem Punkt über den Uranfängen der Menschheitsgeschichte zurück, und dreimal erscheint Paul Tregardis seine Welt zunehmend als Traum. Doch dann ermahnt sich der Magier in ihm, nicht locker zu lassen und stürzt sich in die tiefste Tiefe der Zeit – direkt zu Ubbo Sathla …

Mein Eindruck

Die Hauptwirkung dieses recht vorhersehbaren Garns beruht auf der Zeitreise, die der Magier, der Paul übernommen hat, unternimmt. Ohne dass es zu einem Konflikt oder einer Konfrontation käme, wie sie für einen Plot notwendig sind, führt uns der Autor immer weiter durch die Erdzeitalter, wie sie um 1933 bekannt waren und eingeteilt wurden. Das ist wenig spannend, aber dafür beklemmend. Der Ausgang der Geschichte ist wie erwartet gestaltet. Doch den sollte der Leser selbst herausfinden.

17) Der Eisdämon (The Ice-Demon, 1933), S. 262-283:

Der hyperboreische Jäger Quanga hat von seinem Bruder Iluac den tipp bekommen, wo genau jene Höhle im Gletscher zu finden sei, in der der verschollene König Haalor, dessen Hexenmeister und seine Leibgarde zu finden seien. Genauer gesagt: die Juwelen des Königs. Deshalb hat Quanga nun zwei Juwelenhändler dabei, die ihm Gold für die Rubine des toten Königs geben sollen.

Schon der Aufstieg auf den gigantischen Gletscher ist anstrengend, aber die Aussicht auf die Beute treibt die Diebe an. Hätten sie geahnt, dass König Haalor und sein Hexenmeister einst wegen eines Frevels, den sie gegen den Gletscher begingen, im Eis eingeschlossen wurden und dieses Eisgrab bewacht wird, hätte sie sich nicht derartig beeilt.

Die Eisgrotte ist unversehrt und leicht zu betreten. Doch kaum hat Quangas Pickel den Eispanzer des Königs durchschlagen und er selbst die Rubine aus dem königlichen Gewand geschnitten, da scheint sich etwas an der Umgebung zu verändern. Die Grotte erscheint den Eindringlingen auf einmal viel niedriger und enger, die Eiszapfen sehen wie scharfe Zähne aus und die Temperatur sinkt merklich. Bloß weg hier!

Doch es ist bereits zu spät. Der vom Gletscher abgestellte Wächterdämon lässt keinen der Frevler entkommen, mag er auch noch so weit laufen …

Mein Eindruck

Wie mehrere andere Erzählungen dreht sich auch diese um die gerechte Strafe für Verbrecher und Sünder. Allerdings ist der Agent der Bestrafung, der titelgebende Eisdämon, höchst unstofflich. Seine Attribute sind Dunkelheit und maximale Kälte, seine Reichweite erstaunlich bzw. erschreckend, je nach Standpunkt. Wegen der Abstraktheit dieses Wesens liegt die Leistung des Autors darin, dessen Manifestationen zu beschreiben.

Dazu gehört unter anderem eine abnorme Verzerrung der Wahrnehmung, eine – das wird extra betont – UMKEHRUNG der ganzen Landschaft, so dass Quanga, die Hauptfigur, auf einmal nicht nur eine Sonne, sondern mehrere Sonnen aus unterschiedlichen Richtungen leuchten sieht. Der Gletscher ist der Agent dieses Vexierbildes. Wie es scheint, hat CAS diese eisige Umgebung sehr genau beobachtet und phantasievoll eingefangen und für seine Zwecke eingesetzt. Schade nur, dass der gesamte Text keine einzige Zeile Dialog enthält. Seine Kraft entstammt einzig und allein der einfachen Handlung und den komplexen Beschreibungen.

18) Die sieben Banngelübde (The Seven Geases, 1934), S. 284-311:

Commorioms Oberster Richter Ralibar Vooz ist ein stolzer Mann, aber ein noch viel größerer Jäger. Diesmal hat er es sich in den Kopf gesetzt, die halbmenschlichen Voormi-Höhlenbewohner auf dem höchsten der umliegenden Berge zu bejagen. Mit 26 erfahrenen Kämpen an seiner Seite macht er sich daran, die Hänge und Klüfte des erloschenen Vulkans mit seinen vier Kratern zu ersteigen. Um eine Voormi-Höhle von oberhalb erreichen zu können, ersteigt er einen engen Kamin und stellt sich auf die Kraterspitze. Der Zugriff ist nur eine Frage von Minuten.

Da erblickt er eine rätselhafte Rauchsäule, die gar nicht hier sein sollte. Als er ihr folgt, gelangt er zur Hütte eines Einsiedlers. Dieser ist jedoch der Hexenmeister Ezdagor und überhaupt nicht erbaut von der Störung seines erlesenen Experiments durch den hochrangigen gast. Zur Strafe erlegt er ihm ein Banngelübde auf, das Ralibar dazu zwingt, waffenlos durch die Höhlen der Voormi zu spazieren, bis er zum Abgrund gelangt, in dem der Krötengott Tsathoggua haust. Diesem soll sich Ralibar als geschenk Ezdagors anbieten. Als Führer bekommt der Gebannte einen urzeitlichen schwarzen Vogel zur Seite gestellt: Raphtontis.

Der Krötengott verschmäht das Geschenk und findet, dass der Spinnengott Atla-Nachta wohl mehr mit diesem Menschenwesen anzufangen wüsste. Doch auch dieser Dämon verschmäht die Gabe und reicht sie an die Schlangenwesen weiter, die noch tiefer in den Schlünden des Berges hausen. Es sind Chemiker, die toxikologische Versuche durchführen. Ihnen aber hat Ralibar nichts Neues zu bieten. Sie schicken weiter ins tiefergelegene Reich der Urformen: Hier hausen Dinosaurier neben Urmenschen.

Doch auch diesen behagt der ungebetene Besucher nicht. Immer wieder unter einem neuen Banngelübde (geas) stehend, muss sich Ralibar noch weiter in die Tiefe schleppen. Dort haust Abhoth, der fortwährend neue Gestalten und Mutationen gebiert. Auch Abhoth weist das magere Häppchen ab und schickt ihn auf den Weg in die Außenwelt, die vielleicht mehr mit ihm anzufangen weiß. Nach einem Schläfchen und einem Happen macht sich der Gebannte und Geächtete auf den Weg. Doch der Abgrund Atla-Nachtas wird ihm diesmal zum Verhängnis …

Mein Eindruck

An nichts erinnert diese Reise durch die Unterwelt wie an Dantes „Inferno“. Dante wandert dort, geführt vom römischen Dichter Vergil und der lieblichen Beatrice, von Station zu Station, bis er das Inferno und das Purgatorio (Fegefeuer) durchschritten hat, um des Paradisos würdig zu sein. Doch wo Dante Allegorie an Allegorie reiht, die leicht zu entschlüsseln sind, besteht Ralibars Reise durch die Unterwelt aus metaphern, die nicht so leicht zu deuten sind.

So ist Tsathoggua, der Krötengott, zwar gleichbedeutend mit Hässlichkeit und Bosheit, doch er erzeugt nichts. Da ist Atla-Nachta als Spinne schon weiter: Er baut Netze über Abgründe. Noch kreativer sind die Schlangenmenschen als Alchemisten, die Gifttränke brauen. Sie sind die modernsten der unterirdischen Wesen. Fortan führt die Reise zurück in die fernste Vergangenheit der Erde: Die Urformen sind Wesen der Vorzeit, wie etwa Saurier, Säbelzahntiger und Urmenschen. Zeitlich liegt davor nur die Verkörperung der Ursuppe, aus der alles Leben entspringt, mit Namen Abhoth.

Nach Abhoth ist das Ende der irdischen Existenz erreicht, doch nicht die von Ralibars Bestrafung. Der siebte Bannfluch schickt ihn in die Außenwelt, also das Weltall. Da er dort eh nicht existieren kann, ereilt ihn zuvor sein irdisches Ende. Man sieht also, dass diese Nachtreise, die an Lovecrafts „Reise ins unbekannte Kadath“ erinnert, kein Selbstzweck innewohnt, sondern sie illustrieren soll, was die Menschheit bislang seit der Ursuppe zuwege gebracht hat.

Die ironie dabei ist natürlich, dass der Oberste Richter selbst gerichtet wird. Er gleicht nun jener Seele im ägyptischen „Buch der Toten“ (jeder Ägypter, der es sich leisten konnte, ließ eines für den Fall seines Ablebens anfertigen), die auf den Prüfstand der Götter gestellt und selbst abgeurteilt wird. Wird man ihn für zu leicht befinden, wenn sein Herz auf der Waage der Wahrheitsgöttin Maat liegt? Dann wird ihn ein Krokodilgott verschlingen. Falls nicht, darf er weiter in die Gefilde der Toten wandern, wo Anubis herrscht.

Insofern erweist sich dieser Text nicht als langweilige Abfolge von Dämonen, wie manche Kritiker glauben machen wollen, sondern als amerikanische Paraphrase auf die Nacht- und Unterweltreisen der Alten Welt. Das ist wesentlich interessanter – auch zugleich ziemlich ironisch. Denn Ralibar wird sechsmal abgewiesen, als habe er nicht genug zu bieten.

19) Die weiße Seherin (The White Sybil, 1934), S. 312-324:

Tortha, der Dichter, hat auf seinen Wanderungen viele schöne Lande gesehen, doch als er in seine Heimat in Hyperborea zurückkehrt, begegnet er zum ersten Mal der weißen Seherin aus Polarion – und da er in Liebe zu der ätherischen Schönheit entbrennt, ist es um ihn geschehen. Wie ein flüchtiges Mondfeuer scheinen ihm ihre Augen, und ähnlich wie solches Schattengewirk ist sie auch schon wieder verschwunden.

Sinnentleert vergehen die Tage in seiner Stadt Cerngoth, und daher zieht es ihn unbewusst hinauf in die Hügel und Vorberge, ja sogar weiter zu den Bergen, die Hyperborea von den eisigen Gletschern Polarions trennen. Als er sie auf einer Bergwiese wiedersieht, muss er ihr unbedingt folgen. Doch sie zieht ihn hinauf in eisige Höhen jenseits der Pässe. Erst dort wendet sie sich ihm zu. Ihre Weisheiten und Offenbarungen interessieren ihn nicht – er gesteht ihr seine Liebe. Doch nachdem sie ihn auf die Stirn geküsst hat, verwandelt sich ihr ätherisches Bild, und aus der Mondschönheit und Schneegöttin wird etwas Grauenhaftes …

Mein Eindruck

Die Moral von der Geschicht‘: Der Kontakt des Imaginären mit dem Irdischen, der Fiktion mit dem Leben führt stets zu einer Entzauberung, ja, zu einem Schreckensbild, das dem Lebenden einen hohen Preis abverlangt: einen Teil seiner Seele. Der Dichter ist dafür ganz besonders empfänglich, ebenso wie jener unglückliche Student und Wahrheitssucher in „Ubbo-Sathla“, denn er strebt nach wesentlich Höherem als der durchschnittliche Pöbel. Sein Rücksturz aus den Höhen des Imaginären ist daher umso härter und schmerzvoller. Ausnahmsweise gewährt ihm der Autor eine Kompensation, selbst wenn sie nur auf einen Selbstbetrug hinausläuft.

Die Seherin von Polarion – wofür mag sie wohl stehen? Sie ist nicht nur das „Ewig Weibliche, das uns (Männer) hinanzieht“, wie es Goethe in „Faust II“ formulierte. Sie ist auch die Künderin von Prophezeiungen und hat offenbar Zugriff auf Geheimnisse jenseits der Zeit – sie muss also die Zukunft kennen. Doch mit dem Geheimnis ihrer Existenz in Berührung zu kommen, bedeutet, sie zu entzaubern und zu einer „normalen“ Frau zu machen – siehe oben. Die Folgen sind, gelinde gesagt, unschön.

20) Die Ankunft des weißen Wurms. Das neunte Kapitel aus „Das Buch des Eibon“ (The Coming of the White Worm, 1941), S. 325-345:

Der Hellseher Evagh, der an der Küste von Mhu-Thulan lebt, wird eines Tages Zeuge eines höchst merkwürdigen Geschehens. Nachdem die Fischer, die unter seinem Klippenhaus leben, bereits missgebildete Tiere gefangen haben, taucht nun eine Galeere aus dem Norden auf, die von toten Ruderern bemannt sind: Sie alle sind aus Marmor und widerstehen den Flammen, die Evagh an das unheimliche Schiff legen lässt.

Doch dies ist nur der Vorbote für den riesigen Eisberg, der eines Nachts in der Bucht der Fischer anlegt und sie alle zu Marmor verwandelt. Nur Evagh wird von der eisigen Verwandlung verschont, denn, wie ihm zwei verwandelte Zauberer anbieten, soll er sich ihnen anschließen, um dem Weißen Wurm zu dienen, der an der Spitze dieses Eisbergs lebt. Es bleibt Evagh nichts anderes übrig, soll er nicht das Schicksal der Fischer teilen.

Es sind acht Zauberer inklusive seiner Wenigkeit, die dem Weißen Wurm ihre Leibeigenschaft geloben, damit er ihnen Wissen sonder Zahl gewähre. Und überall wohin der Eisberg kommt, verdorren die Gärten und die Häfen erfrieren unter einer Eisschicht. Doch eines Tages bemerkt Evagh während der täglichen Huldigung, dass sie nur noch sieben sind – ein Zauberer fehlt. Als einer nach anderen verschwindet und sich der Leib des Wurms zu wölben beginnt, beschleicht Evagh ein finsterer Verdacht …

Mein Eindruck

Auch diese schöne, stimmungsvolle Erzählung handelt von Verrat und gerechter Bestrafung. Doch diesmal ist der Zauberer der Gute, nicht der Hitnerhältige, und dem Gott-Dämon, der ihn getäuscht hat, wird von seiner Hand die gerechte Strafe zuteil.

Der Eisberg des Wissens, der von jenseits des Nordpols kommt, ist die perfekte Metapher für die Wissenschaft, welche sowohl die emotionale Wärme verjagt, die unter den Menschen herrscht, als auch diejenigen betrügt, die sich ihr unterwerfen. Zurück bleibt ein gottloses Universum, das es neu wiederaufzubauen gilt.

Diese Geschichte ist perfekt in das fiktive „Buch des Eibon“ eingegliedert. Von dessen „Existenz“ erfuhren die Leser jener Pulp-Magazine aus gleich drei verschiedenen Quellen gleichzeitig (wie den Anmerkungen zu entnehmen ist): von CAS, von HPL und aus einer Geschichte von Mary Heard, die HPL als Ghostwriter für sie schrieb. Kein Wunder also, dass CAS Anfragen erhielt, wo denn dieses tolle Buch zu erwerben sei. Es wartet bis heute auf seine Fertigstellung.

21) Der Raub der neununddreißig Keuschheitsgürtel (The Theft of the Thirty-Nine Girdles, 1957), S. 346-360:

Der Meisterdieb Satampra Zeiros, den wir schon in der ersten der Hyperborea-Geschichten kennengelernt haben, ist nun auf seltsame Beute aus: Er will die goldenen, mit Edelsteinen beschlagenen Keuschheitsgürtel der 39 Priesterinnen der Mondgöttin klauen. Dass sich diese angeblich jungfräulichen Priesterinnen – stets 39 an der Zahl – eifrig der einträglichen Tempelprositution hingeben, weiß er von seinem Komplizin Vixeela, die selbst mal eine war. Daher weiß sie auch genau, welchen Geheimgang man nehmen kann, um ungesehen in den Tempel zu gelangen.

Die Schwierigkeit besteht darin, entweder die Freier und Huren bewusstlos zu machen, während man auf Beutezug ist, oder sie so in Angst und Schrecken zu versetzen, dass sie „freiwillig“ das noble Haus verlassen. Satampra entscheidet sich für Letzteres. Er braucht ein spezielles Pulver, welches er von dem Alchemisten Veezi Phenvor erwirbt. Dieser verlangt dafür nur den üblichen Anteil: ein Drittel. Doch wie so oft im Diebesgewerbe geht die Sache ganz anders aus.

Es beginnt nach Drehbuch mit der Freisetzung des Pulvers im Altarraum des Tempels, den sie durch eine verborgene Falltür erreichen. Kaum haben sie eine Phiole ausgeschüttet und das dazugehörige Pulver entzündet, als sich auch schon Dämonen und Fantasiegestalten im Tempel breitmachen. Die drei Diebe schützen sich durch Tücher vor dem Mund. Schon bald kommen die Bewohner zum Vorschein, Männlein wie Weiblein. Nur einer stellt sich den Dieben, die ihre Hände voller Keuschheitsgürtel haben, in den Weg: der Oberpriester Macranos höchstselbst …

Mein Eindruck

Diese vergnügliche Abenteuergeschichte über Glück und Unglück bei einem Raubzug wurde aus gutem Grund von Fantasy-Magazinen abgelehnt, sogar von Anthony Boucher, dem gründer und Herausgeber des „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ (gegr. 1949) persönlich abgelehnt: Sie sei nicht Fantasy-haft genug. Was nicht gerade einleuchtet, wenn man bedenkt, dass der Trick mit dem Pulver, das Satampra und Veezi anwenden, gerade in der Erzeugung der phantastischsten Gestalten besteht. OK, ansonsten ist die Story eine ganz normale, aber höchst ironische Kriminalgeschichte, selbst wenn sie in Hyperborea (genauer: Uzuldarum) spielt.

Tonfall und Stil sind sachlicher als bei jeder anderen Story in diesem Band, aber das macht sie ja gerade so dynamisch und modern: Fast ist man geneigt, an Chandler und Hammett zu denken. Nur schade, dass wir über Vixeela und aus ihrem Munde fast gar nichts erfahren, außer ihrer notwendigen, hilfreichen Vorgeschichte. So ist jeder Romantik der Weg verbaut, die als Gegenpol zur inhärenten Kritik an der Sittenlosigkeit im Tempel der Jungfrauen hätte dienen können. Aber CAS war zu jener zeit, zwischen 1952 und 1957, schon derartig desillusioniert, was das Schreiben anbelangte, dass er nur noch das Nötigste schrieb – verkaufen konnte er ja, siehe Boucher, eh kaum noch etwas.

Scott Connors/Ron Hilger: Anmerkungen zu den Erzählungen, S. 361-396

Die Anmerkungen sind weder Glossar noch Interpretation. Vielmehr liefern die beiden Autoren Belege zur Veröffentlichung fast jeder Erzählung. Diese Belege entstammen diversen Quellen, sei es aus CAS‘ eigenen Dokumenten oder aus denen anderer, wie etwa HPL.

Dieser Stoff ist relativ trocken, insbesondere dann, wenn es um die permanenten Honorarquerelen geht. Manchmal ist ein kleines Juwel darunter, so etwa, wenn CAS seine Inspiration beschreibt, seine Intention und die Wirkung auf die Leser. Ansonsten interessieren diese Details sicherlich nur Sammler und Fans. Immerhin sind alle Belege genau nachgewiesen, was diesen Band bibliografisch kompetent und somit literaturwissenschaftlich verwertbar macht. Deer Preis von 28 Euro ist dementsprechend hoch, aber angemessen.

Die Übersetzungen

Die deutschen Übertragungen stammen von einer Reihe verschiedener Übersetzer, die nur selten angegeben sind. Es finden sich zahlreiche Druckfehler.

Unterm Strich

Als Auftaktband zu einer Gesamtedition des Oeuvres von C. A. Smith vereint dieser Band zwei grundverschiedene Elemente: einerseits die Primärtexte aus dem Prosabereich und andererseits deren wissenschaftliche Aufbereitung und Vorstellung. Eine Beurteilung findet hingegen nur sehr vorsichtig statt, vor allem in der Biografie, die den Leser über die Schwierigkeiten des Autors aufklärt, seine Texte zu verkaufen – sie wurden fast ausnahmslos erst mehrere Male abgelehnt, bevor sie angenommen und bezahlt wurden. Diese Hinweise sind für den Sammler ebenso interessant wie der „Apparat“ aus Anmerkungen und der Aufzählung von Ausgaben.

Für den Laien, der einfach nur schöne phantastische Geschichten lesen will, ist das alles unwichtig. Sein Interesse gilt den Einfällen und der jeweils stilvollen Ausführung der Texte. In dieser Hinsicht ist Clark Ashton Smith sicherlich einzigartig. Im Unterschied zum Großmeister Lovecraft versteht sich Smith sowohl auf Ironie als auch Romantik. Eine Liebesgeschichte wie „Die weiße Seherin“ ist bei HPL schwer vorstellbar, bei dem Frauen allenfalls mal als Hexe auftreten (z. B. in „Das Ding auf der Schwelle“ oder „Träume im Hexenhaus“).

Auch der Stil ist ein ganz anderer. Im Vergleich zu der sprachlichen und formulierenden Eleganz der Erzählungen des Kaliforniers wirken die Texte des Rhode-Islanders Lovecraft gerade prosaisch und ungeschlacht. Der Horror mag bei HPL ausgeprägter und detailreicher sein und tiefer greifen, doch Smiths Hyperborea-Geschichten – es folgen ja noch Bände mit Storys über Zothique, Xiccarph und Averoigne – können durchaus Grauen und Schrecken vorweisen.

Auffällig ist zudem, dass Smith den Leser mehrmals in die ferne Vergangenheit und das tiefste Erdinnere führt, wohingegen sich HPL selten mal ins Erdinnere wagt (etwa in „Die Berge des Wahnsinns“), sondern sich lieber mit den kosmischen Mächten beschäftigt, also mit der „Außenwelt“, wie sie bei Smith genannt wird.

Vielfach sind die Hauptfiguren Objekte von Rache und Vergeltung. Doch stets weiß man bei Smith, wer dahintersteckt. Bei HPL hingegen sind die Figuren allzu oft ahnungslose höherer Mächte finsterster Art, die ihnen hilflos ausgeliefert sind, insbesondere dann, wenn sie nicht über ihre eigene Herkunft Bescheid wissen (so etwa Charles Dexter Ward und der Held in „Schatten über Innsmouth“). Genetik spielt hingegen bei Smith kaum eine Rolle. Helden wie Satamora Zeiros sind Herr ihres Schicksals, besonders in den „39 Keuschheitsgürteln“.

Wie diese kleine Übersicht zeigt, ist es für Genrekenner höchst reizvoll, die beiden befreundeten Autoren miteinander zu vergleichen. Auch der Vergleich mit Robert E. Howards Horror-Geschichten („Der schwarze Stein“, „Das Feuer des Asshurbanipal“) liegt nahe. Wo Howard Action bietet, liefern HPL kosmisches Grauen und Smith süffisante Eleganz. (Dies ist natürlich eine grobe Vereinfachung.)

Leider finden sich auch in dieser Ausgabe schwächere Texte wie „Die Abscheulichkeiten von Yondo“ und „Aus den Grüften der Erinnerung“, die wohl eher der Vollständigkeit halber aufgenommen wurden. Zudem stößt der aufmerksame Leser auf entstellende Druckfehler, die dem Band nicht gerade zur Zierde dienen.

Der Autor vergibt: [Rating: 4/5] Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)

Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
Übersetzung: Andreas Amberg, Andreas Diesel, Malte S. Sembten
ISBN-13: 978-3865520838

www.festa-verlag.de