Coonts, Stephen – Jagt die \’America\‘

Beim Start einer Trägerrakete mit dem neuen Raketenabwehr-Satelliten |SuperÄgide| kommt es zu einer gewaltigen Panne und die dritte Brennstufe stürzt aus ungeklärten Ursachen mitsamt dem milliardenteuren Satelliten über offenem Meer ab. Noch Monate später sind die USA auf der Suche, als es erneut zu einer Panne kommt. Das hochmoderne U-Boot |America|, ausgestattet mit revolutionärer Sonartechnik, einem zusätzlichen Mini-U-Boot für Spezialeinsätze und voll bewaffnet, wird von einer kleinen Gruppe Saboteuren beim Auslaufen zum ersten Manöver entführt. Die Täter gehen mit äußerster Brutalität vor, erschießen mehrere Seeleute noch während der Kaperung und verschwinden mit dem Boot im Atlantik, bevor die politische Führung den Mut fasst, einem nur wenige Meilen entfernten Zerstörer den Befehl zur Versenkung zu geben.

Admiral Jake Grafton wird als Verbindungsoffizier zwischen Navy sowie ausländischen und amerikanischen Geheimdiensten mit der Aufklärung und Wiederauffindung des U-Bootes betraut. Die Entführer brauchen nicht lange, um von den Waffensystemen der |America| Gebrauch zu machen und schießen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk, ausgestattet mit einem neuem Gefechtskopf namens |Flashlight|, auf Washington ab. |Flashlight| erzeugt einen elektromagnetischen Impuls, ähnlich dem einer Nuklearexplosion, und legt in Sekunden das öffentliche und wirtschaftliche Leben in der amerikanischen Hauptstadt lahm. Flugzeugabstürze führen zu Hunderten Toten und die Regierungsgeschäfte sind empfindlich beeinträchtigt.

Während die |America| zunächst der amerikanischen Flotte, die sie mit dem Befehl zur sofortigen Versenkung jagt, entkommen kann und weitere |Flashlights| auf New York City abschießt, kommt Grafton langsam einer groß angelegten Verschwörung auf die Spur und tastet sich an die Hintermänner der Entführung heran, die auch beim Absturz des Satelliten ihre Finger im Spiel hatten.

„Jagt die America“ hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Dass Stephen Coonts ein Fachmann für Militärtechnologie ist, wird auch in diesem Roman wieder klar. Wie seine Genrekollegen mischt er aktuelle Technologie und bekannte Fakten über Weiterentwicklungspläne mit Visionen und ein bisschen Phantasie. Ob es in absehbarer Zeit zu einem U-Boot der |America|-Klasse kommen wird, ist mehr als zweifelhaft. Die |Los Angeles|-Boote der ‚vorletzten‘ Generation (ab 1976) werden reihenweise stillgelegt (19 von 62 Stück zwischen 1995 und 2008) und bei den verbleibendenden Booten wird davon ausgegangen, dass ihre aktive Dienstzeit von 30 auf bis zu 50 Jahre verlängert wird. Vom derzeit modernsten U-Boot der neuen |Seawolf|-Klasse, das bereits moderner Kriegsführung Rechnung trägt und für den Transport und Einsatz von amphibischen Spezialeinheiten ausgerüstet ist, wird erst 2004 das erste volltaugliche Boot in Dienst gestellt. So detailgetreu Coonts die Ortungsversuche der |P3-Orion|-U-Bootjäger und den Unterwasserkampf der |America| mit der real existierenden |La Jolla| der |Los Angeles|-Klasse schildert, so vage bleibt er bei der Beschreibung des revolutionären Sonarsystems |Enthüllung| (dessen Bezeichnung vielleicht besser nicht übersetzt worden wäre).

Geradezu einfach macht Coonts es sich, wenn es um die Beschreibungen der Computermanipulationen geht, die den Satelliten zum Absturz bringen. Hier wird nur von ‚eindringen‘, ‚hacken‘ und ‚einklinken‘ gesprochen, ohne auch nur die Spur eines wissenschaftlichen Hintergrunds zu vermitteln. Noch banaler ist der Plot um den milliardenschweren Börsenspekulanten, der die einbrechende amerikanische Wirtschaft nutzt, um mit Valutenspekulationen das große Geld zu verdienen. Als bestenfalls verwirrend und unnötig muss man die Begleitstory um die geheimdienstlichen Hintergründe bezeichnen, die die Entführung der |America| überhaupt erst möglich gemacht haben. Aber fast schon lachhaft wirkt der krampfhafte Showdown, bei dem eine Handvoll Militärs mit ihren Ehefrauen versucht, sämtliche Bösewichte, deren es (zu) viele gibt, auf einen Streich zwischen Abendessen und Drinks an der Bar eines Luxus-Kreuzfahrtschiffes zu erledigen, nachdem diese bereits identifiziert und lokalisiert waren.

Genrefreunde werden ob der sicherlich vorhandenen Spannung zwar wohl wie gewohnt auf ihre Kosten kommen, sich aber dennoch einen reinrassigen U-Boot-High-Tech-Thriller wünschen, wie sie derzeit Patrick Robinson am besten schreibt. Der Versuch, Militärtechnologie und -taktik, globale wirtschaftliche und politische Vorgänge, Computerkriminalität und hochkarätige Geheimdienstaktivitäten in einen Thriller zu packen, ging bei „Jagt die Amerika“ leider daneben und Coonts hat sich in der Vielzahl der Personen und Handlungen leider selbst verstrickt. Weniger wäre, wie so oft, auch hier eindeutig mehr gewesen.

Stephen Coonts war einige Jahre Pilot einer A-6 Intruder bei der U.S. Navy und flog vom Flugzeugträger |Enterprise| aus Einsätze in Vietnam. 1977 schied er aus dem aktiven Dienst aus und wurde Rechtsanwalt in einer Ölfirma. Sein erster Roman „Flug durch die Hölle“ (Flight Of The Intruder) erschien 1986 und wurde erfolgreich verfilmt; seitdem haben es 13 seiner Werke in die Bestsellerlisten der New York Times geschafft.

Homepage des Autors: http://www.stephencoonts.com/