Daniel Falconer – Der Hobbit – Eine unerwartete Reise: Chroniken 2. Geschöpfe und Figuren

An der Entstehung des Films »Der Hobbit – Eine unerwartete Reise« sind hinter den Kulissen viele Künstler und Experten für Make-up, Kostüme und Special Effects beteiligt. Leser können im ersten Band der »Hobbit-Chroniken«-Serie erneut den Prozess ihrer Arbeit anhand von über 1000 Set-Fotos, Zeichnungen und Erläuterungstexten verfolgen. Ein farbenfrohes und informatives Juwel für jeden Hobbit-Fan! (erweiterte Verlagsinfo) Das Vorwort schrieb Ko-Regisseur und Gollum-Darsteller Andy Serkis, die Einleitung Joe Letteri.

Der Autor

Daniel Falconer ist der Art Director von Weta Workshop. Er war schon an den Making-of-Büchern zu den drei „Herr der Ringe“-Filmen und „King Kong“ beteiligt. (Auf Seite 220 wird er detailliert beschrieben.) Regelmäßig war er in den DVD-Dokus zu sehen. An den CHRONIKEN-Bänden sind drei Firmen beteiligt: Weta Workshop, Weta Digital (die Effekteschmiede) und 3Foot7, die Produktionsfirma für Artwork, Kostüme und Make-up. Außerdem bedankt sich Falconer bei Warner Bros., dem Studio, das ja mit die Rechte an den Filmen und all ihren Bildern innehat. Er lebt mit seiner Familie in Wellington, Neuseeland.

Die CHRONIKEN

1) Eine unerwartete Reise – Kunst und Gestaltung
2) Eine unerwartete Reise – Geschöpfe und Figuren
3) Smaugs Einöde – Kunst und Gestaltung
4) Smaugs Einöde – Gewänder und Waffen (Mai 2014)
5) Der Hobbit 3 – Kunst und Gestaltung (Ende 2014)
6) Der Hobbit 3 – Die Kunst des Krieges (erscheint 2015)


Inhalte und Eindruck

Im Unterschied zu allen Begleitbüchern und Sibleys „Filmbuch“ (dem einzigen mit Interviews) sind die CHRONIKEN von Anfang bis Ende mit Inhalt vollgestopft. Deshalb zählt bereits der Einband: Es ist dunkelblaues Kunstleder. Die vorderen Innenseiten des Einbands zeigen die bekannte Landkarte von Mittelerde.

Die hinteren Innenseiten des Einbands zeigen ebenfalls diese Landkarte, nur diesmal zusammenhängend. Für Sammler ganz wichtig ist das eingeklebte Faltblatt: Es stellt eine Größentabelle alle Kreaturen in Mittelerde dar. Die größten sind zweifellos die Bergriesen, gefolgt von Adlern und Trollen.

Der Aufbau

Folgerichtig schreitet die mit zahlreichen Bildern belegte Darstellung von Schauplatz zu Schauplatz vor. Nicht jeder Schauplatz, wie etwa Erebor, bekommt die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet. Das kann verschiedene Gründe haben.

Erstens musste nicht so viel Material an Kunst, Design usw. für einen Nebenschauplatz wie Erebor produziert werden; dementsprechend weniger Belege sind vorzeigbar. Zum anderen kann es sich um geheim gehaltenes Material handeln, das erst der Kino- und DVD-Zuschauer zu sehen bekommen sollte.

Vor den Kapiteln kommt drei Texte: Eine Danksagung an alle Mitwirkenden macht den Anfang. (Sie werden am Schluss aufgelistet.) Das Vorwort schrieb Ko-Regisseur und Gollum-Darsteller Andy Serkis, die Einleitung Joe Letteri.

Kap. 1: Von den Hobbits

Es gibt zahlreiche Sippen der Hobbits, und alle sind verschieden, ob es einem gefällt oder nicht. Deshalb gibt es auch unterschiedliche Akzente – die man leider in der Synchronisation nicht mehr auseinanderhalten kann. Offensichtlicher sind die Hobbit-Füße und die Frisuren bzw. Bärte der Halblinge. Zum Glück scheinen Hobbitfrauen nicht mit Bärten gesegnet zu sein wie Zwerginnen – ein Job weniger für Peter King, den Meister der Perücken.

Martin Freeman himself hat einen Text über seine Bilbo Beutlin verfasst. Sein Fazit: „Bilbo ist der Michael Corleone von Mittelerde!“ Darauf muss man erstmal kommen. Auf jeden Fall ein sehr interessanter Text. Daneben gibt es noch Ian Holm als alten Bilbo, der in der Rahmenhandlung neben Frodo auftritt, den wieder Elijah Wood spielt.

Kap. 2: Von den Zauberern

„Die Zauberer waren Maiar, mächtige Geister, die von den Valar – den gottähnlichen Mächten – nach Mittelerde geschickt worden waren.“ Also sprach Christopher Lee, der Tolkien-Experte und Darsteller von Saruman dem Weißen. Ian McKellen hingegen verkörpert Gandalf den Grauen, einen intriganten Manipulator von Bewohnern Mittelerdes, wohingegen Sylvester McCoy Radagast den Braunen darstellt, eine Art Öko-Freak. Alle Zauberer sollten nach dem Willen der Valar eigentlich das Böse in Mittelerde bekämpfen. Leider wurde bekanntlich nichts daraus – zumindest 60 Jahre später. Im HOBBIT schlagen sich alle Zauberer, verstärkt durch Galadriel und Elrond, hervorragend gegen Sauron (ebenfalls ein Maia) und dessen Schergen, die Nazgûl.

Kap. 3: Von den Zwergen

Zwerge unterscheiden sich nicht allein durch ihre unterprivilegierte Körpergröße von gewissen Bewohnern Mittelerdes, die sich „Menschen“ zu nennen belieben. Sie ziehen auch, gemäß den Absichten ihres Schöpfers, des Valars Aule, das Leben in Höhlen und Minen dem Leben an der Oberfläche vor. Dort steht ihnen der Sinn nach edlen Metallen und Steinen, um daraus Schmuck herzustellen, der sich meistbietend gegen alle Arten von Waren eintauschen lässt – oder auch nicht, wie der Elbenfürst Thranduil leidvoll erfahren musste.

Es ist schwierig, einen Zwerg vom anderen zu unterscheiden: Fast alle tragen Bärten und sind stolz auf ihr langes Haar. Deshalb mussten alle Zwergenfiguren mit enormem Aufwand an Prosthetik, Perücken, Kostümen und Make-up zu unterscheidbaren Charakterfiguren verwandelt werden. So konnte einzelne jeder zum Helden werden und einen Heldenmoment bestreiten. Thorin und Balin ragen als Königssöhne heraus, auch in der Darstellung, ähnlich wie ihre Neffen Fili und Kili. Alle Zwerge erhielten ein spezielles Bewegungstraining, infolgedessen sie ganz anders gehen und rennen als ihre Begleiter. Diese Stiefel sehen wirklich tonnenschwer aus, Mr. Brophy!

Hier erfahren wir auch, dass es zusätzlich digitale Zwerge gab, was sich in Schlachten immer als nützlich erweist) und knifflige Maßstabsmontagen erzielt werden mussten. Diese waren für McKellen besonders frustrierend. Bifur, Bombur und Bofur verkörpern eher die heitere bzw. makabre Seite der Zwergennatur: Speisen, Singen, Flötespielen. Ori, Dori und Nori sind eher schräge Vögel, aber in kritischen Situationen sehr mutig. Nori ist ein Kleptomane, Dori ein eitler Feigling und Ori überraschend mutiger Benjamin.

Um die Rückblende auf die Schlacht im Schattenbachtal zu inszenieren wurden die Darsteller von Thorin, Balin und Dwalin um einige Jahre verjüngt – zumindest kosmetisch. Thror muss eher wenig sagen, wenn überhaupt, sondern einfach nur majestätisch aussehen. Sein Sohn Thrain, Träger eines Rings der Macht, verschwindet während der Schlacht und taucht erst wieder in der Special Edition des 2. Teils wieder auf – in einem der eindrucksvollsten Auftritte der Trilogie überhaupt.

Kap. 4: Von den Trollen

Es ist wenig bekannt, aber Mark Hadlow spielte sowohl Dori den Zwerg als auch Bert den Troll. Mark kann somit quasi als Fachmann für Trolle gelten, zumindest auf der Seite der Motion-Capture-Schauspielerei. „Gloin“ Peter Hambleton spielte den Troll Bill und „Bifur“ William Kircher den troll Tom. Das Trio bekam massive Hilfestellung von Joe Letteri aus der VFX-Abteilung von Weta Digital und anderen. Zusammen erschufen sie die lebensechtesten Trolle, die man jemals zu Gesicht bekommen wird.

Kap. 5: Von den Elben

Die Vertreter dieser Spezies sind recht überschaubar vertreten: Elrond, Galadriel und Lindir werden im einzelnen vorgestellt, die Musikanten und Gardisten spielen nur eine Nebenrolle. Das Verhältnis zwischen der Elbenfürstin und dem geheimnisvollen Gandalf wird kurz auf einer Doppelseite beleuchtet, dann widmet sich der Text schon wieder den wunderlichen Spock-Ohren der Elben und Galadriels wunderschöner Perücke.

Kap. 6: Von den Bergriesen

Wo hört der Fels auf, wo fängt der Riese an? Diese entscheidende Frage mussten die VFX-Designer klären, bevor sie loslegen konnten, Bergriesen zu erschaffen und in Bewegung zu setzen. Exemplarisch wird die Entwicklung einer Szene gezeigt, in der Bergriese beleuchtet und von Nebel bzw. Regen umgeben wird, bis er Teil der Umgebung geworden ist. Er sieht ein wenig wie Prinz Hamlet aus, der über den Schädel des „armen Yorick“ sinniert.

Kap. 7: Von den Höhlenorks

Nach den sechs Seiten über Bergriesen folgen nun 27 Seiten über die hässlichsten Geschöpfe von ganz Mittelerde: Höhlenorks (im Original: „goblins“). Nur drei dieser Kreaturen kann man im Grunde unterscheiden: den Schreiber, den Schläger und natürlich den Großen Ork. Jedem der drei ist mindestens eine eigene Seite gewidmet. Diese herabgesunkene Rasse von Orks vermittelt Horror, aber wenig Schrecken, sondern vielmehr eine Art Abscheu vor den entstellten, von Krankheit gezeichneten Körpern. Es ist, als wäre man unversehens in eine Lepra-Kolonie geraten.

Die gestalterischen Herausforderungen für die Kreaturen sowie ihre Umgebung (vgl. dazu Band 1) waren entsprechend hoch. Visuelle Effekte, Prosthetik, Beleuchtung, Motion Capture. Modellbau, CGI – alles wurde eingespannt, um die Orkstadt und ihre abstoßenden Bewohner zum Leben zu erwecken. Das Ergebnis gehört zu den eindrücklichsten Episoden des ersten Teils des HOBBIT.

Kap. 7: Über Gollum

Andy Serkis, der Motion-Capture-Darsteller von Gollum, hat sehr viel Erhellendes über diese Figur zu sagen. Gollum ist keine Judasfigur, noch ein Mephisto-Charakter. Er ist ein gefallener Hobbit, der seine Seele an den Ring der Macht verloren hat. Insofern ist er eine Figur, die unser Mitgefühl verdient hat, auch wenn wir uns vor ihm gruseln. Frodo gelingt es für eine Weile, ihn auf die „gute Seite“ zu ziehen, ist dann aber gezwungen, ihn zu verraten – Sméagol hat seine Treue auf den Einen Ring geschworen, den Frodo trägt, und der Ring verrät jeden, der an ihm hängt.

Andy Serkis‘ Verdienst liegt vor allem darin, diesen Vorgang deutlich und verständlich gemacht zu haben. Sméagol ist eine gespaltene Persönlichkeit: Sam nennt sie Stinker und Schleicher. Das Perfide an dieser Schizophrenie liegt darin, dass der sanfte Schleicher viel hinterhältiger ist als der brutal-aggressive Stinker. Das wird im Rätselduell mit Bilbo ganz deutlich.

Die VFX-Abteilung hat das Ihre beigetragen, Gollum an diesem Wendepunkt seiner Existenz zum Leben zu erwecken: Gollum verliert seinen SCHATZ an das unwahrscheinlichste Wesen, nämlich einen Halbling. Serkis führte in dieser entscheidenden Szene, die den „Herrn der Ringe“ vorbereitet, Regie.

Kap. 8: Von den Orks

Gemeint sind hier die Gundabad-Orks um Azog, den Schänder. Fehlte diese Gestalt noch in Band 1 der CHRONIKEN, so ist sie nun recht prominent vertreten. Er tritt zuerst in der Rückblende auf die Schlacht von Azanulbizar auf, vor dem Tor zu Moria, als Mörder König Thrors und als Gegner Thorins. Er ist ein völlig digital gestalteter Charakter, was seinen Schöpfern viel größere Freiheiten in seinem Einsatz gewährte. Dementsprechend viel Platz braucht er im Buch: sechs Seiten. Die einzigen Nebenfiguren, die neben Azog vorgestellt werden, sind Fimbul, Yazneg und später Bolg. Für die Gundabad-Orks musste ein eigene Orksprache konzipiert werden.

Kap. 9: Von den Tieren

Man mag es nicht sofort zugeben, aber die Tiere sind ebenfalls wichtige Figuren. Igel krümmen sich vor Pein, Radagasts Kaninchen klopfen aufgeregt mit den Läufen, Warge fletschen auf sechs Seiten gierig das eindrucksvolle Gebiss. Die Adler Gwaihirs sind mit über neun Metern Spannweite so groß wie ein Flugzeug, ihre Federn so groß wie ein Mensch. Hinzukommen kommen Gundabad-Fledermäuse (Spannweite: 366 cm!) und Motten von ebenfalls eindrucksvoller Größe.

Apropos Tiere: Haben wir da nicht eines vergessen? Andererseits fällt es einem schwer, Smaug, den Drachen, als simples „Tier“ anzusprechen.

Sonstiges

Über das Peninsular Art Department

Eine Doppelseite zeigt eine Landkarte, auf der die Produktionsstätten auf der Miramar-Halbinsel nahe Wellington verzeichnet sind. Die Begleitseite erklärt, was die einzelnen Firmen leisten. Eine weitere Doppelseite stellt Sammelartikel vor:

– Radagasts Stab mit grün schimmerndem Zauberstein
– Der Eine Ring
– Ein wütender Gollum
– Ein kämpfender Bilbo
– Ein kampfbereiter Dwalin
– Ein Kunstdruck von Gus Hunters Darstellung der Szene „Rätsel im Dunkeln“.

Mitwirkende

Diese von einem großen Szenenfoto geschmückte Doppelseite listet die Mitwirkenden an diesem Buch auf. Art Director Daniel Falconer wird als Autor angegeben. Eine kleine Biografie informiert den Leser über Leben und Leistungen Falconers. Das Szenenfoto zeigt einen lächelnden Bilbo neben Fili und Dori in Bilbos Wohnhöhle.

Unterm Strich

Dies ist der zweite von zwei Bänden der CHRONIKEN, mit denen jeweils ein Film-Teil des HOBBITs gewürdigt wird. Der Band 1 „Kunst und Gestaltung“ wird nun von Band 2 über „Geschöpfe und Figuren“ ergänzt. Es sollte sich daher keinen wundern, wenn entsprechende Aspekte im vorliegenden Band ihre Berücksichtigung bereits in Band 1 gefunden haben.

Die beiden Konzeptdesigner und der Produktionsdesigner tragen immer wieder wertvolle Einsichten bei und verraten ihre Absichten bei der Gestaltung bestimmter charakteristischer Details für Schauplätze und Figuren. Die eigentlichen Ausführenden sind hingegen Zeichner, Computerillustratoren und nicht zu vergessen jene Darsteller, die für das Motion-Capture-Verfahren agierten, darunter Andy Serkis und (ab Band 3) Benedict Cumberbatch.

Die Qualität der grafischen Darstellung ist äußerst hoch und kann nicht höher gelobt werden. Es gibt in meinem Exemplar keinerlei Farbfehler oder gar Verschiebungen von Umrissen. Der Text, den eine Expertin in Sachen Tolkien übersetzt hat, ist ohne jeden Druckfehler und stimmt in allen Details – was man nicht von jedem Begleitbuch zum HOBBIT behaupten kann, siehe meine Berichte zu den Begleitbüchern zum ersten und zweiten Teil des HOBBITs.

Dies ist ein echtes Sammlerobjekt, das seinen hohen Preis von knapp 30 Euronen wert ist. Leider ist es beim Verlag bereits wieder vergriffen, wie alle seine Vorgänger und seine Nachfolger. Wer kann, sollte sich dieses Sammelobjekt irgendwo besorgen.

Unter allen Filmbüchern zu Peter Jacksons Tolkien-Filmen, die ich gesehen habe, nehmen die CHRONIKEN aufgrund ihrer schönen und doch soliden Machart eine Sonderstellung ein, von ihrer Informationsfülle ganz zu schweigen. Wer jedoch kein Fan ist, sollte die Finger davon lassen und sich lohnendere Beute suchen.

Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
Info: The Hobbit: An Unexpected Journey; Chronicles II: Creatures and Characters, 2013,
Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann
www.klett-cotta.de

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