Die zweite herausragende Neuerscheinung im aktuellen Programm des Rockbuchverlags beschäftigt sich mit der wohl einzigen Rock-Band, die man mögen *muss*. „Nirvana – Teen Spirit – die Story zu jedem Song“ erzählt uns auf 136 wiederum sehr ausführlich mit guten Fotos bebilderten Seiten die Geschichte des letzten großen Rockstars unserer Generation, lässt uns einen Blick in sein Leben werfen und analysiert auf beachtliche Weise die eher impressionistischen Gedankengebilde von Kurt Cobain, dem John Lennon der Neunziger.
Es gab und gibt nur wenige Bands, die einen derartigen Fleck auf der musikalischen Landkarte hinterlassen haben wie NIRVANA, die eine ganze Kultur in eine Prä- und eine Post-Phase eingeteilt haben, die ein Genre so maßgeblich geprägt, die den Rock derart exzessiv und originalgetreu gelebt haben und dann mit einem Big Bang untergegangen sind. Better to burn out than to fade away.
Der freie Schriftsteller und Journalist Chuck Crisafulli, der auch selbst eines der seltenen Cobain-Interviews am Ende der Laufbahn der Band geführt hat (welches selbstverständlich in „Teen Spirit“ enthalten ist) und regelmäßig als Musikjournalist (u.a. für den amerikanischen „Rolling Stone“) in Erscheinung getreten ist, hat Ahnung von der Materie, vielleicht mehr als viele andere vor ihm, das merkt man sofort, wenn man in „Teen Spirit“ zu lesen beginnt: Er stellt schlüssig und nachvollziehbar dar, wie es dieser Band gelingen konnte, zu genau jenem Zeitpunkt die Charts zu stürmen und derart erfolgreich zu werden und zeichnet insgesamt ein Bild von NIRVANA, wie es wohl dem, was diese Band wirklich ausmachte, kaum näher kommen kann.
Kernstück des Buches bilden auch in „Teen Spirit“ ausführliche Besprechungen der einzelnen Platten und der dazugehörigen Songs und Texte. Hier lehnt sich Crisafully zwar teilweise auch sehr weit aus dem Fenster, was die Interpretation angeht, kann aber zu jeder Zeit einen Querverweis zu Cobains Leben liefern, der deutlich macht, wie er zu seinen Argumentationen kommt, und weiß so schlussendlich zu überzeugen und die Cobain’schen Wortfragmentpuzzles zu stimmigen Entstehungs- und Hintergrund-bildern der Kompositionen werden zu lassen, wie man sie selten zuvor in einem deutschen Buch gesehen hat. Ironischerweise macht Crisafully hier aber auch leider genau das, was Kurt Cobain im Opener ‚Serve The Servants‘ von „In Utero“ der Presse vorwirft: Er biographisiert die Texte, um sie zu deuten. Im Endeffekt handelt er zwar richtig, denn eben dieses muss man mit Cobains Texten machen, um sie zu entschlüsseln, aber ein etwas dummer Nachgeschmack für den wirklichen Fan bleibt dabei schon.
Wirkliche Kritikpunkte gibt es hingegen nur einige wenige: Zum Einen bleibt auch nach der Lektüre noch einigermaßen unklar, warum man unbedingt die Live-Alben „MTV Unplugged In New York“ und „From The Muddy Banks Of The Wishkah“ ebenfalls so ausführlich besprechen musste wie die Studiowerke und zum anderen stört es gerade bei der Rezension der „Unplugged“-Stücke etwas, wie der Autor hier unbedingt seine prophetischen Qualitäten beweisen muss, indem er, gegensätzlich zu seiner sonst sehr kompetenten Herangehensweise, jedes noch so unpassende Fitzelchen auf den folgenden Selbstmord Cobains bezieht
Insgesamt muss man auch hier, wie im Falle von METALLICA, ganz klar attestieren: Klares Highlight und unbedingte Kaufempfehlung für den NIRVANA-Liebhaber. Das Referenzwerk zur Band an sich ist „Teen Spirit“ zwar nicht (da gibt es deutlich ausführlichere Werke) geworden, wer sich aber explizit für die Person Cobain und die Texte der Band interessiert, kommt an „Teen Spirit“ nicht mehr vorbei.