Alle Beiträge von Sebastian Baumer

Crisafulli, Chuck – Nirvana – Teen Spirit – Die Story zu jedem Song

Die zweite herausragende Neuerscheinung im aktuellen Programm des Rockbuchverlags beschäftigt sich mit der wohl einzigen Rock-Band, die man mögen *muss*. „Nirvana – Teen Spirit – die Story zu jedem Song“ erzählt uns auf 136 wiederum sehr ausführlich mit guten Fotos bebilderten Seiten die Geschichte des letzten großen Rockstars unserer Generation, lässt uns einen Blick in sein Leben werfen und analysiert auf beachtliche Weise die eher impressionistischen Gedankengebilde von Kurt Cobain, dem John Lennon der Neunziger.

Es gab und gibt nur wenige Bands, die einen derartigen Fleck auf der musikalischen Landkarte hinterlassen haben wie NIRVANA, die eine ganze Kultur in eine Prä- und eine Post-Phase eingeteilt haben, die ein Genre so maßgeblich geprägt, die den Rock derart exzessiv und originalgetreu gelebt haben und dann mit einem Big Bang untergegangen sind. Better to burn out than to fade away.

Der freie Schriftsteller und Journalist Chuck Crisafulli, der auch selbst eines der seltenen Cobain-Interviews am Ende der Laufbahn der Band geführt hat (welches selbstverständlich in „Teen Spirit“ enthalten ist) und regelmäßig als Musikjournalist (u.a. für den amerikanischen „Rolling Stone“) in Erscheinung getreten ist, hat Ahnung von der Materie, vielleicht mehr als viele andere vor ihm, das merkt man sofort, wenn man in „Teen Spirit“ zu lesen beginnt: Er stellt schlüssig und nachvollziehbar dar, wie es dieser Band gelingen konnte, zu genau jenem Zeitpunkt die Charts zu stürmen und derart erfolgreich zu werden und zeichnet insgesamt ein Bild von NIRVANA, wie es wohl dem, was diese Band wirklich ausmachte, kaum näher kommen kann.

Kernstück des Buches bilden auch in „Teen Spirit“ ausführliche Besprechungen der einzelnen Platten und der dazugehörigen Songs und Texte. Hier lehnt sich Crisafully zwar teilweise auch sehr weit aus dem Fenster, was die Interpretation angeht, kann aber zu jeder Zeit einen Querverweis zu Cobains Leben liefern, der deutlich macht, wie er zu seinen Argumentationen kommt, und weiß so schlussendlich zu überzeugen und die Cobain’schen Wortfragmentpuzzles zu stimmigen Entstehungs- und Hintergrund-bildern der Kompositionen werden zu lassen, wie man sie selten zuvor in einem deutschen Buch gesehen hat. Ironischerweise macht Crisafully hier aber auch leider genau das, was Kurt Cobain im Opener ‚Serve The Servants‘ von „In Utero“ der Presse vorwirft: Er biographisiert die Texte, um sie zu deuten. Im Endeffekt handelt er zwar richtig, denn eben dieses muss man mit Cobains Texten machen, um sie zu entschlüsseln, aber ein etwas dummer Nachgeschmack für den wirklichen Fan bleibt dabei schon.

Wirkliche Kritikpunkte gibt es hingegen nur einige wenige: Zum Einen bleibt auch nach der Lektüre noch einigermaßen unklar, warum man unbedingt die Live-Alben „MTV Unplugged In New York“ und „From The Muddy Banks Of The Wishkah“ ebenfalls so ausführlich besprechen musste wie die Studiowerke und zum anderen stört es gerade bei der Rezension der „Unplugged“-Stücke etwas, wie der Autor hier unbedingt seine prophetischen Qualitäten beweisen muss, indem er, gegensätzlich zu seiner sonst sehr kompetenten Herangehensweise, jedes noch so unpassende Fitzelchen auf den folgenden Selbstmord Cobains bezieht

Insgesamt muss man auch hier, wie im Falle von METALLICA, ganz klar attestieren: Klares Highlight und unbedingte Kaufempfehlung für den NIRVANA-Liebhaber. Das Referenzwerk zur Band an sich ist „Teen Spirit“ zwar nicht (da gibt es deutlich ausführlichere Werke) geworden, wer sich aber explizit für die Person Cobain und die Texte der Band interessiert, kommt an „Teen Spirit“ nicht mehr vorbei.

Ingham, Chris – Metallica – Hit The Lights – Die Story zu ihren größten Songs

Was sind eigentlich die Wurzeln der größten Metalband der Welt? Welche Gedanken und Ereignisse sind es, die hinter den wütenden Lyrics von „St.Anger“ stehen? Was meint James Hetfield eigentlich mit ‚Until It Sleeps‘? Und wie war das noch damals, bei den Aufnahmen von „Master Of Puppets“?

Diese und weitere Fragen will das neue METALLICA-Buch „Hit The Lights – Die Story zu ihren größten Songs“ klären, das kürzlich im Rockbuch-Verlag erschienen ist. Der Autor, kein Geringerer als Chris Ingham, der Herausgeber der wohl neben „Kerrang“ wichtigsten Rock- und Metal-Zeitschrift der Welt ist (nämlich dem ebenfalls englischen „Metal Hammer“), zeichnet in 150 reichlich und gut bebilderten Geschichten die Geschichte METALLICAs nach, wie man sie zwar präsent irgendwie im Hinterkopf kennt, aber bisher nie so kompakt und gut geschrieben parat hatte.

Das Buch startet relativ glanzlos mit dem kurzen Kapitel „Einflüsse“, das man als treuer Fan fast überspringen könnte, denn bei der Beschreibung der NWOBHM-Bands und der Punk-Combos, die zu den Wurzeln METALLICAs gehören, bleibt Ingham doch sehr auf der Oberfläche und liefert kaum mehr als jeweils eine kurze Bio des jeweiligen Acts und einen passenden Kommentar von Lars Ulrich (von wem auch sonst *g*). Richtig interessant wird es im Anschluss, wenn im zweiten Teil die Gründung und die frühen Jahre der Band näher beleuchtet werden, wobei auch Dave Mustaine und MEGADETH ein ganzes Unterkapitel gewidmet ist.

Der eigentliche Kern des Buches sind und bleiben allerdings die ausführlichen Kapitel zu allen Studioalben mit den Songbesprechungen und jeweils mehr oder weniger kurzen Lyric-Analysen, die den Hauptteil von „Hit The Lights“ ausmachen. Wer weiß schon wirklich aus dem Gedächtnis, dass „Kill ‚Em All“ nur 12.000 $ gekostet hat, wie lange man mit „Ride The Lightning“ auf Tour war oder wie das Meisterstück „Master Of Puppets“ Gestalt annahm?

Das größte Problem an „Hit The Lights“ sind unterdessen nicht die fesselnden Beschreibungen von jedem einzelnen Song, den diese Band bis dato auf eine Studioplatte gebracht hat, sondern die immer wieder eingestreuten textlichen Interpretationen, die Chris Ingham vornimmt. Dass ‚One‘ ursprünglich nicht als Anti-Kriegs-Song gedacht war, weiß man aus Interviews mit Hetfield, aber an vielen Stellen sind es einfach nur lose Assoziationen und Ideen, die vom Autor absolut gesetzt werden, obwohl dieses gerade mit James Hetfields zu jeder Zeit schwerstens mehrdeutigen oder relativ schwammigen Texten eigentlich kaum möglich ist. ‚Mama Said‘ ist freilich nicht das Problem, aber zum Beispiel ‚Fight Fire With Fire‘ eine politsche Komponente zu verpassen, die dieses gar nicht hat, oder in ‚King Nothing‘ eine König-Midas-Analogie zu lesen, ist dann doch etwas weit hergeholt.

Trotz dieser kleinen Mängel ist „Hit The Lights“ (natürlich auch mangels Konkurrenz) ein großartiges Buch geworden. Liest man die nie störenden oder aufdringlichen Interpretationen zu den Lyrics als bloße Anregungen eines vielleicht ein bisschen übereifrigen Autors, kann man sogar wunschlos glücklich mit diesem Buch werden.

Machen wir das Fazit kurz und schmerzlos: Das hier ist im Print-Bereich ganz eindeutig das neue Referenz-Werk zum Thema METALLICA in deutscher Sprache, bietet Tonnen von zwar nicht unbedingt enorm tiefen aber dafür topaktuellen Infos, die zudem völlig ausreichend sind für den Hausgebrauch und hat außerdem auf 152 Seiten massenweise tolle Fotos von der Band zu bieten. Klare Kaufempfehlung.

Putterford, Mark – Metallica – Talking

„Metallica – Talking“ lautet der Titel des neuen Werkes einer existierenden Buchreihe des Verlages |Schwarzkopf & Schwarzkopf|, in der bisher auch langjährige Musikgötter wie OZZY OSBOURNE oder LED ZEPPELIN (siehe [Rezension) 434 ihre Geschichte zu Papier bringen durften. Wer bei den Schlagworten METALLICA und Interview nun spontan an Lars Ulrich denkt, der liegt nah an der Realität, denn es ist vor allen der Mann am Schlagzeug, der einen Großteil des hier vorliegenden Textes in die Tonbandgeräte verschiedener Journalisten gesprochen hat.

Auf den gut 150 Seiten des Buches kommen aber neben der kompletten „inneren“ Band auch andere zu Wort: Der leider viel zu früh verstorbene Cliff Burton, Dave Mustaine (dem sogar ein eigenes Kapitel gewidmet ist, das vielleicht das interessanteste überhaupt in diesem Buch ist), Jason Newstedt und der Neue am Bass, Rob Trujillo. Das Werk, verfasst, oder besser zusammengestellt von Mark Putterford, ist chronologisch aufgebaut, beginnt bei den unvermeidlichen „Einflüssen“ und „Anfängen“, führt über sämtliche Alben, die von der Band ausführlich kommentiert werden, bis hin zu den aktuellsten Entwicklungen und „St. Anger“. Das eigentlich Interessante an dieser Bandbiographie ist die Tatsache, auf die schon der Titel hinweist: Es handelt sich beim Text ausschließlich um eine Sammlung von Originalzitaten der Band und der Menschen aus deren näherer Umgebung, die dazu jeweils aus der Zeitperiode stammen, die das entsprechende Kapitel näher beleuchtet. Dabei treten neben einigen witzigen Einlagen (zum Beispiel lobt Lars Ulrich so ziemliche jedes einzelne Album als „unglaublich“ oder „Wahnsinn“ in den Himmel, um es beim nächsten Werk wieder schlecht zu reden und das Ganze von vorn durchzuspielen) vor allem viele interne Sachen zutage, die man so wohl schon mal gelesen hat, die aber hier natürlich durch den O-Ton ein ganzes Stück „näher“ an der Realität sind. Selbiges macht, neben vielen guten Farb- und Schwarzweißfotos der Band aus den verschiedenen Perioden, wohl das Hauptargument für dieses Buch aus, das sich ansonsten etwas zu sehr auf die neuere Geschichte von Metallica konzentriert und die tatsächlichen Glanzzeiten der Band etwas in den Hintergrund rücken lässt. Erfreulich auch, wie teilweise zu fast jeder Platte einzelne Songs kommentiert werden, und der Einblick, den man in die Songwriting- und Textentstehungsprozesse bekommt.

Im Endeffekt muss wohl jeder für sich entscheiden, ob er „Metallica – Talking“ unbedingt braucht. Uneingeschränkt empfehlenswert ist es aufgrund der etwas auffälligen Kürze leider nicht, was der niedrige Preis allerdings wieder wettmacht. Fakt ist, dass das Buch einen relativ lesenswerten Überblick über die Geschichte einer der größten Metalbands der Welt gibt und dazu sicherlich zum Teil denkwürdige Originalzitate verwendet, die in sich ein stimmiges Bild ergeben (abgesehen von den erwähnten Wertungen von Plaudertasche Lars Ulrich) und damit insgesamt die normale Form einer Bandbiographie, bei der ein Autor über eine Band schreibt, einmal umdreht. Allzu viel Neues kommt dabei natürlich nicht ans Tageslicht, dennoch kann man das hier vorliegende Experiment ohne Zweifel als geglückt bezeichnen, bei dem vor allem das Herzstück, in dem alle Alben kommentiert werden, zum wiederholten Schmökern einlädt. Hoffen wir auf eine Fortsetzung der Reihe mit weiteren Metal- und Rockgrößen.

Apter, Jeff – Fornication: The Red Hot Chili Peppers Story

Der Sinn oder Unsinn einer Biographie über eine Band, die noch aktiv ist oder gar auf einem Zenith ihrer Popularität steht, wäre als Diskurs mehr als nur geeignet, um auf das neue Werk von Jeff Apter über die kalifornischen Alternativrocker der |Red Hot Chili Peppers| hinzuweisen. Kompromiss der Frage? – Zumindest der Zeitpunkt scheint nicht nur arbiträr, sondern im Gegenteil ziemlich passend gewählt, da die Band, die im nächsten Jahr nach einer Pause von knapp drei Jahren ein weiteres Album veröffentlichen wird, zum erneuten Male an einem Wendepunkt stehen könnte, in jedem Fall aber den Wiederaufstieg mit mehr als nur einem Zufallshitalbum geschafft hat. Das kalifornische Quartett, das seit mehr als 22 Jahren aktiv ist und nach dem (zumindest kommerziellen) Fast-Absturz in die Bedeutungslosigkeit mit nunmehr zwei musikalisch und verkaufstechnisch herausragenden Alben („Californication“ und „By The Way“) wieder mehr als nur einen Fuß in der Tür hat, zählt zweifellos zu den wichtigsten aktiven amerikanischen Rockbands überhaupt und darf darüberhinaus als einige der wenigen Bands gelten, die Genre-übergreifend Zustimmung von diversen Musikfans erhält. Dabei liest sich die Geschichte der |Red Hot Chili Peppers| wie ein ständiges Auf und Ab zwischen Misserfolg, durchschlagenden Hits, Drogensumpf und Entziehung, bei der man kaum glauben mag, dass es am Ende doch immer wieder die kreative Magie der Musik war, die das Chaos überwinden konnte.

Der Australier Michael Apter, langjähriger australischer Musikjournalist und vormals Chefredakteur des dortigen |Rolling Stone|, der auch schon ein ähnliches Buch über die Alternativrocker |Silverchair| veröffentlicht hat, versucht sich mit seinem Zweitwerk daran, diese Geschichte nachzuerzählen. Auf 444 Seiten schildert Apter die Biographie der |Red Hot Chili Peppers| von der Kindheit der einzelnen, im Laufe der Zeit diverse Male wechselnden Bandmitglieder bis hin zum immer noch aktuellen Album „By The Way“. Wer an dieser Stelle allerdings ein klar gegliedertes und stichpunktartig strukturiertes Werk vor Augen hat, könnte kaum weiter daneben liegen. Apter hat einen deutlichen Hang dazu, weitläufig zu erzählen, schmückt den komplett fortlaufenden, offenbar nur zum Schein mit Kapitel versehenen Text mit Anekdoten, Auszügen der Geschichte des Rocks der 90er Jahre und den entsprechenden Aktivitäten verwandter Bands, Anmerkungen, Interviewschnipseln und Kommentaren von Kollegen, kann aber dabei nicht das Kunststück vollziehen, dem Ganzen eine einheitliche Struktur oder eine Ordnung außer der chronologischen zu geben, was das Buch zwar sehr informativ, aber etwas unlesbarer als Vergleichswerke macht, vor allem dann, wenn man ein bestimmtes Ereignis oder eine bestimmte Phase kurz nachschlagen will, was auch der eingebaute Stichwortindex am Ende des Werks (man wusste offenbar um diese Schwäche des Texts) nicht wirklich wettmachen kann. Die musikgeschichtlichen Verweise mögen zwar meistens recht passend sein und das Werk mit Hintergrundwissen anreichern, lassen aber zuweilen aber auch recht seltsame Blüten sprießen, etwa wenn der Autor einen Absatz über die Lyrics eines |Radiohead|-Songs aus der selben Zeit einschiebt, der zur gerade erzählten Situation bei den |Chili Peppers| zu passen scheint, mit dem Erzählten an sich allerdings gar nichts zu tun hat.

Das äußerliche recht ansprechende Musikbuch ist mit diversen Fotos garniert, die allerdings leider zum einen nur in schwarzweiß vorhanden sind, zum anderen gebündelt an ein paar Stellen des Buchs zusammengefasst sind. Wesentlich sinnvoller und illustrativer wäre wohl gewesen, die Fotos den einzelnen beschriebenen Ereignissen im Buch zuzuordnen und besser einzubinden, andererseits entspricht es natürlich dem geschlossen (Text-)Charakter dieses Werks, die Fotos eher als Beigabe denn als tatsächliches Element zu betrachten.

Insgesamt bleibt es recht schwer, für „Fornication“ eine eindeutige Wertung auszusprechen, dazu ist das Werk eindeutig zu zwiespältig: Während wir es einerseits natürlich ganz klar, schon aufgrund von fehlenden Alternativen, mit dem neuen Referenzwerk über die |Red Hot Chili Peppers| zu tun haben, das für den Fan eine Fundgrube an auch tiefer gehender (Hintergrund-)Information sein kann, muss man andererseits auch seine bereits erwähnte Weitläufigkeit und Unstrukturiertheit kritisieren, die zudem (für eine Bandbiographie) einen zu deutlichen Fokus auf Anthony Kiedis legt. Zudem kann auch bei den Zugaben (lediglich eine umfangreichere Diskographie ist zusätzlich vorhanden) und den enthaltenen Fotos auch kaum von einem deutlichen Mehrwert die Rede sein, der den doch recht hohen Preis rechtfertigen könnte. Wer die Band bereits kennt, dem ist dieses eher an einem Stück konsumierbare Buch in höchstem Maße zu empfehlen, wer allerdings ein leicht zu bedienendes, kurzweiliges und informatives Nachschlagewerk mit Zitaten wie etwa das |Nirvana|-Standardwerk „Come As You Are“ von Michael Azzerad oder Ähnliches erwartet, wird hier enttäuscht sein. Im Rahmen der genannten Prämissen kann und muss man allerdings Jeff Apter ein durchweg gelungenes Buch attestieren, welches zwar stilistisch in den einzelnen Kapiteln zu eng mit dem Musikjournalismus diverser Zeitschriften verwandt ist, allerdings als komplettes Werk äußerst lesenswert erscheint und den Anspruch einer als fortlaufender Gesamttext gestalteten Bandbiographie mehr als nur erfüllt. Der langen Rede kurzer Sinn: Fans brauchen das unbedingt. Die anderen lesen vorher mal rein.

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