Diana L. Paxson – Die Herrin vom See (Britannien-Zyklus 01)

Die weibliche Linie der Magie

Eine dunkle Zeit ist über Britannien hereingebrochen. Das einst mächtige Römische Reich hat seine Truppen aus der Provinz zurückgezogen und die Men-schen der Insel sich selbst überlassen. Was übrig bleibt, ist eine Vielzahl von sich befehdenden Stämmen, die sich teils auf Reste der alten römischen Autorität, teils auf Sippenverbände gründet – vor allem aber auf eines: die Macht der Waffen.

Aber es gibt noch eine dritte Macht auf der Insel. Durch den Einfluss der Römer und das Vordringen des Christen-tums besitzt sie nur noch einen Schatten ihrer früheren Bedeutung, doch ihre Tradition ist noch fest und ungebrochen. Sie ist verkörpert in Argante, Priesterin und Königin des verborgenen Rei-ches, die man die Herrin vom See nennt. Ihr ist prophezeit, dass aus dem alten Blut ihres Geschlechts dereinst der Verteidiger geboren werden soll, der das zerrissene Land einen wird.

Sein Schwert, geschmiedet aus dem Metall eines gefallenen Sterns, von Krieger-Priestern aus den Steppen Asiens bis an den Rand der bewohnten Welt getragen, wartet auf seine Ankunft. Nur einer kann der Herrin vom See dazu verhelfen, die Vision, die sie hat, Wirklichkeit werden zu lassen: Ambros, der Sohn ihrer Base Madrun und eines Wilden Mannes aus den Wäldern, Erbe einer noch älteren Magie — der Seher und Prophet, den man Merlin nennt. Ihr gemeinsamer Plan bringt den letzten Spross des Kaiserhauses und Argantes Tochter, die Erbin ihrer Macht, in einer schicksalhaften Stunde zusammen, um einen Sohn zu zeugen, der einst das Schwert aus dem steinernen Altar befreien soll. Er ist der künftige König, den man Artor nennen wird. (Verlagsinfo)

Die Autorin

Diana L. Paxson (* 20. Februar 1943 in Detroit, Michigan) ist eine US-amerikanische Schriftstellerin von historischen Fantasy-Romanen.

Mit ihrer Schwägerin Marion Zimmer Bradley schrieb sie an dem fünften Band der Avalonsaga und beendete nach dem Tod ihrer Schwägerin die Fortsetzung Die Ahnen von Avalon. Selbst wurde sie bekannt durch ihren Westria-Zyklus. Eher in die Richtung historischer Roman ging das Werk Die Töchter der Nibelungen, in denen sie die Nibelungensage nacherzählte. Neben ihren historischen Romanen und Fantasy-Romanen, schrieb die bekennende Asatru auch über Runen und die Asatru-Religion. Sie wohnt in Greyhaven, einem Künstlerhaus in Berkeley, Kalifornien, wo auch schon Marion Zimmer Bradley gelebt hat.

Der Britannien-Zyklus

In der Originalausgabe erschien die Serie unter dem Titel „The Hallowed Isle“.

1) The Book of the Sword, Avon Eos 1999, ISBN 0-380-78870-5
Die Herrin vom See, Bastei Lübbe 2000, Übersetzer Michael Krug, ISBN 3-7857-2000-9
2) The Book of the Spear, Avon Eos 1999, ISBN 0-380-80546-4
Die Herrin der Raben, Bastei Lübbe 2001, Übersetzer Michael Krug, ISBN 3-7857-2041-6
3) The Book of the Cauldron, Avon Eos 1999, ISBN 0-380-80547-2
Die Herrin von Camelot, Bastei Lübbe 2002, Übersetzer Michael Krug, ISBN 3-7857-2062-9
4) The Book of the Stone, Avon Eos 2000, ISBN 0-380-80548-0
Die Herrin der Insel, Bastei Lübbe 2002, Übersetzer Michael Krug, ISBN 3-7857-2083-1

Hintergrund: Vier heilige Objekte

Die vier Bücher des Artor-Zyklus von Diana Paxson orientieren sich an den vier heiligen Gegenständen der irisch-keltischen Sagenwelt. Nach dem Speer und dem Schwert ist nun der Kessel dran, der Stein* wird den Zyklus abschließen. Der Kessel ist der Göttin Ceridwen gewidmet, die für Fruchtbarkeit und alles, was damit zusammenhängt, zuständig ist. (Daher beginnt das Buch mit der Geburt Mordreds, Artus‘ Schwestersohn. Er wird im Buch Medrod genannt.)

Mit Ceridwens Kessel hat es eine besondere Bewandtnis: Während er natürlich alle im Überfluss ernährt, so unterscheidet er doch laut Sage zwischen tapferen und treuen Männern und Feiglingen. Über diese Erkenntnis hinaus kann er weitere Fähigkeiten verleihen, wie etwa das Zweite Gesicht. Wie alle Geschenke, die die Götter den Menschen machen, ist auch dieses zweischneidig und sollte klug verwendet werden.

Natürlich verbirgt sich hinter den Legenden um den Kessel die Sage um den Heiligen Gral, die fast 700 Jahre später von christlichen Hofdichtern zu einer Art ritterlichem Kreuzzug umgedichtet wurden. Diesen Hintergrund erhellt Herausgeber Helmut Peschs gelehrtes Nachwort optimal.

Handlung

Dieser Auftaktband erzählt die Vorgeschichte der Artus-Legende, also die rund 50 Jahre vor seiner Bestätigung als der prophezeite König und Retter Britanniens. Die Fortsetzung mit dem Titel „Die Herrin der Raben“ schildert Artus‘ Jahre bis zum entscheidenden Sieg gegen die Sachsen am Mount Badon. Die Zeit ist das stürmische 5. Jahrhundert nach Christus.

Nach dem Abzug der römischen Truppen findet sich in der Ex-Provinz Britannia eine bunt gemischtes Volk den Angriffen und Plünderungen der irischen Piraten und der piktischen Stämme aus dem schottischen Hochland jenseits der zwei Wälle von Hadrian und Antoninus ausgesetzt. Hinzukommt, dass es nach dem Tod des letzten legitimen Kaisers zwei Parteien gibt, die Anspruch auf die Herrschaft anmelden. Da ist Ambrosius Aurelianus mit seinem später wichtigen Bruder Uther Pendragon (Artus‘ Vater), sie weilen aber im benachbarten Gallien. Und da ist Vitalinus Vor-Tigern, der sich Oberkönig nennen lässt.

Vitalinus macht notgedrungen – oder aus der römischen Gewohnheit heraus, kämpfen zu lassen statt selbst zu kämpfen – einen schweren Fehler: Er holt sächsische, also germanische Krieger ins Land. Ihr Anführer ist Hengest. Da die Pikten und Skoten keine Ruhe geben, muss Vitalinus immer weitere Sachsen, ja sogar Angeln, Jüten und Friesen ins Land lassen. Nachdem sein Gold alle ist, wollen sie sich mit britannischem Land für ihre Soldatendienste bezahlen lassen.

Als auch diese Zugeständnisse nicht mehr ausreichen, nehmen sich die Germanen, was sie wollen. Bei einer feierlichen Versammlung zwecks Friedensschluss ermorden sie alle Fürsten der Briten und stürmen das Land bis weit in den Westen. Was kann das einst glorreiche, blühende Britannien jetzt noch retten?

Ambrosius Aurelianus erweist sich als zu schwach, um die Sachsen zu jagen, und so kommt es zu einer grotesken Lage, die an die Berliner Mauer erinnert: Eine befestigte Grenze zieht sich quer durchs Land, von Norden bis Süden; im Osten setzen sich die Germanen fest, im Westen leisten die Briten Widerstand. Das kann natürlich nicht ewig so weitergehen, und so spielen bald wenige Männer – und Frauen! – eine entscheidende Rolle.

Mein Eindruck

Die weibliche Linie der Magie

Aus ihrer Urheimat am Schwarzen Meer, aus der römischen Provinz Dacia, haben die alten Priesterinnen ein mächtiges Schwert mitgebracht, das uns gemeinhin als Excalibur bekannt ist, im Buch aber keinen Namen trägt. Jedenfalls wohnt ihm ein Gott des Krieges inne. Vor Missbrauch behütet und gepflegt wird das Schwert von den Priesterinnen auf der abgelegenen Insel der Maiden (= Avalon), die im Lake District liegt.

Die lange Linie der zaubermächtigen Priesterinnen des Schwertes reicht bis hinab zu Igraine, der Mutter des Knaben Artus, und zu ihrer Tochter Morgause, die in allen Artus-Romanen vor „Nebel von Avalon“ als Hexe Morgaine so schlecht wegkam.

Merlin, der Seher Britanniens

Von einer Angehörigen dieses Geschlechts stammt auch der junge Ambros ab, der später unter dem Spitznamen „Merlin“ bekannt wurde. Sein Vater war einer der Ureinwohner aus den Wäldern, ein sogenannter Wilder Mann.

Da sich aber seine Mutter Madrun nicht an diese sicher nicht besonders ruhmreiche Episode erinnern kann/mag, kriegt sie später erhebliche Probleme: Merlin sieht wegen seines dichten Haarwuchses aus wie ein Kind des Teufels – man will ihn sogar töten lassen. Dies verhindert er durch seine besondere Sehergabe. Auch dem König, Vor-Tigern Vitalinus, hilft er durch Weissagung. In der Merlin-Verfilmung kämpfen zwei Drachen in den Lüften über Vortigerns immer wieder einstürzender Burg (= Königreich Britannien): ein weißer (= Germanen) und ein roter(= Briten). Der weiße Drache gewinnt.

Artus, der Verteidiger Britanniens

Merlin sagt ebenso wie der Gott im Schwert die Geburt eines mächtigen Kriegers voraus, das Kind von Uther Pendragon und der Zauberin Igraine: Artus. Dumm nur, dass Igraine noch verheiratet ist und zwar mit dem Fürsten von Cornwall, der Pendragon nicht als Oberherrn anerkennt. Genau: Das wird noch eine ganz üble Geschichte. Sie soll hier aber nicht verraten werden. Das Buch endet wie gesagt mit der Szene, als Artus das Schwert aus dem Stein zieht.

Unterm Strich

Artus-Trilogien gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Die ehemalige Mitarbeiterin von Marion Zimmer Bradley liefert eine der besseren ab, erinnert dabei aber schwer an den umfangreichen Roman „Die Nebel von Avalon“, dessen ungenannte Mitautorin Paxson war.

Diese Erzählung ist durchaus spannend, lebhaft und bewegend erzählt, ja stellenweise sogar komisch (besonders wenn der junge Merlin auftritt). Dennoch sollte man sie möglichst zügig durchlesen, denn sonst kann man sich nicht mehr an die vielen römischen und germanischen Namen von Leuten, Orten und Titeln erinnern. Ein Glossar, Ortsverzeichnis, Stammbäume und eine historische Karte Britanniens im 5. Jahrhundert runden den Band hilfreich ab. Das Glossar hilft, aber das Nachschlagen ist mühsam.

Nachwort

Das Nachwort von Redakteur und Herausgeber „Dr. Fantasy“ Helmut W. Pesch befasst sich mit dem Thema „König Artus – Legende und Wirklichkeit“. Er macht deutlich, wie ungesichert die Nachrichtenlage von den Chronisten jener längst vergangenen Zeit ist und wie viele selbst ernannte „Fachleute“ sich die abstrusesten Theorien erlauben. Allerdings bewertet er nicht Paxsons Versuch der Artus-Darstellung.

Kritik am Christentum

Diana Paxson ist eine versierte Kennerin der Historie jener Zeit. Ihre neuheidnische Einstellung lässt sie eine kritische Haltung zum aufkommenden Christentum einnehmen: die Mönche kommen meist schlecht weg. Sie versteht die Mentalität der Leute, die sich im Umbruch zwischen verschwindenden heidnischen Bräuchen und aufkommendem christlichem Glauben oder vielmehr Aberglauben befinden. Paxson macht sehr deutlich, dass die alte Religion, für die Avalon steht, in Händen der Frauen lag, das Christentum aber in Händen von Männern, die fast nur Schlechtes über Frauen zu sagen wussten. Der Leser muss selbst seinen Standpunkt suchen. Atheisten haben es leichter, sich auf die Seite der Autorin zu schlagen.

www.luebbe.de

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