Diana L. Paxson – Die Herrin der Insel (Britannien 4)

Spirituell: Frauenherrschaft mit Showdown

Dies ist die Fortsetzung von „Die Herrin von Camelot“, dem spannenden 3. Band von Diana Paxsons vieteiligem Britannien-Zyklus. Paxson erzählt historisch annähernd zutreffend, mit Tempo und dennoch mit einem mystischen Hintergrund, der auch Fantasyfreunde anspricht.

In den Romanen um die geheiligte Insel geht es einerseits um die Insel Britannien nach dem Abzug der Römer, andererseits um die „Insel der Maiden“, eine Schule von Priesterinnen der alten Religion, also ein zweites Avalon.

Im vierten Band kommt es zum Showdown zwischen König Artor und seinem eigenen Sohn Medrod (Modred), der die Herrschaft an sich reißen will. Zwischen ihnen steht die regierende Königin: Gwendivar (Guinevere).

Die Autorin

Diana L. Paxson war zu Lebzeiten Marion Zimmer Bradleys deren engste Mitarbeiterin sowie die Co-Autorin der „Avalon“-Romane. In ihren eigenen Büchern verbindet Paxson genaue historische Recherche mit Elementen aus Mythos und Sage. Als eine der führenden Vertreterinnen der neo-heidnischen Bewegung in den USA zeigt sie dabei ein besonderes Interesse für die paganen Religionen der Spätantike (so etwa das 5. Jahrhundert) und des Mittelalters: Sie kennt die alten Göttinnen und Götter nicht nur aus Büchern, sondern möglicherweise auch aus eigenem Erleben, etwa von Besuchen an deren Tempeln und Altären. Mehrere genaue Beschreíbungen solcher Orte in ihrem Artor-Zyklus sprechen dafür.

Ihre neuheidnische Einstellung lässt sie eine kritische Haltung zum aufkommenden Christentum des 4.-6. Jahrhunderts einnehmen: die Mönche kommen meist schlecht weg. Sie versteht die Mentalität der Leute, die sich im Umbruch zwischen verschwindenden heidnischen Bräuchen und aufkommendem christlichem Glauben oder vielmehr Aberglauben befinden. Paxson macht sehr deutlich, dass die alte Religion, für die Avalon steht, in Händen der Frauen lag, das Christentum aber in Händen von Männern, die fast nur Schlechtes über Frauen zu sagen wussten. Der Leser muss selbst seinen Standpunkt suchen. Atheisten haben es leichter, sich auf die Seite der Autorin zu schlagen.

Vorgeschichte: Vier heilige Objekte

Die vier Bücher des Artor-Zyklus von Diana L. Paxson orientieren sich an den vier heiligen Gegenständen der irisch-keltischen Sagenwelt. Nach dem Speer Wodans, dem Schwert der Sarmaten und dem Kessel der Göttin, schließt der piktische Stein der Königsherrschaft den Zyklus ab. Der Stein symbolisiert das Land an sich.

Der Kessel ist der Göttin Ceridwen gewidmet, die für Fruchtbarkeit und das natürliche Gleichgewicht zuständig ist. Mit Ceridwens Kessel hat es eine besondere Bewandtnis: Während er natürlich alle im Überfluss ernährt, so unterscheidet er doch laut Sage zwischen tapferen und treuen Männern und Feiglingen. Über diese Erkenntnis hinaus kann er weitere Fähigkeiten verleihen, wie etwa das Zweite Gesicht. Wie alle Geschenke, die die Götter den Menschen machen, ist auch dieses zweischneidig und sollte klug verwendet werden.

Artors Reise zu den Schotten und Pikten im Jahr 502 schildert nicht nur eine Begegnung mit den Ureinwohnern und „Feen“, sondern auch das piktische Phänomen eines Steins der Herrschaft. Man könnte ihn auch als „Heimstein“ bezeichnen, denn jedes Dorf und jede Festung hatte einen. Diese Stein-Tradition ist verbürgt und nicht etwa von der Autorin erfunden.

Der historisch Interessierte sollte mal unter dem Stichwort „Stone of Scone“ oder „Jakobssitz/-stein“ nachschlagen. Es handelt sich hierbei um den uralten heiligen Steinthron, auf dem Schottlands Könige und Königinnen gesalbt wurden. Die Engländer raubten den Stein nach Schottlands Unterwerfung und verbargen ihn in der Westminster-Kathedrale. Heute befindet sich der Stein, so Helmut Pesch im Nachwort zu Band 3, wieder in Schottland. Theoretisch könnte Schottland wieder ein Königreich werden…

Handlung

Die Geschichte beginnt im Jahr 502 und endet im Jahr 515. König Artor hat mit 15 oder 16 die Königswürde und das heilige Sarmatenschwert errungen. Nun lebt Gwendivar (= Guinevere) zwar an seiner Seite, doch sie lieben einander nicht sexuell. Das ist für beide eine schwere Belastung, und die Untertanen wundern sich, dass aus dieser Ehe keine Nachkommen hervorgehen. Die Fürsten Britanniens sowie der sächsischen und piktischen Gebiete rechnen sich Chancen für Machtzuwachs aus, sollte der König keinen legitimen Nachfolger vorweisen können.

Daher ist Medrods Auftauchen in Camelot so bedeutsam. Medrod (= Mordred, Medraut) ist der Sohn, den Artor mit seiner Schwester, der Priesterin Morgause, bei einer Zeremonie zeugte. Der Junge wuchs bei seiner Mutter auf der heiligen Insel der Maiden auf, welche ihr Leben der Göttin Brigantia geweiht haben. Doch Morgause hat Medrod als Werkzeug für ihre Rache an Artor, der sie von sich wies, ausgebildet. Als Medrod dies entdeckt, wendet er sich von ihr ab.

Er wächst auch jenseits der Wälle bei den Schotten und Pikten auf. Als er in Camelot einreitet, um seinen Platz an diesem Hof zu suchen, ist er bereits knapp 20 Jahre alt. Der nicht wenig verlegene Artor entscheidet, ihn als Geisel bei den Sachsen unterzubringen. Der Geiselaustausch garantiert Frieden. Bei den Sachsen lernt Medrod mehr über Kriegshandwerk und Organisation. Das wird ihm schon bald von Nutzen sein.

Denn Artor erhört den Hilferuf der verwandten Völker, die in der Bretagne um ihr Land bangen, seit die Franken die Römer und im Süden auch die Goten geschlagen haben. Durch einen Präventivkrieg wird den Franken Einhalt gebieten, bevor sie England angreifen. Dieser Krieg hält ihn jedoch länger als zehn Jahr in der Fremde fest. Er erringt zwar Siege, doch seine lange Abwesenheit lässt die Fürsten aufmüpfig werden. Seine Regentin Gwendivar, der er seine Regierungsgeschäfte anvertraut hat, verliert nacheinander ihre wichtigsten Stützen: erst Sir Gai, der stirbt, dann auch noch Medrods Bruder Gwalchmai, der nach Gallien geht. Die Fürsten werden aufmüpfig.

Medrod kehrt an den Hof Gwendivars zurück und entwickelt sich zunehmend zu der wichtigsten Stütze, erst in der Verwaltung und bei der Bekämpfung nordischer Invasoren, dann auch im privaten Bereich. Obwohl sie über seine Herkunft von Artor aufgeklärt worden ist, erklärt sie sich schließlich bereit, ihn zu heiraten, sobald er König geworden ist. Denn sie hat nicht vor, in Camelot zu versauern, wenn der König nichts von sich hören lässt. Und auf Merlin, den unsteten Wanderer, kann sie sich ebenso wenig verlassen.

Um Gwendivar zu gewinnen und seinen Anspruch auf die Herrschaft durchzusetzen, muss Medrod also Fürsten und deren Krieger hinter sich scharen, die es mit einer Truppe aufnehmen können, falls Artor zurückkehren sollte. Wider Erwarten geschieht genau dies. Artor ist verbittert zu erfahren, dass seine Frau mit seinem Sohn durchgebrannt ist und dass dieser nun einen Gegenarmee aufstellt.

Am Mittsommertag 515 soll sich das Schicksal Britanniens in der Schlacht von Camlann entscheiden – und das Schicksal von Artor, Gwendivar, Merlin und Medrod gleichermaßen.

Mein Eindruck

Das Buch zerfällt drei oder vier Teile. Artor macht eine Rundreise vom Süden bis in den hohen Norden, um Pakte für den Frieden zu schließen. Netter Job, aber nicht ganz ungefährlich bei den wilden Pikten, die Artor ziemlich barbarisch anmuten. Der nächste Teil sieht Artor in Übersee. Doch die Autorin zeigt uns nicht etwa spannende Schlachten, sondern die daheim regierende Gwendivar, die zwar als kompetent erweist, aber sich zunehmend vernachlässigt und einsam vorkommt.

Der dritte Teil sieht den Aufstieg Medrods zu einem ernstzunehmenden Rivalen Artors, nicht nur unter den jungen, ehrgeizigen Fürstensöhnen, sondern an Gwendivars Hof. Er hofft, mit ihr das Bett teilen zu dürfen, doch wie weiland Penelope, die zehn Jahre auf Odysseus wartete, vertröstet sie Medrod. Doch im Gegensatz zu Penelope geht Gwendivar mit ihm, denn das britannische Gesetz Artors setzt nicht auf Erweb der Königswürde durch Geburtsrecht, sondern durch Eignung. Erweist sich Medrod als mächtigerer Herrscher als der ferne Artor, hat er gute Chancen, ein Gegenkönig zu werden.

Das Finale

Der vierte Teil sieht die Rückkehr des rechtmäßigen Herrschers und das Aufeinandertreffen der beiden Armeen in der letzten Schlacht zu Füßen des Hadrianswalls. Die Schlacht selbst wird nur oberflächlich geschildert, der finale Zweikampf zwischen Vater und Sohn jedoch sehr eingehend. Schließlich ist dies auch ein psychologisches Duell.

Schicksale entscheiden sich und wundersame Verwandlungen finden statt. So wirkt der greise Merlin einen letzten großen Zauber, um dem König Stärke zu verleihen, bevor sich der Seher in einen Baum verwandelt. Aus der Nimue der Sagen und Legenden ist Ninive geworden, eine Königin der Ureinwohner, aber auch eine Schülerin Morgauses.

Morgause ist Königin von Gnaden der Göttin Brigantia, die dem Land innewohnt, eine Hohepriesterin. Und Gwendivar ist die rechtmäßige, aber weltliche Königin. Mithin weinen drei Königin an Artors Sterbebett. Der König indes wird in einem erzählerischen Prozess der Transzendenz zu einer Lichtgestalt verklärt. Die Transzendenz erlaubt es der Autorin, Artor ins Land selbst eingehen zu lassen, so dass man sich noch heute an ihn erinnert.

Die weise Frau

Die These der Autorin lautet meines Erachtens, dass die verschiedenen Formen der Herrschaft – weltliche wie spirituelle – in beiden Geschlechtern verkörpert sein müssen, um das grundlegende Gleichgewicht in einer Gesellschaft zu wahren. Schaut man sich unsere westliche Gesellschaft jedoch an, so sind spirituelle Herrscherinnen dünn gesät. Die katholische Kirche verbietet sie von vornherein, aber auch die Protestanten sind nicht gerade für Erzbischöfinnen bekannt.

Folglich sieht die Autorin die spirituelle Frau am besten in der weisen Frau, der „wicca“, verkörpert. Die Wicca wurde von der Inquisition als „Hexe“ (witch, wicked) verfolgt und ausgerottet, sollte aber wieder zum Leben erweckt werden. Kein Wunder also, dass Paxson den modernen Paganismus propagiert. Morgause ist die missratene spirituelle Führerin, Ninive die wohlgeratene. Gwendivar ist die weltliche Führerin. Optimal ist die Königinmutter Igraine, Artors Mutter, geeignet, doch die Vorgängerin Morgauses gibt in diesem Band den Löffel ab. Ob die Insel der Maiden eine vielversprechende Zukunft hat, ist fraglich.

Die Quellen

Welche Veränderungen die Autorin an den historischen Ereignissen des 6. Jahrhunderts vorgenommen hat, wäre müßig aufzuzeigen. Sie stützt sich auf allerlei Material, auf das Herausgeber und Lektor Helmut W. Pesch hingewiesen hat. Auch ihre Verwendung mythologischer Motive wie den vier Heiligtümern Britanniens, der geheiligten Insel, ist originär, indem sie viele Quellen der alten Kulturen und ihrer Überlieferung anzapft. Kulturforscher haben darüber zahlreiche Bände geschrieben. Bei ihnen sollten Interessierte nachlesen. Einige der Quellen werden im vorliegenden Band in der vorangestellten Danksagung genannt.

Hilfreiches Beiwerk

Ein Glossar mit Namen- und Ortsverzeichnis und eine historische Karte Britanniens im 6. Jahrhundert runden den Band hilfreich ab. Eine Einführung gab Herausgeber Pesch schon im 1. Band. Die Übersetzung ist übrigens ganz hervorragend und ahmt das altertümliche Raunen des Originals ausgezeichnet nach – auch wenn dies nicht jedermanns Sache ist.

Die Übersetzung

Ich war meist mit dem Übersetzer Michael Krug zufrieden, denn er versteht es, den altertümelnden Chronik-Stil glaubwürdig zu verwenden. So schreibt er beispielsweise „Odem“ statt „Atem“. Was ich jedoch nicht akzeptierte, war seine Verwendung von wörtlichen Entsprechungen. Das sollte man nicht tun. So bedeutet das englische „pack of wolves“ noch lange nicht „ein Pack Wölfe“ (S. 147), sondern eben „ein Rudel Wölfe“. „Pack“ wird im Deutschen immer abwertend verwendet, etwa in „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“. Gemeint ist aber der neutrale, sachliche Begriff „Rudel“.

Unterm Strich

In dem vierten und abschließenden Band ihres Zyklus „The Hallowed Isle“ führt die Autorin alle Handlungsfäden und Hauptfiguren in einem dramatischen Finale zusammen. Wie schon zuvor geben die Frauen den Ton an, mit zwei Ausnahmen: Artor, der in der Mitte komplett abwesend ist, und Medrod, der Thronprätendent und Schwestersohn des Königs.

Medrod ersetzt jedoch keineswegs den Ritter Lancelot der Sagen, den er beginnt keine Bettgeschichte mit Gwendivar (ein Jammer!), sondern lediglich eine harmlose Affäre, aus der er mehr zu machen gedenkt. Leider hat Gwendivar keinen Bock aus das Brabarenleben bei den Pikten und haut bei erster Gelegenheit mit Merlins Hilfe ab. Dafür ist die Versöhnung mit ihrem Göttergatten umso süßer und sinnlicher. Hey, welcher Kerl könnte bei einer solchen Maid, die nur einen Blütenkranz trägt und sonst nichts, widerstehen?

Aber die Wiedervereinigung ist nicht purer Sex (obwohl der auch willkommen ist), sondern die Aufnahme Artors durch Gwendivar, die ja eine Priesterin der Göttin Brigantia ist, in das Land und so in die rechtmäßige Herrschaft. Wenn schon Hochzeit, dann wenigstens auch spirituell. Da könnte einem ja glatt die Lust vergehen.

Der einzige Teil des Romans, der mich gut unterhielt, war die Schlacht von Camlann. Sie wird recht annehmbar und flott, mit vielen Perspektivwechseln, geschildert und gipfelt im Zweikampf Vater gegen Sohn. Sobald Artor am Boden liegt, wird’s wieder höchstens spirituell. Kleenex-Alarm: Taschentücher bereithalten!

Taschenbuch: 301 Seiten
O-Titel: The hallowed isle, Book four, The book of the stone, 2000;
Aus dem US-Englischen übersetzt von Michael Krug.
ISBN-13: 978-3404204922.

www.luebbe.de

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