Reinhold Eichacker – Panik

Eichacker Panik Cover kleinDas geschieht:

Mit einem mysteriösen dunklen Punkt im All beginnt es: Professor Earthcliffe, der kauzige aber begnadete Leiter der Michigansternwarte in New York, verliert ob der Unmöglichheit, dieses Phänomen identifizieren zu können, bald den Verstand. Erst als der junge, hoch talentierte Amateurwissenschaftler Dr. Nagel sich ihm als Assistent zur Seite stellt, gelingt des Rätsels Lösung: Ein gewaltiger Meteorit nähert sich der Erde, auf der er mit hoher Wahrscheinlichkeit einschlagen wird!

Earthcliffe fürchtet eine weltweite Massenpanik und rät zum Schweigen („Die Masse der dummen, kritiklosen Menge würde die kosmische Gefahr und Drohung gewiss nicht ertragen.“, S. 42). Doch sein skrupelloser Kollege Dr. Wepp denkt anders. Er will die Panik, um durch Aktienspekulationen ein gigantisches Vermögen zu erraffen. In einem zweiten Schritt will er sich gar zum Herrn der außer Kontrolle geratenen Welt aufschwingen.

Sein böser Plan lässt sich gut an. Die Erde verwandelt sich in einen Hexenkessel. Wepp entpuppt sich als fähiger Aufwiegler, der den Mob nach seiner Pfeife tanzen lässt. Die verzweifelten Versuche Earthcliffes und Nagels, seine Manipulationen aufzudecken, bleiben nutzlos. Von Wepp aufgehetzt, rückt die Meute gegen die Michigansternwarte vor, um die vermeintliche Stätte allen Übels und ihre Bewohner zu vernichten.

Alles wäre verloren, hätte Nagel nicht vor einiger Zeit den charismatischen deutschen Chemiker und Physiker Walter Werndt zu Hilfe gerufen. Mit Hilfe des „Falken“, seines fabelhaften Flugzeugs, könnte es möglich sein, Zeit und Ort des Meteoriteneinschlags zu ermitteln. Wepp hart auf den Fersen, versucht das kleine Forscherteam seinen Job zu tun, während die Apokalypse einsetzt …

Panik im All ist vor allem Panik auf Erden

„Panik“ ist der zweite Band der später so genannten „Walter-Werndt“-Trilogie, verfasst von Reinhold Eichacker, einem heute weitgehend unbekannten Pionier der (deutschen) Science Fiction. Die SF-Gruselmär vom außerirdischen Kometen, der auf die Erde stürzt und die Zivilisation der Menschen vernichtet, ist schon vor „Deep Impact“ oder „Armageddon“ immer wieder erzählt worden. Kometen, Meteore und Meteoriten, die Feuer sprühend vom Himmel fallen, haben seit jeher die Menschen fasziniert und in Schrecken versetzt. In der ‚modernen‘ Welt des 20. Jahrhunderts war es keineswegs anders. Als der Halleysche Komet 1912 am Himmel erschien, glaubten viele Zeitgenossen tatsächlich, das Ende der Welt werde in Gestalt seines angeblich giftgeschwängerten Schweifes über sie kommen. Reinhold Eickacker veröffentlichte „Panik“ 1922; es waren seither erst zehn Jahre verstrichen. Hier haben wir eine der Quellen offengelegt, aus denen der Verfasser schöpfte.

Panik beherrschte freilich auch die deutsche Gegenwart des Jahres 1922. Der verlorene I. Weltkrieg lag erst vier Jahre zurück, seine Folgen waren nicht ansatzweise überwunden. Zur Schmach des „Versailler Schandfriedens“ kamen die enormen Reparationszahlungen, die dem Deutschen Reich von den Siegermächten abverlangt wurden. Seit 1918 befand sich die Wirtschaft im freien Fall. Eine inflationäre Abwärtsspirale war in Gang gekommen, die das Geld praktisch wertlos werden ließ. Angesparte Guthaben und Notgroschen verfielen, der Mittelstand geriet in Not, die junge deutsche Republik bekam die Probleme nicht in den Griff.

Kriegsgewinnler und Börsenspekulanten – der Bildikone gewordene, dickwanstige Kapitalist mit Pelzmantel, Zylinder und Zigarre – schienen sich auf Kosten des braven, hilflosen Manns von der Straße zu bereichern. So schlug die Stunde für demagogische Seelenfänger à la Dr. Wepp: ‚starke Männer‘, die Besserung versprachen, unter ihnen ein gewisser Adolf Hitler, der Anno 1922 freilich noch ganz am Beginn seines verhängnisvollen Siegeszuges stand.

Gänzlich diesseitige Visionen

Diese Stimmung – der „Tanz auf dem Vulkan“, wie es schon die Zeitgenossen ausdrückten – prägt Eichackers Roman, nicht aber seine angebliche Vision von der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929, wie Eichacker-Jünger gern betonen. Mit Science Fiction im Sinne von technischer oder gar gesellschaftlicher Zukunftsschau hat der Verfasser ohnehin wenig am Hut. SF-Elemente werden recht wahllos in die Handlung eingestreut; sie sind Mittel zum Zweck, das Geschehen in Gang zu halten, haben mit einer gewollten und ‚seriösen‘ Projektion gegenwärtiger Zustände in eine unbekannte Zukunft nichts zu tun.

Hier sollten wir das Positive sehen: SF ist Unterhaltung, sie wird nicht von besonders klugen Menschen geschrieben – klug in dem Sinn, dass sie sehen was da kommen mag. Was ist visionär am Entwurf einer Sternwarte, die von einem Elektrozaun umgeben ist, der ungebetene Besucher kurzerhand röstet? Verblüffung weckt auch die Kunde, dass in der Michiganwarte 70 (!) Maschinengewehre bereit liegen, die vom schießkundigen Personal sehr wirksam eingesetzt werden. Ausschließlich die Handlung, wie Eichacker sie konstruiert, benötigt solche logikfreien Seltsamkeiten.

Eichackers Welt ist ansonsten eindeutig die der 1920er Jahre, der einige sacht utopische Erfindungen (Ingenieur Werndts hubschraubenähnliches Libellenflugzeug „Falke“, Professor Earthcliffes „elektrische Rechenwand“) aufgepfropft werden, während gesellschaftlich alles beim Alten geblieben ist. Gedacht und gehandelt wird ohnehin sehr gegenwärtig. Verrat, die typische Hetzjagd zwischen Gut & Böse, eine schmalzige Liebesgeschichte – diese konventionellen Bausteine sind Eichacker für seine Geschichte sehr viel wichtiger als Naturwissenschaft & Technik, deren Erkenntnisse er ungeschickt und spannungsretardierend in die Handlung einbringt.

Zumal er sich – stellvertreten durch Walter Werndt – als Anhänger der obskuren „Erdeis“-Theorie outet. Seit Ende des 19. Jahrhunderts vertrat Hanns Hörbiger (1860-1931) die These, dass die Welt geprägt sei von einem ewigen Antagonismus zwischen den mythischen Urmächten Eis und Feuer. Das All wäre demnach erfüllt von kalten und heißen Himmelskörpern, die einander anziehen, zusammenprallen, zerstören und dadurch neue Planeten erschaffen. Das ist schierer Unfug, der indes lange überlebte, zumal den Nationalsozialisten diese gewaltreiche Bild einer Schöpfung durch Zerstörung ausnehmend gut gefiel.

Macht, Sucht und Realitätsverlust

Eichacker kann nicht verbergen, dass er auf einer ähnlichen Wellenlänge liegt. Menschen fallen dem Welteis-Meteoriten sowie der durch ihn entfachten Panik in Millionenzahl zum Opfer. Das rührt ihn nicht, denn in langen Sequenzen hat er die, welche sterben, als wertlosen Pöbel deklassiert, um den es nicht schade ist. Die Katastrophe ist womöglich keine, weil primär die Tüchtigen überleben und das Pack vom Erdboden vertilgt wird. Die “neue” Welt kann so nur eine bessere werden.

Andererseits wirft Eichacker sehr wohl einen kritischen Blick auf die Manipulation der Massen. Er hat die Mechanismen, die wenige Jahre später von Joseph Goebbels zur Vollendung gebracht wurden, gut begriffen: [Wepp spricht zu der von Panik erfüllten Masse und wiegelt sie auf] „‚Nur ein Weg bleibt uns, um dem Tod zu entgehen, nur ein Weg, liebe Freunde …‘ Ein Hoffnungsschimmer erfasste die Menge: ‚Der Weg! Die Rettung! Hilf uns!‘, schrie es wild durcheinander … Wepp stand mit sprunghaft gebogenem Körper wie eine wutfletschende Katze, die mageren Arme zur Menge gestoßen. Jetzt hatte er die da unten so weit. Jetzt tobte da unten nur noch eines: die Angst, und fraß die Vernunft auf. Jetzt konnte er ihnen den Giftpfeil zuwerfen, sie waren ihm hörig. (S. 97) ‚Ich, euer Führer, rufe euch, ich helfe euch … Hinaus auf die Straße! … Mir nach! Tod den Mördern!‘“ (S. 99)

Dies wurde Anfang der 1920er Jahre geschrieben, und es sind eigentlich altbekannte Fakten über jenes seltsame, grausame Tier, in das sich der Mensch in der Masse verwandeln kann: den Mob. In Passagen wie dieser leistet Eichacker Großes. Er verbreitet echte Furcht, wenn er die Bestie Mensch entfesselt zeigt. Ähnlich eindrucksvoll schreibt er, wenn er den Aufschlag des Meteoriten schildert und ihm wahrlich apokalyptische Szenen gelingen. Von Action versteht Reinhold Eichacker etwas!

Für ein generelles Manko kann man den Verfasser nicht verantwortlich machen: Er befleißigt sich einer Sprache, die für die Entstehungszeit von „Panik“ typisch war, heute aber nur noch mühsam erträglich ist. Sie wird geprägt durch altmodisches Pathos, durch eine Bildhaftigkeit, die in ihren stakkatohaften Wortwirbeln und stummfilmhaften Übertreibungen an freies Assoziieren erinnert. Wenn sich also der böse Dr. Wepp seinem schuftigen Bundesgenossen als künftiger Weltdiktator offenbart, so klingt das bei Eichacker so: „‚Wegfegen werde ich diese Hohlköpfe alle. Tod dem, der mir trotzte!‘. Die massige Gestalt des Dicken [= Wepps Zuhörer] wankte. Mit einem röchelnden Aufschrei fiel er auf die Knie und hob die Arme zu Wepp in die Höhe. ‚Herr! Meister! Mir schwindelt! Was sind wir vor dir doch für erbärmliche Wichte!‘“ (S. 94) Das ist ein Stil, auf den sich der Leser einstellen muss; es wird nicht immer gelingen.

Figuren: Übertreibung ist alles!

Zum Thema Figurenzeichnung kann man sich nur in Molltönen äußern. Da gibt es ausschließlich holzschnitthafte Klischeegestalten, welche die Handlung verkörpern sollen. Dies lässt die Trivialität des Romans wohl am deutlichsten erkennen. Viel Zeit und Mühe scheint Eichacker in sein Werk nicht investiert zu haben, es war für den raschen ‚Verbrauch‘ bestimmt. Deshalb kocht der Autor routiniert Stereotypen wie den weltfremden aber gescheiten Professor, sein tatkräftiges, natürlich hübsches Töchterlein oder ihren mutigen Galan, der die Fäuste spielen lässt, auf.

Erst recht spät tritt als entscheidender Retter in der Not ein ‚zufällig‘ deutscher Ingenieur auf den Plan. Der gibt sich ruhig, wo ansonsten Hysterie und Übertreibung die Szene beherrschen, und zeigt den zwar tatkräftigen aber überforderten Yankees, wie ein Teutone solche Krisen zu meistern versteht. Solcher mehr oder weniger offene Hurra-Patriotismus war freilich kein deutsches ‚Privileg‘, sondern wiederum zeittypisch.

Dr. Wepp, der Bösewicht, ist wie so oft die interessanteste Gestalt der Geschichte. Ihn bewegen keine hehren, sondern nur egoistische Ziele; wahrscheinlich lässt ihn das so realistisch wirken. Später geht es mit Eichacker durch; Wepp wird vom Volksverhetzer zum Größenwahnsinnigen, der sich schließlich für Satan persönlich hält und ein lachhaft übertriebenes Ende findet; andererseits hat es auch später weitaus dämlichere Schurkenfinale gegeben, so dass man hier in der Kritik Milde walten lassen könnte.

Autor

Wer war Reinhold Eichacker? Man sollte meinen, dass diese Frage in dem durchaus vorhandenen Nachwort beantwortet wird. Stattdessen verbreitet „Michael Gallmeister, Magister der Philosophie“ jenen Schwurbel, für den seine Zunft oft kritisiert und verspottet wird. Eine Kostprobe: Über die Rolle der SF als Blick in die Zukunft heißt es u. a.: „Zum anderen können auch teils noch heute gültige Wunschbilder, Visionen erkannt werden. Welche uns über unser heutiges Sein dahingehend aufklären, das viele ökonomisch logisch und vernunftorientierte Lösungen in Wirklichkeit animalisch evolutionären Hintergrund haben, und viele anscheinend selbstverständliche Begründungen für unser Tun nur Alibi darstellen.“ (S. 155) Alles klar?

Durch Abwesenheit glänzen dagegen ein biografischer Abriss zum Verfasser und eine (literatur-) historische Einordnung des Eichackerschen Werks. Warum ist er ein Pionier des Genres? War er der einzige seiner Art? (War er nicht.) Was hat er sonst geschrieben? Ist Eichacker-SF prägend und typisch für die frühe deutsche SF? Stattdessen lesen wir: „Es handelt sich bei dem Autor Reinhold Eichacker um einen technisch interessierten Roman-Schriftsteller.“ (S. 156) Wer hätte das gedacht? Das ist kümmerlich angesichts der Tatsache, dass die Herausgeber mit der „Phantastischen Bibliothek Wetzlar“ zusammenarbeiten konnten.

Für den Laien ist es leider schwierig, wenigstens einige Infos über der Verfasser auszugraben. Immerhin steht fest, dass sich Robert Eichacker (1886 1931) schon in jungen Jahren der Literatur zuwandte. Zunächst widmete er sich der Theorie, wurde 1912 Mitglied der Deutschen Schiller-Stiftung. Wie alle tauglichen Männer seines Jahrgangs kämpfte Eichacker wenig später im I. Weltkrieg. Seine Erfahrungen prägten ihn nachhaltig; Eichacker gehörte zur Gruppe der Unzufriedenen, die sich von unpatriotischen Feiglingen verraten und verkauft fühlten. Er begann zu schreiben, und besonders seine frühen Werke zeichnen sich durch revanchistische Züge aus, das noch im ersten Band der Walter-Werndt-Trilogie sehr stark zum Tragen kommt. Inwieweit sich dies in den historische Romane, erotischen Novellen und anderen Eichacker-Werken wiederholt, mögen literaturwissenschaftliche Untersuchungen klären.

Im ersten Werndt-Band („Kampf ums Gold“, 1921) überschüttete der große Erfinder jedenfalls das verhasste Siegerland Frankreich mit Todesstrahlen und sparte auch sonst nicht mit ‚völkischem‘ Gedankengut. Ob dies in „Panik“ und 1923 in „Die Fahrt ins Nichts“ fortgesetzt wird, muss offen bleiben. Der Celero-Verlag ließ Eichackers Werke bearbeiten und allzu arge Ausfälle tilgen. (Es wäre übrigens nützlich zu wissen, wie diese ‚Bearbeitung‘ im Detail aussieht.)

Taschenbuch: 157 Seiten

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