Niklas Luhmann – Einführung in die Systemtheorie

Niklas Luhmann (* 8. Dezember 1927 in Lüneburg; † 6. November 1998 in Oerlinghausen bei Bielefeld) war Soziologe. Als Begründer der soziologischen Systemtheorie machte er sich auch in der Philosophie einen Namen.
Er studierte von 1946 bis 1949 Rechtswissenschaft. 1952 und 53 begann er mit dem Aufbau seiner „Zettelkästen“ und war als Verwaltungsfachmann tätig. 1960 heiratete er Ursula von Walter. 1960/61 ließ er sich zum Studium an der Harvard-Universität beurlauben. Nach Forschungstätigkeit zu Beginn der 1960er Jahre an der „Sozialforschungsstelle der Universität Münster“ in Dortmund promovierte und habilitierte er innerhalb |eines| Jahres 1966 im Fach Soziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit 1968 lehrte er an der Universität Bielefeld Soziologie. Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Niklas__Luhmann

Dieses posthum veröffentlichte Werk von Luhmann ist die Transkription eines seiner letzten Vorlesungssemester Winter 91/92 an der Universität Bielefeld, wo er bis zu seiner Emeritierung 1993 lehrte. Es ist eine Fundgrube für einfache Ideen im Umgang mit schwierigen Fragen seiner Theorie und ihm ging es dabei darum, seinem studentischen Publikum ein eigenes Arbeiten zu ermöglichen. Der Verlag wirbt damit, dass es der verständlichste Text von Luhmann überhaupt sei, den jeder gut nachvollziehen könne.

Diese Einführung in die Systemtheorie klärt die wichtigsten Grundlagen der allgemeinen und der soziologischen Systemtheorie mithilfe präziser Begriffsvorschläge und einer Fülle von Beispielen. Gerade in jetziger Zeit, wo Luhmanns Systemtheorie in unterschiedlichsten Disziplinen auf zunehmende Resonanz stößt, sollte man wenigstens diese Einführung von Luhmann selber gelesen haben. Luhmann erweitert mit seinen Theorien die Soziologie Talcott Parsons, der erstmals entgegen der langen europäischen Tradition das psychische System weg vom Denken auf das Wahrnehmen verlagerte.

Eigentlich gibt es eine allgemeine Systemtheorie gar nicht, obwohl in der soziologischen Literatur immer auf sie Bezug genommen wird, sondern mehrere allgemeine Systemtheorien, die versuchen, systemtheoretische Ansätze zu verallgemeinern, indem sie die Schranken bestimmter Disziplinen überschreiten. Früher wurde die Idee des Gleichgewichts als eine Theorie betrachtet, die die Störempfindlichkeit eines Systems bezeichnet und auch lokalisiert, und der Akzent lag auf Stabilität. Luhmann hielt es für fraglich, ob es ein Wert sei, ein System stabil zu halten und bezweifelte, dass man überhaupt vom Gleichgewicht als einem stabilen Zustand sprechen kann. Auch stellt er den Sinn der Individualität in Frage, denn er konnte dafür kein kulturelles Programm entdecken. Die Programme, einzigartig zu sein und sich selbst zu verwirklichen, entlarvt er als trivial und banal, denn in der Realität läuft es bei ihnen ja darauf hinaus, gerade kein Individuum zu sein. Luhmann geht es weniger darum, zu wissen, wie die Welt ist, als viel mehr darum, wie sie beobachtet wird.

Das sind schwierige philosophische Fragen, aber selbst in der Therapie gibt es mittlerweile die Entwicklung dahin, dass man sagt, jeder habe seine ganz eigene Welt-Konstruktion, und auch die Therapeuten selbst konstruieren nur, wenngleich auch mit Erfahrung und professioneller Selbstsicherheit, aber immer auch wiederum diagnostisch und therapeutisch auf den Versuch abgestimmt. Diagnosen sind ein Versuch, der sich selber nicht ausreichend reflektiert, sondern am Resultat sieht, ob etwas funktioniert hat oder nicht.

Obwohl Luhmann außereuropäische Kulturen nicht ausreichend kennt, gelangt er mit seinen Einsichten sehr nahe an die schamanischen Sichtweisen, wenn er das Gebiet von Sehen und Nichtsehen streift. Klar ist, dass man nicht nur nicht sieht, was man nicht sieht, sondern darüber hinaus nicht sieht, dass man nicht sieht, was man nicht sieht. Der entscheidende Punkt ist, dass man sieht, was man sieht und dadurch so fasziniert ist, dass man nicht zugleich das Nichtsehen von allem anderen als – transzendentale – Bedingung des Sehens mitsehen kann. {Anm. d. Red.: Na, ist der Hirnknoten wieder raus?}

Ebenso zum Schamanismus hinführend sind seine Überlegungen zu allgemeinen Zeitfragen und Zeitbewusstsein. Wenn er dabei auf die griechischen Philosophen wie Aristoteles etc. zurückgreift, betrachtet er diese auf ihrer Zeitebene, indem er bewusst macht, dass der heutige Mensch sich, um diese zu verstehen, abgewöhnen muss, so differenziert zu denken, wie wir es heute tun. Philosophie heute ist nicht das, was sie zur Zeit ihrer Gründer war, stattdessen viel zu verkopft und kompliziert. Eigentlich war sie ursprünglich vom Denken und der direkten Erfahrung her viel einfacher. Für einen Soziologen wie Luhmann ist der Sprung da allerdings auch einfacher, denn nach seiner Systemtheorie ist es nicht zwingend notwendig, dass man sich überhaupt am Menschen orientieren muss. Für die Soziologie muss nicht alles, was am Menschen und im Menschen abläuft, das Thema sein.

Mit solchen Überlegungen gelangt er am Ende seiner Einführung zur wirklichen Sache, den Formen der Kommunikation und ihrer Theorie. Kommunikation selber kann weder hören noch sehen noch fühlen. Sie hat keine Wahrnehmungsfähigkeit. Wem das nicht klar ist, wenn er von Kommunikation spricht, dem werden die wesentlichen Punkte von Luhmanns Theorie verschlossen bleiben. Nur wer das versteht, wird sein Bewusstsein im Sinne Luhmanns verändern. Sprache ist Zeichenanwendung. Noch bei Platon und natürlich in der älteren religiösen Tradition war das Kennen der richtigen Namen der Dinge immer eine wichtige Eigenschaft der Weisen. Es erforderte eine gewisse Reinheit, die richtigen Namen zu kennen.

Es ist faszinierend, Luhmanns Vorlesungen zu durchforsten, die er verständlich und einfach aufbaut, nach und nach ergänzt und entwickelt und in denen der komplette Stoff am Ende zunehmend spannender wird. Einführung ist allerdings nicht mit ganz leicht Verständlichem, Popularisiertem oder für Anfänger Geeignetem gleichzusetzen. Luhmann hat in dieser Vorlesungsreihe versucht, in seine begrifflichen Instrumente einzuführen und ist darüber hinausgegangen, nur das zu wiederholen, was ohnehin bereits in seinen Büchern steht.

Taschenbuch: 347 Seiten