Reginald Hill – Das Haus an der Klippe

Hill Hause Cover TB kleinDas geschieht:

Chief Inspector Peter Pascoe von der Kriminalpolizei der Stadt Mid-Yorkshire in der gleichnamigen englischen Grafschaft geht in Gedanken die Liste möglicher Feinde durch, als Ellie, seine Gattin, von einem zwielichtigen Pärchen beinahe entführt wird. Kurz darauf folgt eine zweite Attacke. Gemeinsam mit Pascoe ermitteln der exzentrische Detective Superintendent Andrew Dalziel, Detective Sergeant Edgar Wield und Constable Shirley Novello.

Die Spur führt zu Patrick „Popeye“ Ducannon, einen ehemaligen IRA-Terroristen, der ins Waffengeschäft eingestiegen ist. Er handelt mit einer kleinen aber radikalen Guerillera-Gruppe aus Kolumbien. Anführer Chiquillo reist persönlich nach Europa, doch die Übergabe endet in einem Fiasko: Chiquillo wurde ein kolumbianisches Killer-Kommando hinterhergeschickt. Während der Ducannon verletzt zurückbleibt, macht sich Chiquillo mit den Waffen und einer großen Menge Kokain, das der Bezahlung dienen sollte, aus dem Staub. Ducannon denkt nicht daran, sich betrügen zu lassen. Chiquillos Rebellen-Kollegen wollen ihren Konkurrenten ausschalten, bevor er mit den Waffen nach Kolumbien zurückkehrt.

Chiquillos Schwester Bruna saß lange in einem Regierungsgefängnis, das für seine Unmenschlichkeit bekannt ist. Dies wurde von Menschenrechts-Organisationen weltweit angeprangert. Besonders aktiv ist der „Liberata Trust‘s“, dem die Aktivistin Serafina „Feenie“ Macallum vorsteht. Die Gruppe sitzt in Mid-Yorkshire. Ellie Pascoe ist Mitglied, und der Fall Bruna war ihr ‚zugeteilt‘. Doch weil das Kind der Pascoes lange schwerkrank darniederlag, hatte sich Ellie kaum mehr für „Liberata Trust’s“ engagiert. Deshalb ist ihr entgangen, dass Bruna inzwischen frei gekommen und sogleich untergetaucht ist. Chiquillas Feinde wollen sie finden, um den Bruder unter Druck zu setzen.

Die Situation eskaliert, als auch der rachedurstige Ducannon darauf spekuliert, des betrügerischen Chiquillos über die Pascoes habhaft zu werden. Dann mischt sich noch der britische Geheimdienst ein, bis in einer dunklen, stürmischen Nacht alle Beteiligten in einem vom Abturz ins Meer bedrohten Haus zusammentreffen …

Bewährtes aus neuem Blickwinkel

Ausgerechnet die sanften Hügel des idyllischen Yorkshire wurden Schauplatz eines mörderischen Drogen- und Waffenschmuggler-Krieges: Willkommen in der Welt von Reginald Hill, der im 18. Band seiner Pascoe/Dalziel-Serie erneut mit traumwandlerischer Sicherheit die Balance zwischen Spannung, Dramatik und britischem Humor zu halten weiß.

„Das Haus an der Klippe“ ist im Original sehr viel treffender als „Waffen und (die) Frauen“ betitelt, denn dieses Mal ziehen vor allem die weiblichen Figuren die Fäden. Hill hat außerdem die Konstellation seiner Hauptfiguren leicht verschoben erweitert. Weiterhin stehen die Polizisten Pascoe, Wield, neuerdings Shirley Novello und natürlich der unvergleichliche Andy Dalziel im Mittelpunkt. Doch „Das Haus an der Klippe“ ist auch die Geschichte von Ellie Pascoe. Sie, deren Aufgabe es bisher eher war, Peter Pascoe als Ehemann und Vater ‚menschlicher‘ wirken zu lassen, gewinnt hier ein endgültig ein eigenes Profil.

Zwar war sie bisher nie das treusorgende Heimchen am Herd, sondern ein sehr eigenwilliger und eigenständiger Charakter, der sich auch vom dicken Dalziel nicht ins Bockshorn jagen ließ. Dennoch schwang immer ein wenig Slapstick mit, wenn Hill Ellie Pascoe als Aktivistin darstellte, die sich in den Kampf für den Feminismus oder die Dritte Welt und wider Unterdrückung oder Umweltverschmutzung stürzte und es dabei in der Regel mit dem Engagement übertrieb, was im Rahmen der Krimi-Handlung immer für humorvolle Einlagen sorgte. Nun nimmt Hill sie ernster und erzählt die Geschichte einer Frau, die erkennen muss, dass sich die Ideale ihrer Jugend, denen sie so viel Kraft gewidmet hat, überlebt bzw. sogar in eine Gefahr verwandelt haben.

Das Ende liebgewonnener (Vor-) Urteile

Die von vielen wohlmeinenden Gutmenschen-Gruppen propagierte Einteilung der Welt in Böse (= imperialistische, ausbeuterische, umweltzerstörende Industriestaaten; besonders die USA und ihr/e Geheimdienst/e sowie die globalen Konzerne dieser Welt) und Gut (= die unterdrückten, um ihre politische, wirtschaftliche und soziale Selbstständigkeit ringenden Länder der Dritten Welt, die tapfer trotz aller Schwierigkeiten ihre hehren Ideale von Gleichheit, Solidarität & Gerechtigkeit in die Tat umsetzen) lässt sich in der Realität nicht aufrechthalten. Das ist eine unangenehme Wahrheit, und noch immer ist es politisch keineswegs korrekt, unverblümt auszusprechen, dass die Verdammten dieser Erde nicht per se Heilige, sondern auch nur Menschen sind.

Man merkt: Hill legt erneut keinen ‚reinen‘ Krimi vor, sondern baut sacht eine Botschaft und vielleicht sogar eine Moral ein. Dabei legt er seine Karten offen auf den Tisch, und weil er sein Handwerk versteht, verärgert er sein Publikum nicht. „Das Haus an der Klippe“ gewinnt eine zusätzliche Dimension: Der Thriller wird zur engagierten Gegenwartsliteratur.

Ein wenig farblos: die Helden

Demgegenüber fällt die Zeichnung des Ermittlerteams dieses Mal ein wenig ab. Andy Dalziel mutiert gar zu sehr zum leutseligen Weihnachtsmann, weil ihm Hill zu viele Ecken und Kanten genommen hat. Sergeant Wield legt ein weiteres Stück auf seinem Weg zum edlen Vorzeige-Schwulen ohne Fehl und Tadel zurück. Constable Novello kämpft rund um die Uhr gegen den überall lauernden männlichen Chauvinismus in der englischen Polizei. Peter Pascoe, scharfsinniger Polizist, treuer Ehegatte und liebevoller Vater, bleibt der farblose Charakter, dem nur die Nebenfiguren ein wenig Leben einhauchen können.

Das sollte aber keinesfalls den Eindruck aufkommen lassen, hier habe man es mit einem mittelmäßigen Werk zu tun. Selbst ein durchschnittlicher Hill-Thriller ragt (das abgegriffene Bild sei mir hier verziehen) immer noch turmhoch über das hinaus, was regelmäßig auf den Zugreif-Tischen der Buchhandelsketten abgeladen wird. Außerdem zog Hill die Schraube wieder an: Andrew Dalziel gewann schnell seine ungestüme Unberechenbarkeit zurück!

Zudem wandelt Hill wieder einmal auf unerwarteten humoristischen Pfaden. Wer hätte gedacht, dass Pascoe und Dalziel sich in einem früheren Leben als Äneas und Odysseus schon einmal über den Weg gelaufen sind? Für solche schrägen Einschübe dürfte der Purist wenig Verständnis aufbringen. Der regelmäßige Hill-Leser kennt sie als Markenzeichen und ist süchtig nach ihnen.

Autor

Reginald Hill wurde 1936 in Hartlepool im Nordosten Englands geboren. Drei Jahre später zog die Familie nach Cumbria, wo Reginald seine gesamte Kindheit verbrachte. Später studierte er an der University of Oxford und arbeitete bis 1980 als Lehrer in Yorkshire, wo er auch seine beliebte Reihe um die beiden Polizisten Andrew Dalziel und Peter Pascoe ansiedelte.

Deren Abenteuer stellen nur eine Hälfte von Hills Werk dar. Der Schriftsteller war fleißig und hat insgesamt mehr als 40 Bücher verfasst: nicht nur Krimis, sondern auch Historienromane und sogar Science Fiction. Einige Thriller erschienen unter den Pseudonymen Dick Morland, Charles Underhill und Patrick Ruell.

Erstaunlich ist das trotz solcher Produktivität über die Jahrzehnte gehaltene Qualitätsniveau. Dies schlug sich u. a. in einer wahren Flut von Preisen nieder. Für „Bones and Silence“ (dt. „Die dunkle Lady meint es ernst“ bzw. „Mord auf Widerruf“) zeichnete die „Crime Writers‘ Association“ Hill mit dem begehrten „Gold Dagger Award“ für den besten Kriminalroman des Jahres 1990 aus. Fünf Jahre später folgte ein „Diamond Dagger“. Reginald Hill lebte mit seiner Frau Pat in Cumbria. Dort ist er am 12. Januar 2012 einer schweren Krankheit erlegen.

Taschenbuch: 624 Seiten
Originaltitel: Arms and the Women (1999)
Übersetzung: Sonja Schuhmacher u. Thomas Wollermann
http://www.droemer-knaur.de

eBook: 828 KB
ISBN-13: 978-3-426-41474-3
http://www.droemer-knaur.de

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)