Rainer Eisfeld/Wolfgang Jeschke – Marsfieber. Aufbruch zum Roten Planeten. Phantasie und Wirklichkeit

Eisfeld Jeschke Marsfieber Cover kleinDer Mars: Faszination und Schrecken

Dieses Buch bietet einen Streifzug durch die Geschichte der Marsforschung. In zehn Kapiteln wird sie konterkariert durch die Dokumentation des Einflusses, den der rote Planet auf Kunst, Literatur und Film nahm. Die Darstellung setzt zeitlich nicht in der Vorzeit oder der Antike, sondern mit dem Beginn der Neuzeit oder präziser: mit dem Beginn der modernen Astronomie Ende des 16. Jahrhunderts ein. Die Instrumente dieser Epoche ermöglichten zum ersten Mal einen direkten Blick auf den Mars und signalisierten den Start seiner wissenschaftlichen Erforschung.

Frisch erworbenes Wissen wirft stets weitere Fragen auf und befördert ganz neue Dimensionen des Irrtums. Das „Marsfieber“ schreibt in dieser Hinsicht ein eigenes Kapitel. Noch viele Jahrhunderte blieben die Teleskope erdgebunden. Aufgrund der astronomischen Entfernung blieb das Bild vom Mars buchstäblich vage. Wie man das, was man nicht richtig sehen konnte, durchaus guten Gewissens erfand, stellt eine Lektion in wissenschaftlicher Fantasie dar: Eisfeld und Jeschke drucken viele Marskarten ab. Sie zeigen eine Marsoberfläche, die es niemals gab.

Der I. Weltkrieg markierte den vorläufigen Sieg der reinen Fantasie: Der Mars hatte die „Grenze“ ersetzt, die auf Erden verloren ging. Besonders den USA machte der Verlust neuen Landes, das sich erobern und kolonisieren ließ, stark zu schaffen. Entsprechende Gelüste richteten sich nun zumindest literarisch auf den Mars. Er wurde zum Schauplatz turbulenter Schatzjagden, Feldzüge und Forschungsfahrten, die markigen Mannsbildern mit harten Fäusten stets die Gelegenheit boten, ein Vermögen zu machen plus eine schöne Maid zu retten.

Die Realität schlägt zurück

Der Mars der „Pulp“-Magazine verwandelte sich nach dem II. Weltkrieg in einen ebenfalls phantastischen Film-Mars. Freilich wirkte dieser bei allen dramaturgischen Freizügigkeiten schon sehr viel ‚realistischer‘ als der rote Planet der Burroughs, Bracketts oder Moores: Die Wissenschaft holte auf, leistungsstarke Erkundungssatelliten erreichten den Mars und widerlegten unmissverständlich, dass dieser eine zwar alte und trockene aber lebenswerte Welt ist. Nun schwenkte das Pendel um, der Mars galt als toter, von Meteoriten zerfurchter Staubball.

Aber erneut galt es umzudenken. In den 1970er Jahren führte der weitere technologische Aufschwung zu unerwarteten Erkenntnissen. Der Mars war einst ein feuchter, warmer Planet, der theoretisch Leben tragen konnte – und dies womöglich noch tut, denn es mag ökologische Nischen geben, die erst die hochempfindlichen Instrumente des 21. Jahrhunderts aufdecken könnten.

Ein Ausblick in die Zukunft schließt die Darstellung ab. Ließe der Mars sich „terraformen“, d. h. künstlich in eine zweite Erde verwandeln? Soll oder darf man dies überhaupt, statt sich vor Ort um die Probleme der Erde zu kümmern? Hier scheiden sich die Ansichten der beiden Verfasser; sie vertreten eigene Meinungen, die sie getrennt als solche wiedergeben und gleichzeitig verdeutlichen, dass der Mars weiterhin polarisiert, die Gedanken entzündet und ein Katalysator für den menschlichen Geist ist.

Wissen muss nicht Strafe sein

Als Idee ist die Verklammerung von Wirklichkeit und Fantasie nicht neu, aber sie wird – zumal in Deutschland – weniger häufig oder besser konsequent versucht als zum Beispiel im England oder in den USA. Dort fürchtet sich Akademiker nicht davor, Wissen publikumswirksam, d. h. unterhaltsam aufzubereiten und dabei unorthodoxe Wege zu gehen. Kluge Männer und Frauen treten vor Laien, um ihnen allgemeinverständlich auch komplexe Sachverhalte nahe zu bringen.

In unserem Fall bietet sich dieser Weg geradezu an. Die Grenze zwischen dem realen und dem geträumten Mars verschwimmen über viele Jahrhunderte. Wo man nichts Genaues weiß, müssen Vermutungen genügen. Diese verwandeln sich bekanntlich gern in ‚Tatsachen‘, was sich verstärkt, wenn sich Fanatiker, Medienhaie oder Wirrköpfe sich einer Sache annehmen.

Im Falle des Mars’ begann es mit den Verfolgungen einer Kirche (katholisch und protestantisch), die sich weniger gegen ein Weltbild wehrte, das statt der Erde die Sonne in den Mittelpunkt des Sonnensystems setzte, sondern gegen die Abschaffung dogmatischer Denkstrukturen, die damit einhergehen mussten. Das änderte sich später kaum, auch wenn einen die Vertretung gänzlich neuer Theorien nicht mehr auf den Scheiterhaufen brachte.

Der menschliche Geist bleibt der Erde verhaftet

Dies bedeutete keineswegs automatisch den Sieg der Wissenschaft. Die Diskussion um die berühmten wie berüchtigten, weil niemals existenten künstlichen Marskanäle belegt es exemplarisch. Eisfeld und Jeschke rollen sie angenehm knapp aber präzise noch einmal auf und enthüllen die Chronologie eines Missverständnisses, das zum Selbstläufer wurde und vor allem eines zum wiederholten Male belegte: Der Mars war stets auch Platzhalter für allzu irdisches Denken; ein Zufluchtsort für Visionen, die auf Erden keinen Platz mehr fanden.

Dies wird sogar in einem Kapitel deutlich, das die Autoren einer ganz besonderen Spezies widmen: den Spinnern, die sich einen Mars als Schauplatz außerirdisch intelligenten Lebens erdachten, bei dessen ‚Entschlüsselung‘ sie endlich die Rolle spielen durften, die ihnen im realen Leben verweigert wurde. Eisfeld und Jeschke stellen uns ironisch aber nicht verächtlich die wichtigsten, manchmal tragischen Repräsentanten solcher Phantastereien vor, denen selbst die Offenlegung der Wahrheit durch neue Erkenntnisse – so beispielsweise die Enthüllung des berühmten „Marsgesichts“ als simples Licht-und-Schatten-Spiel – höchstens in noch wüstere Verschwörungstheorien treibt.

Wirklichkeit und Phantasie stehen in „Marsfieber“ in fast perfekter Harmonie zueinander. Erstere wird in Worte gefasst, die auch der Laie versteht. Letztere profitiert vom Wissen des Schriftstellers und Science-Fiction-Fachmanns Wolfgang Jeschke.

Leichtes Schlingern auf dem Erkenntniskurs

Wo viel (rotes) Licht ist, da gibt es auch ein wenig Schatten. So lässt sich beispielsweise darüber diskutieren, ob das Einstiegskapitel – eine eher ungelenke Hommage an Orson Welles‘ „Krieg-der-Welten”-Hörspiel von 1938, hier zusätzlich verknüpft mit den „Quatermass“-Filmklassikern der britischen „Hammer“-Studios – wirklich die Nahtstelle zwischen Mars-Wirklichkeit und -Fantasie zu verdeutlichen weiß – wohl eher nicht, meint ihr Rezensent, aber dies sei ausdrücklich als persönliche Meinung ausgewiesen.

Leicht fehl am Platze ist in Zusammenhang mit dem Thema „Mars“ die Aufdeckung der nazibräunlich-anrüchigen Frühzeit der US-amerikanischen Raumfahrt. Dass Wernher von Braun und sein deutsches Team während des „Dritten Reiches“ wesentlich dichter in diverse Kriegsverbrechen verstrickt waren als lange Zeit bekannt, ist inzwischen endlich bekannt – auch dank Rainer Eisfeld, der darüber eingehend geforscht und ein sehr gutes Buch veröffentlich hat, auf das er sich hier jedoch etwas zu fest stützt.

Ein besonderes Lob verdient abschließend das Bildmaterial. Es ist zahlreich, von bestechender Qualität, prunkt mit seltenen Motiven. Allzu viele astronomische Sachbücher ertränken ihre Leser unter einer Flut stets ähnlicher Motive: startende Raketen, Astronauten beim Weltraumspaziergang, Planeten und Monde aus allen Perspektiven. Gerade die Marsliteratur übertreibt es mit rotsteinigen Wüsten-Panoramen, gern zum Ausklappen oder sogar dreidimensional. Aber ein Bild sagt oft mehr als tausend Worte oder tausend Hochglanz-Fotos, wenn es nur mit Bedacht ausgewählt wird. Das ist hier gelungen.

Gebunden: 272 Seiten
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