Jostein Gaarder – Maya oder Das Wunder des Lebens

S. 313: „Joker erwacht in einer organischen Festplatte auf dem Kopfkissen. Er spürt, dass er anfängt, sich aus einem heißen Strom halbfertiger Trugbilder an den Strand eines neuen Tages zu kämpfen. Welche Zellkraft steckt die Elfengehirne in Brand? Welche Turbinen treiben das Feuerwerk des Bewusstseins an? Welche atomare Kraft bindet die Gehirnzellen der Seele aneinander?“

Philosophie oder nur leeres Wortgeplänkel, das ist hier die Frage! Handelt es sich hierbei um hochwichtige Verse oder einfach nur inhaltslose Worthülsen, die keine Bedeutung mit sich tragen, aber wichtig klingen sollen? Ich denke, beide Deutungen sind möglich, wobei ich eindeutig zur zweiten tendiere, da Gaarder mich mit seinen philosophischen Ausführungen leider nicht überzeugen kann. Mit dem Erfolg von „Sofies Welt“ gelangte der norwegische Autor zu Weltruhm, auch seine nachfolgenden Romane wie „Das Kartengeheimnis“ oder „Der Geschichtenerzähler“ verkauften sich blendend, doch in „Maya oder Das Wunder des Lebens“ verlangt Gaarder seinen Lesern mehr Geduld und Ausdauer ab denn je.

Eine Geschichte in der Geschichte

Zunächst begegnet uns der Schriftsteller John Spooke, der von seinem Zusammentreffen mit dem Evolutionsbiologen Frank Andersen auf der kleinen Fidschiinsel Taveuni berichtet. Doch schon bald wechselt die Erzählerperspektive und der Großteil des Buches ist in Form eines Briefes von Frank an seine Frau Vera geschrieben, in welchem Frank seine Erlebnisse auf der Fidschiinsel zusammenfasst und von Ana und José erzählt.

Bei Ana und José handelt es sich um ein spanisches Paar, welches Frank auf Taveuni kennenlernt, die beiden unterhalten sich untereinander stets auf Spanisch und geben dabei merkwürdige philosophische Sätze von sich. Frank, der selbst Spanisch sprechen kann, lauscht ihnen heimlich und versucht, den beiden gegenüber zu vertuschen, dass er ihren Diskussionen folgen kann. Zudem hat Frank sofort das Gefühl, dass er Ana bereits irgendwo gesehen hat, doch kann er sie bzw. ihr Gesicht nicht einordnen. Komischerweise befällt John Spooke genau das gleiche Gefühl, doch findet er bald im Internet heraus, dass Ana der Maya auf Goyas Gemälde „La Maya Desnuda“ („Die nackte Maya“) nicht nur verblüffend ähnlich sieht, sondern diese Maya sein muss. Doch wie kommt Anas Gesicht auf ein 200 Jahre altes Gemälde? Erst spät werden dem Leser mögliche Antworten auf diese seltsame Frage präsentiert.

Frank und Vera leben seit dem Unfalltod ihrer kleinen Tochter getrennt voneinander, da dieses Unglück ihre Beziehung zueinander zu sehr überschattet hat. Doch in seinem Brief richtet Frank von Beginn an eine Bitte an Vera und verlangt von ihr, bis zum Ende des Schriftstückes durchzuhalten und alles zu lesen, was er für sie aufgeschrieben hat. Dabei berichtet er von philosophischen Diskussionen auf der kleinen Insel Taveuni und auch von ausführlichen Gesprächen mit dem Gecko Gordon, der Frank vom Trinken abhalten will.

Es wird deutlich, dass Ana und José eine Schlüsselposition einnehmen und insbesondere Goyas Werk in diesem Zusammenhang zu sehen ist, auch wird Frank am Ende in den Besitz des berühmten Manifestes gelangen, welches er mit Vera teilen möchte.

Philosophisches Verwirrspiel

Erneut hat Jostein Gaarder einen sehr philosophischen Roman vorgelegt, der dem Leser viel Konzentration, Geduld und Ausdauer abverlangt. Bereits die wechselnde Erzählerperspektive von John Spooke zu Frank Andersen und später wieder zurück zu John verwirrt, da nicht sofort klar wird, wer überhaupt der Erzähler ist. Auch streut Gaarder viele Andeutungen von bereits stattgefundenen Ereignissen ein, über die Frank später berichten will, sodass man schnell den Überblick zu verlieren droht und kaum noch behalten kann, auf welche Punkte der Autor nochmals zurückkommen möchte.

Jostein Gaarder versucht kläglich, eine gewisse Erwartungshaltung beim Leser aufzubauen, indem er schon früh andeutet, dass Frank in seinem Brief eine wichtige Bitte an Vera formulieren wird, doch am Ende erweist sich dieses Anliegen als trivial und nichtssagend, sodass man sich als Leser ziemlich verschaukelt fühlt, weil man doch mehr von diesem Buch erwartet bzw. sich erhofft hat. Gaarders Intention erschließt sich selbst dem aufmerksamen Leser nicht leicht. In langen philosophischen Abhandlungen schwärmen die verschiedenen Protagonisten des Buches vom Wunder des Lebens, preisen die Vorzüge der Evolution und beschreiben in furchtbar schwülstigen Worten die Natur der Fidschiinseln.

Sprachliche Hürden

Insbesondere sprachlich ist das Buch eine echte Herausforderung. So verliert Gaarder sich oftmals in langatmigen und detaillierten Naturbeschreibungen, die sich über etliche Seiten hinziehen und auch seine philosophischen Wortergüsse verlangen dem Leser viel ab. Gaarders Worte sind schwülstig und teilweise recht kompliziert, seine Ausdrucksweise mutet deutlich selbstverliebt an und die komplizierten Satzkonstrukte tragen auch nicht gerade zum Verständnis des Buches bei. Selten erlebe ich Romane, in denen mir unbekannte Worte auftauchen, doch Gaarder schafft es häufig, dem Leser Ausdrücke zu präsentieren, die nicht dem alltäglichen Wortschatz angehören. Aus dem Zusammenhang erschließen sich die meisten Bedeutungen, doch fand ich diese wertschwangere und überladene Sprache sehr lästig, auch wenn sie wohl zum beabsichtigten Inhalt des Buches passt. Ich bin sicherlich einiges an Kitsch gewöhnt, doch überschreitet Gaarder dieses Mal selbst bei mir die Grenze des Erträglichen. Die ellenlangen Darstellungen von Flora und Fauna auf Taveuni trieften vor Schmalz und waren in schier unerträgliche Wortungetüme gekleidet.

Doch was ist eigentlich Maya? Gaarder schreibt darüber Folgendes (S. 172/173): „Aber Laura ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie behauptete, jegliche Vielfalt sei nur ein Trug. Wenn wir jeden Tag die Welt als vielfältig erleben, dann beruhe das auf Blendwerk, auf dem, was in Indien viele Jahrtausende hindurch maya genannt worden sei. Denn nicht die äußerliche, sichtbare oder materielle Welt sei die wirkliche. Sie sei nur eine traumähnliche Illusion, zwar real genug für die, die darin gefangen seien, doch für weise Menschen sei nur brahman oder die Weltseele wirklich. Die Seele des Menschen sei identisch mit brahman, fügte sie hinzu, und erst, wenn wir das einsähen, könnten wir uns von der Illusion der äußeren Wirklichkeit befreien. Dann werde die Seele zu brahman, was sie ohne ihr eigenes Wissen ja schon die ganze Zeit gewesen sei.“

Da über die Hälfte des Buches in Form eines Briefes an Vera geschrieben ist, sind die Dialoge meist in indirekter Rede aufgeführt, was häufig zu langen Absätzen führt, durch die der Leser sich hindurch kämpfen muss. An dieser Stelle frage ich mich darüber hinaus, welche Frau einen solchen langen und schwülstigen Worterguss ihres Ehemannes lesen wird, von dem sie ohnehin getrennt lebt?!

Identifikation fehlgeschlagen

Die Figuren in diesem Roman bleiben leere Gestalten, die einzig dazu dienen, ihre Meinung über das Wunder des Lebens preiszugeben. Keine Person wird uns derart präsentiert, dass man sich ein gutes Bild von ihr machen könnte, die Figuren rücken völlig in den Hintergrund, Gaarder geht es einzig und allein um sein Manifest. Die wenigen Eigenschaften, die wir von den handelnden Charakteren erfahren, erlauben weder eine Identifikation noch führen sie dazu, dass jemand uns ans Herz wächst. Ganz im Gegenteil, die Figuren wirken unrealistisch und meist unsympathisch, besonders Ana scheint eher eine sagenumwobene Kunstfigur zu sein als ein Mensch aus Fleisch und Blut, und auch Frank kann nicht punkten. Spätestens, wenn er sich mit einem Gecko unterhält, der eines Abends auf seiner geliebten Ginflasche sitzt, beginnt man als Leser ernsthaft, sich Gedanken um den Gesundheitszustand des Erzählers zu machen. Wo dieses skurrile Zusammentreffen zwischen Mensch und Gecko anfangs noch zum Schmunzeln verleitet, so wird es doch auf Dauer immer lästiger, wenn sich selbst der Gecko an den philosophischen Abhandlungen beteiligt und seinen Standpunkt zum Besten gibt.

Was am Ende übrig bleibt

Im Gegensatz zu „Sofies Welt“, in der die schmückende Rahmengeschichte und die philosophischen Abhandlungen strikt voneinander getrennt sind (und es dem entnervten Leser schlussendlich ermöglichen, einen der beiden Handlungsstränge komplett zu überspringen), sind beide Elemente in diesem Buch eng miteinander verwoben. Zwar erzählt Frank von seinen Erlebnissen auf der kleinen exotischen Insel, doch taucht dort immer wieder das spanische Pärchen auf, das mit wichtigen Thesen nur so um sich wirft. Auch treffen sich eines Abends die Inselbesucher zu einer Diskussion um das Wunder des Lebens, die Entstehungsgeschichte, Illusionen und das Bewusstsein der Menschheit. Jede Figur steht für eine eigene Sichtweise und stellt diese lang und breit dar. Leider fehlt auch hier der rote Faden, der dem Leser zeigen könnte, wohin sich die Erzählung entwickeln wird und worauf der Autor hinausmöchte.

Am Ende bemerkt der Leser, dass Gaarder ihn an der Nase herumgeführt hat, denn Franks Brief stammt nicht aus seiner eigenen Feder, sondern aus der des Schriftstellers, der sich von Frank und dem Besuch auf Taveuni zu einem neuen Roman inspirieren ließ. Erst im Nachwort treffen beide Männer wieder zusammen und an manchen Stellen wird klar, wo im Brief Franks Realität aufhört und Johns Fiktion beginnt. Die genauen Grenzen zwischen Erdachtem und wahrem Geschehen bleiben jedoch verwaschen, es wird nicht immer deutlich, wo Johns Phantasie einsetzt und neue Dinge hinzuerfindet. Manch einer mag dies für eine besondere literarische Raffinesse halten, allerdings ist man am Ende des Buches so ausgelaugt und genervt von den Dingen, die man lesen musste, dass dies gleichgültig am Leser vorbeizieht.

Schon in „Sofies Welt“ versuchte Jostein Gaarder, die Geschichte der Philosophie in Romanform zu verpacken, sodass auch Leser ohne Vorwissen, wie zum Beispiel Kinder und Jugendliche, einen Einblick in diese Wissenschaft erhalten können. Auch „Maya oder Das Wunder des Lebens“ ist als Jugendbuch ausgewiesen, das ab 12 Jahren lesbar sein soll, doch halte ich diese Angabe der Zielgruppe für völlig verfehlt, da der Autor durch die wechselnde Erzählperspektive, die weitschweifenden Beschreibungen und die teils spezielle und komplizierte Wortwahl seine jugendlichen Leser überfordern dürfte. Während „Sofies Welt“ bei den Anfängen der Philosophie einsetzt und relativ einfach Grundzüge dieser Wissenschaft erklären soll, ist „Maya“ doch eher als eine Art Anwendung der Philosophie zu sehen, die speziell auf Fragen der Evolution und den Wert des Lebens eingeht. Diese Übertragung auf schwierigere Fragestellungen dürfte Lesern ohne Vorkenntnisse sehr schwer fallen, zumal Gaarder durch die Vermischung von Realität und Fiktion eine weitere Hürde schafft.

Gaarder scheint hochwichtige Botschaften in Romanform weitertragen zu wollen, doch scheitert er bei diesem Versuch. Sein Brückenschlag zwischen Roman und Sachbuch ist beim vorliegenden Werk völlig misslungen, da der Autor weder durch eine interessante Geschichte zu unterhalten weiß, noch philosophisches Fachwissen vermitteln kann. Lediglich viele hohle Phrasen werden ohne roten Faden aneinander gereiht, sodass der Leser Gaarders Gedankengängen nicht folgen kann. Für mich war dieses Buch der wohl letzte und abschreckendste Versuch, mit Jostein Gaarder und seinen Büchern warm zu werden.

Taschenbuch: 432 Seiten
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