Dirk Hack – Reifkalte Nächte durchwacht

_Erste Gehversuche auf schwierigem Terrain_

Lyrik rezensieren – Als ich das schmale Büchlein „Reifkalte Nächte durchwacht“ von Dirk Hack in den Händen halte, wird mir die Schwierigkeit meines Unterfanges sofort bewusst. Schon aus den ersten Versen sprechen der Erfahrungshorizont und das handwerkliche Vermögen eines Schreibenden, der noch am Anfang seines Lebens und seiner schriftstellerischen Laufbahn steht. Ich fühle mich an meine eigenen lyrischen Versuche erinnert und daran, dass sich ein Autor mit Lyrik mehr als mit jeder anderen literarischen Form entblößt und seine Leser tief in das eigene Empfinden vordringen lässt.

So windet sich auch Dirk Hack im Weltschmerz der Jugend, der klagt, anklagt, aber keine Lösungen, sondern nur das beklemmendes Gefühl bieten kann, dass der Klagende irgendwie Recht hat und dem wunden Punkt ziemlich nahe kommt, ihn aber dennoch nicht trifft und deshalb in seinem Verlangen, die Welt zu verstehen und zu verändern, erfolglos bleibt, wie der „unweise Mann“ aus der „Edda“, der zwar die Nächte durchwacht und sich um alles sorgt, jedoch an den Gegebenheiten nichts ändert. Auch über die Edda hinaus kennt Hack sich mit den Standardwerken der Literatur und den Großen der Branche aus. Sein Prolog aus einer Gleichsetzung von „nichts Sinnvollem“ mit dem Menschen „auf dem Höhepunkt seines Schaffens“ verrät eine Affinität zu Nietzsche. Den Romantikern wie dem zitierten Eichendorff gleich hängt er der Melancholie des Herbstes („Herbstlandschaft“) und von Vollmondnächten („Wolkenverhangener Vollmond“) nach. Er beschwört die „Nächtliche Einsamkeit“, betrauert den Verlust der Kindheit („Später Nachmittag“) und der ursprünglichen, als wahrhaftig empfundenen Natur, die der modernen Lebenswelt gewichen ist („Vertrocknetes Laub, verdorrter Hain“). Er scheut sich auch nicht, sich der Schwermut hinzugeben („Tränenregen“). Immer wieder werden Motive aus der nordischen Mythologie verwendet. So stehen beispielsweise die dramatisch wirkenden Götter und mythischen Momente gleichberechtigt neben vom Minnesang des hohen Mittelalters inspirierter empfindsamer Lyrik.

Der Autor probiert sich auch in Form und Wortwahl aus. Gedichte in freien Reimen wechseln mit streng gereimten. So manches Mal holpert der Rhythmus und einige Reime klingen bemüht. Auch die Verwendung altertümlicher Ausdrücke mutet etwas befremdlich an, als müsse Hack noch zu sich selbst und einer eigenen Sprache finden, zumal modernere Wortformen den Versen an einigen Stellen viel besser stehen und sie mehr in der Gegenwart verankern würden. So steht in „Nachruf“ die Verwendung von „jetzo“ störend neben sonst aktueller Wortwahl und dem gelungenen Bild „will das Hirn dem Herz entrennen“.

Neben Gedichten finden sich kurze Prosastücke wie das Gleichnis „Vom Muttermord“, welches als Vision von der Zerstörung der Erde durch ihre gierigen Menschenkinder, die sich schließlich gegenseitig umbringen, gelesen werden kann. Man fragt sich nur, wer noch übrig geblieben ist, um sich viele Jahrhunderte später noch den Namen der Mutter zuzuraunen.

Selbstverständlich orientiert sich jeder Schriftsteller an den Sujets der Literaturgeschichte, und es dürfte Weniges geben, über das noch nicht geschrieben wurde. Daher kann man zwar an den Texten eines jungen Autors vieles kritisieren. Man kann dem jungen Menschen jedoch auch für sein bisher Erreichtes auf die Schulter klopfen und etwas auf den Weg geben: weiterzuschreiben, dabei am Bilderreichtum zu arbeiten, über die Vorbilder hinauszuwachsen und mit ihnen zu spielen, um Originalität zu erreichen. Aus dieser Perspektive bildet „Reifkalte Nächte durchwacht“ den ersten Schritt auf einem langen Weg. Jugendliche Leser dürften sich in den Themen wiedererkennen. Erfahrenen Lesern wird das liebevoll aufgemachte Bändchen aus dem |Mischwesen|-Verlag nicht viel Neues bringen, außer der beruhigenden Gewissheit, dass sich die Jugend auch heute noch mit Lyrik beschäftigt und sie nicht aussterben lässt.

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