Mogelpackung: Kriminalfall mit Predigt
Der Kriminalkommissar berichtet in seiner Hörbuchserie „Phänomen Serienmörder“ authentische Kriminalfälle aus der deutschen Kriminalgeschichte. In der Folge „Blaubeer-Mariechen“ wirkt die Serientäterin wie das nette, rundliche „Muttchen“ von nebenan, das keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Doch in den Verhören auf dem Polizeirevier kommt die dunkle Seite von Maria Horn ans Licht …
_Der Autor_
Stephan Harbort ist nach Verlagsangaben der bekannteste Serienmörder-Experte Deutschlands. Er wurde 1964 in Düsseldorf geboren, wo er heute mit seiner Familie lebt. Der Kriminalkommissar und Verwaltungswirt ist stellvertretender Leiter eines Kriminalkommissariats beim Polizeipräsidium Düsseldorf. Über sein Spezialgebiet hinaus entwickelte er international angewandte Fahndungsmethoden zur Überführung von Serienmördern. Er ist Fachberater bei diversen Fernsehsendern, war außerdem beratend bei den Kinofilmen „Hannibal“ und „Roter Drache“ tätig. Er trat bei Günther Jauch, Frank Elstner und Johannes B. Kerner auf. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht.
Von 1997 bis 2007 führte Harbort Interviews mit 48 verurteilten Serienmördern in Justizvollzugsanstalten und psychiatrischen Krankenhäusern. Er sprach zudem mit überlebenden Opfern und Personen aus dem sozialen Umfeld von Tätern und Opfern. Kriminalistische und kriminalpsychologische Analysen ergänzen diese Gespräche. Darauf basieren seine Erkenntnisse, die er in der Hörbuchserie „Phänomen Serienmörder“ verarbeitet und präsentiert. Sein Ziel: mit verbreiteten Vorurteilen und falschen, von den Medien geschürten Vorstellungen aufräumen; zu einem menschenwürdigen Umgang mit Serientätern jenseits des schlichten „Wegsperrens“ anregen.
Die Serie umfasst folgende Titel:
– Blaubeer-Mariechen
– Der Mittagsmörder
– Private Geheimsache
– Das Phantom
_Die Sprecher_
Barbara Stoll ist Schauspielerin und Sprecherin zahlreicher Hörbücher sowie durch das Fernsehen bekannt als Präsentationsstimme bei |Arte|, |n-tv| und anderen.
Heiner Heusinger ist Schauspieler und Sprecher zahlreicher Hörbücher.
_Handlung_
Im April 1983 informiert ein Anwalt die Kripo Mönchengladbach, dass die Hausfrau Gertrud Maaßen ihre 67-jährige Schwiegermutter Maria Horn des Mordes beschuldige. Horn soll ihrem Mann wegen Geld umgebracht haben. Maaßen nennt als Indiz zum Beispiel den Satz: „Wenn du nicht gefügig bist, ergeht es dir wie meinem Mann!“ Horns dritter Gatte verstarb an einem vom Arzt attestierten Herzversagen, wie 1976 übrigens auch Horns erster Gatte namens Achterbach. Dazwischen hatte Horn einen zweiten Mann namens Überall, der 1980 ebenfalls eines (un-)natürlichen Todes starb.
Doch bevor die Ermittlungsbehörden zu diesen Erkenntnissen gelangen, sind sie sehr skeptisch, denn schließlich hatte ein Arzt ordnungsgemäß auf Herzversagen als Todesursache erkannt. Wozu also an dieser Diagnose zweifeln? Doch Gertrud Maaßen bleibt bei ihrer schweren Anschuldigung, weitet sie sogar noch auf den Mord an Überall aus. Doch sie verwickelt sich in Widersprüche, ihre Lügen fliegen auf. Es gibt keinerlei Beweise gegen Maria Horn.
Aber insgeheim gehen die Kriminaler doch den Indizien nach. Sie stoßen auf mehr und mehr Ungereimtheiten, so dass sie schließlich Maria Horn zur Vernehmung vorladen. Sie wirkt wie das nette, rundliche „Muttchen“ von nebenan, das keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Ihre sechs Kinder sagen über sie: „Mutter war für uns die beste Mutter der Welt. Für uns Kinder tat sie alles. Sie war wie eine Glucke.“ Sie streitet auch alle Anschuldigungen ab. Doch die Verdachtsmomente erhärten sich, der Bankbetrug fliegt auf. Im Juli 1983 endlich gibt Maria Horn ihren Widerstand auf, als der Kommissar ankündigt, er werde den letzten Ehemann exhumieren und obduzieren lassen.
Maria Horn gesteht die Morde an den genannten drei Ehemännern. Sie benutzte stets das Pflanzenschutzmittel E605 und mischte es dem Nachtisch bei. Doch dann kommt noch mehr, und allmählich graut es den Ermittlern vor dem „rundlichen Muttchen“, das nicht weniger als 13 Morde gesteht …
_Der sachliche Teil_
Dieser szenisch gestaltete Teil des Hörbuch ist lediglich der mittlere Teil. Vorgeschaltet ist eine einleitender Teil, der an das „Phänomen Serienmörder“ heranführt. Der dritte und abschließende Teil arbeitet den Aspekt der weiblichen Serientäter heraus. Nur 15 Prozent aller Serientäter sind weiblich, doch begehen im Schnitt elf Taten, wobei nur ein Drittel ihrer Opfer männlich ist. Will heißen: Diese Frauen sind eine Bedrohung für ihr eigenes Geschlecht. Sie sind emotionslos und gehen heimtückisch vor, aus Gründen der Habgier und um Konfliktgründe zu beseitigen.
Während männliche Serientäter töten, um Macht auszuüben, töten die Frauen meist, um sich nicht beherrschen zu lassen. Maria Horn tötete, um lästig gewordene Pflegefälle loszuwerden. Sie wollte ihr eigenes Leben „ungestört“ weiterführen. Im Prozess, der ihr September 1984 gemacht wird, berichtet Maria Horn von ihrer Kindheit, Jugend und ihrem Schlüsselerlebnis. Doch sie hat nie gelernt, Konflikte friedlich zu lösen, sondern griff stets zu E605. Warum nie jemandem die Anzahl der Toten in ihrem Umfeld auffiel? Keinem kam offenbar in den Sinn, dass die Todesfälle unnatürlichen Ursprungs sein könnten. Wo doch das Muttchen die beste Mutter weit und breit war.
_Mein Eindruck_
Der einzige Teil, der mich wirklich interessiert hat, ist der des Falles der Maria Horn. Logisch, denn dieser Fall wird ja auf dem Titelbild groß herausgestellt. Der Fall entwickelt sich wie jeder reale Kriminalfall mit seiner eigenen inneren Logik, doch überrascht vor allem das Ausmaß der Mordserie, die Horn gestand.
Auch die nachfolgende Analyse von weiblichen Serientätern fand ich noch ziemlich interessant, denn schließlich geht es um die Frage, worin sich weibliche von männliche Serientätern unterscheiden. Deshalb wird ja der Fall Maria Horn überhaupt aufgegriffen. Die Unterschiede sind ebenso von Interesse wie die Gemeinsamkeiten.
Doch dann fällt der Teil dieses dritten Parts ziemlich ab. Nicht mehr Information und Analyse stehen im Vordergrund, sondern ein deutliches Anliegen des Autors Herbort, das in einem Stil formuliert ist, der an einen Buchauszug erinnert. Dieser Teil ist so aufdringlich, dass ich weggehört habe. Ich will nicht belehrt werden.
|Die Sprecher|
Heiner Heusinger spricht die Einleitung – quasi in Vertretung des Autors – in angemessen sachlichem Ton, doch als es um die Geschichte geht, übernimmt Barbara Stoll. Sie gestaltet die individuellen Figuren nur minimal. Am auffallendsten ist die sehr tiefe weibliche Stimme der „Maria Horn“, die immer sehr kurz angebunden spricht.
Nach dem szenischen Teil folgt die Analyse, wie oben schon skizziert. Auch diesen Teil spricht Barbara Stoll. Leider fällt der Schluss dieses Part stark ab, wie oben bereits erwähnt. Ob es einen Unterschied gemacht hätte, wenn der männliche Kollege denselben Text vorgelesen hätte, kann ich nur vermuten. Und auf Vermutungen sollte man keine Urteile gründen.
_Unterm Strich_
Das Interessanteste an diesem Hörbuch ist ja der Fall der Maria Horn sowie die nachfolgende Analyse, in die zahlreiche Erkenntnisse (siehe oben) eingeflossen sind. Das Anliegen des Autors ist ehrenwert und nachvollziehbar. Er will dem Medienhype entgegentreten, der Serienkiller wie Hannibal Lecter – Harbort war ja Berater bei zwei Verfilmungen – zu regelrechten Stars gemacht hat. Dass die Realität sowohl harmloser aussieht als auch erschreckender wirken kann, sollen die vier im Hörbuch geschilderten True-Crime-Fälle belegen.
Statt 70 Minuten hätten 50 Minuten jedoch völlig ausgereicht. Die etwa fünf- bis zehnminütige Einleitung ist Standard, um den Hörer ans Thema heranzuführen, doch der Schluss ist völlig überzogen. Ich dachte sogar, hier werde mir ein Illustriertenartikel serviert, der einem Revolverblatt entnommen wurde. Das war absolut überflüssig.
Wer sich also eine spannende Kriminalstory im legitimen True-Crime-Format erhofft hat, bekommt hier eine Mogelpackung, die teils Kriminalfall und teils Geschwafel bietet. Wer sich darauf einlassen will, sollte zugreifen. Alle anderen, die sich spannende Unterhaltung wünschen, werden bei Hörbüchern von echten Krimiautoren sicher schnell fündig.
Fazit: zwei Sterne
70 Minuten auf 1 CD
www.mediaphon.de
www.pablosmedia.de