Jack Dann und Gardner Dozois (Hg.) – Das große Dinosaurier-Lesebuch

Stories: Donnerechsen in Vergangenheit und Zukunft

Das Buch erzählt von Männern und Frauen, die durch die Zeit reisen, von ihren Begegnungen mit Sauriern und gigantischen Reptilien, wie sie unsere Erde vor hundert Millionen Jahren bevölkerten.

Weltbekannte Autoren wie Arthur C. Clarke, Brian W. Aldiss oder L. Sprague de Camp schreiben von Jägern und Wissenschaftlern, von der Kreidezeit und von der Gegenwart, von reißenden Bestien und frisch geschlüpften Dinosaurierbabys.

Das LESEBUCH versammelt unterschiedlichste, aber durchweg pfiffige und intelligente Stories: mal zum Mitfiebern, mal zum Lachen – aber immer wieder zum Staunen… (gekürzte Verlagsinfo)

Die Herausgeber

Jack Dann und Gardner Dozois haben in den achtziger und neunziger Jahren zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht, die wiederum in anderen Anthologien landeten – auch in deutschsprachigen. Dozois gehört zu den größten Förderern des jungen Autors George R.R. Martin, wie man in dessen „Traumlieder“-Bänden nachlesen kann. Dann schwenkte nach seinen Erfolgen im SF-Feld auf den Mainstream um und veröffentlichte mit „Die Kathedrale der Erinnerung“ einen monumentalen Roman über das Genie Leonardo da Vinci.

Vorwort

Menschen waren schon immer von den Donnerechsen fasziniert, vielleicht weil diese Erinnerung tief in unserer Säugetier-DNS eingraviert ist und Drachen zu den Archetypen nun zu den Archetypen gehören. Allerdings sah der Mensch zunächst auf die dummen Riesenviecher mit ihren Erbsenhirnen herab, bevor er lernte, dass Säugetiere Millionen von Jahren NEBEN den Donnerechsen lebten, ohne auch nur ein einziges Raubtier hervorzubringen, das es mit ihnen aufnehmen konnten. So herrschten die Echsen 120 Millionen Jahre lang, in allen Formen und Farben auf dem Erdball bis hinunter zur Antarktis (bevor diese durch Kontinentalverschiebung und Klimaschock vereiste).

Warum starben sie aus und hinterließen als Erben nur die Vögel und Eidechsen? Es gibt so viele Theorien wie es Theoretiker gibt. Die gängigste Theorie ist Vernichtung durch einen Asteroideneinschlag an der Stelle, wo heute die Halbinsel Yucatan liegt. Eine globale Welle von Tsunamis, Erdbeben, „nuklearem Winter“ usw. folgte. Aber wie konnten dann die Säugetiere überlieben, die Echsen aber nicht? Und was wäre, wenn sie heute in irgendeinem abgelegenen Tal wiederentdeckt würden?

Die Erzählungen

1) L. Sprague de Camp: Das Gesicht der Bestie (A Gun for Dinosaur, 1956)

Der Ich-Erzähler ist ein Büchsenmacher und Safari-Veranstalter bei der Agentur Rivers & Aiyar. Nur, dass seine Safaris für Großwildjäger in die Vergangenheit führen, als die Riesenechsen noch existierten. Mit einer Geschichte über eine Safari, die gründlich schiefging versucht er, Mr. Seligman von der Teilnahme an einer so gefährlichen Expedition abzuhalten.

Die Kunden sind meistens blutige Amateure, bei denen man von Glück sagen kann, wenn sie schon mal ein Gewehr in der Hand gehalten haben. Unser Chronist Mr. Rivers und sein Partner „Radscha“ Aiyar haben diesmal die Wahl zwischen dem arroganten Macho Courtney James und dem braven Millionenerben Augustus Holtzinger. Immerhin schaffen sie es, die überaus besorgten Begleiterinnen der beiden Herren loszuwerden – immerhin soll die Reise in die Zeit vor 85 Mio. Jahren gehen. Zuerst fahren sie zu Dr. Prochaska, der die Zeitmaschine gebaut hat und betreibt. In den Aufzug passen nur der Liftboy und vier Passagiere sowie ein Teil der Ausrüstung. Drei Wochen soll der Aufenthalt dauern.

Schon nach der ersten Woche geht vieles nicht nach Plan, denn Mr. James ballert auf alles, was sich bewegt. Mr. Holtzinger beschwert sich, dass er nicht zum Schuss kommt. Rivers macht sich Sorgen um ihn, denn Holtzinger hat keine Büchse, die für die Jagd tauglich wäre. So ein T. Rex kann ja mehrere Tonnen wiegen, und sein Herz liegt hinter Schichten von Muskeln und Fett. Wenigstens hat Mr. James eine annehmbare Kanone – solange ihm nicht die Munition ausgeht.

Als sie tatsächlich auf einen wütenden T. Rex treffen, dem Mr. James gerade die nächste Mahlzeit weggeschossen hat, ist Not am Mann. James erst am Boden, dann in Panik, Holtzinger mit einer Vogelflinte, und die Safari-Jäger versuchen, weder den einen noch den anderen zu treffen…

Mein Eindruck

Der Autor schildert den Chronisten Rivers wie einen erfahrenen Yankee, der ein kapitalistischer Realist ist, alles andere als ein Träumer. Dementsprechend schwankt die Erzählung zwischen grotesker Komik und blutiger Action. Leider haben die beiden Profi-Jäger die Rechnung ohne den Hitzkopf James gemacht, der sich weder an Befehle noch an Regeln hält. Zu dritt kehren sie in die Gegenwart zurück, doch James bricht noch einmal zu einem wütenden Rachefeldzug gegen die beiden Guides auf – in die Vergangenheit. Leider hat er dabei eine Sache nicht bedacht: So etwas wie ein Zeitparadox darf es nicht geben…

2) Brian W. Aldiss: Armer kleiner Krieger! (Poor little warrior!, 1958)

Claude Ford, der gelangweilte Gatte von Maude Ford, hat sich aus dem Jahr 2181 zwecks Abenteuer 150 Mio. Jahre in die Vergangenheit versetzen lassen. Zweck der Reise: das Erlegen des größten Landlebewesens aller Zeiten (wie man noch 1958 glaubte), eines Brontosaurus. Sein Instrument: eine doppelläufige, computergesteuerte, garantiert rostfreie und absolut treffsichere Flinte.

Das Viech, das ihn hirnlos anschaut, ist groß wie ein Berg, aber mit einer Haut bedeckt, die feiner ist als die eines Elefanten. Zahllose Parasiten, groß wie Löwen, leben darauf und haben wiederum ihre eigenen Parasiten, groß wie Hummer. Das Wummern des riesigen Herzens ist bis zu Claude zu hören. Er feuert seine Doppelladung ab. Treffer!

Das Riesenvieh fällt alles andere als dramatisch, geradezu in Zeitlupe, auf die Seite. Das Licht in den Augen erlischt, und die Nickhaut verbirgt die Pupille. Das Herz kommt langsam zum Stillstand, bis Ruhe eintritt. Die ersten Vögel kapieren, was passiert ist, und fliegen zum nächsten Wirt. Claude will gerade zurück zur Zeitmaschine, als auch schon der erste Parasit kapiert, was los ist, und sich auf Claude stürzt. Er ist nur der erste von vielen…

Mein Eindruck

Der Reiz der Erzählung liegt nicht so sehr in der fast nicht vorhandenen Handlung, sondern in der Sprache. Deren poetische Eigenart kommt besonders im Original zum Tragen, wo sich die Wörter vielfach stabreimen und paarreimen. Abgewandelte Zitate aus der Lyrik wie etwa aus Dante Alighieris „Divina Commedia“, aber auch aus Shakespeares Stücken werden eingeflochten. Doch wozu dieser Aufwand für einen so banalen Vorgang?

In einer Vorwegnahme des kritischen New-Wave-Stils legt ein allwissender Du-Erzähler der Figur Claude Ford seine Gedanken und Gefühle dar, um sie fein säuberlich zu sezieren und ihrer Lächerlichkeit preiszugeben. Der versuch Claudes, seine eheliche Langeweile zu durchbrechen, indem er ein ABENTEUER erlebt, mündet ins Betrachten des glorreich angekündigten Stuhlgangs des Brontosaurus. Nie wurde Saurier-Scheiße showbusinessmäßiger präsentiert.

Auch der Tod des Biests ist alles andere als bühnenreif -ein dénouement. Der Gipfel der Ironie wird erreicht, als die Parasiten sich einen neuen Wirt suchen: Claude. Auf diese Weise gesellt sich der „arme kleine Krieger“ des Titels zu seiner Beute und taucht wohl 150 Mio. Jahre später als Versteinerung irgendwo in den Rockies wieder auf.

3) Howard Waldrop: Grüner Bruder (Green Brother, 1982)

Dakota um das Jahr 1865 ist eine Konfliktzone. Nach einer Zeremonie haben die Sioux unter Chief Red Cloud nichtsahnend die Erlaubnis für den Bau einer Straße und eines Soldatenforts gegeben – mitten in den Jagdgründen für das Sommerwild. Die Zeiten sind schwer und die jungen Krieger befehden sich fast täglich mit den Soldaten, die Feuerholz schlagen.

In dieser Zeit sucht der dreizehnjährige Junge Herbstfohlen nach seinem Totemtier, um ein Mann werden zu können, der einen anderen Namen trägt. Der Medizinmann, der die Geschichte erzählt, schickt den Jungen nackt los, damit er eine Vision erhält, wie es Brauch ist. Als Herbstfohlen zurückkehrt, nennt er sich „Grüner Bruder“. Er hatte die Vision, in einem riesigen Raubtier zu stecken, das eine grüne Haut trägt. Außerdem hat ihm sein Totemtier einen Auftrag gegeben: es auszugraben.

Weil sich die Grabungsstelle direkt vor den Palisaden des Forts befindet, wird Grüner Bruder ständig beschossen, denn die Soldaten haben sogar vor einem kleinen Jungen Angst. Nachts bringt ihm sein Vater Nahrung und Wasser, doch er beteiligt sich nicht an dem wahnhaften Unterfangen seines Sohnes. Schließlich ruft Grüner Bruder den Medizinmann in seine tiefe Grabungsstelle: Das Totemtier muss nun zum Leben erweckt werden…

Mein Eindruck

Howard Waldrop hat viele wunderbare Geschichten über den Mittelwesten geschrieben. Am besten bekannt ist seine Dodo-Story „Die hässlichen Hühner“, die auch hierzulande in einer Best-of-Auswahl von Terry Carr erschien. Dabei schert er sich wenig um sogenannte historischen Tatsachen, sondern erkundet die Bereiche des Was-wäre-wenn. Diesmal malt er sich aus, was passiert wäre, wenn ein Indianerjunge nicht nur die riesigen Gebeine eines T. Rex ausgegraben hätte, sondern wenn der Geist dieses Totemtiers den Soldaten erschienen wäre.

Die Geschichte ist wunderbar anschaulich, actionreich und aus der Sicht der Indianer erzählt. Das der berühmte Häuptling Red Cloud hier „Rote Wolke“ heißt und die Soldaten „Geldwaden“, bedarf allerdings ein wenig der Gewöhnung.

4) Harry Turtledove: Brutzeit (Hatching Season, 1985)

Paula ist durch die Zeit in die Kreidezeit gereist, um Saurier zu studieren. Ihr besonderes Interesse gilt den Hadrosauriern, sieben Meter großen Pflanzenfressern, die einen Entenschnabel tragen. Sie folgt einem großen Tier zu einem Nistplatz, wo eine Herde Junge ausgebrütet hat. Das heißt, sie legten Pflanzenzweige auf die Gelege, so dass die tropische Sonne die Eier noch stärker erwärmte. Fast alle Eier sind geschlüpft, bis auf eines, dem sich Paula nun vorsichtig nähert. Beglückt verfolgt sie, wie die kleine Echse ihre Eierschale aufbricht und sie selbst erblickt. Sie kann nicht anders: Sie muss dem tapferen Kleinen zu fressen geben. Dieser einfache Akt stellt eine Verbindung her: Das Junge betrachtet sie fortan als seine Mutter und folgt ihr auf Schritt und Tritt, genau wie ein Gössling.

Als zwei raubgierige Carnosaurier angreifen, gerät die Hadrosaurus-Herde in Panik und ergreift die Flucht. Paula kann nicht anders: Sie nimmt ihren kleinen Schützling auf den Arm und rennt mit den anderen mit. Leider kommt sie nicht allzu weit: Ein Schwanzschlag wirft sie gegen einen Baum und ins Reich der Träume.

Als sie erwacht, ist es Abend. Sie erkennt kein einziges Sternbild wieder. Zum Glück spendet ihr kleiner Begleiter ihr Trost. Am nächsten Morgen fällt ihr eine Methode ein, wie sie zum Nistplatz der Hadrosauriern zurückfinden kann. Schließlich haben alle Vögel einen Instinkt, zu ihrem Ursprung zurückzufinden…

Mein Eindruck

Die Erzählung wäre wegen des Fehlens einer dramatischen Handlung nur ein kleines Zuckerle, gäbe es da nicht ein beachtliches Unterfutter an zoologischen und ethologischen Beobachtungen. Offensichtlich hat der Autor die Bücher des Verhaltensforschers Konrad Lorenz gelesen. Daher weiß er nicht nur über die frühe „Prägung“ von Gänseküken Bescheid, sondern kann auch deren verschiedenartige Laute auseinanderhalten – und zur Orientierung seiner Heldin einsetzen. Er weiß auch – leicht amüsiert – anzumerken, dass die Mutter-Kind-Bindung in beide Richtungen wirkt. Paula bemerkt an sich selbst starke Mutterinstinkte.

5) Steven Utley: Leises Entrinnen (Getting Away, 1976)

Bruce schreibt im Brotberuf seichte Seifenopern fürs Fernsehen, doch eigentlich steht ihm der Sinn nach Höherem. Leider bringen Gedichte so gut wie nichts ein, und das Tagebuch, das er nun führt, dient eher als Ventil für seine schrägen Gedanken. Es sind Erinnerungen an seine Geistreisen als Chronopath: Seine Geistreisen führen ihn immer häufiger in die Ära der Dinosaurier. Dabei schlüpft sein Geist in ein Gastwesen, etwa in einen Pterodaktylus.

Doch Bruce erkennt im Dialog mit seiner Gefährtin Carol die traurige Parallele, die sich im Aussterben der Saurier und dem der jetzigen Menschheit zeigt. Austin, Texas, liegt unter einer Smogwolke, Los Angeles ist schon längst unter Smog zugrunde gegangen. „Die Dinge fallen auseinander, das Zentrum hält nichts zusammen“, beschrieb einst Yeats diese Endzeitstimmung.

Mein Eindruck

Steven Utley war zuweilen ein Ko-Autor von Waldrop und anderen Autoren des Mittelwestens. Viele seiner Geschichten spielen in Texas und den Nachbarstaaten, so auch die vorliegende. Die Parallele, die er hinsichtlich des Aussterbens aufzeigt, finde ich wirklich eine interessante Idee. Der O-Titel weist darauf hin, dass die Untergangsstimmung häufig zu Eskapismus führt. Dieser äußert sich bei Bruce in Geistreisen in die ferne Vergangenheit. Im 19. Jahrhundert wäre dieser Sehnsuchtsort wahrscheinlich das Mittelalter König Artus‘ gewesen. Mit seinen Seifenopern liefert Bruce lediglich Futter für Sehnsüchte anderer Art, aber im prinzip ist es der gleiche Vorgang: Eskapismus.

6) Bob Buckley: Die Renner (The Runners, 1978

Nicht alle Saurier waren behäbige Kolosse, manche waren auch ganz schön flink – und schlau. Das findet Bill heraus, als er mit seiner Raumschiffexpedition am Ende des Zeitalters der Saurier landet. Während die anderen sich als Paläontologen betätigen, soll er als Astronom eine Sternkarte dieser Epoche erstellen. Der Weg führt vom Colorado-Plateau bis ins südliche Kanada.

Dort wird Bill auf eine Fährte aufmerksam und folgt ihr bis zu einer Höhle, in der ein Weibchen vor ihm zurückweicht. Es ist ein Dromäosaurier, ein Velociraptor, und hat Angst um seine Gelege. Doch Bill hat nicht auf den Höhleneingang geachtet, und so kann ihn das Männchen von hinten überraschen. Bill will mit seinem Knüppel zuschlagen, doch sein Gegner schnappt diesen und schlägt seinerseits Bill nieder, so dass Sterne sehend aus der Höhle wankt.

Hat er den Zwischenfall nur geträumt, fragt sich Bill, hat der Saurier den Knüppel wirklich als Werkzeug benutzt? Am nächsten Tag ist die Höhle leer. Doch er sieht das gleiche Männchen wenig später wieder: Es benutzt ein Messer, um einen Hadrosaurier zu zerlegen – und um einen Artgenossen abzuwehren. Diesmal hält Bill die Klappe, um sich nicht nochmals zu blamieren. Aber das Letzte, was er tut, bevor er in die Gegenwart zurückkehrt, ist der Diebstahl des Geleges dieses schlauen Kerlchens…

Mein Eindruck

Diese halbwegs realistische, actionreiche Story von ca. 26 Seiten erschien 1978 im ANALOG-Magazin, das für seine strengen wissenschaftlichen Maßstäbe bekannt ist. Was Bill an Verhaltensweisen der Dinosaurier beobachtet, entspricht weitgehend dem damaligen (veralteten) Stand der Forschung und Theorie. Aber dass Saurier Werkzeuge und Waffen benutzten, durfte auch damals schon ins Reich der Märchen verwiesen werden. Dennoch bleibt ein Zweifel: Die Raubsaurier waren schlauer als die Vegetarier, um ihre Beute austricksen zu können, und es ist der Höhepunkt ihrer Entwicklung, bevor die Strahlung einer Supernova (so die damalige Untergangstheorie) sie vernichtete. Warum sollten ihre Gehirne also nicht groß genug geworden sein, um wie Primaten Werkzeuge und Waffen zu benutzen?

7) Sharon N. Farber: Blow-Up am Watson Creek (The Last Thunder Horse West of the Mississippi, 1988)

Auf einer Soiree für Gentlemen schnappen anno 1870 zwei windige „Wissenschaftler“ die Nachricht auf, dass im Indianer-Territorium das lebende Exemplar einer Rieseneidechse gefangen gehalten werden, und zwar auf der Ranch der Doppler-Brüder. Da sich mit dem Aufstellen und Veröffentlichen von Theorien über Wesen der Vorzeit nicht nur Ruhm und Ehre, sondern auch Moneten ernten lassen, machen sich Cope und Marsh getrennt auf den Weg in den Wilden Westen.

Die Bahnlinie endet in Zak City, wo sie getrennt ein Fortbewegungsmittel organisieren. Cope ist ein Quäker, der Waffen verabscheut, doch Marsh ist sein genaues Gegenteil: Den Empfehlungen des „Prairie Traveller“ folgend, bewaffnet er sich bis an die Zähne und hält sich dafür für einen Westmann. Cope nimmt sich zwei Indianerinnen als Scout, die ihn als Häuptling „Großer Knochen“ bewundern, Marsh engagiert den verrückten und stets ein wenig besoffenen Sprengstoff-Fetischisten Red Eye Dave in seine Dienste, einen Cousin der Doppler-Brüder.

Nach einigem Hinundher werden die beiden der Rieseneidechse ansichtig. Diese trägt den schönen Namen Joe. Sie lebt in einem Pferch, der aus Saurierknochen errichtet wurde, und in einer Hütte, wo sie sich verstecken kann. Joe hat eindeutig die Füße eines Vogels, das Federkleid eines Vogels, aber wer weiß, wie es darunter aussieht, fragt sich Marsh, der keine Skrupel hätte, Joe die Haut abzuziehen.

Johnny Doppler, das Familienoberhaupt, hat es geschafft, den Preis für Joe auf sagenhafte 700 Dollar hochzutreiben, als sich Marsh entschließt, das kostbare Vieh seinem Rivalen, den er bis aufs Blut hasst, auf keinen Fall zu überlassen. Als Red-Eye Dave das mitbekommt, schmiedet er einen Plan, sich Marshs Dank auf seine ganz besondere, explosive Weise zu verdienen…

Mein Eindruck

An der erzählerischen Oberfläche ist diese Story eine sehr vergnügliche Actionkomödie der amerikanischen Art. Andreas Helweg, der Übersetzer von Terry Goodkind und GRR Martin, hat sie sprachlich einwandfrei und überzeugend ins Deutsche übertragen.

Unter der Oberfläche werden jedoch ernste Themen aufgegriffen, darunter die der Fälschung von Fundstücken. Die berühmteste und folgenreichste Fälschung ist der Piltdown-Mensch, eine pure Erfindung, die aber ihrem „Entdecker“ jede Menge Publizität und Geld sicherte, leider auch zweifelhaften Ruhm in der Wissenschaftsgemeinde. Genau so eine Fälschung unterstellt Marsh nun seinem Kollegen Cope: Der habe die Wirbel des Halses mit denen des Schwanzes verwechselt und sogar verkehrt herum eingesetzt.

Keiner gönnt dem anderen den Ruhm, einen echten Saurier in den Osten gebracht und der staunenden Öffentlichkeit vorgestellt zu haben. Sie balgen sich wie zwei Schuljungen in Joes Pferch. Dann machen Johnny Dopplers Kugeln und Red-Eyes Sprengstoff dem Gerangel ein Ende. Auch diese Rauferei ist nicht belanglos, sondern nur die Inszenierung des ständigen Streits zwischen Wissenschaftlern während des 19. Jahrhunderts, als jeder nach Ruhm und Ehre (und Geld) rang. So wurden etwa die „Kanäle“ des Mars gefunden; der Name ihres „Entdeckers“ Schiaparelli steht bis heute in jedem Artikel über den roten Planeten.

So ganz nebenbei werden in dieser Story nicht nur der letzte Saurier, sondern auch der letzte Bison ausgerottet, was wohl deutlich macht, dass die „Forscher“ nur an toten Wesen interessiert sind statt an lebenden. Sie erinnern an Mistkäfer à la Skarabäus, und so rollen sie auch im Dreck. Die Kritik ist also durchaus ätzend. Dass „Professor“ Marsh Buffalo Bill Cody, den Massenmörder von Büffeln, und General Armstrong Custer, den Massenmörder von Indianern, als lobenswerte „Freunde“ bezeichnet, lässt ebenfalls tief blicken.

8) Edward Bryant: Schichten (Layers, 1980)

In Wyoming gibt es einen tiefen Canyon, der die Gebirgskette Wind River Range durchschneidet. Die Geologiebehörde hat die Kilometer an der US-Straße 20 nach Gesteinsschichten und den jeweiligen Zeitaltern ausgeschildert. Die Schichten reichen bis ins Präkambrium vor 600 Mio. Jahren zurück, als sich in Wyoming ein tropisches Meer ausbreitete.

Steve Mavrakis ist schon auf der Schule mit der Fähigkeit versehen gewesen, „Dinge“ zu sehen. Diese Dinge befinden sich in der Vergangenheit, in jenem tropischen Meer. Manchmal geht er auf Geistreise mit einem Riesenfisch, manchmal sieht er aber auch in der Gegenwart schemenhafte Ungeheuer der Tiefe. So war es an jenem Abend nach dem Abschlussball auf seiner Highschool.

Nun, 14 oder 15 Jahre später, trifft er die früheren Schulkameraden wieder. Das Wiedersehen ist zu seinem Erstaunen kein Zufall. Paul Onoda, der für einen Rohstoffkonzern arbeitet, hat Steve ausfindig gemacht und Carroll Dale auf ihn angesetzt. Carroll folgt Steve in sein bescheidenes Single-Domizil, doch es passiert nichts. Vielmehr kommt am nächsten Morgen Ginger McClelland, Carrolls alte Freundin, zu besuch. Die engagierte Umweltschützerin schreibt für eine Tageszeitung und ist vollkommen gegen Pauls Vorhaben eingestellt, im Reservat der Indianer nach Kohle zu schürfen.

Pauls Anliegen ist ein ganz anderes: Seine Prospektoren hatten ein erschreckendes Erlebnis oben an der Wind River Range. Als ob ein Monster sie gleich verschlingen würde. Nur dass es unsichtbar war. Steve glaubt nicht an Geister, aber er fährt trotzdem mit Paul und den beiden Frauen in die Berge über dem Canyon der Wind River Range. Als ein riesiger Schatten vor ihnen auf der Straße auftaucht und sein riesiges maul öffnet, reißen Paul und Carroll das Lenkrad herum. Der Wagen beginnt, sich dem Abgrund zu nähern…

Mein Eindruck

Auch diese wunderbar einfühlsam und sehr geschickt erzählte Geschichte des mehrfach ausgezeichneten Autors greift die Frage auf, wo die Dinosaurier geblieben sind. Die Antwort: Sie sind immer noch präsent für diejenigen, die die Welt mit anderen Sinnen wahrnehmen, Leute wie Steve. Das Motiv der Geistreise wurde schon in „Leises Erinnern“ genutzt, aber hier wird sie mit dem Phänomen der Schichten verknüpft.

Diese Schichten sind nicht nur räumlich, sondern auch temporal. Eine Person wie Carroll kann in Steves Augen sowohl jetzt als auch vor 14 Jahren am gleichen Ort existieren. Warum sollte also ein ähnliches temporales „Echo“ nicht auch eine Riesenechse aus einem Urmeer herbeibeschwören? Leider ist dies für den sterbenden Fahrer Paul kein Trost mehr.

9) Arthur C. Clarke: Der Pfeil der Zeit (Time’s Arrow, 1952)

Professor Fowler lässt in amerikanischen eine Fossilienfundstätte freilegen – mit dem Presslufthammer. Zum Glück ist der Sandstein weich, und er und seine zwei Helfer Davis und Barton kommen gut voran. Sie legen eine Strecke von Fußabdrücken frei, die plötzlich ihre Richtung ändern. Zudem wird die Schrittlänge größer, so als habe der Brontosaurus einst Angst bekommen, weil er verfolgt wurde – von einem Räuber..

Fowler bekommt eine Einladung, ins Lager der beiden Physiker Henderson und Barnes zu kommen. Die Forscher untersuchen mit der Energie ihres kleinen AKWs das Verhalten von Helium II bei Temperaturen um den absoluten Nullpunkt (-273 Grad Kelvin). Sie wollen aber nur so viel verraten, dass sich Helium II negativ zur Entropie verhält. Entropie wird als „Pfeil der Zeit“ bezeichnet, weil sie nur in eine Richtung verläuft: zum künftigen Wärmetod des Universums. Negative Entropie kann nur eines bedeuten: eine Reise in die Vergangenheit.

Wenige Tage später scheint es einen Unfall beim Experiment der Physiker zu geben, denkt Davis. Gerade eben waren die Kühltürme von da, jetzt sind sie in einem Blitz und einem Donner verschwunden. Das kann einen Prof. Fowler nicht beirren. Mit seinem Presslufthammer bohrt er weiter und gelangt an das Ende der steinernen Fährte: versteinerte Reifenspuren eines Jeeps. Verfolgt von einer Spur, die Riesenklauen hinterlassen haben…

Viel später griff Clarke zusammen mit Stephen Baxter diese Idee wieder auf und erfand das Chronoskop, mit dem man in die Vergangenheit SEHEN kann – eine Idee, die auch schon Bob Shaw verarbeitet hatte.

Mein Eindruck

Eine wunderbare, kleine Horror-Story, die Clarke da spinnt. Er reitet sein Steckenpferd, die Atomphysik, mixt noch etwas Entropietheorie dazu, das möglicherweise erfundene Helium II – und schon beginnt die Zeit aus den Fugen zu geraten. Ich musste sofort an die Verfolgungsjagd mit dem T. Rex in „Jurassic Park“ denken: Ein Jeep wird vom Riesenraubtier verfolgt.

10) Jack Dann & Gardner Dozois: Ein Witterungsumschwung (A Change in the Weather, 1981)

Der alte Michael spaziert durch die menschenleeren Straßen von Manhattan. Menschenleer sind sie deshalb, weil sich hier massenhaft Saurier herumtreiben und nach jedem Krümel schnappen und betteln. Brontosaurier donnern durch die Avenuen, und Raubsaurier stellen ihnen nach. Dennoch schafft es Michael wohlbehalten nach Hause, wo ihm seine Frau Tee serviert. Draußen regnet es nicht Katzen und Hunde, sondern alle Arten von Donnerechsen. Es könnte schlimmer sein, oder?

Mein Eindruck

Drei Seiten brauchen die zwei Autoren nur, um eine alptraumartige Skizze eines künftigen New York zu zeichnen: Durch eine dimensionale Verwerfung in der Raumzeit scheint es Dinosaurier in unsere Zeit zu verschlagen. Menschen sind zwischen den Echsen nicht erwünscht. Es grenzt an eine Wunder, dass der Alte sich in dieses „Wetter“ hinauswagt.

11) James Tiptree, jr.: Der nachtblühende Saurier (The Night-Blooming Saurian, 1970)

Eine Museumsdirektorin erzählt einem befreundeten Besucher von ihrer ersten Zeitreise-Expedition, die sie vor vielen Jahren nach Ostafrika zu den Hominiden führte. Sie waren sieben Leute und hoffnungsvoll, doch als ihr Techniker von einem Kurztrip in die Gegenwart zurückkehrte, erfuhren sie, dass man ihnen die Gelder streichen werde – einfach zu teuer. Doch Fitz, der Techniker, hat eine irrwitzige Lösung für das Problem. Er hat dem maßgeblichen Senator, der im Bewilligungsausschuss das Sagen hat, vorgeflunkert, es gäbe hier einen riesigen Saurier zu schießen!

Natürlich sind die Saurier schon 65 Mio. Jahre ausgestorben, aber herrje, man könne ja einen echten Saurier in dessen Zeit erlegen und die Beute nach Ostafrika transferieren, oder nicht? Dann müsse man aber dafür sorgen, dass alles echt aussieht: die Spuren am Ufer des Sees, ja, und vor allem der Dung des Dinosauriers, der den Senator von dessen Echtheit überzeugen soll. Tja, und von da an futterten die Expeditionsmitglieder jede Menge Grünzeug…

Mein Eindruck

Die Saurier-Story ohne Saurier ist natürlich ein einziger riesiger Witz, eine Schnurrpfeiferei, wie sie nur erzählt werden kann, wenn eine Menge Alkohol im Spiel ist. Andererseits aber belegt sie mehrere Aspekte. 1) Senile Senatoren lassen sich leicht auf den Arm nehmen. 2) Selbst eine Zeitreise garantiert nicht, dass die „wissenschaftlichen Ergebnisse“ echt sind, z.B. versteinerte Exkremente. 3) Wissenschaftler sind für ihre Forschungsgelder zu absolut allem bereit. Und obendrein macht die Story irrsinnig viel Spaß.

12) Steve Rasnic Tem: Ausgestorben (Dinosaur, 1987)

Das Leben im heißen Südwesten der USA ist hart: Es gibt zuwenig Wasser, folglich lebt man immer am Existenzminimum. So wie Freddys Vater, der sich zu Tode soff. Freddy muss immerzu an Dinosaurier denken: Sie waren eines Tages vor Millionen Jahres auf unerklärliche Weise verschwunden. Woran mag es gelegen haben? Für ihn selbst sieht es nicht allzu gut aus. Er hat eine kleine Firma, doch die Beziehung zu seiner Freundin Melinda endet sich ihrem Ende: Die Lehrerin sagt ihm, dass die Schule geschlossen werde, weil sie an einen Viehzüchter verkauft worden sei. Sie werde wegziehen, um woanders Arbeit zu finden: „Liebe ist einfach nicht genug.“

Freddy besäuft sich wie einst sein Vater und beginnt endlich, die Zeichen zu sehen. Sie sind in das Holz der Tischplatte der Bar eingeritzt: Indianerzeichnungen. Vor fast tausend Jahren lebten hier die Fremont-Indianer, doch wie die Anasazi verschwanden sie eines Tages auf Nimmerwiedersehen. Wie die Saurier. Mit einem Brummschädel erwacht Freddy in seinem eigenen Bett, Meilen entfernt von der Bar. Die Welt ist von den Menschen verlassen worden, und nur Geister gehen umher, argwöhnisch beobachtet von den Katzen. Geister wie Freddy…

Mein Eindruck

„Soll der Staub dich preisen, Herr?“, fragte in den 1950er Jahren der SF-Schriftsteller Lester del Rey, als er vor dem Atomkrieg warnte. Doch Gott hat sich längst verabschiedet, und nur die Geister der ausgerotteten Indianer gehen umher. Dazwischen lag ein kurzer Traum von der Eroberung, Besiedlung und Ausbeutung des amerikanischen Kontinents. Diese kurze Ära ist vorüber, vermittelt diese Erzählung. Sie ist nicht so einfach zu lesen wie die eigehenden Stories am Anfang, denn hier vermischen sich die Zeitebenen im Bewusstsein der erlebenden Hauptfigur Freddy. Doch die Wirkung ist dafür umso eindringlicher, die Warnung nachhaltiger.

13) Geoffrey A. Landis: Dinosaurier (Dinosaurs, 1985)

Ein kleines Forschungsprojekt des US-Militärs, das von dem Chronisten geleitet wird, versammelt die parapsychologischen Kräfte von speziell begabten Talenten. Timmy ist erst elf, kann aber die Zukunft sehen und Dinge verschwinden lassen. Sarah, die 40-jährige Hausfrau, bringt elektrische Gegenstände zum Ausfallen, und ein weiteres Talent lässt Brennbares Feuer fangen.

Am Tag, als der Atomkrieg ausbricht, kommen diese Talente zum Einsatz. Als die Interkontinentalraketen ihre Silos in North & South Dakota verlassen, verfolgt der Projektleiter die Meldungen von NORAD, den Abwehrkommando für Nordamerika. Sobald die Raketen hoch genug fliegen, setzt er Sarah ein. Doch sie hat Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Nur wenige Raketen fallen aus und werden vom Nachrichtensprecher im Radio als die übliche Quote an Fehlstarts abgeschrieben. Dann gerät der Sprengstoff in einer der Raketen nach der anderen in Brand – noch immer wird das für normal gehalten.

Inzwischen wird es eng, denn natürlich hat der Gegenangriff der Russen nicht auf sich warten lassen. Über dem Nordpol sagen sich die aufeinander zufliegenden Raketen quasi hallo und setzen ihre Sprengköpfe aus. Höchste Zeit für Timmy, sein Talent zur Geltung zu bringen. Die Raketen verschwinden vom Radarschirm. Aber wohin?

Mein Eindruck

Die Dinosaurier hatten vor 65 Mio. Jahren nicht die geringste Chance, als sie von all den Interkontinentalsprengköpfen getroffen wurden. Fegten sie nicht die Explosionen hinweg, die anschließenden Wellen von Hitze und Wind, dann wurden sie und ihre Gelege von der Radioaktivität und dem nuklearen Winter erledigt. Gut, dass es bloß die Dinos waren und nicht die Menschen von heute…

14) Tim Sullivan: Der Dinosaurier auf einem Fahrrad (Dinosaur on a Bicycle, 1987)

Harry Quince-Pierpont Fotheringay in ein wohlerzogener Saurier nobler Abstammung. Doch da er in Diensten von Prof. Brathwaite, dem genialen Erfinder des Chronokinetikons steht, tritt er nun kräftig in die Pedale. Denn das Fahrrad, das das Chronokinetikon antreibt, hat ein riesengroßes Vorderrad, was seine Fortbewegung nicht gerade vereinfacht oder erleichtert. Bald ist Harry ins Schwitzen geraten. Eine versammelte Menge von Ladys und Gentlemen sieht seiner Mühe wohlgefällig zu, als die Umrisse der Personen und des Pavillons, in dem die Zeitmaschine steht, verschwimmen. Harry reist in der Zeit zurück.

Schon immer war es sein Wunsch, die Theorien Prof. Brathwaites über die evolutionsbedingte Abstammung des Sauriers von seinen jurassischen Vorfahren beweisen bzw. widerlegen zu können. An drei Eiszeiten vorbei gelangt er endlich ins Erdmittelalter und dort in die Kreidezeit. Er hört auf zu strampeln – das Fahrrad stürzt auf den weit darunter liegenden Boden. Sobald er sich benommen aufgerappelt hat, vernimmt er Stimmen. Er markiert die Absturzstelle, die mitten in einem Dschungel liegt, durch Axthiebe auf die Bäume an seinem Weg.

Die Stimmen kommen von einem Paar Menschenaffen. Diese abstoßenden Wesen, die in silbrige Umhänge gehüllt zu sein scheinen, verständigen sich in einem unverständlichen Kauderwelsch und stinken bestialisch. Es handelt sich offenbar um ein primitives Paar, ein vollbusiges Weibchen und ein in Felle gehülltes Männchen. Als sie ihn erblicken, gehen sie zuerst in Deckung, doch dann winken sie ihn zu einer merkwürdigen Behausung, die er betreten soll. Könnte es sich ebenfalls um eine Zeitmaschine handeln?

Kaum hat er sich im Innern umgesehen, als ein tierisches Gebrüll ertönt und die Behausung erbebt: Ein T. Rex ist gekommen. Harry sträuben sich die Federn am ganzen Leib. Mit Müh und Not kann er sich aus dem Gehäuse retten, zusammen mit dem Weibchen, das sich als „Hue-man“ bezeichnet hat. Dann macht der riesige Raubsaurier Kleinholz aus der Zeitmaschine und entzieht ihr die schlaffe Gestalt des Männchens, das es sich sogleich einverleibt.

Und so beginnt eine sehr sonderbare Flucht vor den diversen Raubsauriern und die Suche nach dem Chronokinetikon. Denn auf der Ebene vor dem Sumpf, in dem sich das ungleiche Paar versteckt, erscheinen aus dem Nichts eine Zeitmaschine nach der anderen, bevölkert von zeitreisenden Waschbären, Walfischen, Ratten, ja, sogar grässliche Kakerlaken. Bei deren Anblick reißt Harry der Geduldsfaden…

Mein Eindruck

Diese rasante Erzählung ist eine Parodie auf die bekannte Zeitmaschine-Novelle von H.G. Wells. Sogar aus dem Roman „Krieg der Welten“ wird direkt zitiert, sehr unpassend sogar und daher umso komischer. Die Selbstachtung des noblen Sauriergeschlechts wird auf eine harte Probe gestellt und Harry fragt sich, ob er seinen Zeitgenossen, die im 19. Jahrhundert auf seine Rückkehr warten, eine derart verstörende Wahrheit zumuten kann.

Der Autor wendet die Quantentheorie von den parallelen Wirklichkeiten auf die Evolutionstheorie an. In allen wird zeitgereist, aber von ganz unterschiedlichen, offenbar dominant und „intelligent“ gewordenen Spezies. Sie benutzen verschiedenste Vehikel, einmal erschein sogar ein Kerl in einer juwelenbesetzten Maschine, der wie ein Gentleman des 19. Jahrhunderts aussieht. Ihm das Weibchen anzuvertrauen, ist ein Entschluss von Sekunden. Schnell lernt Harry und so auch der Leser, dass es keinerlei Grund gibt, sich als „Krone der Schöpfung“ zu betrachten. Das gilt für Viktorianer des British Empire wie für Saurier des Saurischen Imperiums.

Die Übersetzungen

S. 8: „Aptosaurus“ sollte korrekt „Apatosaurus“ heißen.

S. 11: „dominente Lebensform“. Nur 1 trauriges Beispiel für die unzähligen Druckfehler in den Texten.

S. 112: „Pterosaurus, Cretaceous Periode“. Statt „Cretaceous“ heißt es im Deutschen einfach „Kreidezeit. Hier wollten die deutschen Lektoren einfach nur eine zusätzliche Zeile schinden.

S. 175: „Eine Stadt namens Cinnabav“ sollte „Eine Stadt namens Cinnabar“ heißen. Diese Story-Sammlung Bryants erschien auch auf Deutsch. „cinnabar“ bedeutet „Zinnober“.

S. 256/257: „Öltakelagen“. Gemeint sind Ölpumpanlagen. Takelagen gibt es nur auf Segelschiffen.

Unterm Strich

Die Auswahl versammelt spannende, actionreiche Erzählungen ebenso wie nachdenkliche, einfühlsame, aber auch witzige, respektlose Beiträge. Dabei ist eine klare inhaltliche Aufteilung festzustellen. Vor dem sich in der Mitte befindenden Beitrag der beiden Herausgeber treten die titelgebenden Urviecher entweder leibhaftig oder als Fossilien auf. Dabei muss die Verbindung zwischen Mensch und Saurier nicht zwingend physisch sein, wie in den ersten beiden Geschichten. Sondern es kann sich entweder um eine Geistreise handeln oder um das Auftreten einer geisterhaften Inkarnation eines Sauriers, so etwa bei Edward Bryant und Howard Waldrop.

In der zweiten Hälfte treten Saurier nicht mehr so auf, wie wir sie kennen, sondern nur noch als Topos: Ihre Existenz wird irgendwie thematisiert, doch sie haben nichts mit der Handlung zu tun. Mit einer Ausnahme: In Tim Sullivans Parodie haben es Saurier in einer Alternativwelt zur dominanten Spezies mit Intelligenz geschafft und eine Zeitmaschine konstruiert, die sie wieder mit ihren eigenen Vorfahren konfrontiert. Diese Zeitreise hält etliche vergnügliche Überraschungen bereit.

Parodie

Mit dieser Parodie wollen die Herausgeber dem Leser signalisieren, dass er das Phänomen bitteschön nicht so bierernst nehmen sollte. Das Gleiche gilt natürlich auch für diese Geschichten selbst: Sie sind Phantasien und Spekulationen. Aber alle belletristische Literatur ist metaphorisch: Die BEDEUTUNG von Geschichte A lässt sich auf Sachverhalt/Erfahrung B übertragen, wenn der Leser genügend Intelligenz aufbringt. Der gelehrte Saurier in der abschließenden Story – das sind wir: gelehrt, dominant, kultiviert, aber leider mit einem äffischen Erbe. Wir blicken in einen Spiegel, wenn wir die Story lesen, und erkennen: Neben dem kultivierten „Gentleman“ wohnt immer noch der alte Affe in uns.

Schwächen

Die berühmteste und deshalb auch verfilmte Dinosaurier-Geschichte habe ich in diesem Auswahlband schmerzlich vermisst: Ray Bradburys erstklassige Novelle „A Sound of Thunder“. Da gab es wohl Probleme mit dem Copyright und der Abdrucklizenz. Auch Walter Jon Williams hat eine „Dinosaurier“ betitelte Novelle geschrieben. Darin besuchen uns allerdings die Aliens, und es kommen keine Saurier darin vor. „Dinosaurier“ ist darin inzwischen zum Synonym für eine überholte Lebensform geworden, die zum Aussterben verdammt ist.

Ich fand diese Auswahl interessant, abwechslungsreich und häufig unterhaltsam und amüsant. Ich könnte nicht behaupten, dass sich darin ein besonders schwacher Beitrag fände. Die stärksten Beiträge stehen am Anfang und Schluss, wie zwei Buchstützen halten sie die Auswahl zusammen. Für die zahlreichen Druck- und Übersetzungsfehler gibt es Punktabzug.

Taschenbuch: 314 Seiten
Info: Dinosaurs!, 1990
www.randomhouse.de/Verlag/Goldmann

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