Jan Erik Fjell – Nachtjagd (Arnold Brekke 01)

»Nachtjagd« spielt auf einem der Hurtigruten-Kreuzfahrtschiffe, die entlang der norwegischen Küste verkehren. Dort verliebt sich eine junge Frau in einen mysteriösen amerikanischen Fotografen, der die spektakulären Nordlichter ablichten möchte. Am Ufer eines Sees in Norwegen wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, ihr geschundener Körper ist mit Wunden übersät.

Kriminalkommissar Anton Brekke von der Polizei Oslo läuft es bei dem Anblick eiskalt den Rücken herunter. Wenn sich sein Verdacht bestätigt, dann hat der flüchtige Serienmörder Stig Hellum sein grausames Werk wiederaufgenommen – und bereits sein nächstes Opfer im Visier. Für Brekke beginnt ein Kampf gegen die Zeit und gegen unvorstellbar Böses. Zur gleichen Zeit treffen die Leser*innen einen Mann in der Todeszelle in Texas, der nur noch Stunden von seiner Hinrichtung entfernt ist.

»Diese beiden Geschichten verschmelzen miteinander, während mein Kriminalkommissar Anton Brekke versucht, den berüchtigten Serienmörder Stig Hellum zur Strecke zu bringen«, so der Autor (siehe das Interview). »Ich denke, dass die Kombination all dieser Elemente das ganz Besondere an diesem Thriller ist.«

Der Autor

Jan-Erik Fjell wurde 1982 geboren und wuchs bei Fredrikstad im Westen des Oslofjords auf. Er studierte Informatik, heute ist er als Radiomoderator tätig und widmet sich dem Schreiben von Kriminalromanen. Seine Thriller um den Kommissar Anton Brekke stürmen seitdem in Norwegen regelmäßig die Bestsellerlisten. Jan-Erik Fjell zählt zu den erfolgreichsten Krimiautoren Norwegens und wurde mit dem renommierten Preis des norwegischen Buchhandels ausgezeichnet.

Weitere Werke

Kälteeinbruch (2013)
Der stumme Besucher

Handlung

Die Kripo Oslo findet am 12. September die Leiche einer jungen Frau namens Helga Brakke am Ufer eines Sees. Sie wurde ertränkt, ergibt die Obduktion durch Dr. Poulsen – ein Däne, der einen schauderhaften Akzent spricht, findet Kommissar Anton Brekke. Die Leiche ist mit Schürf- und Kratzwunden übersät, so dass sich der Eindruck aufdrängt, sie wurde als „Spielzeug“ eines Sadisten benutzt. Und sie enthält keinerlei Spuren fremder DNS. Womöglich wurde sie erst gründlich abgewaschen und dann absichtlich so abgelegt, dass sie rasch gefunden werden konnte.

Diese Vorgehensweise des Täters erinnert Brekke und seinen neu eingestellten Assistenten Magnus Torp fatal an die Methode, die der Serienmörder Stig Hellum anno 2002 angewandt hatte. Der ertränkte seine drei Opfer in der heimischen Badewanne, daheim in Mutterns Häuschen. Er wurde gefasst, eingebuchtet, sollte verlegt werden, konnte aber bei der Überführung entkommen, wo er einen der beiden Polizisten tötete. Zwei Jahre lang hat die SOKO um Lars Hox vergeblich nach ihm gesucht. Bis heute.

Magnus Torp

Während Anton Brekke wegen einer akuten Entzündung seines linken Nebenhodens im Krankenhaus liegt und mit der hübschen Krankenschwester anbändelt, überprüft Magnus Torp die alten Unterlagen, Beweise und Zeugenaussagen. Er stößt auf einen unentdeckten SUV, der tags zuvor genau an jener Tankstelle hielt, an der Stig Hellum die Flucht gelang. Wie konnte den Fahndern der SOKO das entgehen?

Lars Hox, der letzte der SOKO, ist von den Socken. Er bietet die Kündigung an, doch Brekke lehnt ab. Nun ist nämlich ziemlich klar, dass Hellum Hilfe gehabt haben muss. Wer kommt dafür infrage? Erst einmal sein Biograph Hans Gulland, der Hellum mehrfach im Knast besucht hat. Und wie aus den Besuchsprotokollen hervorgeht, liegt auf Platz zwei der häufigsten Besucher ein gewisser Cornelius Gillesvik. Sonderbar, dass dieser schon am folgenden Tag nach Hellums Flucht nach Thailand flog. Wie Magnus Torp bei einer weiteren Befragung herausfindet, ging Gillesvik mit Hellum auf die gleiche Schule in Fredrikstad nahe Oslo. Hellum befreite ihn vom ständigen Gehänseltwerden und wurde sein bester Freund. Aber Hellum, so musste Cornelius feststellen, war ein eingefleischter Frauenfeind. Das würde so einiges erklären.

Das nächste Opfer

Wenige Tage nach dem 12. September wird die Leiche der jungen Mutter und Ehefrau Oda Myhre gefunden. Der Fundort ist ungewöhnlich: Es ist der Wall der Festung Fredriksten. Aber Poulsen, der Däne mit dem schauderhaften Akzent, entdeckt ein seltenes Insekt in Odas Mund: einen Drachenkopfkäfer. Wie Brekke nun Magnus Torp klarzumachen versucht, grenzt dies den TAT-Ort erheblich ein. Der seltene Käfer lebt nur noch in ausgedehnten Wälder an Seeufern. Schon wieder ein See! Und wo ein See ist, da ist meist auch eine Ferien- oder Jagdhütte. Zwölf Stunden Suchflug über die Östmark investiert Torp, dann gibt er auf. Brekke investiert ein paar Stunden in die Suche mit Google Earth, bevor er fündig wird: Nur ihr Schatten verrät die getarnte Jagdhütte.

Unter dem Grill der Hütte findet das CSI-Team ein Skelett. Doch wem gehört es, lautet die Eine-Million-Dollar-Frage. Für eine Frau ist das Skelett nämlich etwas zu groß…

Nathan Sudlow

2006 wird im Bundesgefängnis von Huntsville, Texas, der Mehrfachmörder Nathan Sudlow auf sein letztes Stündlein im Todestrakt vorbereitet. Ein Pater hat die Hoffnung auf die Rettung von Nathans Seele nicht aufgegeben. Tatsächlich findet sich Nathan bereit, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Er war einst ein Auftragskiller einer Abteilung der CIA. Obwohl er verheiratet war und ein Tochter hatte, sollte er immer wieder auf die Jagd nach Verrätern gehen. Einer davon war ein Russe.

Er dachte, er hätte ihn seinerzeit – war wohl anno 89 – auf der Verrazzano-Brücke erwischt, aber das war wohl ein Irrtum. 1994 sollte er ihn erneut jagen, also fuhr er mit einem Hurtigruten-Postschiff von Oslo nach Kirkenes an der Nordspitze des Landes. Nur um diese Sache abzuschließen – und um Rache für die Ermordung seiner Familie zu üben. Auf dem Schiff verführte er die Kellnerin Monica, die von einem gemeinsamen Leben mit Nathan zu träumen begann, sobald sie diese letzte Fahrt abgeschlossen hätte. Es kam anders, und Monica fiel über Bord.

Der Pater vergibt dem Todeskandidaten. Sudlow wird auf seine letzte Lagerstatt geschnallt, die Arzt führt die Kanülen der beiden Giftspritzen in die Venen ein. Alles ist bereit: die Telefonleitung zum Büro des Gouverneurs, das gespannte Publikum auf fünf Journalisten und einem Unbekannten. Als die erste Giftampulle in Sudlows Venen geleert wird, um ihn zu lähmen, klingelt das Telefon des Gouverneursbüros. Der Direktor des Gefängnisses ist alarmiert, bricht die Prozedur ab und lässt den Notarzt kommen. Sudlow darf auf keinen Fall sterben. Aber warum?

Mein Eindruck

Lange Zeit rätselt der Leser, wie die drei scheinbar parallel verlaufenden Handlungsstränge miteinander zusammenhängen: die Vorbereitung der Hinrichtung Sudlows, die von ihm beschriebene „Kreuzfahrt“ auf dem Hurtigruten-Schiff – die in Wahrheit ein Mordauftrag ist – und schließlich die aktuelle Mordserie. Alles hängt wirklich miteinander zusammen, aber ganz anders, als sich der Leser das irgendwie ausmalt. Mehr darf nicht verraten werden.

Auch sämtliche Vermutungen über Stig Hellum, die Torp, Brekke und Hox anstellen, gehen an den Fakten vorbei. Auf der Zielgeraden entfaltet sich deshalb ein unglaubliches neues Bild der gesamten Situation. Und nicht nur Lars Hox, sondern auch Magnus Torp geraten unversehens in Lebensgefahr. Wird Anton Brekke trotz seiner Schmerzen seine Kollegen vor dem sicheren Tod bewahren können?

Wie so viele Thriller ist auch dieser eine – raffiniert erzählte – Geschichte über Schuld und Sühne. Die Frage nach der schuld scheint sich zu Anfang von selbst zu beantworten, denn die Schuld des Mehrfachmörders Nathan Sudlow wurde gerichtlich nachgewiesen, nun soll er den ultimativen Preis dafür zahlen. Die Ironie dabei liegt allerdings in der Entdeckung des Pfarrers, dass Sudlow noch zwei weitere Menschen auf dem gewissen hat. Schließlich hat er in Kirkenes seinen Auftrag ausgeführt, oder nicht?

Romantik auf dem Schiff

Und dann ist da noch der mysteriöse und unbewiesene Tod Monica Knudsen, der Kellnerin auf dem Hurtigruten-Postschiff nach Kirkenes. Sie ging über Bord, doch drei angetrunkene Norweger meldeten ihr Verschwinden erst eine Stunde später. Die anschließende Suche im Meer verlief ergebnislos. Magnus Torp hat nach der Entdeckung jener Jagdhütte in der Östmark ein paar Hinweise erhalten und untersucht die Geschehnisse auf dem Hurtigruten-Postschiff anno 1994.

Dabei stößt er auf Nathan Sudlow, der vorzeitig von Bord gegangen ist und sofort in die Staaten geflogen sein muss. Er stößt auf die Namen der drei Männer, die vielleicht Monica Knudsen vergewaltigen wollten. Interessanterweise leben die drei Männer noch, doch nun, rund dreißig Jahre später, sterben ihre Frauen eine nach der anderen. Hatte da noch jemand eine Rechnung offen und arbeitet nun eine Liste der Vergeltung ab? Doch wer kann über solche Interna verfügen und die diversen Verbindungen zwischen den Männern herstellen? Der Mann müsste doch polizeiliche Angaben beschaffen – oder einer der genialsten Hacker aller Zeiten sein. Was angesichts der Tatsache, dass die meisten alten Unterlagen von 1994 noch immer nicht digitalisiert sind, relativ unwahrscheinlich ist.

Magnus Torp kommt einer fatalen Verbindung auf die Spur, die die SOKO übersehen hat. Doch nachdem zwei der Frauen getötet worden sind, bleibt noch eine übrig: Wer ist es? Wie kann man sie warnen? Und wo zum Geier ist sie zu finden? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, der die Spannung ins Unermessliche steigen lässt.

Die Übersetzung

S. 350: „CPR-Wert“: Vorher war immer vom CRP-Wert die Rede. „Der CRP-Wert ((https://www.meinmed.at/untersuchung/crp/2680)) ist ein Entzündungsparameter. Bei Infektionen, Entzündungen und Gewebsschäden ist der Wert erhöht. Das CRP wird im Blut gemessen. Beim gesunden Menschen liegt der CRP-Wert unter 5 mg/l (0.5 mg/dl) Blutserum.“

S. 350: „tendiert gegen null“: Neudeutsche Prägung anstelle von „strebt gegen null“.

Unterm Strich

Ich habe diesen meisterhaft verrätselten Thriller in wenigen Tagen gelesen. Ich bin sicher, dass der Norwegische Buchhandelspreis völlig in Ordnung geht. Auch ich musste die drei Handlungsfäden erst miteinander in Verbindung bringen, denn der Autor tut dem Leser nicht den gefallen, ihm mehr zu verraten, als die Figuren wissen können. Bei der Lektüre befindet sich der Leser also quasi auf Augenhöhe mit den Ermittlern Magnus Torp und Anton Brekke.

Das hat zur Folge, dass bis zum Schluss nicht klar ist, wer hinter der Mordserie in Fredrikstad und Oslo steckt. Deutlich ist nur die Erkenntnis, dass der Mann endlich die letzte noch offene Rechnung begleichen will und sich von nichts davon abbringen lässt. Die dritte Frau – wer auch immer sie ist – muss dringend gewarnt werden, aber bis zum Schluss ist unklar, wo sie sich aufhält. Wird sie überleben? Es sieht lange Zeit nicht so aus.

Ich habe selten einen derart raffiniert erzählten Thriller gelesen. Er sei allen Fans von Spannung, Romantik und Norwegen wärmstens empfohlen.

Taschenbuch: 512 Seiten
O-Titel: Gjemsel
Aus dem Norwegischen übersetzt von Andreas Brunstermann.
ISBN-13: 9783442206483

https://www.penguinrandomhouse.de/Paperback/Nachtjagd/Jan-Erik-Fjell/Goldmann/e612333.rhd

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