Kraus, Susanne – Knochenpoet, Der

Mit „Der Knochenpoet“ brachte die 1966 geborene Autorin Susanne Kraus im April dieses Jahres ihren ersten historischen Roman auf den Markt. Die „Autorin zum Angreifen“ – ein Versprecher bei einer ihrer Lesungen brachte diesen Ausspruch zu Wege, den sich die Schriftstellerin dann humorvoll aneignete – studierte Osteuropäische Geschichte, Französische Philologie und Slawistik und schloss 1993 als Magistra Artium ab. Es folgte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, u. a. in einer diakonischen Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung und in der Pressestelle der Stadtverwaltung Kaiserslautern. Seit 2004 arbeitet sie für die Stadtbibliothek Kaiserslautern und ist derzeit mit der Fortsetzung von „Der Knochenpoet“ beschäftigt.

Der Roman entführt uns ins Lautern vor ca. 850 Jahren, als das Flüsschen Lauter noch munter an der Erdoberfläche entlang plätscherte und in dem Ort wohl noch nicht mehr als hundert Menschen wohnten. Mit dem heutigen Kaiserslautern also nicht zu vergleichen. Die Ankunft des Kaisers Friedrich, auch Barbarossa genannt, steht für den nächsten Tag an und in der Burg Beilstein herrscht helle Aufregung. Eine Truhe mit Knochen wurde gefunden, aber wer ist der oder die Tote?
Um böse Eventualitäten auszuschließen, erfindet das Burgfräulein Rotrund von Saulheim die passende Geschichte einer Heiligen, deren Knochen nun ein durchgereister Mönch als Dank für Speis und Trank dagelassen hatte, und verfrachtet die Truhe kurzerhand aus der Reichweite unangenehmer Fragen.

Bereits am selben Tag taucht der Spielmann Trushard Scharfzunge aus Köln in der Burg auf und wird wie erwartet von Rotruds Vater, dem Ministerialen (unfreie Dienstleute, d. Verf.) Merbodo von Beilstein, umgehend abgewiesen. Spielleute sind rechtloses, unsittsames und unerwünschtes Pack, das kein anständiger Burgherr beherbergen möchte. Doch der Vater hat nicht mit seiner ungehorsamen Tochter gerechnet, deren Herz für den Künstler entflammt ist und die ihn ungeniert zum Bleiben auffordert. Als waschechte Dame in der Burg zwingt sie den „Knochenpoeten“, wie er aufgrund seiner knochendürren, hochgewachsenen Gestalt betitelt wird, zu einem ausgiebigen Bad, bei dem sie die Geschichte seines von Wunden bedeckten Rückens erfährt. Wibald von Turme ist der Schänder – ein Name, der ihr wohl vertraut ist, hatte dieser brutale Zeitgenosse doch fünf Jahre zuvor ihre Schwester vergewaltigt und damit in den Selbstmord getrieben.
Doch die schlimmste Nachricht folgte: Wibald befand sich im Gefolge des Kaisers und damit auf dem direkten Weg zu ihrem Vater, der die Schmach und den Verlust seiner Tochter nie verwunden hatte. Wie sollte sie verhindern, dass die beiden aneinander gerieten und ihr Vater sie und ihren fünfjährigen Bruder ins Unglück stürzte?

Am nächsten Tag sieht sie ihre Befürchtungen Realität werden. Ihr Vater schlägt Wibald in einem Anfall von Raserei und nur mühsam gelingt es ihr, ihn von weiteren Handgreiflichkeiten abzubringen. Barbarossa, der über den unerfreulichen Zwischenfall natürlich informiert wird, setzt für den nächsten Morgen ein klärendes Gespräch zwischen den beiden Kampfhähnen an. Doch dazu soll es nicht kommen.
Rotrud, wild entschlossen, ein öffentliches Duell zu verhindern, um nicht zur Waisen zu werden, sieht in einem privaten Gespräch mit Wibald die Rettung. Sie will ihn überzeugen, sich unter vier Augen bei ihrem Vater zu entschuldigen, stattdessen wird sie Ohrenzeuge seines Todes und vom Mörder, den sie leider nicht gesehen hatte, verfolgt. Als Wibald erwartungsgemäß nicht zum Gespräch vor dem Kaiser erscheint und der Mord diesem gemeldet wird, stellt Barbarossa ihren Vater unter Arrest. Doch diesem gelingt prompt die Flucht und er versteckt sich erstmal erfolgreich. So bleibt Rotrud nichts anderes übrig, als sich Trushard zu schnappen und auf Spurensuche zu gehen. Verdächtige gibt es glücklicherweise genug, zu denen aber unglücklicherweise auch der Knochenpoet gehört…

Tja, und nun? Um es vorweg zu nehmen: Eigentlich finde ich den Roman gut. Für ein Debüt auf dem historischen Grund und Boden auch ganz standfest. Zwei verschiedene Handlungsstränge – der Mord an Wibald und das Rätsel um die Knochentruhe – eignen sich hervorragend, um den Leser neugierig werden zu lassen. Ein flüssiger Schreibstil, eine treue Personencharakterisierung und zwielichtige Gestalten sind auch immer gut und leider nicht immer vorhanden. Aber im Großen und Ganzen hätten wir die Vorteile damit auch schon erschöpft.

Was mich am meisten stört, sind die Charaktere selbst. Warum sind es immer junge Frauen, die nicht in ihre Zeit gehören wollen, weil sie sich der männerdominanten Mittelalterzeit nicht anpassen möchten? Weil es sonst zu langweilig wäre, schon klar. Aber können sich unsere Autoren nicht mal etwas Besseres einfallen lassen als eine zu selbstständige und zu gebildete Heldin, die sowieso immer solo ist, damit sie sich zu allem Übel noch in einen unpassenden Zeitgenossen verlieben kann? Als eine Abenteurerin, die ihren Mund nicht halten kann, sich ritter- und heldenhaft in Detektivgeschichten verwickeln lässt, um ihre kleine Welt zu retten, in der sie ja ohnehin nicht leben möchte? Gut, in einem Punkt hat mich Rotrud nicht enttäuscht: Mit ihr wurde endlich mal eine Heldin geboren, die Mut zur Hässlichkeit beweist. „Ich hingegen besaß nur die Sturheit eines Esels und die Attraktivität eines Suppenhuhns.“ Dieser Satz bezauberte mich! Mehr davon!

Der „Knochenpoet“, immerhin Titelgeber des Romans, ist ein typischer Vertreter des „Heldin-verliebt-sich“-Volkes: Ihres Standes unwürdig, dafür sanft und verständnisvoll, humorvoll und geistig erhellt, zärtlich und verspielt – also der perfekte Mann, denn Geld und Ehre sind ja nicht alles. Okay, das mag ja auch stimmen, nur habe ich es ihm nicht abgekauft, erst recht nicht, wenn er einige Seiten später als Hauptverdächtiger dargestellt wird. Meine Phantasie erwacht ja sofort bei der Vorstellung, er wäre wirklich der Täter – wie reagiert unsere tapfere Heldin bei dieser Unmöglichkeit?

Auch leichte Logikschwächen ließ die Autorin nicht aus: Zum einen fürchtet Rotrud, ihren Vater bei einem Duell zu verlieren, zum anderen will sie dessen Widersacher zu einer Entschuldigung zwingen, weil dieser im Kampf wohl unterliegen würde. Was denn nun?
Als sie vom Tatort des Mordes wegläuft und den Atem des Mörders in ihrem Nacken spürt, will uns die Autorin weismachen, dass sich das Mädchen so unter Kontrolle hat, keinen Blick über die Schulter zu werfen. Für mich nicht gerade realistisch, aber nun gut, sei die Heldin eben so diszipliniert in einer dermaßen lebensbedrohlichen Situation.

Aber das ist alles gar nicht so schlimm, wie es sich anhört, denn wie eingangs erwähnt, ist der Roman trotz aller Schwächen durchaus lesenswert und unterhaltsam. Die Geschichte der Knochentruhe entschädigte mich für die kleinen Logikpatzer voll und ganz, die Kabbeleien zwischen dem Liebespaar kamen mir auch sehr bekannt vor und riefen bei mir stellenweise ein breites Grinsen hervor – Männlein und Weiblein können eben nicht mit- und auch nicht ohne einander – und die Story an sich war spannend und fließend aufgebaut. Der Schreibstil war ebenmäßig und las sich komplett ohne Stolpersteine und Grammatikfallen, und das Nachwort von Susanne Kraus erklärt dann die historischen Fakten über Barbarossas Besuche in Lautern. Für die Fortsetzung wünsche ich mir einfach nur etwas mehr Tiefgang bei den Protagonisten, eine Prise mehr Realitätssinn und eine Messerspitze weniger Widersprüche, dann einmal kräftig umrühren und um die schriftstellerische Karriere der Autorin müssen wir uns keine Sorgen machen.

Homepage der Autorin: http://susanne-kraus.homepage.t-online.de