Kurt Singer (Hg.) – Horror 5. Klassische und moderne Geschichten aus dem Reich der Dämonen

Zwischen 1929 und 1953 und damit in der Ära der „Pulp“-Magazine erschienen die hier präsentierten sechs Kurzgeschichten. Feinsinniger Grusel mit Unter- und Zwischentönen ist das nicht; hier wird ausschließlich auf des Lesers Bauch (und Unterleib) gezielt. Die grobe aber trivial-‚reine‘ Form, die zügelfreie Erzählfreude und die weitgehende Abwesenheit politisch korrekter ‚Werte‘ sorgen nichtsdestotrotz – oder gerade – für (altmodische) Unterhaltung.

Inhalt:

– Douglas Leach: Der Teufel von Maniara (The Devil of Maniara, 1933), S. 7-27: Zwei Glücksritter geraten im Dschungel von Neuguinea an einen Irren mit Zauberkräften sowie in Gefahr, ihr Leben als Krokodil fortzusetzen oder als Krokodilköder zu beenden.

– E. Hoffman Price: Vampir auf Spanisch (Spanish Vampire, 1939), S. 28-48: Der junge Mann muss lernen, dass auch ein weiblicher Vampir, eine Frau, treulos ist sowie nicht gegen ihre Blutsauger-Natur handeln kann.

– Harold Lawlor: Hexen, gibt’s die? (Which’s Witch, 1952), S. 49-70: Dem Journalisten vergeht das Lachen, als die von ihm verspottete ‚Hexe‘ echte Zauberkräfte gegen seine Familie einsetzt.

– Robert Bloch: Die Kieker (The Cheaters, 1947), S. 71-105: Der Blick durch die Gläser dieser Brille sorgt für absoluten Durchblick, was noch niemand, der sie trug, oder jemand, der durch sie betrachtet wurde, lange überlebt hat.

– Bassett Morgan: Käpt’n McTeagues Perlen (The Devils of Po Sung, 1929), S. 106-133: Im Dschungel von Neuguinea hat ein chinesischer Hexer ein Reich magischen Terrors eingerichtet, in das es einen allzu gierigen Abenteurer verschlägt.

– Alvin Taylor/Lenn J. Moffatt: Vater und sein Vampir (Father’s Vampire, 1952), S. 134-144: Dem jungen Mann gelingt es, den misstrauischen Blutsauger aus seinem Sarg zu locken, worauf dieser ihm an die Halsvene will.

Schrecken auf vergilbten Papierseiten

1926 begann das Zeitalter der „Pulps“. Kostengünstig auf holziges Papier gedruckte Magazine, die in erster Linie Unterhaltsames boten, hatte es schon früher gegeben, doch nun fanden sie ein Publikum, das gierig auf spannende, gruselige, fantastische Storys wartete. Viel Geld konnten oder wollten sie dafür nicht zahlen, weshalb diese Magazine wenig kosteten. Die Dummen waren die Autoren, die in der Regel mit Hungerlöhnen abgespeist wurden. Überleben konnten nur jene, die auf Masse statt auf Klasse setzten – ein Primat, das jedoch nicht mit dem vollständigen Verzicht auf Unterhaltungsqualitäten gleichgesetzt werden darf.

Tatsächlich gab es Geschichtenerzähler, die vom Druck der „Pulp“-Produktion profitierten. Ihnen blieb keine Zeit, ihre Werke ‚literarisch‘ zu veredeln. Geschrieben – verschickt – gedruckt: Zwischen diesen Stationen lag im besten Fall wenig Zeit. Die Magazine selbst waren für den raschen Verbrauch gedacht; die Kundschaft las und entsorgte sie. Dass hier ein Schatz entstand, den spätere Generationen gleich mehrfach hoben, hätte sowohl die Herausgeber als auch die Autoren dieser „Pulps“ am meisten überrascht.

Doch weil man sich nach Ansicht von Kritikern und Tugendwächtern ohnehin in den sumpfigen Gefilden des Geschmacks suhlte, konnte man auf literarische Konventionen pfeifen. Halten musste man sich nur an das Gesetz, das freilich „Zucht & Ordnung“ recht rigoros definierte und auf Verstöße so humorfrei reagierte, dass es auch in den „Pulps“ faktisch sittenstreng zuging. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg lockerten sich diese Zwänge langsam, weshalb stärker als sonst eine ‚Erotik‘ einsickern konnte, die wir heute eher verdruckst und schlüpfrig nennen.

Die Flucht in die Fremde

Da nützte es wenig, als Schauplatz möglichst abgelegene Weltwinkel zu wählen. Kurioserweise ließen sowohl Douglas Leach als auch Bassett Morgan (d. i. Grace Jones Morgan, 1885-1977) ihre Grusel-Garne auf der Insel Neuguinea spielen. Um 1930 war diese dem typischen „Pulp“-Leser quasi ebenso fremd wie der Mond oder der Mars, weshalb die daraus resultierenden Wissenslücken mit Klischees und Sensationen gefüllt werden konnten. Leach und Morgan ziehen deshalb kräftig vom Leder und schwelgen in einer dampfenden Urwelt, die von (natürlich schwarzen) Kannibalen und Zauberern, asiatischen Folterschurken und menschenfleischgierigen Bestien aller Art bevölkert wurde, die von Natur aus bösartig waren und für (natürlich weiße) Entdecker und Abenteurer hässliche Überraschungen bereithielten.

Wissenschaftliche Akkuratesse war in diesem Umfeld erwartungsgemäß unwichtig, weshalb problemlos Vampir-Orchideen, fremdseelenbewanderte Großechsen oder hirngetauschte Affen ihr Unwesen treiben durften. H. G. Wells „Island of Dr. Moreau“ (1896; dt. „Die Insel des Dr. Moreau“) bildete die ‚Inspirationsquelle‘ für solche Garne, wobei auf die sozialkritischen Elemente grundsätzlich verzichtet wurde: Grusel und Gewalt standen im Vordergrund.

Alte Schrecken in moderner Gegenwart

Die jüngeren der hier versammelten Autoren bevorzugten eine ‚realistischeren‘ Zugang zum Horror. Sie hatten den Zweiten Weltkrieg er- oder überlebt. Auch ihr Publikum reagiert nun skeptisch auf die klassischen Schrecken der Vergangenheit, die dennoch überlebten, gerade weil sie mit der Gegenwart konfrontiert wurden. Der Kontrast zwischen den naiven Schrecken der Vergangenheit und einer neuen Angst, die sich aus dem Kalten Krieg, dem atomaren Wettrüsten und einer Naturwissenschaft speiste und offenbar jede (gottgewollte) Grenze überschreiten konnte, spiegelte sich auch in der trivialen Unterhaltung wider.

E. Hoffman Price (1898-1988) und Alvin Taylor/Lenn J. Moffatt (1922-1993) griffen auf den Vampir zurück, Harold Lawlor (1910-1992) ließ eine Hexe auftreten. Diese Begegnungen fielen gänzlich anders als früher aus. Die beiden Vampire sind der Gegenwart nicht gewachsen und tatsächlich zu Relikten geworden, die in einer technisierten, von Wissenschaften geprägten Welt verloren sind und keine Furcht mehr verbreiten können. Lawlors Hexe tritt hingegen die Flucht nach vorn an. Sie ‚outet‘ sich als Hexe, kleidet sich schick und engagiert einen hippen Architekten für ihr Zauberhaus. Der Autor lässt lange sogar offen, ob die Gattin des dreisten Journalisten wirklich das Opfer schwarzer Magie oder von Suggestion ist. Erst im finalen Twist – die abschließende Überraschung ist typisch für „Pulp“-Storys – fällt die Entscheidung.

Robert Bloch (1917-1993) ist als Autor des Romans „Psycho“ in die (Medien-) Geschichte eingegangen, wobei dieser Ruhm einerseits vor allem auf der Verfilmung durch Alfred Hitchcock (1960) basiert, während Bloch andererseits sehr viel mehr zu bieten hatte als Norman-Bates-Schauder. Ihn faszinierte das ‚normale‘ Böse, das unbemerkt in der Seele bzw. im Hirn des Mitmenschen wohnen und sich urplötzlich Bahn brechen kann. Immer wieder thematisierte er diesen Konflikt und seine möglichen Folgen. „Die Kieker“ bieten die zweischneidige Möglichkeit, in die normalerweise verborgenen Winkel des Geistes zu blicken. Mit dem für ihn typischen Sarkasmus schildert Bloch die Folgen eines Zuviels an „veritas“. „Erkenne dich selbst“ stand angeblich im Apollotempel des antiken Orakels von Delphi geschrieben. Wer hätte gedacht, dass Blochs leichenreiches Garn sich auf eine solche Quelle stützt? Doch (triviale) Unterhaltung schließt das Hehre, Hochwertige eben nicht automatisch aus: Dies ist eine Erkenntnis, die wir zusammen mit schauerlichen, (noch) splatterfreien, wüsten und witzigen Lektürestunden dieser alten, obskuren, vergessenen Sammlung von Horrorstorys verdanken!

Anmerkung

Wie üblich wurde die fremdsprachige Originalsammlung hierzulande ausgeschlachtet, um einen Band zu formen, der die verlagsseitig festgeschriebene ‚Norm-Länge‘ – in diesem Fall 144 Seiten – nicht überschritt. Von ursprünglich 15 Storys blieben auf diese Weise nur sechs, und Kurt Singers Vorwort entfiel selbstverständlich ebenfalls: Horror-Fans gierten nach Ansicht zeitgenössischer Verlage nach (schlüpfrigem) Grusel und nicht nach Informationen! Vier bzw. drei weitere „Satanic-Omnibus“-Kurzgeschichten lassen sich immerhin in den „Vampir“-Taschenbuch-Bänden 16 und 59 („Eiskalt ist die Totenhand“ bzw. „Satansbraten à la Carte“, beide Pabel-Verlag) finden.

Nachwort: Odyssee eines Gruselschatz-Schürfers

Der Mann, dem wir die fünf „Horror“-Bände verdanken, ist Kurt Singer, ein wahrer Zeuge des (20.) Jahrhunderts. Als Kurt Deutsch wurde er am 10. August 1911 in Wien geboren, war Buchhändler und Journalist und gehörte dem linksgerichteten Leninbund an. Solche Zeitgenossen wollten die Nazis nicht dulden und belegten Singer mit einem Berufsverbot. Weil er trotzdem weiter arbeitete und in Gefahr geriet aufzufliegen, wanderte er 1934 aus. U. a. ging er nach Schweden, wo Journalist und Schriftsteller, aber ab 1936 auch für schwedische, norwegische und britische Geheimdienste tätig wurde. Besonders verhasst machte sich Singer den Nazis, als er sich für den verfolgten Schriftstellerkollegen Carl von Ossietzky engagierte und zwei Bücher über ihn schrieb, was mit dazu führte, dass der KZ-inhaftierte Ossietzky mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

1940 kam Singer in die USA. Er stellte sein Wissen dem Geheimdienst zur Verfügung und arbeitete wieder als Journalist, wobei er sich die fremde Sprache bald aneignete. Nach Ende des II. Weltkriegs blieb Singer als Schriftsteller aktiv und baute zudem eine eigene Literatur und Presseagentur auf, vermarktete internationale Zeitungstexte und handelte Bücherrechte. Der politisch aktive Autor wuchs in eine Karriere als Vermittler leichter Unterhaltung hinein und verfasste selbst Bücher über Volkssagen und das Übernatürliche, „True Crime“-Stories und Geistergeschichten. Trotz seines hohen Alters und diverser Krankheiten blieb Singer, in Kalifornien lebend, bis zu seinem Tod im Jahre 2005 aktiv.

Taschenbuch: 144 Seiten
Originaltitel: Satanic Omnibus (London : W. H. Allen 1973)
Übersetzung: Richard Paul
www.randomhouse.de/heyne

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