Mark Greaney – The Gray Man. Unter Killern

Das geschieht:

Courtland Gentry wurden Kampfgeist und Waffengeschick quasi in die Wiege gelegt. Lange hat er sich für die CIA verdingt und als Mitglied einer geheimen Mordschwadron allzu hartnäckigen Feinden der USA abrupte Lebensenden beschert. Vor vier Jahren überwarf er sich mit seinem Arbeitgeber, der ihn auf eine Todesliste gesetzt hat. Gentry fand einen neuen Job als Attentäter im Sold des englischen Adelsmanns Sir Donald Fitzroy, dessen ‚Sicherheitsdienste‘ auch die Eliminierung verhasster Zeitgenossen einschließt. Als „Gray Man“ ist Gentry zur Legende geworden. Er übernimmt und meistert die schwierigsten Jobs, killt aber prinzipiell keine Frauen, Kinder und jungen Hunde, sondern nur echte Drecksäcke, die den Tod verdienen; die Entscheidung behält sich Gentry vor.

Aktuell hat er in Syrien den nigerianischen Energieminister umgelegt, der dort seiner Nebentätigkeit als Terroristen-Handlanger von al-Kaida nachging. Voller Zorn hat der Bruder – Nigerias korrupter Präsident – ein Kopfgeld auf Gentry ausgesetzt. Um dem Nachdruck zu verschaffen, hat er der Laurent Group, die viel (Schmier-) Geld in Nigeria investiert hat, um dort Erdgasschätze ausbeuten zu können, die Zusammenarbeit gekündigt. Der Konzern setzt deshalb Sir Donald unter Druck, entführt seinen Sohn und dessen Familie und zwingt den alten Mann, die eigenen Kameraden auf Gentry anzusetzen.

Als dieser Wind davon bekommt und seine Möchtegern-Mörder sämtlich ausschaltet, wird Laurents Firmenhenker um Rat gefragt. Klaus Riegel setzt zwölf Killer-Teams auf Gentry an, der inzwischen Europa erreicht hat und auf dem Weg in die französische Normandie ist: Dort halten die Laurent-Schergen die Fitzroys fest. Gentry hat vor Jahren die beiden Zwillingsmädchen der Familie kennen- und lieben gelernt. Er will sie unbedingt retten sowie sich an Sir Donald rächen, den er endlich durchschaut hat.

Der Weg in die Normandie wird für Gentry zur endlosen Hetzjagd. Immer wieder gerät er in die Fallen seiner scheinbar übermächtigen Gegner, doch diese stellen fest, dass der „Gray Man“ seinen Ruf keineswegs zu Unrecht genießt …

‚Gut‘ und ‚böse‘: Ansichtssache

Volkes Stimme bringt es gern so auf den Punkt: Die moderne Justiz bietet Kriminellen & Terroristen zu viel Freiraum, während ihre Opfer vernachlässigt bzw. um ihre Gerechtigkeit (= Rache) geprellt werden. Wenn dafür diese Justiz ausgebremst und umgangen werden muss, ist dies kein Zeichen von Unrecht, sondern ein zusätzlicher Beleg für die Schwäche offizieller Stellen, die Strolche schützt, obwohl sie ausgetilgt gehören!

Zumindest die Populärkultur bietet legale Ventile, über die entsprechende Giftgas-Wallungen reguliert = abgeblasen werden können. Schon bevor der „Gray Man“ die Übeltäter dieser Welt das Fürchten lehrte, gaben ähnliche motivierte Vigilanten vertierten Strolchen Saures. Gutmenschliche Bewahrer von Gesetz und Ordnung regen sich zuverlässig darüber auf, was denen, die sich auf der Seite der (imaginären) Rächer schlagen, zusätzlich das angenehme Gefühl verschafft, einem System, mit dessen Werten sie sich nur bedingt identifizierten, ein Schnippchen schlagen zu können.

Nach „9/11“, dem Anschlag auf das World Trade Center in New York City im Jahre 2001, sind vor allem die „towels heads“ des Nahen Ostens in den Fokus entsprechend motivierter Kreise gerückt. Es fällt leicht sie zu hassen, da sie ihren Nimbus als schäumende, mordlüsterne, sadistische Irre förmlich zelebrieren und den Terror zum Selbstzweck erklärt haben. Gleichzeitig sind sie schwer zu fassen, da sie sich verborgen halten und aus dem Untergrund zuschlagen. Vor allem für die USA, die als selbsternannte Weltpolizei dem globalen Terrorismus den Krieg erklärt haben, ist das ein Problem, da dieser Kampf offenbar ebenfalls schmutzig geführt werden ‚muss‘, was unwillkommene aber berechtigte Kritik hervorruft.

Schurken-Schädel bersten in Serie

Nicht einmal unbemannte Killer-Drohnen werden von den lästigen Mahnern geduldet, weil bei ihrem Einsatz hin und wieder ein paar Unbeteiligte auf der Strecke bleiben („Kollateralschäden“). Soll man sich etwa mit den Strolchen zusammensetzen, mit ihnen diskutieren oder gar aus den besetzten Ländern abziehen, die man befreien will – koste es, was (oder wen) es wolle? Da sträuben sich zumindest den Falken die Federn: Pack muss unter Wahrung des Befreier-Stolzes ausgerottet werden!

Weil das in der Realität nicht klappt, darf man immerhin davon träumen. Autoren wie Mark Greaney helfen dabei, den Schurken der Welt wenigstens auf dem Papier die Felle zu gerben. Zwar spielt „The Gray Man“ primär in Mitteleuropa, doch zur Einführung gibt es einen Abschnitt, der Hauptfigur „Court“ (= das – jüngste – Gericht) Gentry in Syrien zeigt, wo er entmenschte Muselmänner, die heulend über den Leichen heimtückisch gemeuchelter US-Soldaten tanzen, mit bierflaschengroßer Spezialmunition zum Bersten bringt. Die Schurkenstaaten des (Nahen) Ostens bleiben präsent, wenn später zwölf Killer-Teams auf Gentry angesetzt werden; die korrupten Geheimdienste korrupter Drittwelt-Staaten senden sie aus, weil ein skrupelloser Global-Konzern sie als Mordschergen anheuert.

Damit sind zwei weitere, typische Gegner moderner Military-Thriller identifiziert, zu denen sich als willfährigen Helfershelfer noch Politiker und Advokaten gesellen – gesichtslose Karrieristen, für die nur Macht und Profit zählen. Altmodische Werte wie Vaterlandsliebe, Loyalität und Kameradschaft werden höchstens von Außenseitern wie dem patriotischen Frontsoldaten oder Einzelgängern wie dem „Gray Man“ hochgehalten.

Die Maus jagt die Katzen

Üblicherweise sind Geschichten, die in diesem Geist entstehen, rechtspopulistische Delirien, wie sie in Kieselstein-Hirnen der Baureihe „The Trump“ wuchern: dumm, realitätsfern, unfreiwillig lächerlich. Mark Greaney entgeht dieser Falle, indem er seinen ansonsten zweifellos einfädig gestrickten Helden aus dem „Wilden Osten“ herausholt und auf eine Hetzjagd schickt, die ihn durch ein ebenfalls ausgedachtes Europa führt: Plötzlich bewegt sich Greaney auf einem Terrain, das ähnlich faktenfern aber spannend vor ihm vor allem britische Autoren ausgiebig beackert haben.

Ostblock-Gesindel, schweigsame und schon dadurch als gefährlich identifizierte Asiaten oder eisenhart durchgreifende Deutsche: Sie bevölkern den angelsächsischen Thriller seit der Ära des Kalten Krieges und haben dank Greaney & Co. eine Nische gefunden, in der sie weiterhin tücken können. Anders als die „towel heads“ müssen sie nicht stellvertretend (= niederträchtig) für das gesamte Herkunftsland stehen, sondern dürfen (schäbige) Individualität ausdrücken. Als solche schrumpfen unsere Killer zu farbenfroh eingefärbtem Kanonenfutter, wie wir es auch aus dem B-Kino oder dem Fernsehen als ‚Indianer‘, ‚Nazis‘ oder ‚Latino-Drogendealer‘ kennen: Sie sind fies, gemein und hässlich und werden vom Helden fließbandmäßig und abwechslungsreich ins Jenseits befördert.

Vor solcher Kulisse schwinden die Bedenken kritisch eingestellter Leser. Deshalb hätte Greaney sich die Scheinheiligkeit sparen können, mit der er ebenso ausführlich wie umständlich die Mordlust seines Helden ‚moralisch‘ begründet. Er wird dadurch keineswegs sympathischer oder gewinnt – wie beispielsweise Lee Childs Jack Reacher, ein anderer selbsternannter Strolch-Ausrotter – ein Profil. Das ist gar nicht nötig, denn Court Gentry ausschließliche Aufgabe ist es, die Handlung voranzutreiben.

Immer in Bewegung bleiben!

Die ist angenehm eindimensional, was auch dem feierabendmatten Leser den Lektüregenuss erleichtert. Faktisch geht es für Gentry darum, sich von Punkt A – Syrien – nach Ziel Z – die Normandie – zu bewegen. Zwischen B und Y tappt er immer wieder in Todesfallen und trifft auf gegnerische Killer sowie ahnungslose Ordnungshüter, die ihn zusätzlich behindern, zumal letztere dem Gentry-Kodex entsprechend nicht einfach niedergemacht werden dürfen.

Natürlich entkommt Gentry stets. Wie ein Stehaufmännchen springt er aus den Trümmern zusammengeschossener, zersprengter Verstecke und kommt über seine entsetzten Gegner. Dann geht es weiter – bis zum nächsten Metzel-Aufenthalt. So schießt und sticht sich Greaney dem Finale entgegen und füllt dabei Buchseite um Buchseite. Für retardierende Komplikationen sorgt die Tatsache, dass Gentry endlich angekommen a) aus tausend eigentlich tödlichen Wunden blutet und b) nicht einfach alles umlegen kann, was vor ihm auftaucht, sondern auf zwei kleine Mädchen Rücksicht nehmen muss; ein durchsichtiger Versuch, die Spannung zu schüren, und ein nutzloser dazu, denn obwohl er ständig angeschossen, verprügelt oder beinahe ertränkt wird, zeigt Gentry keine glaubhaften Schwächen. Schmerzen und Erschöpfung schüttelt er ab wie die sprichwörtliche Ente das Wasser und ist fit für den nächsten (Over-) Kill.

Dieses Hit-&-Run-Schema ist einfach aber eben auch thementauglich. „The Gray Man“ ist echtes Lesefutter bzw. -fastfood. Die Simplifizierung der komplizierten Realwelt, ihr Downsizing auf „schwarz“ oder „weiß“, „gut“ oder „böse“ erfüllt eine unterdrückte Sehnsucht. Darüber hinaus weiß Greaney Gentrys kontrollierten Amoklauf spannend darzustellen. Er legt dabei ein solches Tempo vor, dass Logiklöcher beachtlicher Tiefe förmlich überflogen werden. So wundert der Erfolg dieses Romans ebenso wenig wie die Tatsache, dass Greaney ihn zu einer Serie ausbaute: Auf diesem Globus gibt es genug Abschaum, den ein unternehmungslustiger Autor profitabel abschöpfen kann!

Autor

Mark Strode Greaney wurde 1968 in Memphis, US-Staat Tennessee, geboren, wo er mit seiner Familie weiterhin lebt. Nach seinem Studium der Politwissenschaften arbeitete Greaney viele Jahre im (internationalen) Handel, was ihn oft ins Ausland führte; die dort gewonnenen Ortskenntnisse und Erfahrungen konnte er später nutzen.

Als Schriftsteller debütierte Greaney 2009 mit „The Gray Man“ (dt. „The Gray Man – Unter Killern“). Die Geschichte vom ehrenwerten Killer, der nur richtig böse Zeitgenossen heimsucht, fand ein geneigtes Publikum, das Action-Garne mit moralisierendem Unterton schätzt. Greaney beschloss, Vollzeit-Autor zur werden. Er schrieb weitere Romane um den „Gray Man“ und erregte die Aufmerksamkeit des ungleich erfolgreicheren Schriftstellers Tom Clancy, dessen Military-Thriller um den CIA-Agenten und späteren US-Präsidenten Jack Ryan in den Jahren nach 2000 immer seitenstärker wurden, während die Gesundheit ihres Schöpfers nachzulassen begann.

Um das Ryan-Franchise am Leben zu erhalten, assistierte Greaney Clancey ab 2012 bei drei Romanen. Als Clancey 2013 starb, übernahm er die Ryan-Serie gänzlich, obwohl sein Name wie zuvor nur klein auf die Umschläge gedruckt wird, um denkschwachen Käufern vorzugaukeln, dass diese weiterhin von Clancey geschrieben werden.

Wie es sich für einen prominenten Unterhaltungsautor gehört, bereitet Hollywood den ersten „Gray-Man“-Thriller für die Verfilmung vor. Wann (oder ob) jemals ein Drehbuch die berüchtigte „development hell“ verlassen wird, steht allerdings in den Sternen.

Mark Greaney im Internet

Taschenbuch: 445 Seiten
Originaltitel: The Gray Man (New York : Jove Books/Berkley Books/Penguin Group 2009)
Übersetzung: Claudia Rapp
Cover: Panthermedia
www.festa-verlag.de

eBook: 1026 KB
ISBN-13: 978-3-86552-406-5
www.festa-verlag.de

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