Martin Alexander – Silben der Macht (Die Chimäre 1)

Die Chimäre

Band 1: „Silben der Macht“
Band 2: „Aufstand der Harpyen“

Ezra ist ein Biestweib, eine sogenannte Chimäre. Allerdings eine ganz besondere: man sieht ihr nicht an, daß sie ein Mischwesen ist! Ihr Äußeres ist rein menschlich, ihre Fähigkeiten allerdings nicht.
Die Leute spüren ihr Anderssein und begegnen ihr mit Misstrauen und Furcht. Und als Kopfgeldjäger in ihr Dorf kommen, zögert der Dorfvorsteher keine Sekunde …!

Das Interessanteste an diesem Roman ist der zeitliche Ablauf. Die Geschichte verteilt sich auf drei Ebenen.

Der Hauptteil handelt von Ezras Erlebnissen, nachdem sie ihr Heimatdorf verlassen hat. Daneben läuft ein dünnerer Handlungsfaden, dessen Helden Gremlins sind, und der lange nach den Ereignissen des Hauptteils spielt. Und dann ist da noch ein ganz kurzer Teil, der irgendwo dazwischen liegt und aus der Sicht eines Festungskommandanten erzählt wird.

Alle drei sind genau aufeinander abgestimmt und ergeben dadurch einen ganz überraschenden Schluss. Aber ich greife vor …!

Als eine Mischung aus Mensch und Berglöwe ist Ezra eine sehr eigenwillige junge Frau. Abgesehen davon, dass sie hervorragend springen und klettern kann und überdurchschnittlich zäh und ausdauernd ist, macht sich vor allem ihr Unabhängigkeitssinn bemerkbar. Sie lässt sich weder einsperren noch sonst irgendwie aufhalten, außerdem hat sie ein ziemlich aufbrausendes Temperament und wenig Geduld. Wenn man ihr allerdings etwas plausibel beibringen kann, ist sie durchaus bereit, auch mal auf andere zu hören.

Im Großen und Ganzen eine recht sympathische Zeitgenossin, die durchaus in der Lage ist, die Handlung zu tragen.

Tatsächlich könnte sie wahrscheinlich sogar etwas mehr tragen als das, was die Handlung ihr erlaubt. Denn die ist, gelinde gesagt, etwas zu zahm. Nachdem Ezra den Kopfgeldjägern entkommen ist, will sie ihre Löwennatur loswerden, um eine einfache Menschenfrau zu werden und sich nicht mehr verstecken zu müssen. Dafür muss sie ihre Schöpfer finden, töten und deren jeweils letzte Silbe einatmen.

Schade nur, daß das alles so unglaublich reibungslos funktioniert. Ezra muss für ihre Befreiung fast den gesamten Kontinent durchqueren, sie ist genauso viel unterwegs, wie sie sich an irgendwelchen Orten aufhält. Doch die Reisen werden mit wenigen Sätzen abgehakt. Eigentlich hatte ich in einem Land, in dem vor noch nicht allzu langer Zeit Krieg geherrscht hat, größere Probleme erwartet als das Spülen von Geschirr.

Und nicht nur Ezras Reisen verlaufen so glatt. Irgendwie ist immer zufällig gerade der- oder dasjenige vorhanden, was Ezra braucht, um ihr Ziel zu erreichen. Im Falle der Objekte mag das daran liegen, dass Ezra eine findige Person ist, die zu nutzen versteht, was ihre Umgebung ihr bietet. Aber im Falle der Personen zieht dieses Argument leider nicht.
Außerdem störte mich die geringe Gegenwehr der Magier selbst. Nur einer leistet einen Hauch von Widerstand, allerdings hatte ich von Meistern der arkanen Kunst etwas mehr erwartet als das, was da geboten wurde. Folglich fehlt nicht nur der Showdown, es fehlt dem Buch überhaupt an Spannung.

Dafür ist es einfallsreich. Staubklingen, blinde Geigenspieler, Gargylen und ungewöhnliche Nonnenorden machen die Welt bunt und interessant, und die unterirdische Welt der Gremlins bietet mindestens so viel Flair wie die oberirdische, obwohl sie nur einen kleinen Teil der Geschichte ausmacht. Das liegt nicht nur an der Idee der Schicksalstafeln und dem Ehrenkodex der Enthüller-Gremlins, sondern auch an der sehr lebendig geratenen Darstellung der Figuren Eks, Surr und Inji.

Aber auch bei all diesen Ideen wird kaum ins Detail gegangen. Das hohe Erzähltempo lässt dafür keine Zeit. So erfährt der Leser zum Beispiel nicht, wie es gelungen ist, eine Chimäre wie Ezra zu schaffen, die nicht aus Teilen verschiedener Lebewesen zusammengeflickschustert wurde. Tatsächlich kommt die Anwendung von Magie in diesem Buch überhaupt nicht vor. Vielleicht muss man dafür den Debut-Roman des Autors lesen, der in derselben Welt spielt, von diesem Buch aber unabhängig ist.

Unterm Strich bietet die Geschichte um Ezra gelungene Figuren, eine fantasievolle Welt sowie einen Plot, der durchaus spannend hätte werden können, hätte er sich nicht quasi im Vorbeigehen abhaken lassen.
Nun habe ich nicht unbedingt ein Problem damit, wenn Bücher nicht spannend sind, so lange sie anderes zu bieten haben. Hätte es sich um die Geschichte einer jungen Forscherin gehandelt, die unbedingt einem besonderen Geheimnis auf den Grund gehen will, hätte das ebenfalls eine nette Geschichte werden können, allerdings wäre eine detailreichere Ausschmückung dann wünschenswert gewesen.
Aber die Jagd auf skrupellose, mächtige Zauberer auf einem kriegszerstörten Kontinent mit marodierenden Söldnern und Kopfgeldjägern eines religiösen Ordens schreit geradezu nach Schwierigkeiten aller Art. Selbst die Hauptfigur Ezra ist genau für ein solches Szenario gezeichnet.
Deshalb bedeutet fehlende Spannung in einem solchen Buch ein gravierendes Manko, und deshalb kann Ezra dieses Manko auch nicht ausgleichen, genauso wenig wie all die anderen gelungenen Ideen, die kleinen Überraschungen und die unterschiedlichen Zeitebenen.
Der Schluss schließlich ist so unbefriedigend, daß eine Fortsetzung zwingend notwendig erscheint. Und es wird sie auch geben. Ich weiß allerdings nicht, ob ich sie lesen will.

Martin Alexander hat Amerikanistik studiert, ist ehemaliger Kriminalkommissar und begeisterter Kinogänger. Sein Debutroman „Der Meister der Türme“ erschien 2014, der zweite Band zu Die Chimäre ist derzeit in Arbeit.

Broschiert 416 Seiten
ISBN-13: 978-3-404-20825-8

martinalexanderbooks.de
www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)