Masterton, Graham – Opferung, Die

_All die Kinder, oh du Graus, nunmehr sind sie Jenkins Schmaus …_

Brown Jenkin ist für mich eines der furchterregendsten Geschöpfe, die H. P. Lovecraft jemals auf seine Leser losgelassen hat. So groß wie eine Ratte sei es, beschrieb der Meister einst, mit einem pelzigen Gesicht, dessen Züge etwas bösartig Menschliches aufwiesen, während seine schrecklich kichernde Stimme in allen Zungen sprechen konnte …

Dabei ist es der subtile Terror, der Brown Jenkin ausmacht: Es ist kein kriechendes Chaos, das die gesamte Menschheit aus den Abgründen der Zeit heraus zu vernichten versucht, und es ist auch kein tentakelbewehrter Dämon aus den Tiefen äonenalter Ozeane; ein kicherndes kleines Scheusal ist es, das in den fiebrigen Träumen der Bürger von Bonchurch herumkriecht, und zwischen den verfluchten Wänden von Fortyfoot House.

Lovecraft hatte den teuflischen Hybriden schon 1881 durch Gilmans „Träume im Hexenhaus“ schleichen lassen, Graham Masterton indes lässt Brown Jenkin in unserer Zeit wieder auftauchen und verbeugt sich mit „Die Opferung“ tief vor der Ikone des angedeuteten Übels:

_Von nächtlichen Lichtern und menschlichen Ratten._

David Williams hat gerade eine schwere Trennung hinter sich und sucht sich eine zurückgezogene Arbeit, die ihn auf andere Gedanken bringen soll. Zu diesem Zweck scheint Fortyfoot House geradezu einzuladen: Ein altes, viktorianisches Gemäuer, das David renovieren soll. Kurzentschlossen schnappt er sich seinen Sohn Danny und zieht dort ein; Warnungen um nächtliche Lichter und mysteriöse Geschehnisse, die ihm von den Dorfbewohnern entgegenbranden, ignoriert er.

Schon in der ersten Nacht allerdings wird er von nächtlichen Geräuschen um den Schlaf gebracht. Ratten, dessen ist er sich sicher, treiben sich in den Zwischenwänden herum und verleiden ihm eine durchgängige Nachtruhe. Also steigt er auf den Dachboden, um den Ruhestörern den Kampf anzusagen, und auch wenn es überflüssig ist, das anzumerken: Ratten findet er dort keine.

Empfänglicher für übernatürliche Schwingungen, durchforstet David am nächsten Morgen den Garten und findet dort neben einer unheimlichen Kapelle einen Friedhof, auf dem nur Kinder bestattet liegen – die seltsamen Erscheinungen, die ihn schon jetzt heimzusuchen beginnen, schreibt er noch seiner überreizten Fantasie zu.

Dann trifft er Liz. Sie ist eine junge Studentin, und wollte sich aus Geldmangel im verlassenen Fortyfoot House einnisten. David ist heilfroh über einen „vernünftigen Geist“ und lädt das Mädel dazu ein, ihm und seinem Sohn Gesellschaft zu leisten, so lange es möchte – ein Vorschlag, dem Liz nur zu gerne zustimmt.

Schon bald aber bröckelt die Idylle: Die unerklärlichen Erscheinungen werden häufiger und rücken den Bewohnern von Fortyfoot House immer dichter auf den Leib, so dicht, bis David beginnt, Nachforschungen anzustellen, um den Ursachen auf den Grund zu kommen. Hat er die Ängste der Dorfbewohner anfangs noch für maßlose Übertreibungen gehalten, so muss er jetzt einsehen, dass diese nur an der Oberfläche des Schreckens schaben, der hinter dem verrotteten Gemäuer lauert: Raum und Zeit stehen Kopf, Brown Jenkin wird zur Schachfigur eines kosmischen Grauens, das in Fortyfoot House seinen Anfang und seine Vollendung finden soll …

_Frischer Wind in alten Gemäuern._

„Die Opferung“ ist Geisterhaus-Grusel, wie er typischer nicht sein könnte, Punktum.
Ganz im Sinne seines kauzigen Vorbildes lockt Masterton den Leser von Andeutung zu Andeutung, konfrontiert ihn mit verschlossenen Dorfbewohnern, die sich kaum Informationen aus der Nase ziehen lassen, und lässt den Schrecken hinter den Mauern von Fortyfoot House nur schemenhaft erscheinen: Der Leser weiß, dass es sich bei all den Unheimlichkeiten nur um die Spitze des Leichenberges handelt, und fragt sich bange, wann David Williams vollends vom Grauen verschlungen werden wird, das durch seine Ankunft aufgeweckt wurde.

Einen Originalitätspokal bringt das nicht, aber das macht nichts: Es geht um Atmosphäre, und die gibt es in „Die Opferung“ satt. Masterton weiß genau, wie man den Leser nach einem nächtlichen Lesevergnügen dazu bringt, das Licht nur mit Unbehagen zu löschen. Vor allen Dingen die erste Hälfte des Buches zeichnet sich durch das Ungesagte aus, das höchstens im Augenwinkel auftaucht, und damit umso verstörender wirkt. „Die Opferung“ ist eine Story wie ein kühler Abendwind: Geheimnisvoll, frisch und man bekommt eine Gänsehaut davon.

_Schlaglöcher auf der Zielgeraden._

Masterton, der 1946 in Edinburgh geboren wurde, muss ein wahrer Schreib-Besessener sein: Nach [„Manitou“ 754 (1975) hat er 72 weitere Romane veröffentlicht (wenn ich richtig gezählt habe) und dabei habe ich nicht die Sex-Ratgeber berücksichtigt, die er in ebenfalls schwindelerregender Zahl verfasst (über 30) und verkauft (über drei Millionen) hat.

Ein derart gigantischer Output verlangt natürlich auch eine flotte Schreibe, und zu deren Gunsten hat Masterton im letzten Drittel des Buches ein wenig die Sorgfalt vermissen lassen: Er möchte zu einem Ende kommen, das merkt man besonders daran, dass David Williams nicht immer, sagen wir, lebensnahe Entscheidungen trifft. Auch das Schlachtermesser, das zum Schluss Regie führt, hätte es nicht unbedingt gebraucht.

Dem Lesespaß fügt das aber keinen nennenswerten Schaden zu, denn der Gruselfaktor bleibt enorm. Die vielen Anspielungen auf das Lovecraft-Universum entschädigen überdies für die gelegentlichen Naivitätsanfälle von David Williams und für die Abkehr vom Subtilen.

Masterton kann sich außerdem das eine oder andere Augenzwinkern nicht verkneifen und verdeutlicht somit, dass es eben dieser Spaßfaktor war, der ihn beim Schreiben angetrieben hat: „Die Opferung“ ist somit kein bierernstes Schauermärchen, sondern gruseltechnisches Popkorn-Kino.

_Finale: unbefriedigend befriedigend._

Das wiederum hat zur Folge, dass die Schaueratmosphäre nicht bis zur letzten Seite durchhält. Wo Lovecraft einen verstörten Leser zurücklässt, der die Fundamente seiner vernünftigen Welt plötzlich als bröckelnde Fassaden wahrnimmt, hinterlässt Masterton einen Leser, der mit einem zufriedenen Schaudern sein Buch zuschlägt. „Die Opferung“ ist rund und ausgewogen, es bleiben keine Fragen offen und jeder Handlungsstrang schließt sich. Selbst Brown Jenkin bekommt eine Ursprungserklärung auf den Leib geschneidert. Oh, die ist nicht schlecht, aber die genaue Betrachtung seiner „Kinderstube“ zerstört alles Mystische, das hauptsächlich für sein Grauen verantwortlich war. Man könnte sagen, dass Masterton seinen Stil wechselt: Von anfänglichem Suspense zu schlussendlichem Splatter.

Eine würdige Verbeugung vor dem Meister bleibt „Die Opferung“ dennoch, und auch wenn Masterton damit sicher nicht in der Lovecraft-Liga spielt, hat er dem Horrorfan trotzdem eine kleine Genre-Perle geschenkt, die alles bietet, was das schauerlustige Herz begehrt. Ein Lob also an den |Festa|-Verlag, der mit sicherer Hand in die Klassiker-Kiste gegriffen hat, um etwas zu entstauben, das man sich ruhigen Gewissens ins spinnwebverhangene Gruselregal stellen kann. Wer in „Die Opferung“ hineinschnuppern möchte, kann das auf der [Homepage]http://www.festa-verlag.de/ des |Festa|-Verlages tun, wer Masterton näher kennen lernen möchte, mag sich auf dessen Seite begeben: http://homepage.virgin.net/the.sleepless/masthome.htm.
Lohnen wird sich beides.