Petru Popescu – Die Vergessenen von Eden

In einem abgelegenen Teil Afrikas haben waschechte Urmenschen überlebt. Die Sensation lockt mediengeile Glücksritter an, während Wissenschaftler mit reinen Forscherherzen in Lebensgefahr geraten, weil eine Rebellion ausbricht … – Schon der Titel weist darauf hin, dass hier das Loblied des ‚unverdorbenen‘ Alt-Menschen gesungen wird, der von verdorbenen Nachfahren ausgelöscht zu werden droht; die Story liest sich trotz des zeitweiligen Klischee-Dauerfeuers spannend.

Das geschieht:

In einem abgelegenen Teil Kenias stoßen die Paläo-Anthropologen Ken Lauder und Ngili Ngiamena auf die Millionen Jahre alten Überreste eines Urmenschen. Die Freude über den sensationellen Fund verwandelt sich in ungläubiges Staunen, als sie Hinweise darauf finden, dass diese frühen Vorfahren des Menschen womöglich überlebt haben. Eine Forschungsexpedition soll das Rätsel lösen, doch Ken und Ngili müs¬sen mit unverhofften Schwierigkeiten fertig werden. Im diktatorisch ‚regierten‘ Kenia beschwören politische Unruhen die Gefahr eines Bürgerkriegs herauf. Außerdem tückt im Hintergrund Professor Cyril Anderson, ein wissenschaftlicher Konkurrent, der dafür berüchtigt ist, sich zum Wohle seiner Karriere skrupellos die Forschungsergeb¬nisse jener anzueignen, die seiner Macht und Medienwirksamkeit nichts entgegen¬zusetzen haben.

Von quellreinem Forschereifer beflügelt planen Ken und Ngili die Rückkehr an den Fundort, um nach Lebenszeichen eventuell dort ansässiger Urmenschen zu suchen. Doch Ken muss allein reisen; in der Hauptstadt Nairobi mehren sich die Zeichen für einen anstehenden Militärputsch. Ngilis Familie steht der jetzigen Regierung nahe und muss die drohenden Unruhen daher fürchten. Aber auch Ken ist in Gefahr. Bereits in Nairobi hat es einen Mordversuch gegeben. Ein weiterer Anschlag erfolgt, als er sein Reiseziel erreicht.

Ohne Ausrüstung bleibt Kenn schutzlos in der Wildnis zurück. Dort wird ein junger Urmensch auf ihn aufmerksam. Die beiden Wesen lernen einander kennen. Für Ken wird die Lage prekär, als den Stamm seines neuen Freundes trifft, der ihm feindlich begegnet. Außerdem muss er feststellen, dass eine zweite Urmenschen-Art in dieser Wildnis überlebt hat.

Inzwischen ist Professor Anderson auf Kens und Ngilis Entdeckung aufmerksam geworden. Da enormer Ruhm winkt, legt er sämtliche Hemmungen und tut sich mit den Rebellen zusammen, um in das Gebiet der Urmenschen einzudringen. Dort trifft er auf Ken, der sich inzwischen mit den Hominiden anfreunden konnte, sowie auf Ngili, dem es trotz der Kriegswirren gelang, eine Rettungsaktion zu improvisieren …

Menschen von Gestern = Unterhaltung für Heute

Der „Lost-Race“-Roman ist ein altes Genre der (fantastischen) Literatur. Die Geschichten ähneln sich: In einem weit entfernten, von der Zeit vergesse¬nen Winkel der Welt (wahlweise eine Insel, ein Gebirge oder ein Dschungel) haben Urmenschen (oder Wikinger, Römer, spanische Conquistadores, manchmal zusätzlich auch Dinosaurier) überlebt. Auf diese lebenden Fossilien stößt eine kleine Gruppe ‚moderner‘ Menschen, die immer in zwei Frak¬tionen zerfällt: Da sind die ‚Guten‘, die zum Wohle der Wissenschaft nur erforschen wollen, was sie entdeckt haben, und die ‚Bösen‘, die ihren Fund möglichst gewinnbringend zu vermarkten trachten.

Der britische Autor Henry Rider Haggard (1856-1925) besaß lange quasi das Monopol auf dieses Genre, er mit zahlreichen Romanen bereicherte. Trotzdem ist der berühmteste Roman wohl „The Lost World“ (dt. „Die vergessenen Welt“). Geschrieben hat ihn 1912 Arthur Conan Doyle (1859-1930), der durch seine Sher-lock-Holmes-Romane und -Geschichten Unsterblichkeit erlangte. Sein Ur-menschen-und-Dinosaurier-Abenteuer wird bis heute ständig aufgelegt und wurde mehrfach verfilmt – die „Jurassic Park“- bzw. „Jurassic World“-Streifen verdanken dieser Vorla¬ge viel.

Schon diese filmische Renaissance zeigt, dass der „Lost-Race“-Roman nie ausgestorben ist. Relativ zeitnahe zu „Kinder von Eden“ erschienen Romane wie „Adam“ von Michael Ste¬wart (1990), „Esau“ von Philip Kerr (1996) oder „Neandertal“ von John Darnton (1998).

Störende Fakten werden ausgeblendet

Wer ein wenig von Paläontologie versteht, wird über den Titel des Romans den Kopf schütteln. Unsere wilden Vorfahren – so unschuldig, so ‚rein‘, dass sie im Garten Eden bleiben durften, während weniger folgsame Mitbewohner wie Adam & Eva vor die Tür gesetzt wurden – wirken stets ein wenig zu gut, um wahr zu sein. Zumindest in den modernen „Lost-Race“-Geschichten sind Urmenschen wahre Heilige, die – von der Zivilisation nicht angekränkelt – im harmonischen Einklang mit der Natur leben und – je nach Autor verhalten bis aufdringlich – möglichst tragisch symbolisieren, wie der Mensch der Jetztzeit sich als profitgeiler Öko-Teufel an derselben versündigt hat.

Dabei wird gern verschwiegen, dass unsere angeblich so unschuldigen Vorfahren genauso rücksichtslos mit der Natur umgingen wie ihre Nachfahren. Wo immer Wissenschaftler nachforschen, haben Siedler, die in ihrer neuen Heimat auf einen intakten ökologischen Mikrokosmos stießen, diesen binnen weniger Jahrzehnte verändert bzw. zerstört – und dies problemlos ohne Feuerwaffen und Umweltgifte. Doch solche Erkenntnisse stoßen nicht überall auf Gegenliebe und missfallen besonders denen, die um die „unverdorbenen Naturvölker” dieser Erde am liebsten eine hohe Mauer ziehen und ihnen gern die Entscheidung abnehmen würden, den zweifellos schwierigen Schritt in die Moderne gegen ein Leben einzutauschen, das in der Regel nach 25 oder 30 Jahren zu Ende ist.

Von entsprechenden pseudo-romantischen Anflügen, vor denen auch Autor Popescu nicht gefeit ist, abgesehen, ist „Die Vergessenen von Eden“ ein gelungener Abenteuer-Roman: ausgezeichnet recherchiert, kenntnisreich im gewählten Thema und erfinderisch in der nicht einfachen Aufgabe, eine Lebensform glaubhaft darzustellen, von der außer Knochenbruchstücken und Steinwerkzeugen nichts erhalten ist. Wie das ‚Alltagsleben‘ unserer Vorfahren tatsächlich aussah, kann nur vermutet werden. Eine ganze Reihe einschlägiger Thesen weiß Popescu überaus anschaulich umzusetzen.

Story mit belastungsfähigem Rahmen

Auch die zweite Erzählebene hat Popescu mit Sorgfalt gezeichnet. Das moderne Afrika mit seinen vielfältigen politischen und wirtschaftlichen, besonders aber gesellschaftlichen Schwierigkeiten nimmt glaubhaft Gestalt an. Popescu verschweigt nicht die traurige Tatsache, dass ein Großteil der Probleme, die immer wieder unzähige Leben kosten, ‚hausgemacht‘ sind – die Folgen von mörderischen, oft uralten Stammesfehden, uferloser Korruption und eines Rassismus‘, der eben auch unter schwarzen Menschen verbreitet ist, so ungern das in diesen politisch so korrekten Zeiten zur Kenntnis genommen wird.

Schwächen schleichen sich gegen Ende des Romans ein. Professor Anderson, dessen skrupellose Ruhmsucht zunächst glaubhaft beschrieben wurde, verwandelt sich plötzlich in einen Serienmörder, um ‚seine‘ Urmenschen für sich zu behalten. Auch der Versuch, einen großen Konzern (Popescu wählt interessanterweise einen echten Namen – Shell) als weiteren Bösewicht ins Spiel zu bringen, wirkt aufgesetzt. Das obligatorische Finale mit Feuersbrunst und einer mächtigen Schießerei hätte sich der Autor ebenfalls sparen können, aber Hollywood hatte eine Option auf das Buch erworben, wie Popescu in einem Schlusswort andeutet, und dort geht es ohne Gewalt und Explosionen nicht. Schade, denn aus dem Film ist nie etwas geworden.

Autor

Petru Popescu wurde am 1. Februar 1944 in Bukarest, der Hauptstadt von Rumänien, als Sohn eines Theaterkritikers und einer Schauspielerin geboren. Er studierte Englisch und Englische Literatur. Schon in den 1960er Jahren veröffentlichte Popescu Gedichte. Ein erster Roman („Prins“) folgte 1969.

Die kommunistische Diktatur trieb ihn in die Flucht, Popescu nutzte die Teilnahme an einem internationalen Seminar für kreatives Schreiben, das 1973 im US-Staat Iowa stattfand, und setzte sich ab. In den USA studierte Popescu Filmwissenschaften, heiratete und gründete eine Familie. Für Hollywood schrieb Popescu bis in die 1990er Jahre Drehbücher, von denen „Drum în Penumbra“ (1972; dt. „Weg im Halbschatten“) oder der (australische) Phantastik-Klassiker „The Last Wave“ (1977; dt. „Die letzte Flut“) verfilmt wurden. Anfang der 1980er Jahre ermöglichte Robert Redford Popescu, Regie beim Film „Death of an Angel“ (1986; dt. „Ein Engel stirbt“) zu führen, zu dem Popescu auch das Drehbuch verfasste.

Taschenbuch: 540 Seiten
Originaltitel: Almost Adam (New York : William Morrow 1996)
Übersetzung: Wulf Bergner
http://www.randomhouse.de/blanvalet

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