Roszak, Theodore – Schattenlichter

Ob man einem Autor dieser Tage einen Gefallen tut, wenn man ihn auf dem Buchdeckel mit dem aktuell wohl faszinierendsten Bestseller-Autor Dan Brown vergleicht, möchte ich einmal in Fragen stellen. Das katapultiert die Erwartungshaltung an das jeweilige Buch nämlich direkt in schwindelerregende Höhen, die es aber im Regelfall nicht erreichen kann. Dies darf man im übertragenen Sinne auch auf „Schattenlichter“ von Theodore Roszak anwenden, denn das in den Vereinigten Staaten bereits als Kultroman verehrte Buch kann trotz der mysteriös erscheinenden Themenwahl und des hohen Potenzials seines Plots nicht mit der Spannungskurve eines Brownschen Schnitzeljagd-Thrillers konkurrieren, auch wenn man Roszak definitiv zugestehen muss, dass er eine Geschichte kreiert hat, die sich anregend und gewinnend lesen lässt.

_Story:_

Jonathan Gates, junger Filmstudent und Cineast, ist regelmäßiger Besucher des |Classic|, eines heruntergekommenen Underground-Kinos im Herzen von Los Angeles. Dort sieht er seinen ersten Max-Castle-Film. Castle – ursprünglich Maximilian von Kastell – war in den Zwanzigern ein begabter UFA-Regisseur, der später nach Hollywood übersiedelte, um sich dort mit zweitklassigen Horrorfilmen über Wasser zu halten. Doch richtig groß herauskommen konnte er nie, weshalb der Mann auch schnell wieder in Vergessenheit geriet.

Jonathan bekommt ein gänzlich anderes Bild von Castle und ist sich fortan sicher, dass er es hier mit allem zu tun hat, aber sicher nicht nur mit einem B-Movie-Regisseur. Castle war offenbar ein ganz außergewöhnlicher Filmemacher, der die Zuschauer mit subtilen Effekten in den Bann ziehen wollte. Das ist aber nicht die einzige Entdeckung, die Jonathan macht; zudem erfährt er von Castles Mitgliedschaft im „Orden der Sturmwaisen“. Hierbei handelt es sich um eine religiöse Vereinigung, deren Geschichte bis weit vor die Zeit Jesu Christi datiert, und die immer wieder dann an der Oberfläche erscheint, wenn von ‚Bewegten Bildern‘, also der Frühform des modernen Kinos, die Rede ist.

Der Orden existiert auch heute noch und bildet nach wie vor seine Schüler in den verschiedenen Arten des Filmhandwerks aus. Doch keiner versteht, was die Ursache dieser Arbeit und der Existenz des Ordens ist. Was bezwecken die Sturmwaisen? Welches Geheimnis verbergen sie? Jonathan macht sich auf, diesen mysteriösen Zusammenhängen nachzugehen und findet alsbald heraus, dass es sich hierbei um eine Verschwörung handelt, die seit Jahrhunderten andauert und nur ein Ziel verfolgt: Das Ende der Geschichte, so wie wir sie kennen …

Nun, Theodor Roszak wagt sich an eine sehr bizarre Materie heran, bezieht sich dabei aber über die Person des jungen Filmstudenten Jonathan Gates auf mehrere bekannte Verschwörungstheorien. Man merkt dem Buch an, dass der Autor sich sehr intensiv mit dem Stoff auseinandergesetzt hat, und nicht umsonst überschreitet „Schattenlichter“ deutlich die 800-Seiten-Marke. Aber in dieser übertriebenen Detailverliebtheit besteht auch die Schwäche dieses Romans, denn irgendwann artet die Angelegenheit so weit aus, dass von der anfangs durchaus noch formidablen Spannung mittendrin und gerade zum Ende nicht mehr viel übrig bleibt. Das Ziel, den Leser mit einer prinzipiell klug inszenierten Rahmenhandlung zu erreichen und ihn dabei für den mysteriösen Orden der Sturmwaisen zu begeistern, verfehlt Roszak zwar nicht ganz, denn immerhin bleibt man auf den ersten 150 Seiten noch ziemlich eifrig an der Lektüre. Doch mit wachsender Seitenzahl verliert „Schattenlichter“ den Wert eines unterhaltenden Romans. Roszak schweift zu häufig ab, und das jeweilige Rätsel oder der Kernpunkt des Mysteriösen wird dabei einfach zu oft aus den Augen verloren.

Stattdessen wird die Geschichte immer mehr zu einer Infoveranstaltung für Verschwörungstheoretiker. Die Katharer und der Vatikan werden erwähnt, das Nazi-Regime als Mitinitiator des Weltendes genannt und der Vatikan als hilflose Institution charakterisiert. Obwohl Roszak das Ganze sehr ausschweifend beschreibt, geht er aber nie so richtig in die Tiefe. Es gibt zahlreiche Stellen im Buch, an denen der Autor lange um ein Thema herumschreibt, aber einfach nie auf den Punkt kommen will – vielleicht ja, weil er vermutet, diesen mit zunehmender Seitenzahl und Handlungsverwirrung ohnehin schon irgendwo getroffen oder zumindest tangiert zu haben. Ich möchte behaupten, dass die Geschichte mit der Hälfte der Seiten wesentlich packender herübergekommen wäre und der Kern des Ganzen ohne Umschweife viel besser hätte beschrieben werden können.

Andererseits verläuft die Geschichte auch immer mehr in eine recht seltsame Richtung, und trotz der rätselhaften Geheimnisse um den Orden der Sturmwaisen weiß man einfach ab einer gewissen Stelle, auf welches Ende Roszak mit seine Erzählung abzielt. Dies ist dann auch der letzte Fakt, den es zu krisieren gilt. Hier wird so viel geschrieben, es kommen so viele Informationen zu den verschiedenen beteiligten Organisationen an die Oberfläche, die von jahrelanger Recherche zeugen, und schlussendlich kann man sich doch denken, wohin die Sache tendiert. Spätestens dann gibt man entnervt auf und liest den Rest des Buches nur noch, weil man ja bereits so weit gekommen ist. Und das kann ja nicht das Ziel eines Buches sein, schon gar nicht, wenn Konkurrenz wie Dan Brown im Hintergrund herumschwirrt …

Ich war zwischendurch auch mehrfach der Versuchung erlegen, aufzugeben, aber ich lese grundsätzlich jedes Buch zu Ende, und mit diesem Prinzip wollte ich auch bei „Schattenlichter“ nicht brechen. Aber zumindest kann ich jetzt mein Wissen weitergeben und die Geschichte, die ganze 14 Jahre gebraucht hat, bis sie ins Deutsche übersetzt wurde, als zweifelhaft spannend und ziemlich langatmig deklarieren. Zu viele Fakten und in Relation zur Seitenstärke zu wenig richtige Handlung – so lautet mein kurzes Fazit, untermauert dadurch, dass es im Hinblick auf religiöse Verschwörungen so viel besseren Stoff gibt, der hier vorzuziehen wäre. Wie war das noch mit Dan Brown? Nun, zumindest ist die Grundidee sehr gut: Ein Cineast, der über das Interesse für den klassischen Film zu einem scheinbar vergessenen, aber heute noch bedrohlichen Orden findet und dabei eine unglaubliche Entdeckung gemacht. Leider ist Roszak insgesamt zu weit übers Ziel geschossen und hat den wichtigsten Faktor der modernen Belletristik vergessen: Die Kunst, die Erzählung unterhaltsam zu gestalten. Als Kultbuch wird „Schattenlichter“ jedenfalls stark überbewertet.

_Der Autor_

Theodore Roszak, 1933 geboren, ist Professor für Geschichte an der Universität Kalifornien. Neben zahlreichen Sachbüchern – darunter „Gegenkultur“, dem Standardwerk über die Protestbewegungen der 60er Jahre – hat er auch etliche Romane veröffentlicht, zuletzt „Die Memoiren der Elizabeth Frankenstein“. „Schattenlichter“ ist sein berühmtester Roman und gilt in den USA als Kultbuch.

|Originaltitel: Flicker, 1991
Übersetzt von Friedrich Mader
Paperback, ca. 896 Seiten, 13,5 x 20,6 cm|